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Klosterschüler Streibl lächelte Exportbombe Bayern in die EWU

Max Streibl beim CSU-Parteitag in München (1989). Bild: Kuhn / Bundesarchiv, B 145 Bild-F083104-0015 / CC-BY-SA-3.0

Bayern-Saga: Wie man am eigenen Erfolg scheitert - Teil 9

Europäischer Elitenaustausch auch in Bayern

Michael Hartmann zeigt in seiner fundamentalen Analyse der Machteliten des Europaimperiums, dass es zum Zeitpunkt der Gründung der Europäischen Union, also zu Beginn der 1990er Jahre, auch zu einem beschleunigten Wandel der politisch-bürokratischen Kaste in Brüssel gekommen ist . Ein ähnlicher Wandel hatte sich schon in den Jahren davor bei den politischen, administrativen und ökonomischen Eliten der einzelnen Gründungs- und Beitrittsländer der EU vollzogen.

In den ersten Nachkriegsjahrzehnten waren in den kapitaleuropäischen Ländern vor allem die Partei-, Parlaments- und Regierungspolitiker eher durch kleinbürgerlich-konservative oder auch arbeiterschaftlich-sozialdemokratische Herkunftsmilieus geprägt. In den Vorbereitungsjahren der Wirtschafts- und Währungsunion des Jahres 1999 war dann aber im Zuge der Transformation des noch eher harmlosen Handelsblockes "Europäische Gemeinschaft" (EG) eine erkennbare Änderung eingetreten.

Je mehr diese Europäische Gemeinschaft zu einem finanzkapitalistisch-autoritärbürokratischen EU-"Imperium" (Albert F. Reiterer) mit eigener Euro-Währung wurde, desto nachdrücklicher drängelten sich wieder die Abkömmlinge der traditionellen Oberschichten in die nationalen und supranationalen Führungspositionen - zumal im "wiedervereinigten" Deutschland. Dort kletterte unverhofft der eigentlich längst abservierte Adel aus seinen Grüften (ohne oder mit Plagiat-"Dr.") heraus.

Bayern-Saga - Teil 8: 1980er Offensive von Strauß und Ärztezeitung gegen Bonn [1]

Franz Josef Strauß, Metzgersohn und Gymnasiast aus München, wahrgenommen als brüllender und schwitzender Bierzelt-Matador, war damit zum Zeitpunkt seines Ablebens im Jahre 1988 phänotypisch schon nicht mehr ganz up to date. Sein unmittelbarer Nachfolger als Ministerpräsident Bayerns, Max Balthasar Streibl, Hoteliersohn aus dem Passionsspiele-Oberammergau und Ettaler Klosterschüler, war hier wesentlich elitenkompatibler. Ihm wird dementsprechend rückblickend attestiert, im Vergleich zu seinem Amtsvorgänger einen "eher zurückhaltenden Regierungsstil" gepflegt zu haben.

Als langjähriger bayerischer Finanzminister vor allem in den drei Ministerpräsidentenperioden von Franz Josef Strauß repräsentierte Max Bathasar Streibl [2] Bayern als eine Erfolgsregion des seit Beginn der 1990er Jahre vorangetriebenen EU- und Euro-Europa. Während Streibls Amtszeit wurde Bayern zum Bundesland mit der niedrigsten Staatsschuldenquote und der höchsten Investitionsquote im Anschluss erweiterten Deutschland.

Phonetisch moderat und optisch kultiviert charmierte Max B. Streibl damals im nützlichen Riesenschatten des Anschlusskanzlers Helmut Kohl und hinter der bayern-schwäbischen Geräuschkulisse des EU-Stabilitätsmonomanen Theodor Waigel Bayern als einen der für die europäischen Nachbarvolkswirtschaften gefährlichsten Exportsprengsätze in den 1991 neu entstandenen Wirtschaftsraum "Europäische Wirtschafts- und Währungsunion" (EWWU). Verhindern wollen und können hätte Streibl einen Beitritt des Bundeslandes Bayern via BRD in die EU natürlich nicht - aber Stimmung gegen Bayerns Mitauftauchen im BRD-Team wäre bei der starken Eportabhängigkeit Bayerns von den EU-Nachbarn alles andere als günstig für Bayern gewesen.

