Erdgas: das letzte Gefecht der Fossil-Industrie

LNG-Lager in Massachusetts. Bild: Fletcher6 / CC-BY-SA-3.0

Gasimporte trotz "Klimaneutralität 2050"

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Vorwort

  1. Erdgas ist bequem und boomt - ist aber ein Auslaufmodell.
  2. Gas besitzt einen hohen Gebrauchswert in unserer Industriegesellschaft: zum Heizen, zur Stromerzeugung, beim Antrieb für Fahrzeuge und als Grundstoff für Industrie und Hochtemperaturprozesse.
  3. Und Gas ist ein Zankapfel im internationalen politischen Machtpoker,
  4. eine globalisierte Ressource im freien Warenverkehr
  5. und ein wichtiger Faktor für die Klimaüberhitzung.
  6. Die Dekarbonisierung wird "Graues" Erdgas durch "Grüne" Gase ersetzen.

Vergleich der Schäden: Kohle, Erdgas, PKW — Flugzeuge, Schiffe

Heute ist die Energiewirtschaft (öffentliche und Industrie-Kraftwerke und Fernwärme) mit 41 Prozent die größte Quelle aller Treibhausgase in Deutschland, also der Hauptverursacher der Klimaüberhitzung. Den Hauptschaden verursacht die Verbrennung von Kohle mit 29 Prozent. Erdgas verursacht 10 Prozent der deutschen Treibhausgase - hauptsächlich für die Erdgasheizungen der Wohngebäude.1

Erdgas liegt mit seinem Anteil von 10 Prozent an den deutschen Treibhausgasen fast gleichauf mit PKW, über deren Emissionen viel mehr geredet wird; auf das Konto des Individualverkehrs gehen 10,7% der in Deutschland insgesamt freigesetzten Treibgase. Der viel gescholtene Flugverkehr trägt gerade mal 3% zu den deutschen CO2-Emissionen bei, und "das ökologische Desaster" des Welthandels per Schiffstransporte (so Harald Klimenta Oktober 2016 in Telepolis) steuert gerade einmal 1% bei. Statt "FlugScham" könnte man also von "Kohle-", "PKW-" und "Hausisolierungs-Scham" reden.

Erdgas ist eine fossile Energie, die mit großen Umweltschäden verbunden ist:

  • Aus Lecks bei der Erdgasförderung und
  • beim Transport in undichten Pipelines und bei fast jedem Schritt der Lieferkette entweichen mindestens 2,3 Prozent der Gasfördermenge in die Athmosphäre ("Methanschlupf")2
  • Grundwasservergiftung und Freisetzungen durch Fracking,
  • Tankerhavarien.
  • Schon geringe Methanemissionen sind bedeutsam: Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas und hat in einem Zeitraum von 20 Jahren eine 84-fach höhere negative Wirkung auf das Klima. Ein Viertel der bis heute stattgefundenen Erderwärmung wurde laut IPCC (2014) durch Methan verursacht. Die durch Menschen verursachten Methanemissionen kommen aus der Verbrennung fossiler Energieträger, die anderen zwei Drittel stammen aus der Landwirtschaft.3

Deshalb fordert der "Weltklimarat" IPCC, dass der globale Gasverbrauch bis 2030 um mindestens 15% und bis 2050 um 43% gegenüber 2020 sinken muss, um die Erwärmung auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen

Erdgas-Machtpoker USA - Europa

Deutschland, die USA und die EU liefern sich einen Machtpoker über russisches Erdgas. Die USA ‚sorgen‘ sich, Europa könnte Energie-abhängig von Russland (und nicht ihnen) werden, und haben deshalb Strafmaßnahmen beschlossen, die sie ironisch "Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit" nennen. Und Bundeskanzlerin Merkel will im Streit mit den USA über die Ostsee-Pipeline "Nord Stream 2" "hart bleiben" und "habe nicht die Absicht, bei diesem Projekt zurückzuweichen". Deutschland legt sich für Jahrzehnte fest auf fossiles Erdgas, Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte auf dem Weltwirtschaftsforum 2019 in Davos: "Erdgas wird eine zunehmende Rolle spielen noch über einige Jahrzehnte."

Über die Gesundheitsgefährdung durch die "Fracking-Importe in die EU" hat Michael Hoffmann im März 2018 in Telepolis ausführlich berichtet.

