Klimaschutzprogramm 2030: CO2-Restbudget und -Bepreisung

Der Flüssiggastanker LNG Vesta bei der Beladung. Bild: Gary Danvers Collection / CC-BY-SA-2.0

Erdgas: das letzte Gefecht der Fossil-Industrie - Teil 2

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Der erste Teil Gasimporte trotz "Klimaneutralität 2050" beschrieb, wie Erdgasimporte - per Pipeline aus Russland oder per Flüssiggas - einem "klimaneutralen Europa bis 2050" zuwiderläuft. Dennoch wird Erdgas von der Fossil-Lobby als "Übergangs"-Energiequelle schöngeredet.

Die Bundesregierung und ihr Klimakabinett werden in ihrem "Klimaschutzprogramm 2030" ab 2021:

Eine CO2-Bepreisung für die Sektoren Verkehr und Wärme [...] einführen [... für] Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brenn-und Kraftstoffe (insbesondere Heizöl, Flüssiggas, Erdgas, Kohle, Benzin, Diesel) [... außer beim] Luftverkehr. [...]
Im Jahr 2021 werden Zertifikate zu einem Festpreis von 10 Euro pro Tonne CO2 ausgegeben. [...]
Im Jahr 2025 werden Zertifikate zu einem Festpreis von 35 Euro pro Tonne CO2 ausgegeben.

Das "Klimaschutzprogramm 2030" beginnt mit dem Bekenntnis "Der Schutz des Klimas ist eine große, globale Herausforderung" und zählt die Verpflichtungen der Pariser Weltklimakonferenz und viele wissenschaftliche Fakten auf. Man kann der Bundesregierung nicht vorwerfen, sie würde Fakten ignorieren. Aber sie macht aus "Treibhausgasneutralität" einen Auftrag für Wirtschafts- und Exportförderung:

Die Bundesregierung sieht in entschlossenem und gemeinsamem Handeln mit den richtigen Prämissen große Chancen für den Wirtschafts-, Innovations-und Beschäftigungsstandort Deutschland. Unternehmen sollen sich frühzeitig auf die Herausforderungen einstellen und die Chancen für Innovation und klimafreundliches Wachstum ergreifen können. ... CO2-neutrale Technologien ‚made in Germany‘ werden einen wichtigen Beitrag für den weltweiten Klimaschutz liefern und Deutschlands Exportkraft als Spitzentechnologieland weiter stärken.

Restbudget 6,6 Milliarden Tonnen CO2

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung berechnete, dass für Deutschland 2020 noch ein Restbudget von 6,6 Milliarden Tonnen CO2, das maximal in die Atmosphäre gepustet werden dürfe, zur Verfügung stehe, wenn die Erderwärmung auf +1,75 Grad begrenzt werden solle. Bei weiterhin konstanten Emissionen wäre dieses Budget schon 2028 aufgebraucht. Die einzige Lösung wäre: Die deutschen Emissionen jedes Jahr linear um 6% reduzieren, um bis 2036 Nullemissionen zu erreichen. In diesem Sinne fordert etwa Greenpeace, bis 2030 den CO₂-Ausstoß um 65 Prozent zu senken.

Weltweit betrug das Restbudget, um mit 67% Wahrscheinlichkeit unter +1,5 Grad bleiben, laut IPCC Anfang 2018 noch 420 Milliarden Tonnen CO2, heute Ende 2019 noch 350 Gt.

Doch das am 29.9.2019 vorgestellten "Klimapäckchen" des deutschen Klimakabinetts sieht vor, dass Deutschland von 2020 bis 2030 rund 7,5 Mrd. Tonnen Kohlendioxid freisetzt; damit wäre schon 2029 das Restbudget von 6,6 Mrd. Tonnen CO2 aufgebraucht.

CO2 soll einen Preis bekommen

Vergleich des vorgesehenen CO2-Preises des Klimakabinetts vs. Empfehlungen durch Wissenschaftler. Bild: Wolf-Peter-Schill, DIW / CC-BY-4.0

Bisher konnte CO2 als "externalisierte Kost" gratis die Atmosphäre verschmutzen. Wenn jetzt CO2-Emissionen einen Preis von beispielsweise 100 €/t bekommen würde, würde sich

  • Benzin bzw. Diesel um ca. 28 bzw. 32 Cent/l verteuern,
  • Erdgas um ca. 2 Cent/kWh, also von ca. 6 auf 8 Cent/kWh.

