Klosterschüler Streibl lächelte Exportbombe Bayern in die EWU
Seite 3: "Stabilisieren" als Vorwand für das Privatisieren von Post und Bahn
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- "Stabilisieren" als Vorwand für das Privatisieren von Post und Bahn
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Der "ewige", seit längerem ehemalige Finanzminister Theodor Waigel hat sich 2019 mit "Memoiren" unter dem unfreiwillig satirischen Titel "Ehrlichkeit ist eine Währung" in die Öffentlichkeit gedrängt.
Sieht man sich die politische Biographie des "Theo" Waigel genauer an, dann wachsen dabei allerdings die Zweifel, ob vor allem bei seinem "Lebenswerk" Euro-Währung und den dafür als Voraussetzung behaupteten "Stabilitätskriterien" tatsächlich "Ehrlichkeit" der bestimmende Maßstab gewesen sei. Genau das juristisch definierte Gegenteil, nämlich "Betrug", wohl definiert im Paragraphen 263 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB), könnte hier viel näher liegen.
Theodor Waigel war in den ersten Jahren seiner fast zehnjährigen Amtszeit als Bundesfinanzminister nicht nur damit befasst, für die Etablierung der EU und die Vorbereitung des Euro im Sinne eines eher einfältigen Monetarismus und Neoliberalismus seine "Maastricht"-Stabilitätsnormen als Inbegriff des Gemeinwohls zu diktieren. In der gleichen Zeit war Waigel politisch auch zumindest mitverantwortlich für die zwei übelsten Privatisierungsschläge gegen die deutsche Nachkriegsgesellschaft und ihren Daseinsvorsorgestaat: Gemeint sind die so genannten "Reformen" von Post und Bahn.
"Postreform"
Mit den "Postreformen" der Jahre 1989 bis 1996 wurde u. a. die spätere Telekom als damals größte Fernmeldgesellschaft der Welt mit ihren ca. 25 Milliarden Euro Umsatz privatisiert. Damit wurde zunächst den angloamerikanischen, aber auch europäischen Deregulierungspressionen hinsichtlich einer Zerschlagung öffentlicher Versorgungsinstitutionen Rechnung getragen. Deren Ziel war es bekanntlich, den internationalen Investoren neue lukrative Anlagemöglichkeiten zu verschaffen.
Vor allem aber sollten es die "Postreformen" dem ehemaligen staatlichen Großunternehmen, insbesondere ihrem Teilunternehmen Telekom AG ermöglichen, selbst auf den internationalen Post- und Telekommunikationsmärkten gewinnbringend aktiv zu werden.
Nach außen legitimiert wurde die Postprivatisierung vor allem haushaltspolitisch und finanzpolitisch mit dem enormen Investitionsbedarf, der für den Aufbau der Telefondienste und des Mobilfunks in der eingegliederten vormaligen Deutschen Demokratischen Republik erforderlich sei. Hinzu käme noch die enorme eingliederungsbedingte Neuverschuldung im Bundeshaushalt. Als Problemlösung wurde die Umwandlung der vormaligen Bundespost und der vormaligen Reichspost in drei Aktiengesellschaften präsentiert.
Hinsichtlich des Waigelschen "Stabilitäts"- Dogmas, d. h. der dekretierten Obergrenze für Staatsverschuldung und Neuverschuldung, wurde vorgetragen, dass die infolge Privatisierung zwar entfallenden Gewinnablieferungen der Deutschen Bundespost aber durch Steuereinnahmen, Dividenden und Aktienverkäufe dieses privatisierten Konzerns mehr als kompensiert würden.
Waigel gab deutlich zu erkennen, dass die Postprivatisierung von ihm vor allem als Quelle zusätzlicher Haushaltsspielräume betrachtet wurde. Dieser "Stabilitäts"-Gewinn würde die erforderliche Änderung des Artikel 87 des Grundgesetzes mit seinem Quasiprivatisierungsverbot rechtfertigen.
Die monetaristisch-neoliberale Begünstigung internationaler Investoren durch die Postreform verschwand hinter diesen politischen Spiegelfechtereien.
"Bahnreform"
Der zweite ebenfalls zunächst grundgesetzwidrige Privatisierungsschlag neben der "Postreform", war die "Bahnreform" des Jahres 1994. Mit ihr wurden die nach dem Anschluss der Deutschen Demokratischen Republik 1993 zusammen gefasste Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn mit ihren damals ca. 24 Milliarden Euro Umsatz privatisiert.
Auch dieser Schlag gegen die Gemeinwirtschaft im Anschluss erweiterten Deutschland folgte den angloamerikanischen, aber zunehmend auch europäischen Deregulierungspressionen. Ziel war auch bei der Bahnreform, deren Tätigkeitsfeld privaten Investoren zu öffnen.
Ebenso wie im Falle der "Postreform" sollte die "Bahnreform" dem neu geschaffenen Verkehrskonzern Deutsche Bahn AG die Möglichkeit eröffnen, auch selbst auf dem internationalen Verkehrs- und Transportmarkt gewinnbringend aktiv zu werden.
Wie auch im Falle der Postprivatisierung wurde auch die Bahnprivatisierung bevorzugt haushaltspolitisch und finanzpolitisch mit dem ca. 50 Milliarden Euro hohen Sanierungsbedarf bei der vormaligen Deutschen Reichsbahn legitimiert. Zugleich belief sich der bei der vormaligen Deutschen Bundesbahn infolge ihrer Jahrzehnte lang praktizierten verkehrspolitischen Vernachlässigung aufgelaufene Schuldenstand zuletzt auf etwa 34 Milliarden Euro. Auch im Falle der Bahnprivatisierung wurde an Stelle einer zusätzlichen Verschuldung des Bundes für die Bahnsanierung eine Umwandlung der beiden deutschen Bahnen in eine Aktiengesellschaft mit dem Zweck der Gewinnmaximierung und mit dem Mittel der Gewinnausschüttung an den Bund als Lösung gesehen.
