Klimakrise: Wenn es nur um Moral ginge

Seite 2: Moralische Fleißsternchen wären ein schlechter Trostpreis

Für die Jüngeren wird das jedenfalls schwieriger und teurer als für die "Boomer" – und deshalb ist die Motivation der Jüngeren, die sich aktiv und teils mit zivilem Ungehorsam für eine schnellere Energie- und Verkehrswende einsetzen, auch nicht in erster Linie moralisch.

Sie geben das auch gar nicht vor, sondern wissen genau, dass es um knallharte materielle Realitäten geht – und sie versuchen, genau das einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Moralische Fleißsternchen wären für sie nur ein sehr schlechter Trostpreis, wenn das nicht gelänge.

Es geht ihnen auch nicht darum, dass ihr Engagement als selbstlos und idealistisch wahrgenommen wird, sondern sie appellieren an den Selbsterhaltungstrieb unserer Spezies. Sie vertreten dabei nicht nur, aber auch ihre eigenen Interessen.

Das persönliche Konsumverhalten steht dabei nicht im Mittelpunkt. Die meisten von ihnen bemühen sich zwar, keine besonders umwelt- und klimaschädlichen Produkte zu kaufen, wissen aber auch, dass nicht jede alleinerziehende Mutter zwischen zwei Jobs Zeit und Nerven hat, sich beim Einkaufen solche Gedanken zu machen – und dass regionale Produkte oft teurer sind als solche, die aus fernen Niedriglohnländern in deutsche Supermärkte transportiert wurden.

Deshalb kämpfen sie in erster Linie darum, dass Konzernen die Macht genommen wird, Raubbau an der Natur zu betreiben, damit die Verantwortung nicht auf gestresste Endverbraucherinnen abgewälzt wird. Das ist mit "System Change, not Climate Change" gemeint.

Die aktive Klimabewegung ist besser als ihr Ruf

Wenn Jüngere "Boomern" gegenüber moralisch argumentieren, ist das auch eine Form der Interessenvertretung. Vielleicht nicht die klügste, wenn es mit Pauschalurteilen über eine ganze Generation verbunden ist.

Wenn Jüngere moralisch argumentieren, werfen sie mehr oder weniger direkt in die Waagschale, dass die zahlenmäßig überlegenen "Boomer", die heute zum Teil ignorant auf ihre Sorgen reagieren, ja irgendwann Hilfe von Jüngeren erwarten, wenn sie alt, schwach und gebrechlich sind, dass Jüngere ihre Renten zahlen sollen – und dass Solidarität keine Einbahnstraße sein sollte.

Letzteres ist zwar richtig, aber dieser "Move" kann auch ins Sozialdarwinistische kippen, wenn ältere Menschen irgendwann nicht mehr als Personen, sondern nur noch als Angehörige einer Generation wahrgenommen werden, die "es verkackt hat" und deshalb keine Solidarität verdiene.

Aber in diesem Punkt ist die aktive Umwelt- und Klimabewegung besser als ihr Ruf. Sie will weder altersdiskriminierend sein, noch kann sie sich Altersdiskriminierung überhaupt leisten. Seit der Bologna-Reform haben Studierende nämlich im Durchschnitt viel weniger Zeit, sich politisch zu engagieren, als es noch in den 1990er-Jahren der Fall war. Protestbewegungen jeglicher Art sind deshalb umso mehr auf Rentnerinnen und Rentner oder Berufstätige in Altersteilzeit angewiesen.

Nicht nur über 50-Jährige, sondern auch über 70-Jährige sind in der Umwelt- und Klimabewegung vertreten und werde dort geschätzt, auch wenn sie bei sportlichen Aktionen des zivilen Ungehorsams von "Ende Gelände" nicht immer in der ersten Reihe stehen. Manche tun aber auch das. Bei Extinction Rebellion in Großbritannien gibt es längst eine Untergruppierung "Grandparents and Elders".

Aber natürlich ist die Mehrheit aller Altersgruppen immer noch politisch inaktiv und liest, wenn sie wählen geht, nicht unbedingt vorher Parteiprogramme. Bei der letzten Bundestagswahl bekam jedenfalls die Porsche-Lindner-FDP neben den Grünen die meisten Stimmen von erstmals Wahlberechtigten.

Wählen gegen die eigenen Interessen – ein deutscher Volkssport

Diese "Youngsters" mögen damit zwar gegen ihre eigenen Interessen gewählt haben, aber das ist ja gerade der Witz an der bürgerlichen Demokratie. Die mehrheitlichen Klasseninteressen der jungen Generation unterscheiden sich nicht grundlegend von denen der Älteren – nur, dass individuelle Aufstiegshoffnungen bei 55-Jährigen der unteren Einkommensgruppen kaum noch vorhanden sein dürften, während sie bei 25-Jährigen eine erhebliche Rolle spielen.

Manche halten es dann auch für eine gute Idee, sich mit "wirtschaftlich erfolgreichen" Menschen der FDP-Klientel zu identifizieren, auch wenn diese im Gegensatz zu ihnen selbst ein hohes Startkapital hatten.

Wenn es um die Bewältigung der Klimakrise geht, hat die junge Generation aber tatsächlich ein gemeinsames Interesse – auch wenn sie in sehr unterschiedlichem Ausmaß bedroht ist: Als die Titanic sank, gab es für die Passagiere der 1. Klasse zumindest Rettungsboote, aber lustig war diese Schiffskatastrophe auch für sie nicht.

