Rom und die blutige Geschichte der Verfolgung von Schwulen und Lesben

Angriff auf einen Teilnehmer des Rzeszów Equality-Marsches 2018. Bild: Silar/CC BY-SA 4.0

Ohne Befreiung aus der homophoben Angst kann die Weltkirche weder wahrhaftig noch gewaltfrei werden, Kirchenrevolte für die Liebenden (Teil 2)

In der Begründung zum vatikanischen Verbot des Segens über homosexuell Liebende wurde gezielt am "Fest der Kathedra Petri" zum tausendsten Mal eine moraltheologische Ideologie reproduziert, die seit Jahrhunderten Grundlage einer blutigen Verfolgung von Lesben und Schwulen ist (siehe Kirchenrevolte für die Liebenden (Teil 1).

In Polen, Afrika, Teilen Amerikas und vielen weiteren Erdregionen ist der römisch-katholische Kirchenkomplex immer noch einer der Hauptakteure in jenen Bewegungen, die von Hass angetriebenen Verfolgern den Rücken stärken und Angst verbreiten.

Der Begründungsteil zum Anti-Segen-Responsum der obersten Glaubensbehörde wird von Theologietreibenden außerhalb der fundamentalistischen Institute nahezu einhellig als inakzeptabel beurteilt. Wenn man die umstrittenen Ausführungen nur ein wenig in Klartext übersetzt, erfüllen sie unter dem Maßstab der bürgerlichen Gesellschaft aber auch den Tatbestand der "Volksverhetzung".

Hier wiederholt sich das ewige Drama, dass die Römische Kirche in der Wagenspur zutiefst falscher Axiome nicht nur stets dem weltlichen Menschenrechtsdiskurs hinterherhinkt, sondern mangels Umkehr zur Botschaft des Evangeliums unverdrossen Errungenschaften eines humanen Freiheitsringens sabotiert.

Der dogmatische Widerspruch

Geradezu zwanghaft festgehalten wird ein Wahngebilde, das die Kirche in einen eklatanten Widerspruch zu ihrer auf dem letzten Konzil in der Konstitution Lumen gentium vorgelegten Selbstdefinition versetzt. Die Diffamierung der homosexuellen Liebesbegabung als "Schöpfungsdefekt" zementiert nämlich eine tiefgreifende Feindschaft zwischen einem nach eigenem Gutdünken förmlich festgesetzten "Schöpfer" und allen Menschen, die mit ihrer Sexualität aus dem Raster der aristotelischen Naturrechtskonstruktion herausfallen. Dies ist das genaue Gegenteil des kirchlichen Anspruchs, "Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott" zu sein.

Sabotiert wird in gleichem Atemzug die dogmatische Vision einer Kirche, die sich als ein Zeichen für die "Einheit der ganzen Menschheit" erweist. Denn wenn alle Minderheiten, die ihre angeblich normwidrige Sexualität als Geschenk erfahren, zu Sündern gestempelt und aus der Gemeinschaft des Segens ausgeschlossen werden, agiert die Kirche als ein Zerstörungswerkzeug wider die "Einheit der ganzen Menschheit". Die während des Ratzinger-Pontifikats vorgetragene Prognose, die Römische Kirche werde im dritten Jahrtausend in den großen Zivilisationsfragen "fortschrittlich" sein, gleichzeitig aber in ihrem Inneren im fundamentalistischen Rückwärtsgang verbleiben und der Freiheit keine Heimatstatt gewähren, bleibt gruselig.

Denn wer durch seine oberste theologische Behörde ohne Diskurs gewalttätige und gewaltprovozierende Ideologien zur Sexualmoral über den ganzen Erdkreis verschickt, kann unmöglich gleichzeitig einem weltkirchlichen Friedensdienst nachkommen.

Die Anliegen der freiheitlichen Kirchenreformer (hier besonders: ein neues Ethos der Sexualität) und die zivilisatorischen Fragen der Weltkirche lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Nur wenn die Kirche nach innen Gewaltfreiheit und Wahrhaftigkeit einübt, kann sie in der Welt helfen, einer neuen Kultur der Gewaltfreiheit Wege zu bahnen.

