Russland entwickelt Methode zum Schutz vor Weltraumschrott
Auf klassische Ingenieurskunst setzen russische Wissenschaftler, um Raumstationen besser zu schützen. Dazu kombinieren sie innovativ vorhandene Technologien.
Wissenschaftler der russischen Samara-Universität haben eine kostensparende und technisch interessante Lösung vorgeschlagen, um Raumstationen in erdnahen Umlaufbahnen künftig vor Trümmerteilen zu schützen. Das System kann dazu beitragen, Unfälle im Weltraum zu verhindern und die Lebensdauer von Raumfahrtinfrastruktur zu verlängern
Das neuartige Verfahren ist darauf ausgelegt, Trümmer aus gefährlichen Umlaufbahnen "wegzublasen", wie es in der Fachzeitschrift Acta Astronautica heißt. Denn selbst kleine Weltraumschrott-Partikel können erheblichen Schaden anrichten, wenn sie mit einem – gar bemannten – Raumfahrzeug kollidieren.
Größere Trümmer, wie außer Betrieb genommene Satelliten oder alte Raketenstufen, stellen eine noch größere Bedrohung dar und können große Strukturen wie die Internationale Raumstation (ISS) komplett zerstören.
Große Gefahren durch Weltraumschrott
Derzeit ist die einzige Möglichkeit, Kollisionen zu vermeiden, die Anpassung der Umlaufbahn der Station mithilfe der bordeigenen Triebwerke oder der Antriebe von angedockten Raumfähren. Seit 1999 hat etwa die Internationale Raumstation (ISS) immerhin 38 solcher Manöver durchführen müssen. Dabei fallen jeweils erhebliche Treibstoffverbräuche an.
Die Forscher der Samara-Universität schlagen nun vor, Orbitalstationen mit einem spezialisierten Raumfahrzeug auszustatten, das bei Bedrohung durch Trümmer abgekoppelt wird. Das unbemannte Gerät würde dann auf die Trümmer zufliegen und den Schub seines Elektroantriebssystems nutzen, um die Trümmer von der gefährlichen Umlaufbahn "wegzublasen".
Nach dem Abdocken soll das Raumfahrzeug bis auf zehn Meter an das betreffende Trümmerteil heranfliegen und aus seinem Elektroantrieb einen Ionenstrahl auf die Trümmer richten. Diese Ionen würden auf der Oberfläche der Trümmer eine kleine Bremskraft erzeugen. Sobald die Trümmer sicher von ihrer bedrohlichen Umlaufbahn abgelenkt wären, würde das Raumfahrzeug zur ISS zurückkehren, um betankt und gewartet zu werden.
Mittels Ionenstrahl "wegblasen"
Ionenantriebe sind nichts Neues. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat etwa ein Ionentriebwerk für seine Dawn-Mission zu den Asteroiden Vesta und Ceres eingesetzt. Das DLR beschreibt die Technologie als "vergleichsweise sparsamen elektrischen Ionenantrieb, der seine Energie von der Sonne bezieht". Dieser eignet sich besonders für Langstreckenflüge.
Erstmalig wurde dieses innovative Antriebskonzept bereits 1998 bei der NASA-Mission Deep Space 1 zum Kometen Borrelly eingesetzt. 2004 testeten die Europäer erfolgreich einen eigenen Ionen-Antrieb auf der Mondsonde Smart-1.
Auch die Russen sehen die Herausforderungen für ihr System nicht in der Antriebstechnik, sondern vielmehr in der Unmöglichkeit, die Flugbahnen von Weltraumschrott über längere Zeiträume genau vorherzusagen. Potenzielle Kollisionsrisiken würden ungefähr zwei Tage vor dem Ereignis bekannt, woraufhin Ausweichmanöver berechnet werden.
Bis zu 90 Prozent Treibstoffersparnis
Um die Funktionstüchtigkeit ihres Systems zu simulieren und zu belegen, haben die Wissenschaftler von der Samara-Universität 289 Objekte mit einer Masse von über einem Kilogramm identifiziert, die theoretisch eine Bedrohung für die ISS darstellen könnten.
Für alle diese Trümmer simulierte das Team ein Manöver, bei dem sich das Raumfahrzeug abkoppelte, die Umlaufebene der Trümmer erreichte, sich bis auf zehn Meter näherte und sie mit Ionenstrahlen umleitete.
Bei der günstigsten Ausrichtung der Station und eines großen Zielobjekts bzw. Trümmerteils – z.B. eine Raketenstufe mit etwa 1,4 Tonnen Gewicht – als auch die ISS in der gleichen Umlaufbahn kreisen, könnte die neue Methode 90 Prozent Treibstoffs sparen.
Eine herkömmliche ISS-Bahnkorrektur verbraucht immerhin etwa zwei Tonnen Treibstoff, während das abgekoppelte Raumfahrzeug mit nur etwas mehr als 200 kg auskommen würde. Die ISS hat eine beachtliche Masse von deutlich über 400 Tonnen. Russland hat seine Mitarbeit bei der ISS bis 2028 zugesichert.