Klosterschüler Streibl lächelte Exportbombe Bayern in die EWU

Max Streibl beim CSU-Parteitag in München (1989). Bild: Kuhn / Bundesarchiv, B 145 Bild-F083104-0015 / CC-BY-SA-3.0

Bayern-Saga: Wie man am eigenen Erfolg scheitert - Teil 9

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Europäischer Elitenaustausch auch in Bayern

Michael Hartmann zeigt in seiner fundamentalen Analyse der Machteliten des Europaimperiums, dass es zum Zeitpunkt der Gründung der Europäischen Union, also zu Beginn der 1990er Jahre, auch zu einem beschleunigten Wandel der politisch-bürokratischen Kaste in Brüssel gekommen ist . Ein ähnlicher Wandel hatte sich schon in den Jahren davor bei den politischen, administrativen und ökonomischen Eliten der einzelnen Gründungs- und Beitrittsländer der EU vollzogen.

In den ersten Nachkriegsjahrzehnten waren in den kapitaleuropäischen Ländern vor allem die Partei-, Parlaments- und Regierungspolitiker eher durch kleinbürgerlich-konservative oder auch arbeiterschaftlich-sozialdemokratische Herkunftsmilieus geprägt. In den Vorbereitungsjahren der Wirtschafts- und Währungsunion des Jahres 1999 war dann aber im Zuge der Transformation des noch eher harmlosen Handelsblockes "Europäische Gemeinschaft" (EG) eine erkennbare Änderung eingetreten.

Je mehr diese Europäische Gemeinschaft zu einem finanzkapitalistisch-autoritärbürokratischen EU-"Imperium" (Albert F. Reiterer) mit eigener Euro-Währung wurde, desto nachdrücklicher drängelten sich wieder die Abkömmlinge der traditionellen Oberschichten in die nationalen und supranationalen Führungspositionen - zumal im "wiedervereinigten" Deutschland. Dort kletterte unverhofft der eigentlich längst abservierte Adel aus seinen Grüften (ohne oder mit Plagiat-"Dr.") heraus.

Franz Josef Strauß, Metzgersohn und Gymnasiast aus München, wahrgenommen als brüllender und schwitzender Bierzelt-Matador, war damit zum Zeitpunkt seines Ablebens im Jahre 1988 phänotypisch schon nicht mehr ganz up to date. Sein unmittelbarer Nachfolger als Ministerpräsident Bayerns, Max Balthasar Streibl, Hoteliersohn aus dem Passionsspiele-Oberammergau und Ettaler Klosterschüler, war hier wesentlich elitenkompatibler. Ihm wird dementsprechend rückblickend attestiert, im Vergleich zu seinem Amtsvorgänger einen "eher zurückhaltenden Regierungsstil" gepflegt zu haben.

Als langjähriger bayerischer Finanzminister vor allem in den drei Ministerpräsidentenperioden von Franz Josef Strauß repräsentierte Max Bathasar Streibl Bayern als eine Erfolgsregion des seit Beginn der 1990er Jahre vorangetriebenen EU- und Euro-Europa. Während Streibls Amtszeit wurde Bayern zum Bundesland mit der niedrigsten Staatsschuldenquote und der höchsten Investitionsquote im Anschluss erweiterten Deutschland.

Phonetisch moderat und optisch kultiviert charmierte Max B. Streibl damals im nützlichen Riesenschatten des Anschlusskanzlers Helmut Kohl und hinter der bayern-schwäbischen Geräuschkulisse des EU-Stabilitätsmonomanen Theodor Waigel Bayern als einen der für die europäischen Nachbarvolkswirtschaften gefährlichsten Exportsprengsätze in den 1991 neu entstandenen Wirtschaftsraum "Europäische Wirtschafts- und Währungsunion" (EWWU). Verhindern wollen und können hätte Streibl einen Beitritt des Bundeslandes Bayern via BRD in die EU natürlich nicht - aber Stimmung gegen Bayerns Mitauftauchen im BRD-Team wäre bei der starken Eportabhängigkeit Bayerns von den EU-Nachbarn alles andere als günstig für Bayern gewesen.

Maastricht-Dogma als U-Boot des deutschen Exportkapitalismus

Vermeintlicher Regisseur des Brüsseler EWWU-Marionettentheaters kurz nach dem Anschluss der DDR an die BRD war der Finanzminister der letzten drei Kohl-Regierungen von 1989 bis 1998, Theodor "Theo" Waigel. Der Sohn eines Nebenerwerbslandwirts und Oberrealschulabiturient aus dem schwäbischen Krumbach war gleichzeitig von 1988 bis 1999 Vorsitzender der CSU.

Auf dieser Machtbasis erlaubte es sich der lediglich Jura studierte Waigel ein Jahrzehnt als Europa-"Ökonom" zu dilettieren. Mit den von ihm durchgepressten Maastricht-Kriterien schuf er auch die Grundlage für die zwei Jahrzehnte spätere Euro-Krise, massiv verschärft durch den Spendenaffären infizierten, dafür aber besonders schwäbisch-sparsadistischen Europa-"Ökonomen" Wolfgang Schäuble.

