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Kirche und Kriegsobrigkeit

Kyrill I., Wladimir Putin und Verteidigungsminister Sergei Schoigu, 19. September 2018. Bild: www.kremlin.ru/CC BY 4.0

Was manche US-Bischöfe vom Moskauer Patriarchen Kyrill I. unterscheidet

Als US-Administrationen während des Kalten Krieges auf "ihrem Vorhof" Lateinamerika die von ihnen abhängigen Militärdiktaturen mit permanenten Waffenlieferungen und Folterlogistik zur Ermordung der aufmüpfigen Armen des Kontinents stützten, solidarisierten sich mehrere der Ökumene verbundene Kirchen der USA unter scharfer Kritik am eigenen Land mit den lateinamerikanischen Glaubensgeschwistern.

Im Jahr 2003 überfiel die US-Regierung nach Durchführung einer professionellen Desinformationskampagne den Irak mit einem Angriffskrieg zur Ermordung von Hunderttausenden Menschen, was in der Folge zur Destabilisierung einer ganzen Weltregion und zu einem bis heute anhaltenden millionenfachen Flüchtlingselend führte.

Für dieses Verbrechen fand US-Präsident George Bush jun. keinen Beifall bei den Leitungen der Methodistischen Kirche, welcher er selbst angehört. Die methodistischen Bischöfe in den USA und anderen Ländern verurteilten vielmehr das von der hochgerüsteten Supermacht ins Werk gesetzte Verbrechen des Krieges – ohne Wenn und Aber.

Staatskirchentum in Moskau

Der Moskauer Patriarch Kyrill I., der seit 2009 Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche ist und im letzten November die höchste Auszeichnung [1] des Staates erhielt, beschreitet angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine einen anderen – strikt staatskirchlichen und nationalreligiösen – Weg.

Über die kirchlich-konfessionelle Konfliktlandschaft in Russland, der Ukraine und anderen von der Orthodoxie geprägten Ländern orientiert der Regensburger Beitrag [2] eines scharfen – orthodox getauften – Kritikers des Moskauer Patriarchen.

Kontinuierliche Berichte zu Kyrills "Kriegsvoten" und den Reaktionen aus der Ökumene kann man seit zwei Wochen u.a. auf dem Portal katholisch.de nachlesen [3]. In den von mir gesichteten Medienbeiträgen werden allerdings keine russischen Originalquellen oder Angaben zu den jeweils benutzten Übersetzungen vermerkt. Es gilt also – zumal in Kriegszeiten – bis auf weiteres immer ein Vorbehalt.

Neben der relativ kleinen, mit dem Bischof von Rom verbundenen "Ukrainischen katholischen Kirche" [4] nach byzantinischem Ritus gibt es in der Ukraine noch die einstmals große "Kirche des Moskauer Patriarchats in der Ukraine" und die durch das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel anerkannte, nunmehr selbstständige "Orthodoxe Kirche der Ukraine" (ohne Gemeinschaft mit Moskau).

Die Christen in der Ukraine verurteilen natürlich ohne Rücksicht auf konfessionelle Unterschiede den Angriffskrieg der russischen Regierung. Orthodoxe Gemeinden in Westeuropa mit Mitgliedern aus ukrainischen und russischen Familien sind aufgrund der nationalreligiösen Ideologien entweder einer dramatischen Zerreißprobe ausgesetzt oder finden, wo sie an einem authentischen Christentum festhalten, zu einem gemeinsamen Zeugnis [5] des Brückenbaus.

In Russland und anderswo gibt es durchaus nonkonforme russisch-orthodoxe Kleriker [6] und Laien, die sich gegen den Krieg [7] aussprechen.

Die Kriegsvoten [8] des Moskauer Patriarchen sollte man sich nicht so unverstellt-drastisch vorstellen wie die Kriegspropaganda, die in zwei Weltkriegen von deutschen Kanzeln zu hören war. Kyrill I. schwieg [9] zum militärischen Faktum des Angriffskriegs und ließ – neben einem Aufruf zur Vermeidung von zivilen Opfern – zunächst inhaltsarme Friedenswünsche [10] verlauten:

Als Patriarch der ganzen Rus und Primas der Kirche, deren Herde sich in Russland, der Ukraine und anderen Ländern befindet, habe ich tiefes Mitgefühl mit all denen, die von dem Unglück getroffen sind.

Kyrill I.

Schließlich erging sich der Patriarch in vagen Andeutungen über eine dunkle Verschwörung. Feindselige "Kräfte des Bösen" [11] würden Russen und Ukrainer trotz ihrer engen Zusammengehörigkeit spalten … Was bzw. wieviel der Patriarch vom Krieg weiß – das wissen wir nicht.

