Kohleausstieg hinausschieben?
Energie- und Klimawochenschau: Von notleidenden Milliardären, außerirdischen Koalitionen, überraschten Politikern und wundergläubigen Kandidaten
Der sogenannte Bürgerrat Klima hat am gestrigen Dienstag sein Abschluss-Gutachten vorgelegt. Der Rat besteht aus 160 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern, die in den vergangenen Monaten mit Fachleuten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Organisationen der Zivilgesellschaft diskutiert haben, wie die Klimaziele der Pariser Übereinkunft von 2015 umgesetzt werden könnten. Schirmherr des Rates war der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler.
Zu den Empfehlungen des Bürgerrates gehört unter anderem der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energieträger, damit diese schon 2035 100 Prozent des Stroms liefern können. Zwei Prozent der Landesfläche sollten für Wind- und Solarenergie zur Verfügung stehen, wobei auch an Wasserflächen und die kombinierte Nutzung mit der Landwirtschaft gedacht wurde.
Für Dächer müsse es eine Solarpflicht geben, die EEG-Umlage gesenkt und diese auch von den energieintensiven Industrien gezahlt werden. Außerdem wird eine frühe Bügerbeteiligung beim Ausbau sowie eine Förderung von Bürgerenergieprojekten verlangt.
Im Handlungsfeld Mobilität werden unter anderem Tempolimits auf den Autobahnen, den Landstraßen sowie den Innenstädten gefordert. Der öffentliche Personennahverkehr ÖPNV müsse unverzüglich ausgebaut, optimiert und verbilligt werden. Ebenso müssten der Bahnfern-, der Güterverkehr und die Radinfrastruktur ausgebaut sowie E-Autos gefördert werden.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Bundesverband Erneuerbare Energien einen schnelleren Ausbau von Sonne, Wind & Co. Die im Erneuerbare-Energien-Gesetz definierten Ausbau Korridore müssten "deutlich angehoben werden", zumal die beiden Verbände von einem bis 2030 auf 740 Terawattstunden (TWh, Milliarden Kilowattstunden) anwachsenden Strombedarf ausgehen. 2019 waren es knapp 500 TWh.
Letzteres ist unter Fachleuten relativ unstrittig, denn künftig wird mehr Strom für Elektrofahrzeuge aber auch für das Heizen mit Wärmepumpen benötigt. Auch die geplante Wasserstoffproduktion per Elektrolyse wird viel elektrische Energie benötigen.
Ansonsten wird in der gemeinsamen Erklärung von der nächsten Bundesregierung eine Ausbildungsoffensive gefordert und einige Vorschläge gemacht, wie der Strompreis gesenkt werden könnte. Konkrete Ausbauziele für die Erneuerbaren werden nicht genannt, und auch der Widerspruch zum Weiterbetrieb schwerfälliger Braunkohlekraftwerke bis weit in die 2030er-Jahre hinein blieb ausgeklammert.
Notleidende Milliardäre
Man muss halt seine Prioritäten setzen, und die liegen beim DGB immer noch beim Schutz der großen Konzerne. Der Bundesregierung geht es da nicht anders.
Wie unter anderem der Sender RBB berichtet, beabsichtigt das Bundeswirtschaftsministerium die von Tesla in Grünheide bei Berlin geplante Batteriefabrik mit 1,1 Milliarden Euro zu fördern.
Die Fabrik ist Teil einer bereits im Bau befindlichen Komplexes, in dem Tesla-Chef Elon Musk demnächst Elektro-SUV für den europäischen Markt herstellen will. Eine abschließende Genehmigung hat er allerdings noch nicht.
Musk ist laut Forbes mit 151 Milliarden US-Dollar Vermögen der zweitreichste Mann der Welt, also dringend auf die Unterstützung aus Steuergeldern für seinen noch nicht ganz legalisierten Bau angewiesen.
Nur mal so zum Vergleich: Um für die unter der Corona-Pandemie besonders leidenden Kinder und Jugendlichen zu unterstützen, hatte die Bundesregierung über ein Jahr Zeit gelassen, um Mittel für Sozial- und Förderprogramme locker zu machen.
Ganze zwei Milliarden Euro war ihr das wert, und ausreichend Luftfilter gibt es auch im September 2021 noch nicht, während die Inzidenz bei Kindern vielerorts bereits bei über 200 liegt. (Spitzenreiter ist derzeit Leverkusen mit 855.)
Außerirdische Koalitionen
Über den Auftakt der Proteste gegen die Internationale Automobil Ausstellung in München (IAA) hat Telepolis bereits berichtet: "Wir machen die IAA zum Desaster": Automesse ruft Protest auf den Plan. Am gestrigen Dienstag gab es auf den Autobahnen um die bayerische Landeshauptstadt herum eine ganze Reihe von Blockaden. Für Donnerstag und Freitag ist in München eine Art Gegenkongress geplant, am Samstag wird es eine Demonstration eines Bündnis von Umwelt- und Klimaschützern geben.
Für die Meteorologen hat am 1. September der Herbst begonnen, auch wenn es in Mitteleuropa wieder ein bisschen freundlicher wurde. Für die zurückliegenden drei Sommermonate stellt der Deutsche Wetterdienst fest, dass es der seit zehn Jahren regenreichste Sommer war, wobei sich die Niederschläge aber sehr ungleichmäßig verteilt haben.
Im Durchschnitt lagen sie 30 Prozent über dem Mittelwert der Jahre 1960 bis 1989, aber regional traten sie zum Teil geballt auf und hatten am Nordrand der Eifel, im Rheinland und am Alpenrand zum Teil katastrophale Folgen. Über 180 Menschen starben durch die Hochwasser im Westen der Republik.
