Klimakonferenz COP27: Die größte Sicherheitsherausforderung, aber...
Politiker der Bundesregierung winden sich anlässlich der UN-Klimakonferenz in Scharm El-Scheich. Der Ukraine-Krieg dient als Erklärung für Schritte, die Klimaschutzplänen "scheinbar" widersprechen. Finanzielle Zusagen reichen nicht.
Bei internationalen Klimakonferenzen stößt die politische Klasse der EU unter anderem auf den Globalen Süden, der jetzt schon mehr unter den Folgen des menschengemachten Klimawandels leidet als die Hauptverursacher. Die Wahrnehmung des Ukraine-Krieges als Zivilisationsbruch, der die Klimapolitik zwangsläufig durcheinander bringt, dürfte hier eher als eurozentristische Sichtweise gelten – zumal das Konfliktbarometer bereits im vergangenen Jahr 20 Kriege weltweit anzeigte.
"Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle", hat UN-Generalsekretär António Guterres gerade zur gemeinsamen Menschheitsherausforderung erklärt, die Erderwärmung wenigstens noch auf unter zwei Grad zu begrenzen.
Deutsche Politiker wie Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der nominell auch für das Klima zuständig ist, haben anlässlich der UN-Klimakonferenz, die am Sonntag im ägyptischen Scharm El-Scheich begann, versucht, die Prioritäten ihrer Politik der letzten Monate zu erklären.
Den beiden Grünen-Politikern scheint bewusst zu sein, wie unzufrieden viele Menschen sind, die sie vor allem wegen ihrer Umwelt- und Klimaschutz-Versprechen gewählt haben. Anders, als ihr Handeln in letzter Zeit vermuten lässt, erkennen sie in einer gemeinsamen Erklärung an:
Die Klimakrise ist die größte Sicherheitsherausforderung, vor dem die Menschheit im 21. Jahrhundert steht – und gegen sie zu handeln ist jetzt dringlicher denn je.
Aus dem Namensbeitrag von Außenministerin Annalena Baerbock und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck
"Schmerzhafte Schritte" wegen Putin
Es folgt aber sofort eine Begründung, warum ein solches Handeln aktuell kaum möglich sei: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine untergrabe "das internationale Vertrauen, das wir für erfolgreichen globalen Klimaschutz brauchen". Russlands Präsident Wladimir Putin habe mit dem Angriff "eine geopolitische Polarisierung befeuert, wie es sie seit dem Kalten Krieg nicht gab".
Warum es nicht möglich ist, einfach im eigenen Land mit effektivem Klimaschutz anzufangen? – Um das zu erklären, winden sich beide Grünen-Politiker. Dass die schnellstmögliche Unabhängigkeit von russischen Energieträgern mit anderen fossilen Energieträgern aus nicht minder problematischen Partnerländern – etwa totalitären Golfmonarchien wie Saudi-Arabien – erkauft werden soll, umschreiben sie vornehm:
Als unsere Regierung letztes Jahr ihr Amt antrat, legte sie ehrgeizige Pläne für die Energiewende vor. Heute unternehmen wir als Reaktion auf Russlands Einsatz von Energie als Waffe schmerzliche Schritte, die diesen Plänen scheinbar widersprechen. (...)
Ja, wir treffen harte Entscheidungen, um Deutschland und Europa durch diesen und nächsten Winter zu bringen. Aber die Kohlekraftwerke, die wir reaktiviert haben, werden nur bis März 2024 laufen. Unsere neuen dauerhaften Pipelines zur Einfuhr von Flüssiggas müssen für die Umstellung auf Wasserstoff geeignet sein – das ist gesetzlich vorgeschrieben.
Außenministerin Annalena Baerbock und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck
Ob das Vorgeschriebene auch eingehalten werden kann, ist allerdings ungewiss: Laut einer Studie des Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) ist noch gar nicht geklärt, ob die LNG-Terminals in Zukunft auch für klimafreundliche Energieträger nutzbar sind.
Ob es machbar ist, die Terminals auf Nutzung von verflüssigtem "grünem" Wasserstoff oder Ammoniak umzustellen, hängt nach Aussage des Projektkoordinators von vielen Faktoren ab, wie Telepolis am Wochenende berichtete. Um eine langfristige Festlegung auf fossile Infrastruktur zu vermeiden, sei es nötig, Industrie, Wissenschaft, Politik und andere Interessengruppen zusammenzubringen.
Finanzielle Zusagen als unzureichend kritisiert
Solche Feinarbeit steht noch aus, während Baerbock und Habeck versichern, die Klimakrise "heute mehr denn je" zu bekämpfen und die Bundesregierung ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung des deutschen Militärs zur Verfügung stellt.
Letzteres hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ende Februar anlässlich der "Zeitwende" im Zusammenhang mit der russischen Invasion in der Ukraine verkündet. Auch in seiner Rede bei der Klimakonferenz in Scharm El-Scheich am Montag erwähnte Scholz an erster Stelle den Ukraine-Krieg, obwohl Deutschland offiziell nicht Kriegspartei ist, bevor er auf die Klimakatastrophe zu sprechen kam.
170 Millionen Euro sagte er als Anschubfinanzierung für den geplanten globalen Schutzschirm für Klimarisiken zu. Das Entwicklungsministerium teilte mit, dass die Gelder für den Schutz der Regenwälder in Zentralafrika oder Südamerika um eine Milliarde Euro bis 2025 aufgestockt werden. Beides wird aus den jährlichen Mitteln für den Kampf gegen den Klimawandel finanziert, die bis 2025 von 5,3 auf sechs Milliarden Euro steigen sollen. Letzteres kritisieren Umweltorganisationen als unzureichend:
Scholz‘ Aufruf an die COP27, ein belastbares Klimaschutzarbeitsprogramm zu verabschieden, um die Umsetzungslücke zu schließen, muss vor Ort in Scharm el-Scheich in den nächsten Tagen mit Leben gefüllt werden. Enttäuschend ist die Rolle Deutschlands bei dem weiterhin nicht eingelösten Versprechen zur Klimafinanzierung durch die Industrieländer, die 100 Milliarden Dollar bis 2025 jährlich zur Verfügung stellen wollten.
Ein fairer Anteil Deutschlands daran wären acht Milliarden Euro. Demgegenüber verkündete der Bundeskanzler nur zum wiederholten Male die Aufstockung der deutschen Finanzierung auf jährlich sechs Milliarden Euro bis 2025.
WWF Deutschland
In seiner Rede warnte Scholz laut Manuskript auch vor einer "Renaissance der fossilen Energien" wie Öl, Gas und Kohle. "Für Deutschland sage ich: Es wird sie auch nicht geben." Es bleibe dabei, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral werden solle.
Auch das ist nach Ansicht zahlreicher Experten und Umweltorganisationen zu wenig, um einen fairen deutschen Beitrag zur Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele von 2015 zu leisten. Eine faire und ambitionierte "Deadline" wäre demnach 2035.