Zweierlei Maß: Frankreich stuft Netanjahu trotz Haftbefehl als immun ein
Frankreich überrascht mit einer Kehrtwende beim Haftbefehl gegen Netanjahu. Anders als Putin soll Israels Premier Immunität genießen. Wie begründet Paris die Entscheidung?
Frankreichs Regierung hat erklärt, dass der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu trotz der vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ausgestellten Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen Immunität genießt. Begründet wird dies damit, dass Israel kein Mitgliedsstaat des IStGH sei berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.
Die Erklärung erfolgte kurz nachdem Netanjahus Kabinett einem von Frankreich vermittelten Waffenstillstand im Libanon zugestimmt hatte.
Sie steht im Gegensatz zur Haltung von Paris gegenüber dem Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen, den der Internationale Strafgerichtshof im vergangenen Jahr gegen Wladimir Putin, ebenfalls Staatschef eines Nichtmitgliedstaates, erlassen hatte.
Frankreich ändert Haltung zu Haftbefehl
Nach Ausstellung der Haftbefehle gegen Netanjahu und seinen ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant am Freitag hatte Frankreich zunächst signalisiert, seinen Verpflichtungen als Unterzeichnerstaat des Römischen Statuts, dem Gründungsdokument des IStGH, nachzukommen, sollten die beiden das Land besuchen.
Am Mittwoch schien das französische Außenministerium jedoch seine Position zu ändern.
"Ein Staat kann nicht verpflichtet werden, in einer Weise zu handeln, die mit seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen in Bezug auf Immunitäten von Staaten unvereinbar ist, die nicht Vertragspartei des IStGH sind", hieß es in der französischen Erklärung.
Und weiter: "Solche Immunitäten gelten für Premierminister Netanjahu und andere betroffene Minister und müssen berücksichtigt werden, sollte der IStGH uns auffordern, sie zu verhaften und auszuliefern."
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Israel hat den IStGH informiert, dass es die als "unbegründet" und "ohne sachliche oder rechtliche Grundlage" bezeichneten Haftbefehle anfechten will. "Sollte der IStGH die Berufung ablehnen, wird dies Israels Freunden in den USA und weltweit vor Augen führen, wie voreingenommen der IStGH gegen den Staat Israel ist", hieß es in einer Erklärung von Netanjahus Büro.
In den vergangenen Monaten hat Israel versucht, die Haftbefehle zu verhindern und teils mit geheimdienstlichen Methoden Druck auf den IStGH ausgeübt.
Kreative Auslegung des Römischen Statuts
Frankreichs Regierung bezieht sich bei ihrer Begründung auf Artikel 98 des Römischen Statuts. Dieser besagt, dass ein Land nicht in einer Weise handeln darf, die mit seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen in Bezug auf die diplomatische Immunität einer Person unvereinbar ist.
Artikel 27 des Statuts legt jedoch fest, dass die Immunität hoher Ämter den Gerichtshof nicht daran hindert, seine Gerichtsbarkeit über eine solche Person auszuüben.
Der IStGH entschied 2019, dass Artikel 98 nicht als "Immunitätsquelle", sondern vielmehr als "Verfahrensregel" zu verstehen sei, die regelt, wie der Gerichtshof um die Ausführung eines Haftbefehls ersuchen soll.
Vor kurzem urteilte das Gericht, dass die Mongolei gegen ihre Verpflichtungen als IStGH-Vertragspartei verstoßen habe, indem sie es versäumte, Putin bei einem Besuch im August zu verhaften. Artikel 98 habe dem russischen Staatschef keine Immunität vor den gegen ihn erhobenen Vorwürfen wegen Kriegsverbrechen gewährt.
Das französische Außenministerium erklärte damals, man unterstütze den IStGH uneingeschränkt, "getreu dem langjährigen Engagement Frankreichs zur Bekämpfung der Straflosigkeit".
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte die Entscheidung Frankreichs als "zutiefst problematisch".
Die Haltung zu Netanjahu stehe "im Widerspruch zu Frankreichs grundlegenden Verpflichtungen als IStGH-Mitgliedstaat". Ein Eckpfeiler des IStGH-Statuts sei, dass niemand über dem Gesetz stehe, einschließlich zur Verhaftung gesuchter Staatsoberhäupter wie Putin oder Netanjahu.