Homophober Kulturkampf und Krieg

Kyrills Sonntagspredigt vom 6. März in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale wurde in hiesigen Medien als eine indirekte Legitimierung des Krieges gelesen und zwar im Zusammenhang eines notwendigen Schutzes der Gläubigen vor schwul-lesbischen Emanzipationsparaden.

Entsprechende Paraphrasierungen und Zitat-Fragmente bieten z.B. das Domradio [12] oder die Frankfurter Rundschau [13].

So wäre denn der Krieg zu deuten im Lichte einer geopolitisch motivierten Kampagne des Westens [14] und einer gottwidrigen liberalen Befreiungskultur in Fragen der Liebe zwischen den Geschlechtern, die gleichsam die Eintrittskarte eines feindlichen Bündnisses ist?

Was der Moskauer Patriarch Kyrill I. zu Gay-Pride-Paraden und Regenbogenfahnen zum Besten gibt, entspricht den Kulturkampfideologien der staatstragenden Kräfte in Russland. Die Bellizisten sollten aber vorsichtig sein, falls sie an dieser Stelle vielleicht die Nato als Verteidigerin schwul-lesbischer Rechte ins Spiel bringen wollen.

Für den nationalreligiösen Komplex des polnischen Katholizismus bleibt Homosexualität nämlich ebenfalls Teufelswerk, weshalb die Bischöfe Polens ihre nunmehr reformbereiten deutschen Kollegen vor Irrwegen nahe am Abfall vom wahren Glauben stehen sehen.

Mit einer aggressiven Hetze [15] sondergleichen gegen die Befreiung von Schwulen und Lesben hat sich seit 1985 – zunächst als Glaubenswächter des polnischen Papstes – der Deutsche Joseph Ratzinger profiliert. Europa kenne die Bibel nicht mehr, die Natur des Menschen werde zerstört und es drohe ein "Ausstieg aus der gesamten moralischen Geschichte" [16] der Menschheit!

Inzwischen wird man, wenn man wie der Autor dieses Beitrages noch Katholik ist, oft als Mitglied einer kriminellen Vereinigung ohne Moral angesehen.

Bekümmert sein sollten auch alle kampfbereiten Humanisten, die Demokratie, Regenbogenflagge und transatlantische Waffenbrüderschaft als solides Bündnis betrachten. Vielleicht übernimmt schon in wenigen Jahren ein christlich-faschistoider Komplex das Weiße Haus in Washington, der Gays am liebsten in der Hölle schmoren sieht, als Erkennungszeichen einen allgegenwärtigen Kult der Waffe betreibt und auch morgen genau jene Atombomben über alles lieben wird, für welche die deutsche Regierung heute schon im Rahmen von 100-Milliarden-Rüstungsschulden neue Tornados [17] einkaufen will. Rosige Aussichten sind das nicht.

Zerreißprobe in der Ökumene?

Verständlicherweise scharf, aber mit Blick auf die Konsequenzen nicht in allen Fällen klug überdacht sind die ökumenischen Kritiken am Patriarchen in Moskau. Der tschechische Ökumeniker Pavel Cerny wünscht z.B., dass die russisch-orthodoxe Kirche als Ganzes aus dem Weltkirchenrat ausgeschlossen [18] wird. Das würde auf eine Kollektivhaftung aller Gläubigen hinauslaufen und einen möglicherweise hochbedeutsamen Kirchenraum für eine künftige russisch-ukrainische Versöhnung international kaltstellen.

Scharf kritisiert wird sogar Bischof Franziskus von Rom, weil er in seiner Kritik am gegenwärtigen Krieg zu unbestimmt bleibe. Der Salzburger Dogmatiker Hans-Joachim Sander fragt: "Wo ist der Papst?" [19]

Die Theologin Regina Elsner meint gar, der Papst mache sich zum Komplizen von "Kyrills Ideologie" [20]. Was soll dieser Tage Vorrang haben?

Ein höchster päpstlicher Richterspruch über den Aggressor oder diplomatische Aktivitäten wie das Telefonat [21] des vatikanischen Kardinalstaatssekretärs mit Russlands Außenminister?

Hier zeigt sich ein Dilemma, das aus der Geschichte leider gut bekannt ist. Als die deutsche Soldateska 1914 in Belgien etwa fünftausend Zivilisten – oft in Reihen aufgestellt – ermordet hatte, übernahm Kardinal Desiré-Joseph Mercier federführend die "Dokumentation" der Verbrechen.

