Klimakrise: "Der Bahnverkehr wird ein wichtiger Teil der Lösung"

Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) rangieren an der Kapazitätsgrenze. Foto: Liberaler Humanist / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-4.0

Ohne Förderung keine sozial-ökologische Transformation: Wie kann der Schienenverkehr einen Beitrag leisten? Ein Gespräch mit Olivia Janisch

Die stellvertretende Vorsitzende der österreichischen Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida, Olivia Janisch, spricht über die Herausforderungen eines sozial-ökologischen Umbaus. Für nachhaltige Änderungen bedarf es eines politischen Willens, der nicht nur gepredigt, sondern auch umgesetzt wird.

Die Rolle der Gewerkschaften in Österreich und Europa sieht sie darin, für die Interessen der Beschäftigten zu lobbyieren und möglichst breite gesellschaftliche Bündnisse zu bilden, auch beispielsweise Fridays for Future. Das Bewusstsein für die anstehenden Aufgaben ist bei den Beschäftigten vorhanden, meist bremst die Politik, die letztlich marktliberalen Zielen verpflichtet ist.

Der Soziologe Eugen Rosenstock-Huessy meinte einmal, der Himmel auf Erden sei leicht zu erreichen. Alle Bürger haben eine gute Sozialversicherung und können in jeden Landesteil einfach, bequem und billig mit der Bahn reisen. Welche Bedeutung hat eine sichere und gut ausgebaute Bahn-Infrastruktur für Österreich?

Olivia Janisch: (Lacht) Also, das ist ein schönes Zitat. Kannte ich noch nicht und ich nehme es gerne in mein Repertoire auf, denn ich bin auch in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung tätig. Die Schieneninfrastruktur wie Gleise und Weichen, Bahnsteige, Signalanlagen, Stellwerke oder auch die dazugehörige Energieversorgung hat in jedem Land eine sehr hohe Bedeutung.

Es geht aber auch um das rollende Material und vorrangig natürlich um das Personal. Die Bahnreisenden dürfen sich guten Service und auch vor allem Sicherheit erwarten. Die kann nur gewährleistet werden, wenn regelmäßig investiert wird – auch in die Beschäftigten. Gerade in Deutschland mussten wir sehen, dass zu wenig in den Schienenverkehr investiert wurde. Das Unglück in Oberbayern…

Das Zugunglück im letzten Jahr in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen, bei dem ein Regionalzug die Böschung hinabstürzte?

Olivia Janisch: Ja. Da zeigte sich, wie wichtig eine regelmäßige und sorgfältig Wartung ist. Bleibt dies aus, dann entstehen Gefahren. Ich erinnere mich aber auch an einen Beinahe-Unfall bei Teisendorf, bei dem eine Katastrophe nur durch die geistesgegenwärtige Reaktion des Triebfahrzeugführers verhindert werden konnte. Ein fahrender Zug fuhr auf einen stehenden Zug zu, insgesamt waren rund 200 Fahrgäste in den Zügen.

Nur durch die rechtzeitig eingeleitete Schnellbremsung kam der fahrende Zug 80 Meter vor dem stehenden Zug zum Stillstand. Der Mensch ist also entscheidend. Dafür braucht es Beschäftigte, die für ihren Job bestens ausgebildet sind und auch ausreichend Zeit haben, um die nötige Erfahrung zu sammeln und sich regelmäßig weiterzubilden.

Es ist essenziell, dass ein Triebfahrzeugführer beispielsweise Streckenkenntnis besitzt oder ein Fahrdienstleiter den Bahnverkehr sicher überwachen und koordinieren kann. Es ist auch wichtig, dass die Mitarbeiter ausgeruht sind und Arbeitszeiten haben, die ihnen eine planbare Freizeit ermöglichen – insbesondere im Schichtdienst.

Auf europäischer Ebene sehen wir, dass es durch Liberalisierung und Wettbewerbsdynamik zu einem Absinken von Ausbildungsniveau und -standards kommt. Im Zentrum scheint das maximale Ausreizen der Personalsysteme zu stehen. Das gilt es zu verhindern.

Als Nutzer der Österreichischen Bundesbahnen, kurz ÖBB, hat man zuweilen den Eindruck, sie arbeiten seit langem jenseits ihrer Kapazitätsgrenzen. Kann dem neuerdings stark angestiegenem Bedarf kaum begegnet werden, weil in den letzten Jahrzehnten zu wenig in Bahninfrastruktur und eher in Immobilienprojekte investiert wurde?