Das nachgebesserte "Klimapaket 2.0" bepreist nun CO2 mit 25 €/t (2021) ansteigend auf 55 €/t (2025). Wie viele Autofahrer werden wohl ihr Vehikel stehen lassen, nur weil sich bis 2025

  • Benzin um 16 Cent oder 11% von ca. 1,40 €/l auf 1,56 €/l und
  • Diesel um 18 Cent oder 13% von ca. 1,30 €/l auf 1,48 €/l verteuert?

Und wie viele Hausbesitzer werden ihre Immobilie wohl für zigtausende Euro dämmen oder mit Erdwärme beheizen,

  • nur weil sich Erdgas bis 2025 von ca. 6 auf 7,5 Cent/kWh verteuern?

Der vom Klimakabinett ursprünglich am 20. September 2019 vorgesehene CO2-Preis von 10 €/t (2021) bzw. 35 €/t (2025) hätte

  • Benzin um 2,8 Cent (2021) bzw. 9,8 Cent (2025) verteuert -

eine Lachnummer, die Umweltschutzverbände als "wirkungslos" bezeichnet und auf die sie mit "Fassungslosigkeit" reagiert hatten: "Ein Wille für ernsthaften Klimaschutz ist mit diesem Plan nicht erkennbar."

Umweltpolitik als die "Kunst des Machbaren", was also den Energielobbys nicht weh tut.

Natur als Geldgröße

Andere Organisationen fordern einen ernsthafteren Klimaschutz durch realistischere CO2-Preise. Der Grünen-Parteitag im November 2019 in Bielefeld beschloss: "CO2-Preis: 2020 soll er pro Tonne nun bei 60 Euro liegen und in Schritten von 20 Euro pro Jahr ansteigen", was für 2025 rechnerisch 160 €/t ergeben könnte.

"Das deutsche Umweltbundesamt schätzt, dass eine in Deutschland ausgestoßene Tonne CO2 etwa 180 € an Schäden für Mensch und Umwelt verursacht".

Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler William D. Nordhaus bezifferte in seiner Nobelpreisvorlesung 2018 die Kosten der Emissionen ("Social cost of carbon", SCC) für 2020 sogar auf 275 USD/t CO2 , also ca. 248 €.

IPCC-Gutachten fordern für 2030 für Deutschland 160€/t CO2 bis 225€/t CO2, wenn andere Maßnahmen der Politik nicht helfen bis 350€/t CO2.

Vergleich des vorgesehenen CO2-Preises des Klimakabinetts vs. Empfehlungen durch Wissenschaftler und der Grünen. Bild: Wolf-Peter-Schill, DIW / CC-BY-4.0 / Grüne und Klimapaket 2.0 eingezeichnet von Walter Gröh

Doch alle diese als Universalwaffen gehandelten CO2-Preise sind nur erhöhte Prämien, die es Industrie und Privaten weiterhin erlauben, die Atmosphäre zu verschmutzen.

Als die deutschen "Wirtschaftsweisen" Juli 2019 in ihrem Sondergutachten "Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik" ausschließlich erhöhte CO2-Prämien als Wunder- und Universalwaffe vorschlugen, dann war das

das Dokument einer Ökonomischen Wissenschaft, in deren Modellen Rohstoffe, Arbeit, Stoffströme - kurzum, die reale materielle Welt mit ihrer Physik und Chemie nur als Geldgrößen vorkommen. In diesem Gutachten tauchen konsequenterweise - so ergibt es eine unvollständige Stichprobe - Begriffe wie die folgenden nicht auf: Stoffströme, Biodiversität, Verhaltensänderung, Lebensstil, Naturschutz, Biosphäre, Gerechtigkeit, Artenvielfalt, Lebensqualität, Aluminium, Partizipation, Interessensgruppen, dafür scheint durchgehend die eine große Sorge durch: Was wird denn aus dem Wachstum, wenn wir das Klima schützen müssen?