Maastricht-Dogma als U-Boot des deutschen Exportkapitalismus

Vermeintlicher Regisseur des Brüsseler EWWU-Marionettentheaters kurz nach dem Anschluss der DDR an die BRD war der Finanzminister der letzten drei Kohl-Regierungen von 1989 bis 1998, Theodor "Theo" Waigel [3]. Der Sohn eines Nebenerwerbslandwirts und Oberrealschulabiturient aus dem schwäbischen Krumbach war gleichzeitig von 1988 bis 1999 Vorsitzender der CSU.

Auf dieser Machtbasis erlaubte es sich der lediglich Jura studierte Waigel ein Jahrzehnt als Europa-"Ökonom" zu dilettieren. Mit den von ihm durchgepressten Maastricht-Kriterien schuf er auch die Grundlage für die zwei Jahrzehnte spätere Euro-Krise, massiv verschärft durch den Spendenaffären infizierten, dafür aber besonders schwäbisch-sparsadistischen Europa-"Ökonomen" Wolfgang Schäuble.

Vermutlich bis heute hat Waigel nicht begriffen, dass mit dem Euro, schwächer als die DM, und damit sozusagen abwertungsbedingt der deutsche Exportkapitalismus im Welthandel massiv begünstigt [4] wurde. Gleichzeitig aber wurden die Exportchancen vor allem der EU-Länder des Südens durch die nun gegenüber ihrer bisherigen Eigenwährung stärkere Euro-Währung massiv verschlechtert - sozusagen aufwertungsbedingt.

Theodor Waigel bei einer Rede im Bayerischen Landtag in München im Mai 2009. Bild: Alexander Hauk / Public Domain

Weil diese, dem Amateur-"Ökonomen" Waigel wohl unklaren, heimlichen Effekte seiner "juristischen" Ökonomie, d.h. seiner monomanisch diktierten Maastrichter Stabilitätsnormen, den Exportkonzernen mit Standort in Deutschland enorm nutzten, verjagte die ökonomische Elite Waigel nicht aus dem Amt - so notwendig das aus Sicht von Gesamtwirtschaft, Gesellschaft und Europa gewesen wäre.

Merkmal dieser wenig intelligenten "juristischen" Waigel-Ökonomie, wohl eine Art schwäbische Antithese zur "politischen" Ökonomie von Marx, Keynes etc., war ihre ausschließlichr Konzentration auf die "Stabilität" der nationalen und supranationalen Wirtschaftsbilanzen. ("Juristische") Normen für die Staatsverschuldung und ("juristische") Normen für die Neuverschuldung waren ihr ökonomisch jämmerliches Grundkonzept, genannt "Konvergenzkriterien" [5]. Nur nationale Volkswirtschaften, die den Normen des bayerischen Oberrealökonomen entsprachen, sollten dem neuen EWWU-Kartell beitreten dürfen.

Bewusster war dem damaligen Bundesfinanzminister vermutlich die europabezogene Gefälligkeitspolitik gegenüber den Exportinteressen des "deutschen" Konzernkapitals im Falle der innereuropäischen Wirkungen der "juristischen" Ökonomie in Gestalt der "Maastricht"-Kriterien.

In der Literatur wird hervorgehoben, dass die "Stabilitätspolitik" mit ihrer strikten Ablehnung etwa Beschäftigung fördernder öffentlicher Ausgaben massiven Druck auf die Beschäftigung und die Löhne ausübte. Damit wurden nicht nur die "deutschen" Exportpreise in die übrigen EU-Volkswirtschaften gedrückt und die Exporte dorthin gefördert. Gedämpft wurde vor allem auch die deutsche Inlandskaufkraft. Damit aber wurden die Möglichkeiten der benachbarten Volkswirtschaften für Exporte nach Deutschland verschlechtert.

