"Wir machen die IAA zum Desaster": Automesse ruft Protest auf den Plan
Zehntausende werden bei Gegenaktionen zur IAA Mobility in München erwartet. Bayerns Innenminister will mit 4.500 Polizisten für reibungslosen Ablauf sorgen
Raumgreifend, wie die Automobilismus schon lange ist, soll in diesem Jahr auch die Internationale Automobilausstellung (IAA) werden: Nach 70 Jahren in Frankfurt am Main findet sie vom 7. bis zum 12. September erstmals in München statt - und zwar nicht nur in Messehallen, sondern auch auf zentralen Plätzen im gesamten Innenstadtgebiet. Shows und Konzerte auf dem Königsplatz sowie eine "Kids-World" auf dem Marstallplatz sollen das Spektakel für die ganze Familie unvergesslich machen.
So werden zwangsläufig nicht nur Autofans mit der Messe konfrontiert, die sich inzwischen IAA Mobility nennt. Neben Verbrennern und teils protzigen Elektroautos - darunter ein Porsche mit knapp 1.000 PS - werden auch Fahrräder ausgestellt und Sicherheitstrainings für E-Bikes und Pedelecs angeboten. "Greenwashing" nennen das Umweltbewegte, die zu Massenprotesten und zivilem Ungehorsam in Form von Blockaden aufrufen.
Angeblich größter Polizeieinsatz seit 20 Jahren
So wird die gewünschte Publikumsnähe der IAA durch zwei Dinge erschwert: durch die Corona-Regeln und dadurch, dass das Auto in Zeiten der Umwelt- und Klimakrise gesellschaftlich mehr als umstritten ist. Die geplanten Protestaktionen haben Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) veranlasst, den größten Polizeieinsatz anzukündigen, den die Landeshauptstadt seit 20 Jahren erlebt hat. In der Spitze werden bis zu 4.500 Polizistinnen und Polizisten eingesetzt, um einen reibungslosen Ablauf der IAA Mobility sicherzustellen. So sollen "Randale, Krawall und Gewalt" verhindert werden, wie Herrmann dem Münchner Merkur erklärte.
Großdemo und Fahrradsternfahrt
Das sei eben "das, was wir von der CSU seit vielen Jahren kennen", meint Uwe Hiksch von der Organisation NaturFreunde Deutschlands, der die Großdemonstration des Bündnisses #Aussteigen - Mobilitätswende jetzt! für den kommenden Samstag angemeldet hat. Mit solchen "Gewaltfantasien" sollten Menschen aus der Mitte der Gesellschaft von der Teilnahme an Demonstrationen abgehalten werden, sagte Hiksch, der am Montag einer Pressekonferenz im Münchner EineWeltHaus zugeschaltet war. Dabei sei die Demonstration so angelegt, dass auch Familien mit Kinderwagen und Menschen am Rollator teilnehmen könnten.
Dem Bündnis gehören neben den NaturFreunden Greenpeace, Attac, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) an. Letzterer streitet mit der Stadt noch um die Routen einer Fahrradsternfahrt mit bis zu 35.000 Teilnehmern, die ebenfalls am Samstag, dem 11. September stattfinden soll. Bei der Demonstration zu Fuß werden rund 10.000 Menschen erwartet, beide Aktionen sollen am Samstag gegen 14.30 auf der Theresienwiese enden.
Auf mehr als zehn Routen kommen Teilnehmer der Sternfahrt aus dem Umland in die Stadt. Drei von vier geplanten Routen innerhalb Münchens sind allerdings am Freitag verboten worden - elf Monate, nachdem der ADFC nach eigenen Angaben bereits die ersten Versammlungsanzeigen gestellt hatte. Das sei "ein absolutes Unding", sagte Andreas Schön vom ADFC am Montag im EineWeltHaus. So könne in einer Demokratie nicht mit lange angekündigten Protestformen umgegangen werden. Er kündigte an, die Verbote juristisch aufzuarbeiten. Bisher gebe es aber noch keinen rechtsmittelfähigen schriftlichen Bescheid.