Das hatte natürlich auch mit mangelndem Katastrophenschutz sowie mit örtlichen Gegebenheiten zu tun, wie etwa mit der nicht ausreichend abgesicherten RWE-Kiesgrube in Erftstadt bei Bonn. Die höchste Niederschlags-Tagessumme gab es nämlich nicht dort, sondern im uckermärkischen Ludwigsburg am 30. Juni mit 198,7 Liter pro Quadratmeter. Das daran nördlich angrenzende Vorpommern gehörte hingegen mit dem Thüringischen Becken und der Region im Windschatten des Harzes zu den weiter zu trockenen Gebieten Deutschlands.
Doch dort, in Sachsen-Anhalt wähnt man sich offenbar auf einem anderen Planeten. Auf dem fanden im Juni Wahlen statt, und nun verhandeln CDU, FDP und SPD über einen Koalitionsvertrag. In einem von der SPD ins Netz gestellten Entwurf heißt es allen Ernstes, dass man gegebenenfalls auf eine "Anpassung" des Kohleausstiegs, also auf eine Fristverlängerung hinwirken will.
Überraschte Politiker
Sonst wäre noch zu berichten, dass der Europäische Gerichtshof die Energiecharta kassiert hat. Damit können keine Schiedsverfahren mehr hinter verschlossenen Türen durchgeführt werden, mit denen Energiekonzerne in der Vergangenheit gerne Staaten überzogen haben, deren Umweltpolitik ihnen nicht gefiel.
Oder dass auch US-Politiker keine Wetterberichte lesen oder Katastrophenwarnungen ernstnehmen und sich dann von schweren Hochwassern überraschen lassen. Wir hatten von den historischen Niederschlägen in New York City und den angrenzenden Regionen berichtet: New York unter Wasser.
Nun haben nach Informationen der britischen Zeitung Guardian der Bürgermeister von New York City Bill de Blassio und die Gouverneurin des Bundesstaates New York, Kathy Hochul, erklärt, dass das Unwetter für sie überraschend gekommen sei. Dabei hatte das Hurrikan-Zentrum des US-Wetterdienstes schon Tage zuvor die Zugbahn der Reste des Hurrikan "Ida" zutreffend berechnet und im Internet kommuniziert.
Zu berichten wäre auch noch, dass sich die Klima-Jungendbewegung auf ihren globalen Aktionstag am 24. September vorbereitet. In Deutschland sind bisher an 143 Orten Aktionen angekündigt.
Außerdem, dass am gestrigen Dienstag das Bündnis "Wir haben es satt!" vor dem Bundestag in Berlin gegen sogenannten Megaställe demonstrierten. 240.000 Schweine seien in der ausgehenden Legislaturperiode bei Bränden in deutschen Großstellen verendet. Trotz gravierender Brand- und Tierschutz-Bedenken seien derzeit 2,5 Millionen zusätzliche Tierplätze in großen Mastanlagen geplant.
Die industrielle Tierhaltung ist fatal für die Tiere, das Klima und uns Menschen. Die Erdüberhitzung können wir nur mindern, wenn wir weniger Tiere besser halten und den Fleischkonsum massiv reduzieren. Wir fordern jetzt eine mutige Politik, die pflanzliche und fleischlose Alternativen auf die Teller bringt und den Umbau der Tierhaltung anpackt.
Saskia Richartz, Sprecherin des "Wir haben es satt!"-Bündnisses
Des Weiteren wäre noch zu berichten, dass Vattenfall nördlich von Rügen seinen Offshore-Windpark Kriegers Flak in Betrieb genommen hat. Das Besondere an ihm: Er ist mit rund 600 Megawatt Dänemarks größter Offshore-Windpark und durch eine Verbindung zu einem benachbarten Windpark sowohl ans dänische Netz als auch an das deutsche angeschlossen.
Letzteres erhöht die Flexibilität auch für die beiden deutschen Windparks Baltic 1 und Baltic 2. Deren Seekabel, an dem nun auch der dänische Windpark hängt, speist in der Nähe von Rostock ins Netz ein.
Wundergläubige Kandidaten
Schließlich wäre noch darauf hinzuweisen, dass von der öffentlichen Debatte kaum wahrgenommen, die Suche nach einem Endlager für den hochradioaktiven Müll der deutschen Atomkraftwerke weitergeht. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hatte dazu im vergangenen Jahr einen Bericht vorgelegt, der auf einer soeben abgeschlossenen "Fachkonferenz Teilgebiete" erörtert werden sollte.
Während das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung mit dem Ergebnis hochzufrieden ist kommt Kritik von der Antiatom-Organisation .ausgestrahlt. Die Veranstaltung sei ihrem Anspruch nicht gerecht geworden, da "es schlicht an einer vernünftigen Diskussionsgrundlage" gemangelt habe, meint .ausgestrahlt-Sprecher Jochen Stay. Das habe an der Oberflächlichkeit des BGE-Berichts gelegen.
Und dann gibt es da tatsächlich einen Kanzlerkandidaten, der meint, man werde Stahl künftig ohne Kohle und Eisenerz herstellen können. Das ist immerhin halb richtig. Es ist tatsächlich möglich Roheisen aus Erz zu gewinnen, ohne dabei Koks einzusetzen.
Die Lösung heißt Wasserstoff, und eine erste Pilotanlage wurde vor etwa einem Jahr im nordschwedischen Luleå/Luleju eröffnet.
Der Prozess im Hochofen wird damit tatsächlich klimaneutral, aber es bleibt natürlich der Energieaufwand für Abbau und Transport, der bisher meist von Dieselmotoren geliefert wird. Und außerdem natürlich die mit dem Abbau verbundenen vielfältigen Umwelt- und Menschenrechtsprobleme.