Für die später EU-zerstörerischen enormen Leistungsbilanzunterschiede zwischen dem hegemonialen Exportweltmeister-Deutschland und den vor allem südeuropäischen Exportverlierer-Ländern (Steffen Lehndorff) hat der für die von ihm angerichteten Zerstörungen blinde Maastricht-U-Bootkapitän Waigel die Voraussetzungen geschaffen. Passend dazu wurde "Theo" Waigel 2004 nach seinen Taten als "Bundesfinanzminister" Aufsichtsratsvorsitzender eines Herstellers von Geldspielautomaten.

Neben der außer- und innereuropäischen Absatzmarkterweiterung durch die EU, die unbestreitbar erreicht worden ist, haben die Euro-Einführung oder gar die "Maastricht"-Normen das übergeordnete Problem der neuen Währungszone auch nicht im Ansatz gelöst: Die traditionelle Möglichkeit der früheren europäischen Nationalwirtschaften, ihren Arbeitnehmerschaften Löhne über dem vergleichsweisen nationalen Produktivitätsniveau zu bezahlen, bestand darin, die hierfür erforderlichen Exportüberschüsse zur Gewinnsicherung für die Unternehmerschaften durch Abwertung der Nationalwährung, d.h. Exportpreissenkung oder auch durch hohe Öffentliche Ausgaben zu erreichen.

Durch den Übergang zu einem globalen Finanzkapitalismus und Finanzmarkt in den damaligen Jahrzehnten war aber das Risiko von Fremdwährungsverschuldung dramatisch gestiegen. Dies hätte neben der mit der EWWU erreichten Erweiterung des Absatzmarktes auch eine verstärkte Finanzmarktregulierung erfordert. Dass hier so gut wie alles versäumt wurde, hat das Schmierenstück der Transaktionssteuerdebatte gezeigt.

So ist es nachvollziehbar, dass in den EU-Ländern, sei es in denen der südlichen und östlichen Peripherien oder in ihren eigenen peripheren Regionen, der Hass auf ein EU-Imperium zunimmt, das unter dem Strich nur deren alte und neue Eliten reicher und seinen Bevölkerungen das Leben schwerer gemacht hat. So gesehen darf sich der der "christlich-soziale" Maastricht-U-Boot-Käpitan "Theo" nicht nur die Wahlgewinne der AfD, sondern auch den Brexit als Erfolge seiner blind abgefeuerten Stabilitätstorpedos gutschreiben.

Zwischenrufe vom Starnberger See zu Waigels Maastricht-Predigten

In den Jahren der Vorbereitung und Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion gab es nur wenige Untersuchungen zu den sozialen Schäden der dogmatischen Stabilitätspolitik des deutschen Finanzministers. Immerhin analysierte Berndt Keller 1993 in der renommierten Vierteljahresschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft die gelegentlich und als Lippenbekenntnis angesprochene "soziale Dimension" des Binnenmarktes als in Wahrheit "soziales Defizit" dieses Vorhabens.

Es war ausgerechnet Oberbayern, von woher Waigels Maastricht-Suaden durch fortgesetzte Zwischenrufe gestört wurden.

Mitte der 1980er Jahre hatte der damals noch kritisch-progressive Sozialverband VdK Bayern jährliche Forumsveranstaltungen in Schloss Tutzing am Starnberger See eingerichtet, bei denen jeweils fundamentale sozialpolitische Themen erörtert wurden. Als Berater für diese Foren hatte der Verband den Direktor der in dieser Serie schon mehrfach erwähnten Studiengruppe für Sozialforschung e.V.gewonnen.

Im Rahmen seiner Tutzinger Foren startete der Sozialverband VdK dann 1989 eine sich über ein Jahrzehnt erstreckende europapolitische Offensive mit unverhohlener Kritik an der Schmalspurigkeit und Sozialdürftigkeit der Bonner Europapolitik.