Mathias Greffrath in seinem Jahresrückblick "Saisonschluss" in "Essay und Diskurs" des Deutschlandfunks.

Wer bezahlt?

Die große Energiewende soll also durch gezielte kleine Preiserhöhungen sowie über Verbrauchssteuern gesteuert und finanziert werden - also Anreize statt Ordnungsmaßnahmen. Der Erfolg ist unsicher; sicher scheint, dass das ‚regressiv‘ vor allem die Mittelschichten und Geringverdiener" belasten wird. Wer soll für die bisher kostenlos "externalisierten" Kosten der Energiegewinnung aufkommen?

Eine Berechnung des "Öko-Instituts Berlin" im Auftrag von "Agora Energiewende" kommt zum Ergebnis, dass
"ein auf Erneuerbare Energien umgestelltes Stromsystem nicht teurer, preisstabiler und ein effizienter Klimaschutz" ist.

"Nicht teurer", denn die gesamten Systemkosten eines zu über 95 Prozent auf Erneuerbare Energien umgestellten Stromsystems werden auf €63,7 Mrd. jährliche Kapitalkosten veranschlagt. Das entspräche dem
Investitionsaufwand eines kohlebasierten Systems von €59 - 63 Mrd. Von den €63,7 Mrd. entfielen auf zusätzliche Energiespeicher, schnell zuschaltbare (Gas-, Wind-, Sonnen-)Kraftwerke und Energiemanagementoptimierungen:

  • €28 Mrd. für Netzinfrastrukturkosten und
  • €0,5 - 2,0 Mrd. für Batteriespeicher und
  • €2,6 - 3,5 Mrd. für Erdgaskraftwerke zur Versorgungssicherheit


Und ein EE-Stromsystem wäre "preisstabiler", denn es wirkt wie eine "Versicherung gegen volatile Energie- und CO2-Preise". Während der Anteil der von Marktpreisen abhängigen variablen Kosten im EE-System nur bei fünf Prozent läge, betrüge er bei fossilen Stromsystemen zwischen 30 Prozent und 67 Prozent.

Und ein EE-Stromsystem wäre eine effiziente Klimaschutzmaßnahme, da es die CO2-Emissionen des Stromsektors um 96 % unter das Niveau von 1990 senken würde. Die CO2-Vermeidungskosten betrügen nur 50 Euro/t CO2; das wäre deutlich weniger als die erwarteten CO2-Schadenskosten von kurzfristig 80 und mittel- bzw. langfristig 145 bzw. 260 Euro/t CO2.

Allen Sonntagsreden zum Trotze gilt: Umweltschutz, sozialer Ausgleich und demokratische Mitbestimmung sind höchstens ausnahmsweise kurzfristig ökonomisch effizient. Diese marktfremden aber dringend notwendigen und von vielen Bürgern auch gewünschten Elemente unserer Gesellschaftsordnung müssen gegen starke Interessensgruppen durchgesetzt werden. Jede enkeltaugliche Gestaltung der Globalisierung wird die Macht dieser auf kurzfristige Profite hin orientierten Interessensgruppen beschneiden, also immer zu Konflikten führen und soziale Kämpfe heraufbeschwören.

Harald Klimenta Juni 2016 in Telepolis

Gegen die neoliberale Strategie, ökologische Forderungen gegen das Interesse von Arbeiter:innen an sicheren Arbeitsplätzen auszuspielen, hilft nur, Umweltpolitik mit der Schaffung von Green Jobs zu verschränken und dafür einen Teil des Geldes auszugeben, das bisher in die Förderung fossiler Energien gesteckt worden ist.

Freihandel pflastert den Weg zur Klimahölle

Die internationalen "Frei"handelsverträge sind ein Hemmschuh für eine ökologische Wende. So haben sich 1994 die 51 Vertragsstaaten des Energiecharta-Vertrags auf einen "Schutz von Auslandsinvestitionen" und "nicht diskriminierende Bedingungen" für Energiegeschäfte verpflichtet. Auf diesen Schutz von Investitionen und Profiten des Energy Charta Treaty (ECT) berufen sich Energiekonzerne, um notwendige Klimaschutzmaßnahmen mit milliardenschweren Klagen anzugreifen. Als 2009 die Hamburger Umweltsenatorin für das neue Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg Auflagen für die Einleitung von Kühlwasser in die Elbe verhängen wollte, verklagte Vattenfall die Hansestadt: Solche Auflagen würden eine Verletzung des "Fair and Equitable Treatment"-Grundsatzes und eine indirekte Enteignung darstellen.