Wenn ich nun im 1. Teil dieses Beitrags von einem freundlich verpackten "Theo-Stalinismus" des Vatikans spreche (was mein Beichtvater für weniger glücklich hält), so ist dies in erster Linie systemisch zu verstehen. Ich kenne den Chef des Heiligen Officiums, das irriger Weise glaubt, eine Segenspastoral für Liebende unterbinden zu können, gar nicht. Vielleicht ist Kurienkardinal Luís F. Ladaria SJ, der uns auf Bildern so sympathisch anschaut, persönlich der liebenswürdigste Mensch von der ganzen Welt.

So oder so, es ist offenkundig, dass die Glaubenskongregation die mitunter sehr blutige Wirkungsgeschichte der von ihr jetzt neu aufgelegten Lehrmeinung und die Täterschaft ihrer eigenen Vorgänger-Institutionen verdrängt hat. Deshalb erscheint es notwendig, hier - auf der Grundlage vorliegender Arbeiten - wichtige Stationen der homophoben Kirchengeschichte, die mit so viel Leid, Tötungsakten und Suiziden verbunden ist, noch einmal in Erinnerung zu rufen.

Die Bibel fordert eindeutig die Todesstrafe

Die Heilige Schrift, da haben die "bibeltreuen" Fundamentalisten aller Konfessionen recht, fordert für bestimmte homosexuelle Praktiken eindeutig die Todesstrafe. Wer als Mann bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, den soll man gemäß Heiligkeitsgesetz aus dem Volk mit der Axt herausbeilen und auf blutige Weise totmachen (Leveticus 18,22; 20,13). Jesus verliert über das Thema Homosexualität kein Sterbenswörtchen. Ihm geht es darum, Tote zum Leben zu erwecken, nicht Menschen tot zu machen.

Bei Paulus hingegen, der selbst über einen geheimnisvollen "Stachel" im eigenen Fleisch klagt, ist das gleichgeschlechtliche Begehren geradezu Symptom und göttliche Strafe für die Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf (Römer 1,25-27). Seine ganze Theologie kreist um die Erkenntnis, dass kein Mensch sein eigenes Gutgeheißensein durch die Erfüllung von Normen und Gesetzen erkaufen kann.

Allein die bedingungslose Annahme durch Gott, so übersetzt er Jesu Botschaft, ruft uns ins Leben. Der Römerbrief enthält nun die einzige möglicherweise bedeutsame Stelle des Neuen Testamentes zur Homosexualität. Auf der Grundlage moderner Anthropologie kann die Exegese heute nur sagen: Paulus versucht, mit dem Phänomen "homosexuelles Begehren" das Zentrum seiner Verkündigung zu illustrieren.

Da der Apostel im Gegensatz zu uns von Homosexualität nur ganz oberflächlich etwas wissen konnte, muss sein Illustrationsversuch rückwirkend als rundherum missglückt betrachtet werden. Mit der Gnadenbotschaft vom rein geschenkten Leben sind die besagten Verse des Römerbriefes aus heutiger Sicht schier unvereinbar.

Kirchenväter-Konstrukte: "Schlimmer als Mörder und Tierbeischläfer"

Viel mehr als ein Sammelsurium von Kuriositäten gibt im Kontext der antiken Naturrechtsphilosophie auch die Lektüre der Kirchenväter nicht her. Clemens von Alexandrien lehnt den Verkehr unter Männern rigoros ab, denn das männliche Geschlecht sei von Natur aus nicht zur Aufnahme, sondern zur Ergießung des Samens bestimmt.

Lactantius hält homosexuelle Praxis für eine Erfindung des Teufels. Johannes Chrysostomos bewertet sie als den abscheulichsten aller Frevel, für den keine Höllenstrafe groß genug sein kann. Die widernatürlichen Männerbeischläfer seien schlimmer als Mörder. Ihre Begierden und ihr Leben seien satanisch bzw. diabolisch.