Im Unterschied zu der in der regierungsamtlichen Europa- und Eurokonzeption mehr oder minder beschwiegenen Notwendigkeit einer flächendeckenden, erreichbaren, bedarfsgerechten und leistungsfähigen Gesundheitsversorgung und einer ausreichenden Sozialsicherung der europäischen Bevölkerungen konfrontierte eines der Tutzinger Europa-Foren die politische Klasse mit dem Thema eines mittlerweile längst bestehenden Weltmarktes für Gesundheitsversorgung und Sozialsicherung.

Vor allem die Verbände der deutschen Krankenkassen wehrten sich damals gegen Konzepte und Programme zum verstärkten "Export" insbesondere von Krankenhausleistungen durch Krankenhausbehandlung von EU-Ausländern und Ausländern überhaupt. Es war nur einschlägigen Urteilen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Öffnung der Krankenhauswirtschaften der EU-Länder für grenzüberschreitende Behandlungsleistungen zu verdanken, dass die Blockadepolitik der Mehrheit der Kassenoligopole beendet werden musste. Und es war allen voran der Freistaat Bayern, der dafür Sorge trug, dass die Krankenhäuser Erlöse aus der Behandlung ausländischer Privatpatienten nicht mehr an die Krankenkassen abführen mussten.

Unter der Überschrift "Gesundheitsstandort Bayern" erteilte das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit dem "schwäbischen Hausmann" Waigel schallende Nachhilfe darin, dass die Gesundheitswirtschaft längst zu einem bedeutenden Wirtschaftsbereich geworden war.1 [6] Das sehbehinderte Ignorieren von Gesundheitsversorgung und Sozialsicherung als förderliche Bereiche des europäischen und internationalen Wettbewerbs ließ das Waigelsche "Maastricht"-Konzept als Missgeburt offenkundig werden.

Der als Foren-Berater wirkende Direktor der Studiengruppe für Sozialforschung e.V. formulierte den Kardinalfehler einer reinen "Stabilitäts-EU" in seinem Beitrag zum 1998er Europa-Forum in Schloss Tutzing wie folgt: "Globales Wirtschaftswachstum durch Gesundheitsversorgung und Sozialsicherung - die Zukunftsmärkte liegen dort, wo heute noch die Sparpolitik überwiegt."2 [7] Der aktuelle, inzwischen wütende internationale Konkurrenzkampf um die Alterssicherungssysteme und die Kampagne in Deutschland gegen die wohnortnahen Non-Profit-Krankenhäuser3 [8] bestätigen die Richtigkeit dieser vor über zwei Jahrzehnten gestellten Diagnose.

"Gesundheitsregion Alpen" als ein Gegenkonzept zum EU-Zentralismus

Schon in seinem Tagungsbeitrag zum ersten Tutzinger Europa-Forum im Jahre 1989 kritisierte der Bayerische Staatsminister für Arbeit und Sozialordnung, Gebhard Glück, dass die EU-Kommission den Bereich der sozialen Sicherheit "aufschieben", aber nicht lösen würde. Deutlich sprach sich der Minister gegen "soziales Dumping" und für eine "Bewahrung der sozialen Errungenschaften" aus - er vertrat also genau solche Anliegen, die durch Waigels Stabilitätsdogmatismus gefährdet wurden.

Gebhard Glück erkannte in seinem Tagungsbeitrag richtig, dass die deutlich schwache Ausprägung der "Sozialen Dimension" der EU durch das Überwiegen zentralistischer Strukturen, Prozesse und Politikkulturen in der EU bedingt sei. Nach seiner Auffassung liege daher ein "Europäischer Föderalismus" insbesondere im Interesse der Sozial- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.4 [9]

Die Studiengruppe für Sozialforschung e. V. war seit Anfang der 1970er Jahre mit Beratungsprogrammen zur Gesundheitsversorgung peripherer Kommunen und zur Erhaltung und Weiterentwicklung dezentraler Krankenhausstandorte, aber auch zur Beibehaltung der regionalen autonomen Krankenkassen befasst. Sie sah in der kommenden EU die Chance, durch auch grenzüberschreitende Koordination und Kooperation vor allem im Bereich der Akutkrankenhäuser und Rehakliniken eine Gegenposition zu den mittlerweile geschaffenen Krankenkassen-Oligopolen in Deutschland bzw. Gesundheits- und Sozialbürokratien in den europäischen Nachbarländern aufzubauen.