Am 9. Dezember 2019 forderten 278 Umwelt- und Handelsorganisationen sowie Gewerkschaften die Vertragsstaaten und die EU auf, "ein Ende der Bestimmungen zum Schutz fossiler Brennstoffe einzufordern" oder andernfalls "die gemeinsame Kündigung des ECT zu fordern".

Denn der Vertrag erlaubt es nicht, zwischen verschiedenen Energiequellen zu unterscheiden, also erneuerbare Energien stärker als fossile zu fördern. Deshalb sei "der ECT mit der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und ...eine[r] gerechte[n] Energiewende unvereinbar".

Gas-Dekarbonisierung & grüner Wasserstoff

"Wir brauchen einen kompletten Stopp der Förderung von fossilen Energien", sagte - ohne sich auf ein Datum festzulegen - Lisa Badum, MdB für Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Ausschuss Umwelt und Naturschutz und Sprecherin für Klimapolitik, in der Deutschlandradio-Diskussion "Kontrovers" am 16.12 2019.

Der IPCC fordert präziser, den globalen Gasverbrauch bis 2030 um mindestens 15% und bis 2050 um 43% gegenüber 2020 zu senken, wenn die Erwärmung auf +1,5 ° C begrenzt werden soll.

Vielleicht reicht das nicht: "Unsere Analyse der neuesten Klimawissenschaften zeigt, dass der globale Gasverbrauch in den nächsten zehn Jahren um 40% sinken muss, um die Erwärmung auf die relative Sicherheit von 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen", schreibt Murray Worthy in "Gas has no place in a European Green Deal" am 7.10.2019.

Die EU-Kommission stimmt dem in ihrem "European Green Deal", verkündet zu Brüssel am 11.12.2019, im Prinzip voll zu: "Die weitere Dekarbonisierung des Energiesystems ist entscheidend, um die Klimaziele für 2030 und 2050 zu erreichen … [mit] schnellem Ausstieg aus Kohle und Entkarbonisierung von Gas". Was das konkret heißt? Mitte 2020 will die Kommission präsentieren, wie sie

die Dekarbonisierung des Gassektors unterstützen [will ...] durch eine stärkere Unterstützung der Entwicklung von dekarbonisierten Gasen, durch ein vorausschauendes Design für einen wettbewerbsorientierten Markt für dekarbonisiertes Gas und durch die Behandlung der energiebedingten Methanemissionen.

EU-Kommission und Rat setzen also darauf, dass ein richtig ‚designter‘ Energiemarkt dafür sorgen wird, die Klimaziele zu erfüllen — also Anreize statt Ordnungsmaßnahmen.

Aus Sicht der Gaslobby sollte man mit der Gas-Dekarbonisierung nichts überstürzen: Wenn der Marktanteil dieses "Grünen" Gases von 2021 bis 2030 von einem auf zehn Prozent stiege, würden dadurch in diesem Jahrzehnt 70 Mio. Tonnen CO2 weniger freigesetzt.

Das klingt gut - würde die Emissionen aber gerade Mal um ein Tausendstel verringern. Und "das Center for European Policy Studies (CEPS) geht davon aus, dass die Nachfrage nach Erdgas bis 2030 stabil bleiben oder leicht sinken wird, gefolgt von einem stärkeren Rückgang bis 2040 und 2050, wenn neue "grüne" Gase auf den Markt kommen." - also bis 2030 soll alles so "stabil" so bleiben, wie es ist, aber dann 2030 soll plötzlich neue Technik alles lösen.

Erneuerbare dekarbonisierte "Grüne" Gase

Eine klimafreundliche Alternative zu fossilem Erdgas ist erneuerbares Gas. Das ist insbesondere synthetisches Gas, das aus erneuerbarem Strom über das Elektrolyse-Verfahren erzeugt wird. Das Verfahren ist auch unter dem Begriff Power-to-Gas bekannt. Auch Biogas kann einen begrenzten Beitrag leisten.