Doch den beim Erdgaspoker beteiligten Regierungen geht es nicht darum oder um Umwelt- oder gar Klimaschädigung, sondern um die Frage: ‚Dürfen die das?‘ Juli 2018 konnte der scheidende EU-Kommissionspräsident Juncker angedrohte 25-prozentige US-Strafzölle auf Autos noch abzuwenden - unter anderem durch die Zusage, Flüssiggas aus den USA zu kaufen. Seitdem wurde die EU mit 31 Prozent der weltweit größte Abnehmer von LNG made in USA.

Ende 2019 maßen sich die USA an, die Nicht-US-Firmen, die auf Nicht-US-Territorium gemäß dortiger Gesetzeslage Pipelines verlegen, zu bestrafen. Republikaner und Demokraten - in diesen Sanktionen sind sich die Eliten der USA einig im Bestreben, ihren globalen Hegemonialanspruch auch gegenüber dem Konkurrenten EU durchzusetzen. Das eint sie - unabhängig von ihrem Streit, ob sie ansonsten einen New Green Deal mit Ausstieg aus dem Erdgas wollen oder als sozialistisches Teufelszeug abtun. Bei diesem transatlantischen Gas-Streit "stehen sich auf beiden Seiten des Atlantiks Nationalisten gegenüber", schreibt Werner Rügemer (2018).

Am 18. Dezember hatten zwei republikanischen Senatoren dem Schweizer Unternehmen Allseas, dessen Schiff "Pioneering Spirit" Pipelinerohre verlegt, schriftlich angedroht:

Sollte Ihr Unternehmen auch nur für einen einzigen Tag nach Unterzeichnung des US-Sanktionsgesetzes durch den Präsidenten weiter an dem Projekt arbeiten, setzen Sie ihr Unternehmen potenziell vernichtenden rechtlichen und wirtschaftlichen Sanktionen aus

woraufhin Allseas, kurz bevor Präsident Trump am 20. Dezember 2019 die Strafmaßnahmen in Kraft setzte, seine Arbeiten am Bau von Nord Stream 2 vorerst einstellte.

Bis dahin hatte der Offshore-Dienstleister mit seinem 382 Meter langen Spezialschiff mit dafür gesorgt, dass der Bau-Endspurt der Pipeline auf den Anfang Dezember verbliebenen knapp 300 Kilometer täglich um drei Kilometer fortschritt.

Erdgas-Machtpoker Deutschland - EU

Seit Jahren gab es einen Zuständigkeitsstreit zwischen Deutschland einerseits und EU-Kommission, EU-Parlament und insbesondere Frankreich andererseits, in dem "Kanzlerin Merkel ... das ganze diplomatische Gewicht der Bundesrepublik einsetzte, um die Pipeline mit Putins Russland gegen sperrige europäische Partner durchzusetzen".

Der Anfang 2019 geschlossene Kompromiss sieht vor, dass außer Deutschland und Russland kein anderer Ostsee-Anrainer Mitspracherechte hat und dass Deutschland - und nicht die EU -die regulatorische Aufsicht über das Pipeline-Projekt behält. Der Bundestag hat am 13.11.2019 den Weg für die umstrittene Gaspipeline "Nord Stream 2" frei gemacht, indem er die Umsetzung der neuen EU-Gasrichtlinie in nationales Recht beschloss. Die Grünen kritisierten, CDU, SPD und FDP hätten die EU-Gasrichtlinie aufgeweicht.

Die EU-Kommission wollte sich mit ihr mehr Mitspracherechte sichern und eine "Entflechtung von Produktion und Betrieb" durchsetzen, also im Sinne der Marktliberalisierung die Betreiber von Pipelines verpflichten, andere Verkäufer ihr Gas durchzuleiten zu lassen. Denn wenn durch Nord Stream 1 und 2 jährlich mit 110 Milliarden Kubikmeter Gas über 80 Prozent der russischen Gasexporte in die EU strömen, wäre das ein Angriff auf die existierenden Verbindungen über die Ukraine und die Slowakei sowie über Weißrussland und Polen. "Dies könnte den Aufbau eines offenen Gasmarktes mit Preiswettbewerb und diversifizierten Lieferungen in die EU behindern", hatte die EU-Kommission Deutschland gewarnt.

