Kernfusion: Ein größeres Scheunentor bringt nichts

Helium 6 fusioniert keineswegs schneller mit anderen Kernen als das leichtere Helium 4

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Zum Verschmelzen müssen sie sich zwei Kerne so weit nähern, bis die anziehende Kernkraft die abstoßende elektrostatische Coulombkraft überwiegt. Je größer die kinetische Energie eines Kerns, desto höher kann er den elektrostatischen Coulombwall hinaufrennen – bis er schließlich die anziehende Kernkraft spürt. Anschaulich sollte die Schwellenergie der Kernfusion für neutronenreiche Isotope abnehmen. Im Fall des Heliums ist dem nicht so, wie belgische Wissenschaftler herausgefunden haben.

Schießt man ein Teilchen auf ein anderes, so sollten sich die beiden um so leichter treffen, je größer sie sind – so weit die Anschauung. Daher sollten Kerne umso leichter mit anderen verschmelzen, je mehr Neutronen sie haben, denn so erreichen sie bereits bei einem größeren Abstand den Bereich, in dem die anziehende Kernkraft die abstoßende elektrostatische Coulombkraft überwiegt.

Der Helium-6-Kern besteht aus einem Alphateilchen sowie zwei locker gebundenen Neutronen und zerfällt mit einer Halbwertszeit von ungefähr einer Sekunde. Die Bindungsenergie der beiden Neutronen ist mit jeweils rund einem halben Megaelektronenvolt recht klein, typisch sind etwa 8 Megaelektronenvolt pro Nukleon. (Bild: American Institute of Physics)

Eine höhere Zahl von Neutronen müsste die Schwellenergie der Kernfusion also senken, da der kleinste Abstand, den die Teilchen gegen die Coulombkraft erzielen können, mit steigender kinetischer Energie abnimmt. Überraschenderweise ist dem im Fall des Heliums nicht so, wie belgische Forscher des Instituts für Kern- und Strahlungsphysik der Katholischen Universität Leuven bei Brüssel herausgefunden haben. Ihr Bericht erscheint am 14. Oktober 2004 in der Zeitschrift Nature auf Seite 823 in Band 431.

Die Wissenschaftler haben Kerne von Helium 4 und Helium 6 auf Uran 238 geschossen und erhielten in beiden Fällen die gleiche Fusionswahrscheinlichkeit, die zwei zusätzlichen Neutronen blieben dabei am Urankern haften, das veranlasst den Kern wiederum zum Spalten, so dass vom Helium 6 Kern ein Alphateilchen übrig bleibt. Hier galt es, die Spaltprodukte in Koinzidenz mit Alphateilchen nachzuweisen. Im Fall einer Verschmelzung der beiden Kerne, Helium 6 und Uran 238, entstehen ebenso im darauf folgenden Spaltprozess Fragmente, aber es bleibt kein Alphateilchen übrig.

Ein großes Ziel ist nicht immer leichter zu treffen als ein kleines

Die beiden zusätzlichen Neutronen des Heliums senken also gerade nicht die Fusionsschwelle, also die für eine Fusion mindestens erforderliche kinetische Energie des Heliumkerns.

Von den sechs bekannten Isotopen des Heliums sind zwei stabil, nämlich Helium 3 und Helium 4, die anderen vier sind radioaktiv. Helium 4 entsteht beim Alpha-Zerfall vieler radioaktiver Isotope, während das seltene Helium 3 vom Betazerfall des Tritiums stammt. Ein Alphateilchen ist ein Kern des Heliums 4. Derweil hat eine andere Gruppe am Argonne National Lab im amerikanischen Bundesstaat Illinois den Durchmesser des Helium-6 Kerns zu 4,1 Femtometer bestimmt; der bereits bekannte Durchmesser des Helium 4 beträgt 3,4 Femtometer. Für ihre Messung des Durchmessers des Helium 6 mittels Laserspektroskopie nutzten sie den Kernvolumeneffekt der Hyperfeinstrukturaufspaltung aus. Ihr Artikel ist am 1. Oktober 2004 in der Zeitschrift Physical Review Letters auf Seite 142501 in Band 93 erschienen.