Auch grenzüberschreitende "Gesundheitsregionen" sollten dabei das räumliche Grundmuster für die Aufrechterhaltung bzw. die Durchsetzung einer bevölkerungsnahen, leistungsfähigen und wirtschaftlich möglichst unabhängigen Gesundheitsversorgung in Europa sein.

Als erstes bot sich hier eine Kooperation zwischen den Krankenhäusern und Kliniken in Süddeutschland und den Krankenhäusern und Kliniken in Oberitalien an. Dabei sollten die Hoch- und Überkapazitäten der stationären Versorgung in Süddeutschland zum Ausgleich der teilweisen Mangelzustände der stationären Versorgung zunächst in den Autonomen Provinzen Bolzano-Alto Adige und Trentino genutzt werden.

Das Institut veranstaltete zur Initiierung dieses Vorhabens in Riva am Gardasee in den Jahren 1998 und 2000 zwei gut besuchte Fachkonferenzen zu einer italienisch-deutschen Krankenhauszusammenarbeit. Referenten diese Konferenzen waren u.a. hohe Beamte der Bayerischen Staatsregierung einerseits und der Italienprovinzen Bolzano-Alto Adige und Trentino andererseits. Die Ergebnisse der Konferenzen wurden unter dem Titel "Gesundheitsregion Alpen" vom Institut veröffentlicht.5 [10]

Um die "Gesundheitsregion Alpen" auch für die Gesundheitswirtschaft in anderen als den süddeutschen Bundesländern bzw. in anderen als den genannten oberitalienischen Provinzen attraktiv zu machen, wurden ein Vorsorge- und Behandlungsangebot zum Kernangebot der "Gesundheitsregion Alpen" gemacht, das damals zunächst nur in Großbritannien und in Österreich, aber in keiner Weise in Deutschland und Italien ein Thema war: Der Aufbau eines spezifisch auf die Gesundheitsbedürfnisse und Erkrankungsbesonderheiten der Männerbevölkerung ausgerichteten Vorsorge- und Behandlungsangebotes, eines neuen Fachgebietes "Andrologie - Männerheilkunde" ,vergleichbar der Gynäkologie - Frauenheilkunde. Auch hierzu veranstaltete die Studiengruppe für Sozialforschung e.V. 1999 eine viel beachtete Fachkonferez in Riva am Gardasee.6 [11]

Aus diesen Ansätzen entwickelten sich dann in den folgenden fünfzehn Jahren eine Vielzahl von italienisch-deutschen Gemeinschaftsvorhaben, die italienische oder deutsche Auftraggeber hatten. Unter anderem wurde auf der Grundlage einer Auftrages der Provinz Bolzano-Alto Adige ein Atlas zur Gesundheitlichen Lage der Männer und Frauen in den Regionen Italiens erstellt.7 [12]

Derzeit wird bei der EU-Kommission ein von der Regierung von Bolzano-Alto Adige finanziertes Projekt zur Entwicklung einer spezifischen autobahnnahen Infrastruktur zur gesundheitlichen Betreuung und Versorgung der weiter wachsenden Zahl von Lkw-Fahrern auf den europäischen Autobahnen erörtert. Das Konzept war von der Studiengruppe für Sozialforschung e.V. als ein weiteres Kernangebot der "Gesundheitsregion Alpen" entwickelt worden.8 [13] Das Institut betrieb in dieser Zeit auch ein Europabüro am Gardasee.

"Stabilisieren" als Vorwand für das Privatisieren von Post und Bahn

Der "ewige", seit längerem ehemalige Finanzminister Theodor Waigel hat sich 2019 mit "Memoiren" unter dem unfreiwillig satirischen Titel "Ehrlichkeit ist eine Währung" in die Öffentlichkeit gedrängt.