Durch die beiden Stränge der "Nord Stream 2"-Gazprom-Pipeline sollen (genau wie durch die parallel daneben liegenden "Nord Stream 1"-Pipelinestränge) 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr in die EU strömen, durch 200.000 Rohre, betonummantelt, je 24 Tonnen schwer. Die Investition von geschätzt knapp zehn Milliarden Euro wird je zur Hälfte vom russischen Energieriesen Gazprom und den fünf europäischen Unternehmen OMV, Wintershall Dea, Engie, Uniper und Shell aufgebracht.4

Flüssiges Fracking-Gas ("LNG")

Deutschland kann Flüssiggas bisher nicht direkt importieren. Doch deutsche Erdgasimporteure haben Kapazitäten am Importterminal Gate in Rotterdam langfristig gebucht, um von dort "regasifiziertes" Flüssiggas über Pipelines zu beziehen.5

Import-Terminals für verflüssigtes Erdgas werden an der deutschen Nordseeküste an drei Standorten geplant: im Hafen von Stade auf dem Werksgelände des Chemiekonzerns Dow, in Wilhelmshaven sowie im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel. Das verflüssigte Fracking-Gas-Importe ("liquefied natural gas" = "LNG") gebaut werden. Das LNG soll aus den USA, aus dem Wüstenstaat Katar und Australien kommen. Wohin es jedoch transportiert wird, richtet sich nach den Marktpreisen: LNG-Schiffen werden gelegentlich auf Hoher See dorthin umgeleitet, wo höhere Preise winken.

Die deutsche Bundesregierung will den Bau dieser Großanlagen subventionieren. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat Anfang 2019 potenzielle LNG-Lieferanten aus den USA in Berlin empfangen. Um die Investitionen in Höhe von mindestens 500 Millionen Euro abzuschreiben, sind Laufzeiten von mehreren Jahrzehnten eingeplant.

Und im Überseehafen von Rostock / Ostsee soll ab 2023 Flüssiggas aus Russland importiert werden, um damit Lkw und Fähren mit LNG-Antrieb zu betanken.

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ist vom 30. November bis 3. Dezember 2019 nach Katar gereist, u.a. um das Emirat, den weltgrößten LNG-Produzent, als Investor für das Wilhelmshaven-Terminal des Energiekonzerns Uniper einzuwerben.

In der Jadefahrwasser bei Wilhelmshaven will die German LNG Terminal GmbH ein schwimmendes LNG-Terminal bauen. Liefer-Vorverträge mit RWE und dem Schweizer Energieunternehmen Axpo wurden bereits abgeschlossen.

Das LNG-Terminal soll im Prinzip ein zu einem schwimmenden Gaslager umfunktioniertes Tankschiff sein. Es soll das LNG von Gastankern übernehmen, an Bord verdampfen und über eine Rohrleitung an Land pumpen.

Die Deutsche Umwelthilfe hat am 3.12. ein Rechtsgutachten vorgestellt, wonach ein LNG-Terminal in wasser- und immissionsschutzrechtlich nicht genehmigbar ist. Die regelmäßigen Ausbaggerungen an der Jademündung, Erwärmung und Verschmutzung des Seewassers und Gefährdungen des umliegenden Vogelschutzgebiets würden zu "drastischen Auswirkungen des Klimawandels führen.Wilhelmshaven

Die Grünen in Schleswig-Holstein lehnen einen staatlichen Zuschuss für das Projekt ab.

EU-Erdgas-Binnenmarkt

Die EU will die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80-95% senken.
Was sind dabei die ersten Schritte?
Die EU lässt die Klima-zerstörende Gas-Infrastruktur weiter ausbauen.

Dazu definiert die EU internationale Energieinfrastrukturprojekte, die im "gemeinsamen Interesse" ihrer Mitgliedstaaten lägen. Für solche "Projects of Common Interest" (PCI) sind im EU-Haushalt 1,5 Mrd. EUR für Gas-PCI-Projekte eingestellt.

Insgesamt hat die geplante Gasinfrastruktur in den PCI der EU ein Volumen von 45 Mrd. EUR, hauptsächlich neue Pipelines und Terminals für den Import von Flüssigerdgas (LNG) Ein heute genehmigtes LNG-Terminal würde noch im Jahr 2050 in Betrieb sein und könnte bis in die 2060er Jahre hinein laufen - weit nachdem Europa vollständig entkarbonisiert sein muss. Aufgrund der hohen Investitionskosten für den Bau von Pipelines und Terminals liegt es im Interesse des Betreibers, diese so lange wie möglich am Laufen zu halten, um diese Kosten zu decken.

