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Klimawandel und Viren: Wenn der Permafrost taut

Auftauender Permafrost auf der Herschel-Island, eine kanadische Insel im Arktischen Ozean. Bild: Boris Radosavljevic / CC BY 2.0

Energie und Klima – kompakt: Viren können viele Jahrzehntausende tiefgefroren überstehen. Neue Forschungen verweisen auf die Gefahren im Zuge der Erderwärmung. Doch die Bundesregierung möchte lieber nichts Genaueres wissen.

In einem wärmeren Klima können sich Krankheitserreger – Viren wie Bakterien – besser ausbreiten. Diese medizinische Binsenweisheit hat im Zeitalter der großen Klimaveränderungen – zurzeit ist die globale Mitteltemperatur [1] etwa 1,1 Grad Celsius über dem vorindustriellen Mittel und nimmt seit den 1970er Jahren um rund 0,18 Grad Celsius pro Jahrzehnt zu – diverse bekannte und weniger bekannte Implikationen.

Schon seit längerem wird zum Beispiel beobachtet, dass sich der Lebensraum bestimmter, als Viren und Bakterien Überträger bekannter Insekten in Richtung der beiden Pole ausdehnt und diese auch in Mitteleuropa vermehrt auftreten, wie etwa die Asiatische Tigermücke, die in Berlin 2021 erstmals mit Nachkommen gesichtet wurde [2].

Der Blutsauger gilt als potenzieller Überträger von Dengue-, Zika- und Chikungunya-Viren, das Übertragungsrisiko wird hierzulande aber noch als gering eingeschätzt. Die kleinen Tiere treten nämlich nur als Postboten auf. Eine Übertragung setzt voraus, dass zuerst eine infizierte Person gestochen und dabei die Viren aufgenommen wurde. Da die Zahl der Erkrankten aber hier noch verschwindend gering ist, ist auch trotz Mücke die Gefahr einer Ansteckung sehr klein. Dennoch sicherlich ein Problem, das im Auge behalten werden sollte.

Ein anderes, weniger bekanntes Problem, hätte ebenfalls mehr wissenschaftliche Beobachtung verdient. Ende Oktober berichtete [3] der österreichische Standard von Funden im russischen Sibirien. 2014 war dort ein 30.000 Jahre altes Virus entdeckt worden, das im Eis überlebt hatte und nun durch die steigenden Temperaturen wieder aktiv wurde.

Zwei Jahre später habe ebenfalls in Sibirien, auf der Yamal-Halbinsel, ein aufgetauter Rentierkadaver Milzbrand freigesetzt und zu einem lokalen Ausbruch [4] der höchst gefährlichen Krankheit geführt. Ein zwölfjähriger Junge sei gestorben und 2.300 Rentiere verendet. Verschiedene Studien aus der jüngsten Zeit deuten darauf hin, dass der Ausbruch vermutlich kein Zufall war.

Gefahren aus dem hohen Norden

Wissenschaftler der Universität im kanadischen Ottawa haben kürzlich für einen See im hohen Norden Kanadas gezeigt [5], dass es einen Zusammenhang zwischen der Menge an Gletscherwasser – für sie ein indirektes Maß für den Klimawandel – und der Aktivität der Viren gibt. Je mehr Schmelzwasser, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Viren auf neue Wirte überspringen. Ihre Schlussfolgerung:

Sollte der Klimawandel die Ausbreitungsgebiete von Virenwirten und -reservoirs nordwärts verschieben, könnte die hohe Arktis zu einem fruchtbaren Boden für neue Pandemien werden.

Eine am 10. November als Vorab-Publikation erschienene Studie [6] aus Frankreich weist in eine ähnliche Richtung. (Preprint bedeutet, dass der Text noch nicht durch den Peer-Review, das heißt, die Begutachtung von Fachkolleginnen und -kollegen gegangen ist.) Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Mikrobiologie der Universität von Marseille beschreiben darin, wie sie mehrere Viren aus Proben wieder zum Leben erwecken konnten, die am Fluss Lena im Osten Sibiriens und auf der Halbinsel Kamtschatka am nördlichen Pazifik gewonnen wurden.

Aus Sicherheitsgründen haben sie sich dabei auf Viren beschränkt, die nur Einzeller befallen und für Wirbeltiere keine Gefahr darstellen. Sorgen macht ihnen allerdings, dass offenbar mehrere Jahrzehntausende im Permafrost den sehr einfachen Organismen nichts anhaben können. Insgesamt sieben Viren konnten dazu gebracht werden, sich zu vermehren. Das jüngste war 27.000 und das älteste ganze 48.500 Jahre alt.

Die kanadischen Autoren weisen derweil auf die gefährlichen Viren hin, die in den letzten Jahren auf Menschen übergesprungen seien, wie etwa "Influenza A, Ebola und SARS-CoV-2" und warnen in diesem Zusammenhang vor den Gefahren, die im auftauenden Permafrost in der Arktis schlummern könnten. Darunter sind übrigens auch bereits bekannte Viren: Sowohl in Sibirien [7] als auch in Nordamerika [8] gibt es im Permafrost zahlreiche Gräber und ganze Friedhöfe mit Pockenopfern.

Angesichts dessen wundert es eigentlich, dass über das Problem bisher kaum publiziert wurde. Die französischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kritisieren in ihrem Papier, dass es zwar eine reiche Literatur über Mikroben aus dem Eis gebe, über Viren jedoch nur zwei Publikationen aus den Jahren 2014 und 2015.

Die Bundesregierung scheint derweil zu meinen, dass wir es auch so genau nicht wissen müssen. Wie berichtet [9] wurde in dem Bemühen, "Russland zu ruinieren" (Außenministerin Annalena Baerbock), auch die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen Instituten weitgehend eingestellt. Betroffen ist nicht zuletzt die Klimaforschung.

Passt irgendwie zu dem Bemühen, Deutschland künftig mit besonders klimaschädlichen Frackinggas aus den USA zu versorgen und RWE das Abbaggern der Braunkohle zu sichern: Im Sturzflug in die Klimakrise, aber bitte mit verbundenen Augen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7359966

Links in diesem Artikel:
[1] https://data.giss.nasa.gov/gistemp/graphs_v4
[2] https://www.berlin.de/sen/gesundheit/themen/gesundheitsschutz-und-umwelt/umwelteinfluesse/asiatische-tigermuecke/
[3] https://www.derstandard.at/story/2000140166386/risiko-durch-virendas-schmelzen-von-gletschern-erhoeht-das
[4] https://www.iflscience.com/zombie-anthrax-outbreak-in-siberia-blamed-on-thawedout-infected-reindeer-corpse-37175
[5] https://doi.org/10.1098/rspb.2022.1073
[6] https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2022.11.10.515937v1
[7] https://www.iflscience.com/melting-permafrost-could-thaw-a-smallpox-graveyard-in-siberia-37421
[8] https://sites.kpc.alaska.edu/jhaighalaskahistory/coda-disease-and-death-among-alaska-natives/
[9] https://www.heise.de/tp/features/Wird-Russland-durch-Sanktionen-zum-schwarzen-Loch-der-Klimaforschung-7340513.html