Kleine AfD-Erfolge, ein Umfrage-Hoch und hilfloser Antifaschismus

Sticker wie dieser reichen wohl eher nicht, um "Protestwähler" abzuschrecken. Bild: PantheraLeo1359531 / CC BY 4.0

In der CDU wird gestritten, ob Grüne oder AfD der Hauptgegner sind. Die Linke scheint enttäuschte Linksgrüne nicht anzuziehen. Wären ein Landrat und ein Bürgermeister der AfD sonst furchterregend?

Sonneberg, Raguhn-Jeßnitz? Wer hat die Namen diese ostdeutschen Ortsnamen bisher gekannt? Jetzt sind sie kurzzeitig in den Nachrichten, weil dort die AfD den ersten Landrat und den ersten Bürgermeister stellt. Das sorgt momentan für einige Tage für große Aufregung. Das zeigte sich in den letzten Tagen und sorgte angesichts des bundesweiten Umfrage-Hochs der AfD auch für Streit in den anderen Parteien.

Wenn Merz wie Wagenknecht redet

In der CDU gibt es unterschiedliche Ansichten über die Frage, wer bei den künftigen Wahlen der Hauptgegner sein soll. Die Grünen, wie es Parteichef Friedrich Merz empfiehlt, oder die AfD? Vor allem Ministerpräsidenten, die mit den Grünen koalieren, befürchten, dass die ursprüngliche Umweltpartei mit solchen Tönen verprellt würde.

Doch die Auseinandersetzung geht tiefer. CDU-Landespolitiker wie Daniel Günther aus Schleswig-Holstein und Hendrik Wüst in NRW wollen damit deutlich machen, dass sie in der Kanzlerkandidatenfrage mitreden. Merz ist für sie als Parteivorsitzender nicht einfach der natürliche Kandidat. Diese Auseinandersetzung begann bereits mit der Wahl von Merz.

Seine parteiinternen Herausforderer verweisen auf dessen schlechte Beliebtheitswerte bei Teilen der Bevölkerung. Zudem haben Politiker wie Wüst gezeigt, wie man den Grünen umgehen kann, ohne sie zum Hauptgegner zu machen. Sie haben den Hambacher Forst räumen lassen und damit dem RWE-Konzern den Weg für den weiteren Abbau von Kohle freigemacht – und die Grünen haben es geschluckt. Nicht einmal Abgeordnete des sogenannten linken Flügels haben die Partei verlassen.

Keine Vorstellung von einer Politik außerhalb der Grünen

Auch bei einem Herzensthema vieler Grüner, der Flüchtlingspolitik, gibt es viel Kritik an der weiteren EU-Abschottung. Aber selbst profilierte Kritiker der Verschärfungen wie der EU-Politiker Erik Marquardt weisen weit von sich, dass sie die Partei verlassen könnten, weil diese sich an der Abschottung beteiligt. Aufschlussreich ist, was Marquardt in einem Interview mit der taz auf die Frage nach persönlichen Konsequenzen:

Wir werden sehen, wer Recht hat. Bei dem Tweet ging es nicht darum, ob ich von meinen Posten zurücktrete oder aus der Partei austrete – ich mein’, wo soll ich denn hin? Ich will eine bessere Asylpolitik, die bekomme ich ja nicht, wenn ich mich mit einem Aperol in den Garten setze.

Wir müssen geschlossen und auch über Parteigrenzen hinweg weiter kämpfen. Natürlich habe ich sehr damit gerungen, wie ich mich auf dem Länderrat verhalte. Aber zu behaupten, Annalena Baerbock ist doof – das ist nicht meine Meinung und das führt ja nicht dazu, dass wir das Leid an den Außengrenzen beenden.


Erik Marquardt, EU-Abgeordneter, Bündnis 90 / Die Grünen

Auf die Frage von Telepolis, warum er nicht – wie viele Linksgrüne in der Vergangenheit – in einem Übertritt zur Partei Die Linke eine Option sieht, zumal sich die Parteispitze von Sahra Wagenknecht und ihren Sozialkonservatismus abgrenzt, antwortete Marquardt:

Die Linkspartei ist für mich aus verschiedenen Gründen keine Option. Auch wenn es dort viele Leute gibt, mit denen ich gerne zusammenarbeite, gibt es eine überaus strukturkonservative Basis, die in kaum einer Frage progressiver ist als die Grünen-Basis.

Die Funktionärsebene ist so zerstritten, dass man das Gefühl hat, sie hätten keine größeren politischen Gegner als die Parteikollegen und leider ist die Linke auch in weiten Teilen nicht in der Lage die politischen Forderungen in Mehrheiten zu verwandeln, weil man nicht den Mut hat, an den richtigen Stellen Kompromisse zu machen und mitzuregieren.


Eric Marquardt

Das ist natürlich auch eine Ernüchterung für Mitglieder und Funktionäre der Linkspartei, die den Eindruck erwecken, eine Partei ohne Wagenknecht und ihren Flügel wäre für enttäuschte Linksgrüne wieder attraktiv. Schließich hatte ja Wagenknecht schon vor einiger Zeit auch innerparteilich heftigen Gegenwind bekommen, als sie ihrerseits die Grünen zum Hauptgegner erklärt hatte.