Power-to-Gas ermöglicht es, mit Strom aus Erneuerbaren Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufzuspalten; dieser Wasserstoff kann dann entweder direkt genutzt oder durch nachgeschaltete Methanisierung zu Erdgas/Methan oder zu flüssigen Energieträgern weiterverarbeitet werden.

Dieser Grüne Wasserstoff kann den Grauen aus fossilen Energieträgern hergestellt Wasserstoff ablösen: Bis 2030 soll er mit nur noch 1,40 US-$/kg rein über den Preis ein direkter Konkurrent zu Erdgas werden.1

In Deutschland werden Power-to-Gas-Technologien in über 30 Pilotprojekten mit einer Elektrolyse-Leistung von insgesamt rund 25 MW getestet.

"Grüner" Wasserstoff

Eine weitere Power-to-X-Technologie soll eingesetzt werden, um mit Stromüberschüssen aus erneuerbaren Energien per Wasserelektrolyse Wasserstoff zu produzieren. Da dieser Grüne Wasserstoff ein "sehr wirksames, kostengünstiges und marktgerechtes Instrument" sei, misst die Bundesregierung in ihrem Klimapaket "dem grünen Wasserstoff für den Umbau der Wirtschaft eine zentrale Rolle zu."

Doch die Bundesregierung hat die Vorstellung ihrer für den 20. Dezember 2019 vorgesehenen Wasserstoffstrategie auf Anfang 2020 vertagt. Während die CDU-geführten Ministerien Umwelt, Verkehr und Forschung "die industrielle Erzeugung von grünem Wasserstoff vorantreiben" und H2 auch aus Afrika importieren wollen, kritisiert das SPD-geführte Umweltministerium, dass das den Ausbau der Windkraft bremsen könne. Der Bundesverband der Deutschen Industrie wendet ein, allein die Chemiebranche benötigte jährlich 600 Terawattstunden Strom aus erneuerbaren Quellen, um klimaneutral zu werden, in Deutschland werden aber nur 180 Terawattstunden Strom mittels Wind und Sonne erzeugt. Und der BDI fordert, Anlagen zur Herstellung von klimaneutralem Wasserstoff von der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zu befreien, sie also indirekt zu subventionieren. Aktuell werden in deutsche Gasnetze deutlich unter 0,1% Wasserstoff eingespeist; in das aktuelle Gasnetz wäre eine Erhöhung auf 10% möglich, in Ostdeutschland oft bis auf 50%.2

Die chemische Industrie verarbeitet gut drei Prozent des Erdgases - 30 TWh des deutschen Gesamtverbrauchs von 890 TWh pro Jahr -als Rohstoff. Diese Kohlenstoffchemie setzt zwar selbst kein Kohlendioxid frei, dies geschieht aber, wenn ihre Kunststoffe am Ende ihrer Nutzung verbrannt werden. Um treibhausgasneutral zu werden, muss die organische Chemie ihre eingesetzten fossilen Rohstoffen ersetzen durch synthetisch erzeugte (z.B. Methan) und durch nachwachsende Rohstoffen.3

Blauer Wasserstoff

"Sogenannter "blauer Wasserstoff" ist dagegen der falsche Weg. Hierbei handelt es sich um Erdgas, bei dem der Kohlenstoff in einem Verfahren namens "hydrogen cracking" abgeschieden wird. Übrig bleibt Wasserstoff. Wie bei Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS) ist dies jedoch mit einem hohen Energieaufwand sowie hohen Risiken verbunden." 4

E-Treibstoffe

Da prognostiziert wird, dass Schiffs- & Flugverkehr nicht ab-, sondern eher zunehmen werden, werden hier technologische Schadensbegrenzungen überlegt: Die Chemieindustrie könnte aus Grünem Wasserstoff E-Kerosin & E-Diesel herstellen, diese dem Schiffsdiesel & Kerosin als "grüne Brennstoffe" beimischen und sie langfristig ganz ersetzen. Die für die deutsche Schifffahrt erforderlichen 150 TWh Flüssigbrennstoff könnten durch 450 TWh Strom erzeugt werden.