Vermutlich bis heute hat Waigel nicht begriffen, dass mit dem Euro, schwächer als die DM, und damit sozusagen abwertungsbedingt der deutsche Exportkapitalismus im Welthandel massiv begünstigt wurde. Gleichzeitig aber wurden die Exportchancen vor allem der EU-Länder des Südens durch die nun gegenüber ihrer bisherigen Eigenwährung stärkere Euro-Währung massiv verschlechtert - sozusagen aufwertungsbedingt.

Theodor Waigel bei einer Rede im Bayerischen Landtag in München im Mai 2009. Bild: Alexander Hauk / Public Domain

Weil diese, dem Amateur-"Ökonomen" Waigel wohl unklaren, heimlichen Effekte seiner "juristischen" Ökonomie, d.h. seiner monomanisch diktierten Maastrichter Stabilitätsnormen, den Exportkonzernen mit Standort in Deutschland enorm nutzten, verjagte die ökonomische Elite Waigel nicht aus dem Amt - so notwendig das aus Sicht von Gesamtwirtschaft, Gesellschaft und Europa gewesen wäre.

Merkmal dieser wenig intelligenten "juristischen" Waigel-Ökonomie, wohl eine Art schwäbische Antithese zur "politischen" Ökonomie von Marx, Keynes etc., war ihre ausschließlichr Konzentration auf die "Stabilität" der nationalen und supranationalen Wirtschaftsbilanzen. ("Juristische") Normen für die Staatsverschuldung und ("juristische") Normen für die Neuverschuldung waren ihr ökonomisch jämmerliches Grundkonzept, genannt "Konvergenzkriterien". Nur nationale Volkswirtschaften, die den Normen des bayerischen Oberrealökonomen entsprachen, sollten dem neuen EWWU-Kartell beitreten dürfen.

Bewusster war dem damaligen Bundesfinanzminister vermutlich die europabezogene Gefälligkeitspolitik gegenüber den Exportinteressen des "deutschen" Konzernkapitals im Falle der innereuropäischen Wirkungen der "juristischen" Ökonomie in Gestalt der "Maastricht"-Kriterien.

In der Literatur wird hervorgehoben, dass die "Stabilitätspolitik" mit ihrer strikten Ablehnung etwa Beschäftigung fördernder öffentlicher Ausgaben massiven Druck auf die Beschäftigung und die Löhne ausübte. Damit wurden nicht nur die "deutschen" Exportpreise in die übrigen EU-Volkswirtschaften gedrückt und die Exporte dorthin gefördert. Gedämpft wurde vor allem auch die deutsche Inlandskaufkraft. Damit aber wurden die Möglichkeiten der benachbarten Volkswirtschaften für Exporte nach Deutschland verschlechtert.

Für die später EU-zerstörerischen enormen Leistungsbilanzunterschiede zwischen dem hegemonialen Exportweltmeister-Deutschland und den vor allem südeuropäischen Exportverlierer-Ländern (Steffen Lehndorff) hat der für die von ihm angerichteten Zerstörungen blinde Maastricht-U-Bootkapitän Waigel die Voraussetzungen geschaffen. Passend dazu wurde "Theo" Waigel 2004 nach seinen Taten als "Bundesfinanzminister" Aufsichtsratsvorsitzender eines Herstellers von Geldspielautomaten.

Neben der außer- und innereuropäischen Absatzmarkterweiterung durch die EU, die unbestreitbar erreicht worden ist, haben die Euro-Einführung oder gar die "Maastricht"-Normen das übergeordnete Problem der neuen Währungszone auch nicht im Ansatz gelöst: Die traditionelle Möglichkeit der früheren europäischen Nationalwirtschaften, ihren Arbeitnehmerschaften Löhne über dem vergleichsweisen nationalen Produktivitätsniveau zu bezahlen, bestand darin, die hierfür erforderlichen Exportüberschüsse zur Gewinnsicherung für die Unternehmerschaften durch Abwertung der Nationalwährung, d.h. Exportpreissenkung oder auch durch hohe Öffentliche Ausgaben zu erreichen.

Durch den Übergang zu einem globalen Finanzkapitalismus und Finanzmarkt in den damaligen Jahrzehnten war aber das Risiko von Fremdwährungsverschuldung dramatisch gestiegen. Dies hätte neben der mit der EWWU erreichten Erweiterung des Absatzmarktes auch eine verstärkte Finanzmarktregulierung erfordert. Dass hier so gut wie alles versäumt wurde, hat das Schmierenstück der Transaktionssteuerdebatte gezeigt.

So ist es nachvollziehbar, dass in den EU-Ländern, sei es in denen der südlichen und östlichen Peripherien oder in ihren eigenen peripheren Regionen, der Hass auf ein EU-Imperium zunimmt, das unter dem Strich nur deren alte und neue Eliten reicher und seinen Bevölkerungen das Leben schwerer gemacht hat. So gesehen darf sich der der "christlich-soziale" Maastricht-U-Boot-Käpitan "Theo" nicht nur die Wahlgewinne der AfD, sondern auch den Brexit als Erfolge seiner blind abgefeuerten Stabilitätstorpedos gutschreiben.