Die deutschen katholischen Bischöfe verteidigten die deutschen Mörder in Uniform und stellten den belgischen Kardinal als Lügner hin. Der pazifistische Papst Benedikt XV. verzichtete in seinen glühenden Appellen gegen den Krieg auf alle konkreten Schuldzuweisungen, weil er sich durch strikt gewahrte "Neutralität" eine Rolle als möglicher Vermittler zwischen den Kriegsparteien offenhalten wollte.

Aus solchen Widersprüchen [22] können sich letztlich nur Kirchen lösen, die zum christlichen Weg der ersten drei Jahrhunderte vor Kaiser Konstantin zurückkehren (Verweigerung jeglicher Kriegsbeteiligung), die sich von Staaten mit Waffenkomplexen nicht in irgendeiner Weise finanzieren lassen, die das Militärkirchenwesen ersatzlos abschaffen, die jegliche Theologisierung von Kriegsgewalt ächten und sich aus den jahrtausendealten Fängen der Kriegsreligion auf allen Ebenen befreien, vor allem in den Köpfen.

Die deutschen katholischen Bischöfe haben seit zwei Jahrzehnten keine nennenswerten friedenstheologischen Kompetenzen mehr unter Beweis gestellt und sind zuletzt nur noch mit dem Gewaltschatten des Klerikerstandes beschäftigt gewesen. Doch jetzt unterbreiten sie wieder eilig, dienstbeflissen und ganz ungefragt Legitimationen für Waffenlieferungen [23].

Für solch eine antiquierte Kriegslogik muss man nicht viel nachdenken oder andere Mühen tragen. Nichts Neues unter der Sonne. Die staatskirchlichen Komplexe sind vielleicht doch nicht reformierbar.

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.domradio.de/artikel/ueberschwaengliche-freude-putin-verleiht-patriarch-kyrill-i-russlands-hoechsten-orden
[2] https://www.regensburg-digital.de/die-russisch-orthodoxe-kirche-beteiligt-sich-aktiv-an-diesem-krieg/04032022/
[3] https://www.katholisch.de/startseite
[4] https://www.katholisch.de/artikel/33409-kiewer-grosserzbischof-betet-fuer-russische-kriegsgegner
[5] https://www.katholisch.de/artikel/33441-expertin-kritisiert-instrumentalisierung-woelkis-durch-russland
[6] https://www.katholisch.de/artikel/33336-priester-des-moskauer-patriarchats-fordern-kriegsende
[7] https://www.unifr.ch/orthodoxia/de/news/news/26804/russische-laien-darunter-der-komponist-arvo-part-appellieren-an-patriarch-kirill
[8] https://www.katholisch.de/artikel/33326-wo-bleibt-der-friedensappell-des-moskauer-patriarchen
[9] https://www.inforadio.de/rubriken/interviews/2022/03/04/ukraine-krieg-russisch-orthodoxe-kirche-ostkirchen.html
[10] https://www.katholisch.de/artikel/33357-der-moskauer-patriarch-steht-fest-zu-putin
[11] https://www.evangelisch.de/inhalte/198056/06-03-2022/ukraine-krieg-kaessmann-kritisiert-moskauer-patriarchen-kyrill
[12] https://www.domradio.de/artikel/moskaus-patriarch-mit-erklaerung-fuer-krieg-der-ukraine
[13] https://www.fr.de/politik/ukraine-krieg-russland-angriff-kirchenoberhaupt-moskau-rechtfertigt-invasion-homophobie-91391969.html
[14] https://www.katholisch.de/artikel/33436-patriarch-kyrill-i-sieht-luegen-kampagne-des-westens-gegen-russland
[15] https://www.heise.de/tp/features/Rom-und-die-blutige-Geschichte-der-Verfolgung-von-Schwulen-und-Lesben-6000013.html
[16] https://www.heise.de/tp/features/Ausstieg-aus-der-gesamten-moralischen-Geschichte-3385079.html?seite=all
[17] https://www.dw.com/de/deutschland-sucht-neuen-atombomber/a-51941514
[18] https://www.katholisch.de/artikel/33424-oekumeniker-russisch-orthodoxe-aus-weltkirchenrat-ausschliessen
[19] https://www.katholisch.de/artikel/33366-die-ukraine-ist-im-krieg-und-wo-ist-der-papst
[20] https://www.katholisch.de/artikel/33421-osteuropa-expertin-papst-macht-sich-zum-komplizen-von-kyrills-ideologie
[21] https://www.katholisch.de/artikel/33418-vatikan-bestaetigt-moskau-telefonat-ruf-nach-waffenruhe
[22] https://www.katholisch.de/artikel/33459-ukraine-krieg-wie-der-vatikan-frieden-schaffen-will
[23] https://www.stern.de/politik/deutschland/deutsche-bischofskonferenz-bischoefe--waffenlieferungen-mit-friedenslehre-vereinbar-31689512.html