Im Zentrum der Energiepolitik der EU steht die Vollendung eines EU-weiten Energiebinnenmarktes, um die Binnenmarkt-Freiheiten auch für energieförmigen Waren durchzusetzen. Unternehmen, die mit Strom- und Gasnetzen über sogenannte "natürliche Monopole" verfügen - in der Regel (ehemals) staatliche Energieversorger -, sollen nicht länger den Markteintritt von Konkurrenten behindern, die diese Infrastruktur nutzen wollen.

Über das Programm "Transeuropäische Energienetze" (TEN-E) fördert die EU die grenzüberschreitende Verknüpfung der mitgliedstaatlichen Gas- und Stromenergienetze sowie die Planung von Importpipelines und Flüssigerdgas-Terminals. Seit 2013 hat sie den Bau von Terminals mit 650 Millionen Euro bezuschusst.

Um TEN-E in Einklang mit dem Übereinkommen von Paris zu bringen und zur Dekarbonisierung des Gassektors beizutragen, wird es darauf ankommen, "welche Infrastrukturprojekte eine EU-Förderung aus einem Geldtopf namens ‚Connecting Europe Facility‘ (CEF) in Frage kommen."6

Bisher sind die Gasprojekte der EU nicht auf eine CO2-arme Umstellung ausgerichtet. "Es ist bedrückend, dass die EU auch in Zukunft die Nutzung fossiler Brennstoffe plant und ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ignoriert", sagt Lisa Fischer vom "climate change think tank" E3G.

Die EU will die Gasimportkapazität durch neue LNG-Terminals und -Pipelines erhöhen - trotz enormer Infrastruktur-Überkapazitäten. Die derzeit 26 europäischen LNG-Terminals sind "allesamt wenig ausgelastet", hinzu kommen zwei auf Teneriffa und Gran Canaria.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnete Juli 2018 unter dem Titel "Erdgasversorgung: Weitere Ostsee-Pipeline ist überflüssig " vor,

dass die Ostseepipeline Nord Stream 2 unnötig und wirtschaftlich unrentabel ist. Mit den Klimaschutzzielen der Bundesregierung sänke der Erdgasbedarf zwischen 2008 und 2050 um fast 73%.

Durch die Gasprojekte der EU würden Gelder verschwendet, die in zukunftsorientierte Technologien ohne Kohlenstoffausstoß fließen sollten. "Die erheblichen Investitionen der Gaslobby, um die EU für die Sperrung fossiler Brennstoffe zu rüsten, haben sich ausgezahlt", kommentiert E3G. Allein die 480 Kilometer lange Europäische Gas-Anbindungsleitung EUGAL, die das im mecklenburg-vorpommernschen Lubmin ankommende russische Erdgas nach Sachsen und weiter nach Tschechien transportieren soll, soll mit 500 Millionen Euro zu Buche schlagen - Geld, das von Verbrauchern in Deutschland mitzutragen ist.

Keine LNG-Terminals für fossiles Gas!

Obwohl wir aus fossilem Gas aussteigen müssen, werden immer noch neue Pipelines, LNG-Terminals etc. für fossiles Gas gebaut - ohne Blick auf die Klimaziele und nicht selten mit staatlicher Unterstützung. Das muss sich ändern. Neue Gasinfrastruktur darf nur genehmigt werden, wenn sie für erneuerbares Gas da ist.

Deutsche Umwelthilfe: Fahrplan für erneuerbares Gas7

Die Erdgasindustrie expandiert weltweit

Die Global Player ExxonMobil, Royal Dutch Shell, BP, Chevron und Total sowie nationale Staatsunternehmen wie die indonesische Pertamina und die malayische Petronas sind dabei, 1.300 Milliarden US-Dollar in eine massive Ausweitung von Hafeninfrastruktur, schwimmenden Offshore-Terminals und hochseetauglichen LNG-Schiffen zu investieren.

Aufgrund sinkender Kosten für erneuerbare Alternativen stellt sich der Ausbau der LNG-Infrastruktur den Fragen der langfristigen finanziellen Rentabilität und des Risikos von gestrandeten Anlagen. Da jedoch nur 8% der in der Entwicklung befindlichen Terminalkapazitäten in Bau sind, bleibt noch Zeit, Überbauten zu vermeiden.