Sieht man sich die politische Biographie des "Theo" Waigel genauer an, dann wachsen dabei allerdings die Zweifel, ob vor allem bei seinem "Lebenswerk" Euro-Währung und den dafür als Voraussetzung behaupteten "Stabilitätskriterien" tatsächlich "Ehrlichkeit" der bestimmende Maßstab gewesen sei. Genau das juristisch definierte Gegenteil, nämlich "Betrug", wohl definiert im Paragraphen 263 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB), könnte hier viel näher liegen.

Theodor Waigel war in den ersten Jahren seiner fast zehnjährigen Amtszeit als Bundesfinanzminister nicht nur damit befasst, für die Etablierung der EU und die Vorbereitung des Euro im Sinne eines eher einfältigen Monetarismus und Neoliberalismus seine "Maastricht"-Stabilitätsnormen als Inbegriff des Gemeinwohls zu diktieren. In der gleichen Zeit war Waigel politisch auch zumindest mitverantwortlich für die zwei übelsten Privatisierungsschläge gegen die deutsche Nachkriegsgesellschaft und ihren Daseinsvorsorgestaat: Gemeint sind die so genannten "Reformen" von Post und Bahn.

"Postreform"

Mit den "Postreformen" der Jahre 1989 bis 1996 wurde u. a. die spätere Telekom als damals größte Fernmeldgesellschaft der Welt mit ihren ca. 25 Milliarden Euro Umsatz privatisiert. Damit wurde zunächst den angloamerikanischen, aber auch europäischen Deregulierungspressionen hinsichtlich einer Zerschlagung öffentlicher Versorgungsinstitutionen Rechnung getragen. Deren Ziel war es bekanntlich, den internationalen Investoren neue lukrative Anlagemöglichkeiten zu verschaffen.

Vor allem aber sollten es die "Postreformen" dem ehemaligen staatlichen Großunternehmen, insbesondere ihrem Teilunternehmen Telekom AG ermöglichen, selbst auf den internationalen Post- und Telekommunikationsmärkten gewinnbringend aktiv zu werden.

Nach außen legitimiert wurde die Postprivatisierung vor allem haushaltspolitisch und finanzpolitisch mit dem enormen Investitionsbedarf, der für den Aufbau der Telefondienste und des Mobilfunks in der eingegliederten vormaligen Deutschen Demokratischen Republik erforderlich sei. Hinzu käme noch die enorme eingliederungsbedingte Neuverschuldung im Bundeshaushalt. Als Problemlösung wurde die Umwandlung der vormaligen Bundespost und der vormaligen Reichspost in drei Aktiengesellschaften präsentiert.

Hinsichtlich des Waigelschen "Stabilitäts"- Dogmas, d. h. der dekretierten Obergrenze für Staatsverschuldung und Neuverschuldung, wurde vorgetragen, dass die infolge Privatisierung zwar entfallenden Gewinnablieferungen der Deutschen Bundespost aber durch Steuereinnahmen, Dividenden und Aktienverkäufe dieses privatisierten Konzerns mehr als kompensiert würden.

Waigel gab deutlich zu erkennen, dass die Postprivatisierung [14] von ihm vor allem als Quelle zusätzlicher Haushaltsspielräume betrachtet wurde. Dieser "Stabilitäts"-Gewinn würde die erforderliche Änderung des Artikel 87 des Grundgesetzes mit seinem Quasiprivatisierungsverbot rechtfertigen.

Die monetaristisch-neoliberale Begünstigung internationaler Investoren durch die Postreform verschwand hinter diesen politischen Spiegelfechtereien.

"Bahnreform"

Der zweite ebenfalls zunächst grundgesetzwidrige Privatisierungsschlag neben der "Postreform", war die "Bahnreform" [15] des Jahres 1994. Mit ihr wurden die nach dem Anschluss der Deutschen Demokratischen Republik 1993 zusammen gefasste Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn mit ihren damals ca. 24 Milliarden Euro Umsatz privatisiert.