Auch ihr wurde vorgeworfen, damit die AfD verharmlost zu haben. Nur hat die Orientierung von Merz für Die Linke weitere negative Effekte: Je mehr sich in Zukunft Wahlen zu angeblichen Lagerkämpfen zwischen wahlweise AfD oder CDU versus Grüne entwickeln, desto mehr leidet darunter Die Linke, die dann noch weniger wahrgenommen wird.

Das wird schon bei den Diskussionen nach den beiden kleinen Wahlerfolgen der AfD deutlich. Dabei regiert doch in Thüringen noch immer ein Ministerpräsident dieser Partei. Genau in dem Bundesland gibt es schon heute eine faktische Allparteienkonstellation gegen die AfD und jetzt fürchten manche, nach der nächsten Landtagswahl könnte es selbst dazu nicht mehr reichen.

Wenn nun ausgerechnet der FDP-Chef Christian Linder als Notbehelf für Unzufriedene sogar die Wahl der Linken statt der AfD empfiehlt, ist das kein Erfolg für Die Linke. Denn das hat nichts mit einer Volksfrontpolitik zu tun, mit der fortschrittliche Bürgerliche auch Bündnisse mit Linken gegen extreme Rechte eingingen.

Ostidentität und AfD-Wahlerfolge

Ansonsten machen viele Debatten um die jüngsten AfD-Wahlerfolge den Eindruck, als könnten sie schon vor drei oder Jahren geführt worden sein, als die AfD sich als Partei der Ostdeutschen inszenierte. Besonders die Kontrovers-Sendung im Deutschlandfunk vom Montag machte den Eindruck, man hätte die gesamte Diskussion schon vor mehreren Jahren gehört.

Auch damals ging es schon um die Frage, woher der Zuspruch zur AfD kommt. Neu ist nur, dass zwei neue Erfolgsautoren für Ostdeutsche mit für den AfD-Erfolg verantwortlich gemacht werden. Der Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann und sein Erfolgsbuch "Der Osten – eine westdeutsche Erfindung" und die Historikerin Katja Hoyer, die mit "Diesseits der Mauer" den Anspruch erhebt, eine neue Geschichte der DDR zu schreiben. Auch die Kritik daran wirkt aber merkwürdig platt und ohne Tiefe.

Da wird der Anschein erweckt, schon die kritische Betrachtung der "Wende" würde die Rechten befeuern. Zu den vehementesten Kritikern von Hoyer und Oschmann gehört der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, der sich – ebenfalls in einem taz-Interview – zu den AfD-Erfolgen äußerte:

Ich habe nach 1990 zu meinem Erstaunen unentwegt erlebt, wie Freiheit im Westen von Leuten, die nichts anderes als ihre eigenen Lebensumstände kannten, mit Füßen getreten wurde – aus einer materiellen Sattheit heraus. Wir leben in einem der sichersten, freiesten und sozialsten Ländern der Erde, aber wenn man hört, was nicht nur AfDler, sondern auch viele Linke oder Leute der sogenannten bürgerlichen Mitte erklären, könnte man annehmen, wir leben in einer Diktatur, in der die Mehrheit am Hungertuch nagt. Natürlich ist vieles zu ändern, besser zu machen, aber nichts davon hätte hätte Wert, wenn wir nicht Freiheit als zentralen Punkt ins Zentrum rücken.


Ilko-Sascha Kowalczuk

Da sollte Sascha Kowalczuk mal einige Berichte der Initiative "Ich bin armutsbetroffen" lesen, die deutlich machen, dass es Menschen gibt, die entscheiden müssen, ob sie sich Essen oder Miete leisten können. Dabei gäbe es sinnvolle Kritik an den beiden akademischen Autoren mit ihren Ostthemen.

So bedient Oschmann in einem ND-Interview den von rechts gerne verwendeten Opfermythos vom besiegten Deutschland:

Man denke nur an die Forderung von Mathias Döpfner kürzlich, man solle den Osten in einen Agrarstaat mit Einheitslohn verwandeln. Solche Intentionen gab es von Seiten der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges aus US-Kreisen bezüglich des besiegten Deutschlands. Stichwort: Morgenthau-Plan. Das sind virulente Kolonialisierungs- und Ausgrenzungsphantasien ersten Grades.

Dirk Oschmann, Neues Deutschland

Wenn soziale Fragen ethnisiert werden

Hier sind in einen kurzen Absatz gleich mehrere Begrifflichkeiten zu finden, die von rechts genutzt werden können, das besiegte Deutschland und die rechte Erzählung über den Morgenthau-Plan, die schon von der NS-Propaganda bedient wurde. Statt über das Niedriglohnland Ostdeutschland und den Kampf dagegen wird über Kolonialismus und besiegte Nationen geraunt. Demgegenüber ist dem taz-Kolumnisten Kersten Augustin zuzustimmen:

40 Prozent der Erwerbstätigen in Sonneberg leben vom Mindestlohn, so viele wie nirgendwo sonst. Das kann ein Ansatz sein, auch wenn ökonomische Gründe nicht ausreichen, um den Erfolg der AfD zu erklären. Rechtspopulismus ist europaweit auf dem Vormarsch. Wer eine Alternative zu ihm will, muss die Schwäche der Linken überwinden, Antifaschismus und Umverteilung organisieren. Auf die Parteien der Mitte kann man dabei nicht setzen. Sie haben nicht mehr anzubieten als Streicheleinheiten


Kersten Augustin, taz

Das wäre auch eine gute Antwort auf Ilko-Sascha Kowalczuk und seiner Eloge an die abstrakte Freiheit.