Für Augustinus wird die von Gott geschaffene Natur durch Homosexualität erniedrigt, wobei er es als besonders schändlich erachtet, dass Männer beim naturwidrigen Geschlechtsverkehr bisweilen eine "weibliche Rolle" einnehmen. Sodomiten und ihre Dulder sollen bei jeder Gelegenheit streng bestraft werden. Bei Augustinus treffen wir auf die bis heute im klerikalen Männerbund geradezu konstitutive Symbiose von Frauenverachtung und Homophobie.

Im 11. Jahrhundert drängt besonders Petrus Damianus mit fanatischem Verfolgungseifer auf Maßnahmen wider die homosexuelle "Teufelsbeute", die ihm gefährlicher erscheint als die "Tierbeischläfer". Maßgeblich bis heute bleibt jedoch die aristotelisch inspirierte Naturrechtslehre des Thomas von Aquin (1225-1274).

Dieser Kirchenlehrer behandelt in seiner Summa die sexuellen "Sünden wider die Natur" (Selbstbefriedigung, heterosexuellen Oral- und Analverkehr, gleichgeschlechtliche Handlungen). Diese seien die allerschlimmsten, denn durch sie werde Gott selbst in seiner Eigenschaft als Ordner der Natur beleidigt.

Die Konsequenzen dieser pseudo-biologistischen Anschauung, die auf einer restlos überholten Sexualwissenschaft fußt, sind fürchterlich. Heterosexuelle Vergehen wie Inzest oder Vergewaltigung, bei denen der "natürliche Fortpflanzungszweck" gewahrt bleibt, sind am Ende weniger gravierend als einvernehmliche gleichgeschlechtliche Liebesakte oder Onanie. (Zu den Wortungetümen der Scholastik gehört die Rede von einem "vernunftgemäßen Gebrauch der Geschlechtsorgane").

Die Ausweglosigkeiten eines solchen - jetzt im März 2021 wieder aufgewärmten - Systemdenkens blockieren bis heute die gesamte Sexualethik in der römisch-katholischen Kirche, betreffen also keineswegs bloß Schwule, Lesben oder Bisexuelle.

Thomas von Aquin folgte nicht dem Prolog des Johannes-Evangeliums, demzufolge Gott nicht eine Vielzahl von Katechismus-Lehren offenbart, sondern im Wesentlichen nur ein einziges Wort: das Wort des Lebens, welches jeden Menschen erleuchtet. Der Aquinat, dessen Doktrin noch immer eine neue Betrachtung der homosexuellen Liebe verhindert, soll angeblich ein gleichsam unfehlbarer Lehrer der Christenheit sein.

So befand etwa der aus Dortmund stammende Jesuit Joseph Kleutgen (1811-1883), ein Pionier der neuscholastischen Aristoteliker im Vatikan und Miterfinder der allgewaltigen päpstlichen Unfehlbarkeit (Dogma 1871). Persönlich war Kleutgen ein Lügner, ein zur zölibatären Lebensweise nicht befähigter Beichtvater, der das Sakrament zur Befriedigung seiner heterosexuellen Triebe missbrauchte, und zeitweilig sogar ein Exkommunizierter.

Wollte man mit diesem denkbar schlechten Vorbild den Thomas von Aquin beim Wort nehmen, dann sollte man auch konsequent sein. Der engelgleiche Kirchenlehrer des 13. Jahrhunderts meinte nämlich u.a., wenn schon Münzfälscher vom Staat hingerichtet würden, so müsse man erst recht Verfälscher der "wahren Glaubenslehre" totmachen.

Was mit Gewissheit festzuhalten ist: Ein kirchlicher Lehrkomplex, der in der Geschichte für das mörderische Kriegshandwerk immer wieder die erwünschten Legitimationen beigebracht hat, während er gleichzeitig für die erotische Liebesbegegnung von zwei Männern ewige Höllenstrafen beschwor, kann schon in der Wurzel mit dem allein maßgeblichen Wegweiser Jesus von Nazareth nichts zu tun haben.