Auch dieser Schlag gegen die Gemeinwirtschaft im Anschluss erweiterten Deutschland folgte den angloamerikanischen, aber zunehmend auch europäischen Deregulierungspressionen. Ziel war auch bei der Bahnreform, deren Tätigkeitsfeld privaten Investoren zu öffnen.

Ebenso wie im Falle der "Postreform" sollte die "Bahnreform" dem neu geschaffenen Verkehrskonzern Deutsche Bahn AG die Möglichkeit eröffnen, auch selbst auf dem internationalen Verkehrs- und Transportmarkt gewinnbringend aktiv zu werden.

Wie auch im Falle der Postprivatisierung wurde auch die Bahnprivatisierung bevorzugt haushaltspolitisch und finanzpolitisch mit dem ca. 50 Milliarden Euro hohen Sanierungsbedarf bei der vormaligen Deutschen Reichsbahn legitimiert. Zugleich belief sich der bei der vormaligen Deutschen Bundesbahn infolge ihrer Jahrzehnte lang praktizierten verkehrspolitischen Vernachlässigung aufgelaufene Schuldenstand zuletzt auf etwa 34 Milliarden Euro. Auch im Falle der Bahnprivatisierung wurde an Stelle einer zusätzlichen Verschuldung des Bundes für die Bahnsanierung eine Umwandlung der beiden deutschen Bahnen in eine Aktiengesellschaft mit dem Zweck der Gewinnmaximierung und mit dem Mittel der Gewinnausschüttung an den Bund als Lösung gesehen.

Hinsichtlich des Waigelschen "Stabilitäts"- Dogmas, d. h. der dekretierten Obergrenze für Staatsschulden und Neuverschuldung von EU-Ländern, boten sich im Falle der Deutschen Bahn AG auch die Möglichkeiten von erheblichen Steuereinnahmen bspw. aus der Mehrwertsteuer auf den Verkehrsumsatz des Konzerns.

Insbesondere von dem als zweite Stufe der "Bahnreform" geplanten Börsengang der Deutschen Bahn AG erwartete die Haushalts- und Finanzpolitik einen Erlös von ca. 8 Milliarden Euro. Allerdings erzwang die Finanzkrise von 2008 einen Verzicht auf dieses Geschäft bis heute.

Auch im Falle der Bahnreform war eine Änderung des Artikel 87 des Grundgesetzes mit seinem Quasiprivatisierungsverbot erforderlich gewesen.

Zu anhaltenden und teilweise heftigen öffentlichen Auseinandersetzungen um die Abkoppelung nicht nur von Städten, sondern von ganzen Regionen vom Fernverkehr in Folge der enormen Streckenstilllegungen kam es vor allem nach der ersten Stufe der Bahnreform. Zwischen 1994 und 2004 hatte die Deutsche Bahn AG ca. 4000 Kilometer Schienenstrecken in Deutschland stillgelegt.

Hinter diesen Auseinandersetzungen verschwand wiederum die letztlich dominierende monetaristisch-neoliberale Begünstigung internationaler Investoren durch die mit "Stabilisierungserfordernissen" legitimierte Bahnreform.

Mag sein, dass Memoirenschreiber Theodor Waigel selbst und noch daran glaubt, bei der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und beim Euro sei es um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Europa-Bevölkerungen gegangen. Wissen sollte er aber dennoch, dass mit den "Maastricht"-Kriterien und mit der damit legitimierten Zerstörung wesentlicher Teile der Daseinsvorsorge in Deutschland vor allem auch die Exporthegemonie der Konzerne mit Sitz in Deutschland durch die Schaffung zweier weiterer enormer Exportkonzerne gefestigt wurde.