In 20 Ländern werden LNG-Exportterminals entwickelt. In ihnen wird das fossile Erdgas mit auf minus 162 Grad Celsius abgekühlt. Für diese energieintensive Verflüssigung 10 bis 25 Prozent des Energieinhaltes des Gases verbraucht, lohnt sich LNG im Vergleich mit Pipeline-Trabsport allenfalls ab einer Entfernung von 6.000 Kilometern ("Eco-efficiency").

74% der geplanten neuen Kapazität sollen in Kanada und den USA entstehen, gefolgt von Russland und Australien, ferner Tansania, Papua New Guinea, Mozambique und Iran. LNG-Importterminals sind in 42 Ländern in der Entwicklung, von denen 22 bisher kein LNG importieren können. Diese Kapazitätserweiterung konzentriert sich auf die Region Asien-Pazifik, insbesondere China und Indonesien.

Wenn die derzeit geplanten 202 LNG-Terminals alle gebaut würden, würde das die heutige Weltexportkapazität verdreifachen. Damit würde diese globale Gasexpansion langfristig festgeschrieben. Denn die Abnahmeverträge haben typischerweise Laufzeiten über 20 - 25 Jahre; und die Investitionssummen für Gasverflüssigungsanlagen von 4 - 12 Milliarden (für Kapazitäten von 2 - 8 MTPA) zielen auf noch längere Laufzeiten.

Neuer LNG-Weltmarktführer Australien

"Wir werden uns nicht auf unbesonnene (Klima-)Ziele einlassen und traditionelle Industrien aufgeben, wodurch australische Arbeitsplätze gefährdet würden." Mit diesen Worten antwortete der australische Premierminister Scott Morrison am 23.12.2019 Greta Thunberg, die zu den australischen Buschbränden getwittert hatte: "Wie ist es möglich, dass nicht mal solche Katastrophen die Politiker zum Handeln bringen?" Die verheerenden Buschbrände haben in den letzten 4 Monaten fast die Hälfte der australischen entsprechend fast ein Drittel der jährlichen deutschen CO2-Emissionen verursacht.

Im November 2018 hat Australien den bis dahin weltgrößten Erdgasexporteur Katar überholt. In einer Investitionswelle von über 200 Milliarden US-Dollar in zehn Jahren hat Australien seine LNG-Kapazitäten auf 88 Millionen Tonnen pro Jahr ausgebaut (Katar: 77 Mio. t/J.). Und weitere Offshore Gasprojekte sind geplant: Kommendes Jahr will der australische Gasriese Woodside die Investitionsentscheidung für die Erschließung des Browse-Gasfeldes treffen.

Das rund 21 Milliarden US$ teure Vorhaben soll über eine 900 Kilometer lange Pipeline Erdgas für die North West Shelf LNG-Anlage in Western Australia anlanden.

Zwei-Klassen-Staatenwelt

Während die Industriestaaten Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Japan, Südkorea, Italien, Türkei für ihre Wirtschaftsleistung und für Staatseinnahmen nur zu weniger als ein Prozent auf die dreckigen fossilen Dollars angewiesen sind, hängt in den Ländern (in aufsteigender Reihenfolge) China, Indien, Mexiko, Indonesien, Russland und allen voran in Saudi-Arabien der Staatshaushalt an der Ausbeutung fossiler Energieträger.

Soviel verdienen Staaten an Öl, Kohle und Gas. Quelle: taz. Grafik: TP

Wenn entsprechend des Pariser Abkommens weltweit 80 Prozent der Kohle und jeweils 40 Prozent von Gas und Öl in der Erde bleiben, dann kommt das diesen Staaten, die ihre Wirtschaft auf die fossilen Energien ausgerichtet haben, "faktisch wie eine Enteignung" von.

Deshalb wurde der gefährliche Begriff "Dekarboniserung" beim G20-Treffen in Hamburg auch aus allen offiziellen G20-Papieren gestrichen.

Klimaneutralität 2050: EU-Kommission & -Rat

Der EU-Rat, die Kommission und seine Präsidentin von der Leyen wollen mit ihrem vorgestellten "Green Deal binnen 30 Jahren" ein "klimaneutrales Europa bis 2050" erreichen.

Doch noch ist die EU nach China und den USA der drittgrößte Kohlenstoffdioxidemittent der Welt. Um das Ziel einer "Klimaneutralität 2050" zu erreichen, wäre "ein kompletter Umbau von Energieversorgung, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft und die Abkehr von Kohle, Öl und Gas notwendig", kommentierte die SZ.