Hinsichtlich des Waigelschen "Stabilitäts"- Dogmas, d. h. der dekretierten Obergrenze für Staatsschulden und Neuverschuldung von EU-Ländern, boten sich im Falle der Deutschen Bahn AG auch die Möglichkeiten von erheblichen Steuereinnahmen bspw. aus der Mehrwertsteuer auf den Verkehrsumsatz des Konzerns.
Insbesondere von dem als zweite Stufe der "Bahnreform" geplanten Börsengang der Deutschen Bahn AG erwartete die Haushalts- und Finanzpolitik einen Erlös von ca. 8 Milliarden Euro. Allerdings erzwang die Finanzkrise von 2008 einen Verzicht auf dieses Geschäft bis heute.
Auch im Falle der Bahnreform war eine Änderung des Artikel 87 des Grundgesetzes mit seinem Quasiprivatisierungsverbot erforderlich gewesen.
Zu anhaltenden und teilweise heftigen öffentlichen Auseinandersetzungen um die Abkoppelung nicht nur von Städten, sondern von ganzen Regionen vom Fernverkehr in Folge der enormen Streckenstilllegungen kam es vor allem nach der ersten Stufe der Bahnreform. Zwischen 1994 und 2004 hatte die Deutsche Bahn AG ca. 4000 Kilometer Schienenstrecken in Deutschland stillgelegt.
Hinter diesen Auseinandersetzungen verschwand wiederum die letztlich dominierende monetaristisch-neoliberale Begünstigung internationaler Investoren durch die mit "Stabilisierungserfordernissen" legitimierte Bahnreform.
Mag sein, dass Memoirenschreiber Theodor Waigel selbst und noch daran glaubt, bei der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und beim Euro sei es um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Europa-Bevölkerungen gegangen. Wissen sollte er aber dennoch, dass mit den "Maastricht"-Kriterien und mit der damit legitimierten Zerstörung wesentlicher Teile der Daseinsvorsorge in Deutschland vor allem auch die Exporthegemonie der Konzerne mit Sitz in Deutschland durch die Schaffung zweier weiterer enormer Exportkonzerne gefestigt wurde.
Fragwürdig wird der Titel der Memoiren des ehemaligen Finanzministers "Ehrlichkeit ist eine Währung" im Zusammenhang der in den Jahren vor den Privatisierungen von Post und Bahn erfolgten Rundfunk-Privatisierung. Im Internet wird im Zusammenhang der im Zuge der Rundunk-Privatisierung groß wordenen KirchGruppe und deren Insolvenz angedeutet, Theodor Waigel habe im Zusammenhang des CDU-Parteispendenskandals wie andere CSU- und CDU-Minister auch verdeckte oder direkte Zuwendungen des Medienoligarchen Leo Kirch erhalten. Soweit zum Thema "Ehrlichkeit".
Bayerns lautlose Exportdetonation
Die Politikjahre nach dem Tod von Franz Josef Strauß 1988 waren in Folge des Anschlusses der Deutschen Demokratischen Republik und in Folge der Vorbereitung von EU und Euro für die neue "gesamtdeutsche" Öffentlichkeit in höchstem Maße okkult . Innenpolitische Aufregungen wie die "Reformen" von Post und Bahn sowie die Auseinandersetzungen um die Errichtung der höchst unsozialen Gesetzlichen Pflegeversicherung und auch die Organisationsreform der Gesetzlichen Krankenversicherung mit ihrer Entmündigung der regionalen Mitgliederschaften taten ein übriges.
In solchen Lagen holt der Überlegene, mehr noch der Überlegende die Beute.
Während der bayerisch-schwäbische Finanzminister in den frühen 1990er Jahren die Öffentlichkeit mit seiner "Steinbruchliste" (Gerard Bökenkamp) zur Reduzierung der Neuverschuldung durch den Großabbau von sozialen Steuervergünstigungen schockierte, nutzte die besonders exportorientierte Gewerbliche Wirtschaft Bayerns in aller Stille die zusätzlichen Chancen der Europäischen Einigung einerseits und der Auflösung des sozialistischen Wirtschaftsblocks andererseits.
Die damalige lautlose Exportdetonation Bayerns beschreiben die Industrie- und Handelskammern Bayerns in einer rückblickenden Analyse als eine Art Doppelstrategie: Stetige Ausweitung der Exporte in die EU-Nachbarvolkswirtschaften unter Nutzung wachsender Billigvorlieferungen aus den mittel- und osteuropäischen Nachbarökonomien.
Seit Mitte der 1990er Jahre stieg der Exportanteil der Umsätze des bayerischen Industriekapitals demgemäß stetig. Nach den Untersuchungen der Bayerischen Industrie- und Handelskammern waren Voraussetzung für diese Entwicklung vor allem die neuen EU-Rahmenbedingungen.
Die Streibl-Phase des Erfolgsmodells Bayern profitierte ohne Zweifel vom Stabilitäts- und Privatisierungsgeröhre des Amateur-Ökonomen Waigel, das jeden Ansatz zu einer kritischen Analyse eventueller negativer Nebenfolgen des bayerischen Exportismus übertönte. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass ein Preis, den die Bevölkerung Bayerns für die Stabilitäts- und Privatisierungspolitik Waigels zu bezahlen hatte, ein besonders exzessiver Abbau von Bahnstrecken in Bayern war. Nur Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt erlitten noch höhere Verluste.