Fragwürdig wird der Titel der Memoiren des ehemaligen Finanzministers "Ehrlichkeit ist eine Währung" im Zusammenhang der in den Jahren vor den Privatisierungen von Post und Bahn erfolgten Rundfunk-Privatisierung. Im Internet wird im Zusammenhang der im Zuge der Rundunk-Privatisierung groß wordenen KirchGruppe und deren Insolvenz angedeutet, Theodor Waigel habe im Zusammenhang des CDU-Parteispendenskandals wie andere CSU- und CDU-Minister auch verdeckte oder direkte Zuwendungen des Medienoligarchen Leo Kirch [16] erhalten. Soweit zum Thema "Ehrlichkeit".

Bayerns lautlose Exportdetonation

Die Politikjahre nach dem Tod von Franz Josef Strauß 1988 waren in Folge des Anschlusses der Deutschen Demokratischen Republik und in Folge der Vorbereitung von EU und Euro für die neue "gesamtdeutsche" Öffentlichkeit in höchstem Maße okkult . Innenpolitische Aufregungen wie die "Reformen" von Post und Bahn sowie die Auseinandersetzungen um die Errichtung der höchst unsozialen Gesetzlichen Pflegeversicherung und auch die Organisationsreform der Gesetzlichen Krankenversicherung mit ihrer Entmündigung der regionalen Mitgliederschaften taten ein übriges.

In solchen Lagen holt der Überlegene, mehr noch der Überlegende die Beute.

Während der bayerisch-schwäbische Finanzminister in den frühen 1990er Jahren die Öffentlichkeit mit seiner "Steinbruchliste" (Gerard Bökenkamp) zur Reduzierung der Neuverschuldung durch den Großabbau von sozialen Steuervergünstigungen schockierte, nutzte die besonders exportorientierte Gewerbliche Wirtschaft Bayerns in aller Stille die zusätzlichen Chancen der Europäischen Einigung einerseits und der Auflösung des sozialistischen Wirtschaftsblocks andererseits.

Die damalige lautlose Exportdetonation Bayerns beschreiben die Industrie- und Handelskammern Bayerns in einer rückblickenden Analyse als eine Art Doppelstrategie: Stetige Ausweitung der Exporte in die EU-Nachbarvolkswirtschaften unter Nutzung wachsender Billigvorlieferungen aus den mittel- und osteuropäischen Nachbarökonomien.

Bayerischer Handel mit EU und Nicht-EU-Länder

Seit Mitte der 1990er Jahre stieg der Exportanteil der Umsätze des bayerischen Industriekapitals demgemäß stetig. Nach den Untersuchungen der Bayerischen Industrie- und Handelskammern waren Voraussetzung für diese Entwicklung vor allem die neuen EU-Rahmenbedingungen.

Exportquote im Verarbeitenden Gewerbe Bayern seit 1950. Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz in Prozent

Die Streibl-Phase des Erfolgsmodells Bayern profitierte ohne Zweifel vom Stabilitäts- und Privatisierungsgeröhre des Amateur-Ökonomen Waigel, das jeden Ansatz zu einer kritischen Analyse eventueller negativer Nebenfolgen des bayerischen Exportismus übertönte. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass ein Preis, den die Bevölkerung Bayerns für die Stabilitäts- und Privatisierungspolitik Waigels zu bezahlen hatte, ein besonders exzessiver Abbau von Bahnstrecken in Bayern war. Nur Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt erlitten noch höhere Verluste.

Literatur

Bökenkamp, Gerard: Das Ende des Wirtschaftswunders: Geschichte der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Bundesrepublik 1969-1998; Stuttgart 2010

Hartmann, Michael: Eliten und Macht in Europa; Frankfurt am Main, New York 2007

Industrie- und Handelskammern in Bayern (Hg.): Zum Nutzen des EU-Binnenmarktes für die Bayerische Wirtschaft; München o.J.

Lehndorff, Steffen: Vom kranken Mann zur schwäbischen Hausfrau; In: Lehndorff, Steffen (Hg.) Ein Triumph gescheiterter Ideen; Hamburg 2012

Luik, Arno: Schaden in der Oberleitung - das geplante Desaster der Deutschen Bahn; Frankfurt am Main 2016

Reiterer, Albert F.:


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[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Postreform
[15] https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnreform_(Deutschland)
[16] https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/KirchGruppe