Olivia Janisch: Zunächst einmal freuen wir uns als Gewerkschaft, dass die Nachfrage steigt. Es sollte uns alle freuen, denn der Bahnverkehr wird ein wichtiger Teil der Lösung der Klimakrise sein. Man muss auch sagen Österreich ist im Bereich der Bahninfrastruktur gut unterwegs. Der sogenannte Rahmenplan legt in Österreich fest, dass 19 Milliarden in den Jahren 2023 bis 2028 in ein modernes Eisenbahnnetz investiert werden.

Personalproblem: "Ohne Menschen geht es nicht"

Der Rahmenplan ist eine gute Erfindung, nur leider hat es den nie für das Personal gegeben. Das hat die Politik ein wenig vergessen. Wenn sich jetzt Bahnreisende über lange Wartezeiten ärgern müssen, dann hat das oft mit dem nicht ausreichend vorhandenen Personal zu tun. Es braucht genügend Zugbegleiter, Security, Rangierer/Verschieber, Lokführer, Reinigungspersonal, denn ohne Menschen geht es nicht. Die vom Management gerne genannte "gesunde" Personalunterdeckung gibt es nicht mehr.

Die demografische Entwicklung war vorhersehbar und wurde nicht beachtet. Die Ruhestandsversetzungen ändern die Zusammensetzung des Personals, die routinierten Kräfte fehlen und zugleich steigert man die Anforderungen. Früher gab es beispielsweise für den Verschieber/Rangierer mehr Zeit, um in seinen gefahrengeneigten Beruf hineinzuwachsen.

Die Anforderungen und Belastungen wurden gesteigert und die Investition ins Personal wurde nach hinten gereiht. Das gilt nicht nur für die ÖBB sondern auch für andere der mittlerweile 80 Eisenbahnunternehmen in Österreich. Was nützt das schönste ausgebaute Schienennetz, wenn nicht genügend Personal da ist, um die Züge zusammenzustellen, zu führen, die Sicherheit zu gewährleisten und den Service am Bahnhof und in den Zügen zu bieten?

Bahnmobilität wird entscheidend sein, beim ökologischen Umbau unserer Gesellschaft. Welche Rolle sehen Sie hier für die Mitwirkung der Gewerkschaften?

Olivia Janisch: Als erstes wollen wir eine Lobby für die Kostenwahrheit sein. Die Kosten die der Ausbau und die Instandhaltung der Straßen verursacht und die durch den Transport auf der Straße entstehen, werden nicht abgebildet.

Ohne die Kostenwahrheit zwischen Straße und Schiene, insbesondere die Energiepreisungerechtigkeit, wird es zu keinem ausreichenden Umstieg kommen. Eine flächendeckende LKW-Maut oder zumindest die 2024 mögliche Erhöhung der bestehenden Maut in Österreich durchzusetzen wäre ein guter erster Schritt. Davon habe ich in der Politik noch nichts gehört. Da wird mächtig dagegen lobbyiert.

Zum zweiten setzen wir uns ein für funktionierende Systeme, ein solches funktionierendes System ist die Direktvergabe, die in Österreich unmittelbar durch die Bundesländer passieren kann und die auch in anderen europäischen Ländern erfolgreich angewendet wird.

Die sogenannte Public Service Obligation im Personenverkehr sollte es in einer Entsprechung auch als sichere Förderkulisse für den Schienenverkehr geben. Leider wird die Direktvergabe von der Europäischen Kommission innerhalb des Liberalisierungsdogmas ständig angegriffen.

Sie gibt Leitlinien heraus in denen sie alles ignorieren, das bereits demokratisch entschieden wurde, weil sie um jeden Preis Ausschreibungen durchdrücken wollen. Wir wollen als Gewerkschaft auf nationaler und europäischer Ebene dagegenhalten, weil zahlreiche Studien belegen, wie sehr die Liberalisierung die Eisenbahnbranche schädigt.

Neben dem Kampf gegen die Liberalisierungsreligion, wenn ich das mal so sagen darf, vertreten wir als Gewerkschaft natürlich in erster Linie die Beschäftigten. Wir sind keine Umwelt-NGO, auch wenn wir gemeinsame Ziele verfolgen, sondern achten darauf, dass die Kosten für die notwendigen Maßnahmen nicht auf die Mitarbeiter abgewälzt werden.

Der ÖGB fordert ja einen Infrastrukturplan für Bund, Länder und Gemeinden der Just Transition, die Klimaverträglichkeit soll sich an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientieren, wie kann dies konkret aussehen?