Protestcamp auf der Theresienwiese
Eine juristische Auseinandersetzung läuft aber bereits darüber, ob für die Radsternfahrt auch Autobahnen benutzt werden dürfen. Auch die Organisatoren eines Protestcamps auf der Theresienwiese haben gegen Auflagen der Stadt geklagt, nachdem das Münchner Kreisverwaltungsreferat nicht genehmigt hatte, alle erwarteten 1.500 Teilnehmer des "Mobilitätswende-Camps" auf Spendenbasis mit veganem Essen zu versorgen und Zirkuszelte für Bildungsveranstaltungen aufzubauen. In einer Eilentscheidung erlaubte das Verwaltungsgericht München am Montag die Verpflegung; den Aufbau der Zelte untersagte es aber.
Gegenkongress für transformative Mobilität
Marion Tiemann von Greenpeace betonte am Montag, dass die IAA Greenwashing betreibe, wenn sie nebenbei Fahrräder ausstelle und 2,5 Tonnen schwere E-Autos als Kernstück der Mobilitätswende präsentiere. Wer hinter die Kulissen sehe, finde hier "dasselbe alte schmutzige Geschäft" vor. Die Autoindustrie wolle "immer mehr und immer größere Autos verkaufen". Um das Schlimmste an der Klimakrise abzuwenden, müssten aber weniger und kleinere Autos verkauft werden.
"Wir sagen nicht, dass alle Autos sofort verschwinden sollen", sagte Achim Heier vom Trägerkreis des parallel in München stattfindenden Kongresses für transformative Mobilität. Übergangsweise würden sicherlich Autos gebraucht, die möglichst mit Elektroantrieb fahren sollten. Klar sei aber, dass eine Flotte von 45 Millionen Autos in Deutschland nicht regenerativ betrieben werden könne. Außerdem strebe Volkswagen immer noch einen SUV-Anteil von 50 Prozent an.
Vor diesem Hintergrund wollen die Veranstalter die Mobilitätswende nicht als Antriebswende für den motorisierten Individualverkehr verstanden wissen. Vielmehr müsse auf die Schiene, den öffentlichen Nahverkehr und mehr sichere Radwege gesetzt werden. Der geplante Gegenkongress zur IAA beginnt am Donnerstag und umfasst mehr als 30 Veranstaltungen, auf denen Konzepte für klimagerechte Mobilität vorgestellt und erörtert werden sollen. Wenn es um Jobs und Umschulungen für Beschäftigte der Autoindustrie geht, sehen die Organisatoren als Ansprechpartner die Gewerkschaften. Vom Verband der Automobilindustrie (VDA) versprechen sie sich keinen konstruktiven Beitrag.
"Es geht um Deutungshoheit"
Ähnlich sehen das die Gruppen, die zu Aktionen des zivilen Ungehorsams aufrufen. "Wir blockieren am Freitag in einer Massenaktion die IAA", kündigte eine Sprecherin des Bündnisses Sand im Getriebe am Montag an. Die Automesse sei angesichts der Klimakrise eine "skandalöse Imagekampagne" und Elektroautos keine Lösung, sondern eine Fortführung der Ausbeutung von Mensch und Natur. "Mit der deutschen Autoindustrie ist keine Zukunft zu machen."
Bei dieser Messe gehe es um Deutungshoheit, betonte Anna Meyer vom Zusammenschluss Smash IAA. Auf dieser Messe solle für den längst überholten motorisierten Individualverkehr, für ein "Weiter wie bisher" und das Motto "Nach uns die Sintflut" geworben werden. "Wir machen die IAA zu einem Desaster", kündigte sie an.
Um Gewalt geht es dabei nicht; der Aktionskonsens lautet, dass keine Eskalation von den Versammlungen ausgehen soll, abgesehen davon, dass durch Blockaden der reibungslose Ablauf er IAA behindert werden soll. Allerdings lehnen die Aktiven der beteiligten Gruppen es auch ab, sich vorauseilend von militanteren Aktionen zu distanzieren. Rechtfertigungsbedürftig ist aus ihrer Sicht eher die "herrschende Gewalt", die sie sehenden Auges der Umwelt- und Klimakrise aussetzt. Um individuelle Konsumkritik an Autofahrern gehe es auch nicht, betonte die Sprecherin am Montag - vielmehr müssten Pendler durch eine echte Verkehrswende vom Zwang zum Autofahren befreit werden.
Seine Vision sei "eine grundsätzlich entschleunigte Welt" mit "fair verteilten Arbeitszeiten" von vier bis sechs Stunden am Tag, ergänzte Ralf Schauer von #NoIAA. So könnten Menschen ihre Wege entspannter zurücklegen.
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