So gesehen hat die Mehrheit gegen ihre Interessen gewählt: Dass die Grünen nicht nur mit der FDP koalieren, sondern auch zulassen würden, dass sie sowohl den Finanz- als auch den Verkehrsminister stellt – und dass es dann nicht mal ein popeliges Tempolimit geben würde – dürften sich die wenigsten ausgemalt haben, die den Grünen ihre Stimme gaben. Das gilt selbstverständlich auch für Ältere, die sich die jetzige grüne Außenministerin Annalena Baerbock gemäß ihres Wahlkampfs als "Klimakanzlerin" vorstellen konnten.

Insofern spiegelt das Wahlergebnis ohnehin nicht die Wünsche der Wahlberechtigten, die dafür ihre Stimme "abgaben" – und deren Mehrheitsverhältnisse haben auch nur wenig damit zu tun, für welche Ziele Menschen in Deutschland demonstrieren. Wer an Demos teilnimmt, tut das ja gerade, um auch zwischen den Wahlen eine Stimme zu haben.

Gerade bei Fridays for Future wird auch regelmäßig betont, dass vier Jahre Wartezeit einfach zu lang sind, um abzuwarten, ob die Regierung vielleicht doch noch die Kurve kriegt – weil sich das Zeitfenster für die Begrenzung des Klimawandels sehr bald schließen wird, falls es sich nicht schon geschlossen hat.

Was die FDP in diesem Zusammenhang für einen Teil der jungen Menschen attraktiv macht, ist vielleicht gerade die Einladung, dieses bedrohliche Zeitfenster nicht so wichtig zu nehmen, weil ja immer noch eine rettende geniale Erfindung kommen kann, wenn es eigentlich schon zu spät ist – Stichwort "Technologieoffenheit".

Vielleicht schlafen sie dadurch auch besser als die Aktiven Fridays for Future, die vor dem bösen Erwachen warnen und oft gegen Ohnmachtsgefühle ankämpfen müssen. Manche der "Klimakids" klammern sich in solchen Momenten vielleicht auch an den Strohhalm, dass eine solche Erfindung noch kommen könnte – sie halten es nur für fahrlässig, wenn ihre Lebensgrundlagen darauf verwettet werden.

Wer sich von der FDP vertreten fühlt, geht eher nicht demonstrieren. Er oder sie geht davon aus, dass es einfacher ist, durch schnelles Erklimmen der Karriereleiter oder die Gründung eines Unternehmens Einfluss zu gewinnen. Was ja nicht ganz falsch ist, nur leider keine Rechnung, die für die große Mehrheit aufgehen kann.

Und das erklärt auch ein Stück weit die Sache mit den Erstwählenden: Sie haben eben auf diesem Weg noch weniger Burnout-Erfahrungen gesammelt als 30- bis 50-Jährige oder gar "Boomer", die inzwischen auf die 60 zugehen.

Lebenserfahrung vs. Verdrängung

Ja, die Älteren haben den Jüngeren Lebenserfahrung voraus. Die Lebenserfahrung der "Boomer" ändert aber nichts daran, dass in dieser Altersgruppe die Versuchung besonders groß ist, die Folgen des menschengemachten Klimawandels zu verdrängen.

Denn sie gehören weder zu den ganz Jungen, die damit rechnen müssen, bei einem ungebremsten Klimawandel den Zusammenbruch der Zivilisation zu erleben, noch zu den richtig Alten, für die es jetzt schon an immer mehr Sommertagen gefährlich wird, das Haus zu verlassen. Fast 10.000 Menschen mehr als sonst im Juli sind in Deutschland im vergangenen Monat gestorben. Das Statistische Bundesamt führt das zu einem erheblichen Teil auf die Hitzewellen zurück.

Aber wer denkt schon die ganz Alten mit, die während der Hitzewellen hinter geschlossenen Jalousien sitzen und hoffentlich jemanden haben, der für sie einkauft, weil es für sie selbst lebensgefährlich wäre? Wie viele von ihnen unterschreiben würden, was manche "Boomer" trotz eindeutiger Trends in den Wetteraufzeichnungen so gern via Facebook verbreiten – "Alles Klimahysterie, im Sommer war es auch früher schon warm" – ist unklar.

Entspannen wird sich die Lage in den nächsten Jahrzehnten nicht. Es lässt sich aber noch beeinflussen, um wie viel schlimmer die Hitzewellen werden. Jedenfalls gibt es bei näherem Hinsehen keine jetzt lebende Generation, die der Klimawandel nicht betrifft.

Wer sich als Realist oder Pragmatikerin sieht, kann das nicht als moralische Befindlichkeit abtun, denn es hat messbare und gravierende Folgen, wenn über 2030 hinaus Kohle verbrannt wird, wenn der motorisierte Individualverkehr weiter gefördert wird und die Autoindustrie in den nächsten Jahren so viele und so schwere SUV verkaufen kann, wie sie möchte.

Im bisherigen Waldbrand-Rekordjahr 2022 sind wir bei knapp über einem Grad Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, 1,5 Grad dürften laut UN-Klimabericht schon im Jahr 2030 erreicht sein; und die Welt steuert auf 2,7 Grad zu. Den fossilen Großkonzernen gefällt das, denn alles andere würde bedeuten, dass sie weniger Profite erwirtschaften.

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