Wenn für diesen Umstieg auf "grüne" gasförmige und flüssige Brennstoffe" Freiwilligkeit nicht reicht (Besteuerung der fossilen), sollte ordnungsrechtlich z.B. "ab spätestens 2035 kein fossiler Schiffsdiesel mehr zum Verkauf zugelassen werden ... und in Europa nur noch E-Kraftstoff verkauft" werden.

Höhere CO2-Preise sollen es rentabel machen, im Verkehrsbereich incl. Kurzstreckenschiffsverkehr von Kraftstoffverbrennung auf Elektroantriebe umzusteigen. Wobei wirklich "grüner" Wasserstoff mit Elektrolyse erzeugt werden soll mit Strom aus ‚Erneuerbaren‘. Mit Brennstoffzellen angetriebene Wasserstoffautos sind eine Alternative für die post-fossile Zukunft. Sie erzeugen aus den Energieträgern Wasserstoff oder Methanol elektrische Energie, die direkt Elektromotoren antreibt. Noch kostet das Tanken mit Wasserstoff zwar fast doppelt so viel wie das Aufladen an der Steckdose für die gleiche Reichweite.

Seit ca. zehn Jahren werden erste Busse und Schiffe mit Wasserstoff-Brennstoffzellen angetrieben. Daimler will 2029 den ersten wasserstoffgetriebenen Serien-Lkw auf die Straße bringen. Und südkoreanische Hersteller Hyundai will schon ab 2020 in der Schweiz 1.600 Wasserstoff-Lkws auf den Straßen testen.5

Das Europaparlament hatte April 2019 beschlossen, dass der CO₂-Ausstoß von Lkws und Bussen bis 2025 um durchschnittlich 15 Prozent sinken müsse und bis 2030 um 30 Prozent.

Für Pkws dagegen wird diese Technologie wegen des niedrigeren Wirkungsgrades, der schlechteren CO2-Bilanz als vergleichbare Batteriefahrzeuge und der aufwendigen Betankungs-Infrastruktur auch kritisch gesehen:

Brennstoffzellen-Pkws sind technisch, ökonomisch und letztlich auch ökologisch ein Unsinn. Ebenso unsinnig ist der Aufbaueiner Pkw-Tankstellen-Infrastruktur für Wasserstoff. Das alles dient einzig den kommerziellen Interessen einiger großer Wasserstoff- und Erdölkonzerne und ist eine Verschwendung von Steuergeldern.

Zu wenig Strom aus erneuerbaren Energien

Mehr Elektroautos erfordern mehr Leitungskapazitäten. Wenn eine Million Elektroautos gleichzeitig ihre Batterien mit 200 kW aufladen würden, würden sie 200 Gigawatt an Spitzenlast aus dem Stromnetz ziehen -- doch das deutsche Stromnetz kann derzeit durchschnittlich nur 68,85 Gigawatt zur Verfügung stellen.

Der Anteil an erneuerbaren Energien - und nur mit ihnen machen Elektroautos ökologisch Sinn - ist auf knapp 43 Prozent gestiegen. Er kann nur zunehmen, wenn der faktische Stopp des Zubaus von Windenergieanlagen aufgehoben wird und es Fortschritte bei der Photovoltaik gibt.

Pipelines für Erneuerbare

Fernleitungsnetzbetreiber in Deutschland (Gascade sowie Thüga) und Norwegen (Equinor mit einem 8.300-Kilometer-Pipelinenetz) stehen in den Startlöchern, ihre Pipelines auf erneuerbares Gas oder Wasserstoff umzustellen. Die durch den Dekarbonisierungsdruck bald "nicht mehr benötigte Erdgasleitungen können (mit verbesserten Dichtungen an den Kupplungsstellen) für die Durchleitung von Wasserstoff genutzt werden."

Equinor will rund um die nordenglische Stadt Leeds ab 2034 die Beheizung von 3,7 Mio. Haushalten und 40.000 Unternehmen von Erdgas auf Wasserstoff umstellen

Erdgasausbau stoppen: "Moratorium und Divestment"

Heute neue Infrastruktur für Erdgas zu errichten, bedeutet einen Lock-In in ein fossiles System.