Der "extrem ambitionierte Klimaplan" der EU-Kommission sieht vor:

  • bis 2050 alle Treibhausgase zu vermieden oder (in Wäldern oder unter der Erde) zu speichern,
  • als ehrgeiziges Etappenziel bis 2030 ihre Klimagase um 50 bis 55 Prozent unter den Wert von 1990 bringen - und nicht nur wie bisher geplant minus 40 Prozent.

Damit die Geschäfte nicht unter diesem "Kampf gegen die Klimaerhitzung" leiden, will die EU-Kommission erstens die exportierende Industrie für steigende CO2-Preise bei Ausfuhren aus der EU entlasten.

Zweitens arbeitet die Kommission eine Grenzausgleichsabgabe, einen "Klimazoll" aus, der "dafür sorgen soll, dass die europäischen Unternehmen die ambitionierte Agenda auch überleben - und die der EU zugleich zu weltpolitischer Geltung verhelfen könnte", kommentierte die ZEIT.

Vor zehn Jahren hatte das Bundesumweltministerium das noch brüsk abgelehnt: "Das wäre eine neue Form von Öko-Imperialismus, wir würden unsere Märkte abschotten."

Drittens sollen in der EU vermehrt technische Lösungen für den Klimaschutz entwickelt und dann in alle Welt verkauft werden.

Der "Green New Deal" ist also alles andere als eine Maßnahme gegen das kapitalistische Wachstumsdogma. Im Gegenteil kann man ihn sehen

als Versuch, die ökologische Krise als neuen Wachstumsmotor zu internalisieren und eine neue grün-kapitalistische Akkumulationsperiode loszutreten." Der Plan "klimaneutrales Europa" mit seinen "Forderungen ... nach einer »marktkonformen« Energiewende laufen darauf hinaus, den Großunternehmen, denen die verheerenden Folgen ihrer Energieproduktion lange bekannt waren und die Milliarden in die Lobbyarbeit zur Klimawandel-Verleugnung steckten, jetzt auch noch eine Vorrangstellung bei der Erzeugung und Vermarktung der erneuerbaren Energien einzuräumen. Es ist schwer vorstellbar, wie dieser überaus mächtige und weiterhin expandierende Industriekomplex ohne die Schaffung eines öffentlich kontrollierten Sektors erneuerbarer Energien unter Druck gesetzt werden könnte.

kommentiert Jan Rehmann unter der Überschrift "Don’t tax molecules, tax the rich!" in der Zeitschrift www.zeitschrift-luxemburg.de.

Der "Fahrplan" für den "europäischen Grünen Deal" sieht vor, dass die EU-Kommission bis März 2020 einen "Vorschlag für ein europäisches ‚Klimagesetz’ zur Verankerung des Ziels der Klimaneutralität bis 2050" vorlegt.

Dieses Klimagesetz soll auch Importhürden für klimaschädlich produzierte Waren beinhalten — ob dann wohl überraschenderweise auch Zollschranken gegen klimaschädliches gasförmiges und verflüssigtes Erdgas errichtet werden sollen?

Auf der so ziemlich gescheiterten UN-Klimakonferenz Anfang Dezember in Madrid hätte die EU mit ihrem "European Green Deal" glaubwürdig begonnen können.

Wenn man Partnerschaften mit China, Indien und ... vielen kleineren Staaten, die darauf drängen, Klimaschutz gemeinsam mit voranzubringen ... machen würde, ... kann man durchaus 70, 80 Prozent der Emissionen in solchen Partnerschaften in den nächsten ein, zwei Jahren vereinen.

kommentierte Christoph Bals von Germanwatch.

Erdgas als "Übergangs"-Energiequelle schöngeredet

Laut U.S. Energy Information Administration (EIA) verursache die die gleiche Energiemenge Erdgas nur 51,4% des CO2-Ausstoßes von Steinkohle (bei Erdöl seien es 96,8%).

Die "Nord Stream 2"-Lobby fasst das so zusammen:

Der Kohle-zu-Gas-Umstieg bringt den ‚European Green Deal‘ auf den richtigen Weg

"Gas statt Kohle für den European Green Deal?"