Olivia Janisch: Wenn wir diesen sozial gerechten und ökologischen Umbau wollen, dann wird der unterschiedliche Bereiche betreffen. Dafür benötigen wie einen ganz konkreten Arbeitsplan der Bund, Länder und Gemeinden betrifft damit es ein Miteinander und nicht ein gegeneinander wird. Wie ermöglichen wir einen Mikro-ÖV am Land, damit die Reise nicht am Bahnhof endet, sondern weitergehen kann.

Für diese neuen Aufgaben müssen wir natürlich die Beschäftigten mitnehmen. Wir brauchen langfristige Investitionspläne, um den Klimawandel sozialverträglich zu bekämpfen. Die Arbeitswelt wird sich wandeln und hier können Verkehrs- und Umweltstiftungen hilfreich sein, die Einkommensverluste ausgleichen und neue Perspektiven schaffen.

Die Unternehmen merken ja bereits, dass sie das Personal brauchen. Umschulung, Aus- und Weiterbildung und Karrieremodelle in ökologischeren Beschäftigungen müssen deshalb reizvoll hinsichtlich Bezahlung und Arbeitsbedingungen gestaltet werden.

Grundsätzlich erleben die Beschäftigten die Notwendigkeit etwas zu ändern, selbst schon sehr stark. Extremwetter wie Hitze ist etwas, was ein Verschieber/Rangierer jeden Tag spürt. Aber auch in der Lok, die jetzt eine Klimaanlage braucht. Die Unwetter-Ereignisse in Österreich, die starken Regenfälle und die Muren, die, wie der Kärntener Landehauptmann sagt, "leider eine neue Ära einläuten", die Stürme, wenn Bäume über die Gleise fallen und vieles mehr. Das sind ganz konkrete Auswirkungen, wo unsere Beschäftigten erleben, was der Klimawandel konkret heißt und dass etwas getan werden muss.

Der Klimawandel kennt keine Grenzen, wie steht es bei der Just Transition um die europäische Dimension?

Oliva Janisch: Entscheidend ist die Lenkungswirkung. Es gibt üppige staatliche Gelder für die Förderung von Innovation in Unternehmen. In Österreich sind das bis zu 6 Milliarden. Diese Mittel sollten unbedingt an soziale und ökologische Kriterien gebunden sein! Keine Förderung beispielsweise für Unternehmen, die dauernd sozial- und arbeitsrechtliche Verstöße begehen.

"Die EU-Kommission konterkariert den Green Deal in Europa"

Ich muss leider sagen, die Europäische Kommission konterkariert den Green Deal in Europa in grotesker Weise. Ein Beispiel: Es wurde ein Verfahren angestrengt gegen die SNCF, die französische Staatsbahn. Die hat im Schienengüterverkehr ein Tochterunternehmen, die Fret. Diese Güterverkehrsunternehmen hat nun von der EU-Kommission ein Beihilfeverfahren bekommen, in dem die staatlichen Hilfen für diesen Konzern hinterfragt werden.

Die französische Regierung hat dies akzeptiert und ein "Diskontinutätsszenario" hinterlegt, was bedeutet, das Unternehmen wird aufgelöst. Durch die Liquidierung verschwinden rund 500 Arbeitsplätze und 30 Prozent des Transportvolumens kommen von der Schiene weg auf die Straße!

Ein ähnliches Verfahren gibt es gegen die DB-Cargo. Das ist das größte Schienengüterverkehrsunternehmen in Europa. Das Unternehmen transportiert in Deutschland umgelegt täglich 42000 LKW-Ladungen und spart damit 4,2 Millionen Tonnen CO2-Emmissionen ein. DB-Cargo und Fret betreiben den sogenannten "Einzelwagenverkehr", der nie rentable ist, aber für viele Unternehmen sehr wichtig, weil sie keinen Ganzzug brauchen.

Genau für diese logistisch aufwendigen Angebote, die private Konkurrenten in der Regel nicht bedienen, sollte es Staatsunternehmen geben und genau dafür sollte es Förderung geben, wenn man eine "grüne Zukunft" will.

Es gibt also im Zusammenhang mit dem "Einzelwagenverkehr" keine marktwirtschaftlich rentable Lösung für einen ökologisch sinnvollen Transport?

Olivia Janisch: Genau. Hier kann man viel optimieren, aber am Ende lohnt sich dieses Angebot auch für große Unternehmen nur bei entsprechender Förderung. Es ist wie bei Gesundheut und Schulen. Wenn wir sagen Mobilität ist ein Grundrecht, das Freiheit bedeutet, dann muss dies eben gefördert werden. Wenn wir die Klimakrise bewältigen wollen, den Menschen eine Zukunft geben wollen mit größtmöglichem Güteraustausch, dann braucht es das politische Bekenntnis den Schienengüterverkehr zu fördern.

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