Deutsche Umwelthilfe: Fahrplan für erneuerbares Gas6

Der jüngste Bericht des IPCC betonte das Risiko:

der wirtschaftlichen und institutionellen Bindung an eine kohlenstoffintensive Infrastruktur, dh die fortgesetzte Investition in und Nutzung von kohlenstoffintensiven Technologien, aus denen schwer oder kostspielig ausgestiegen werden kann, wenn sie einmal eingesetzt wurden.

Ein Ausbau der Gasinfrastruktur würde die billigeren, saubereren Wind- und Solar-Technologien und die Entwicklung von Batterien als Speichertechnologien verdrängen.

Da neue Erdgasinfrastruktur eine technische Lebensdauer von oft über 50 Jahren hat, blockiert sie langfristig die Klimazielen für 2050. Deshalb fordert die Deutsche Umwelthilfe ein Moratorium für neue Gasinfrastruktur, die nicht ausschließlich dem Einsatz erneuerbarer Gase dient. Und für laufende Vorhaben wie die EUGAL-Pipeline und die geplanten LNG-Terminals in Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven und "Nord Stream 2" müsse es einen sofortigen Planungs- und Baustopp geben. Ironie der Politik, dass ein Stopp von "Nord Stream 2" nun ausgerechnet von den USA durchgesetzt wird.

Die notwendige umfassende Dekarbonisierung kann mit Geld finanziert werden, das aus problematisch angesehenen Industrien wie Waffengeschäften, Atomkraft, Erdöl- und Erdgasindustrien sowie Kohlekraftwerken abgezogen wird. Zunehmend steigen Großanleger von "fossil" auf "grün" um. Mehr als um ethisches Investment geht es großen Fonds um die Sicherheit ihrer Anlagen. Sie befürchten, dass ihre Investitionen in fossile Industrien bald entwertet werden. So haben Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds wie der Norwegische Pensionsfonds, AXA und Allianz entschieden, aus fossilen Brennstoffunternehmen zu desinvestieren.

Die Vermögen, die weltweit in die fossile Blase investiert wurden und von Entwertung bedroht sind, werden auf die ungeheure Summe von 43 Billionen Dollar geschätzt. Jeremy Rifkin (Der globale Green New Deal, 2019) spricht von der größten Blase aller Zeiten. So in Großbritannien: Durch den 2012 eingeführten CO2-Preis ist der Anteil von Kohle bei der Stromproduktion in fünf Jahren von 40 auf sieben Prozent gesunken und durch Erdgas ersetzt worden; die Treibhausgase sind um 36 Prozent zurückgegangen. Der CO2-Fußabdruck eines Briten ist heute um 33 Prozent geringer als 1992. Bis 2025 will das Königreich ganz aus der Kohle aussteigen.

Auch die Europäische Investitionsbank erklärte am 26. Juli 2019, sie wolle aus fossilen Energien aussteigen.

Der Entwurf ihrer neuen Energierichtlinie von Juli 2019 sieht vor, ab 2021 keine fossilen Energieprojekte mehr zu finanzieren: keine Öl- und Gasproduktion, keine Erdgas-Infrastruktur, keine Strom- und Wärmeerzeugung aus fossilen Quellen. Nun liegt der Ball bei den EU-Mitgliedsstaaten, den Anteilseignern der Bank. Die Niederlande, Schweden und Frankreich unterstützen das Divestment aus fossilen Energien, doch Deutschland mauert. Die Bundesregierung, vor allem das Wirtschaftsministerium, fordert, Gasprojekte weiter zu fördern.

Bisher jedenfalls gab die Europäische Investitionsbank Erdgas eine hohe Priorität bei und stellte 2,8 Mrd. EUR für PCI-Projekte im südlichen Gaskorridor bereit - einem riesigen Komplex von Pipelines zwischen Aserbaidschan und Italien.

Schlusswort

FFF und XR kritisieren, dass "die Politik nicht handelt" und "fordern von der Politik nicht mehr als die Berücksichtigung wissenschaftlicher Fakten." Die Regierungen berufen sich aber auf wissenschaftliche Fakten und handeln - leider so wie hier beschrieben.