Für die Zeit, bis eines schönen fossil-freien Tages Erdgas ausgedient haben wird, bemüht sich die Erdgas-Lobby, ihr Gas als eine "Übergangs"-Energiequelle schönzureden: "Wir können eine weitgehende Dekarbonisierung erreichen, indem wir Kohle durch Gas ersetzen", schreibt das EU-Nachrichtenportal Euractiv

2016 gab die Gasindustrie 100 Millionen Euro für den Einsatz eines Heeres von über tausend Lobbymitgliedern aus, um den zukünftigen Gasbedarf hochzurechnen" und ... [EU-]Gasprojekte vorzuschlagen.

globalwitness.org

Gas sei ein "sauberer Brennstoff" und könne als "idealer Partner neben Wind- und Sonnenenergie ... eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen".

In der Brüsseler Energiepolitik hat sich bei diesem Thema zumindest die Terminologie geändert: Das geplante "Gaspaket" wurde in "Dekarbonisierungspaket" umbenannt — Inhaltliches wird für Ende 2020 / 2021 erwartet.

Die Gasindustrie wirbt unterdessen für

  • einen Kohle-Gas-Wechsel, der eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um brächte,
  • eine CO2-Abscheidung und geologische Speicherung (CCS) (was aber den CO2-Ausstoß eines Kraftwerks nur um ein Drittel sänke und dafür einen Brennstoffmehrverbrauch um ca. einem Drittel bedeuteten würde).

Doch fossiles Gas ist Teil des Problems, nicht Teil der Lösung

Energiesystem einer klimaneutralen Gesellschaft

Erdgas ist, wenn Gasnetze erst einmal installiert sind, praktisch und sauber zum Heizen, Kochen und für industrielle Verarbeitung. Aber "setzen wir hier wie bisher auf Erdgas, werden wir die weitere Überhitzung des Klimas nicht stoppen können."

Die klimapolitischen Ziele sind klar: Bis 2050 müssen die Treibhausgas-Emissionen vollständig vermieden werden. 8

Während die Energieerzeugung der alten fossilen Gesellschaft auf der Verfeuerung der fossilen Brennstoffe Kohle, Öl und Erdgas sowie Holz als einzigem erneuerbaren Brennstoff plus Uran beruhte, soll es in der künftigen klimaneutralen Gesellschaft radikal anders sein: Energie sollen die erneuerbaren Quellen Wind, Sonne und Wasserkraft verbrennungsfrei in Form von Strom liefern.9

Auch die seit August 2019 amtierende Chefin der Energieabteilung der EU-Kommission (GD Ener), Ditte Juul Jorgensen, betonte, Elektrizität werde der dominierende Energieträger werden.

Altes und neues Energiesystem. Grafik: TP

Deshalb müssen so schnell wie möglich alle Kohlekraftwerke und danach auch die Erdgaskraftwerke abgeschaltet werden, da diese die größten Treibhausgasquellen in Deutschland sind.

Karl-Martin Hentschel10:

Kleine Blockheizkraftwerke, die heute zu 40 Prozent Erdgas einsetzen, sollten künftig mit Solarthermie und Erdwärme und "im Winter auch ... mit E-Methan, grünem Wasserstoff oder Bioenergie ... oder auch Brennstoffzellen betrieben werden.

Dabei ist fossiles Gas Teil des Problems, nicht Teil der Lösung. Die Deutsche Umwelthilfe ist da eindeutig11:

Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, muss der Einsatz von fossilem Gas enden." Und zwar "so schnell wie möglich, jedoch deutlich vor 2050 und im Einklang mit dem nationalen Treibhausgasbudget.

Da Planung, Bau und Inbetriebnahme von mehr erneuerbaren Strom, mehr Netzen, mehr Speicher und Umstellung der Kundenendgeräte auf "H2 -ready"bis zu zehn Jahre braucht, müssen die richtigen politischen Weichenstellungen für erneuerbares Gas jetzt gestellt werden.

Durch Sektorenkopplung sollen die Energie-Sektoren Elektrizität, Wärme-/Kälteversorgung, Verkehr und Industrie so zusammenarbeiten, "dass mithilfe von erneuerbaren Energien alle Sektoren der Wirtschaftdekarbonisiert werden", die Energiewende umgesetzt und die Klimaschutzziele erfüllen werden können. Durch eine Elektrifizierung aller Sektoren kann der Primärenergieanteil der Erneuerbare Energien bis 2050 auf 90 Prozent ausgebaut werden, und die Wirkungsgrade - bei PKW nur anachronistische 20% - könnten stark erhöht werden.

Die Reduktion aller Treibhausgase um 95 Prozent - das Ziel der Bundesregierung für 2050 - wird nur mit einem Ausstieg aus der Erdgas-Wirtschaft klappen.