Kolonialverbrechen und deutsche Schuld: Schlacht am Waterberg
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Start ins Jahrhundert der Völkermorde: Vor 120 Jahren wurde der erste Genozid begangen – von Deutschlands "Schutztruppe". Über ein zögerliches Eingeständnis.
Der Genozid an den Hereros, der zwischen 1904 und 1908 in Deutsch-Südwestafrika (seit 1990 Namibia) stattfand, stellt den ersten systematischen Völkermord des 20. Jahrhunderts dar. Er ist ein Beispiel für koloniale Brutalität, Rassismus und imperialistische Politik sowie für das zähe Ringen um die Anerkennung von Schuld durch heutige Regierungen.
Am Waterberg in Namibia fand am 11. August 1904 eine Schlacht zwischen aufständischen Herero und deutschen Militärs statt. Hier begann der erste Genozid des 20. Jahrhunderts, den die deutschen Kolonialtruppen am Volk der Hereros begingen.
Die Eskalation 1904
Die Hereros waren ein indigenes Volk, das in der Region lebte, als das kaiserliche Deutschland 1884 das Gebiet als Kolonie beanspruchten. Die Kolonialverwaltung führte eine aggressive Politik der Landnahme und Ressourcenausbeutung durch, die zu Spannungen zwischen den Hereros und den deutschen Siedlern führte.
Die Situation eskalierte 1904, als die Hereros unter der Führung von Samuel Maharero gegen die ungerechten Bedingungen und die Enteignung ihrer Ländereien aufbegehrten. Die sozialen Beziehungen zwischen den Deutschen und den Herero waren durch Rassismus geprägt, denn die Europäer fühlten sich den "Primitiven" überlegen, aber sie fürchteten die Einheimischen auch und
1904 griffen die Herero zu den Waffen, um sich gegen Unterdrückung und den Verlust ihrer Existenz zu wehren. Es wurde die "Spirale der Gewalt" in Gang gesetzt, wie sie heute oft im Nahost-Konflikt zu beobachten ist.
Die Reaktion der deutschen Kolonialbehörden war brutal. Unter dem Kommando von General Lothar von Trotha wurde eine militärische Offensive gegen die Hereros gestartet, die darauf abzielte, die Hereros systematisch zu vernichten.
Der international berühmte und auch in Deutschland preisgekrönte indische Kolonialismus-Kritiker Pankaj Mishra griff in seinem letzten Buch "Freundliche Fanatiker" die deutschen Kolonialverbrechen auf. Mishra verfolgt die Laufbahn von Generalleutnant Lothar von Trotha, der in China Einheimische abschlachtete und Ming-Gräber plünderte.
... doch seine eigentliche Arbeit lag noch vor ihm: in Deutsch-Südwestafrika (…) befahl von Trotha, auf alle Angehörigen des militärisch bereits besiegten Volks der Herero zu schießen, wo man sie nur fand, einschließlich der Frauen und Kinder, und sie in die Omahek-Wüste zu treiben, wo sie verdursten mussten.
Pankaj Mishra, Freundliche Fanatiker
Viele Einzelheiten blieben der historischen Forschung lange verborgen, auch weil das Adelshaus der von Trothas erst mehr als ein Jahrhundert später das Kriegstagebuch des Kolonialverbrechers freigab.
Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika
Die deutschen Truppen errichteten Konzentrationslager, in denen viele Hereros gefangen gehalten wurden, und die Bedingungen dort waren oft katastrophal. So mussten gefangene Aufständische in den KZ dahin vegetieren und bei schlechter Ernährung schwere Zwangsarbeit verrichten.
Ähnliche Konzentrationslager waren einige Jahre zuvor bereits von britischen Kolonialpolitikern errichtet worden, brutale Unterdrückungsmethoden waren integraler Kern des Kolonialismus. Schätzungen zufolge starben zwischen 60.000 und 100.000 Hereros während dieses Genozids, was einen erheblichen Teil der Bevölkerung ausmachte.
Dunkles Kapitel lange ignoriert
Die Taten der deutschen Kolonialmacht wurden lange Zeit ignoriert oder nicht ausreichend gewürdigt. Erst in den letzten Jahren hat die deutsche Öffentlichkeit begonnen, sich mit diesem dunklen Kapitel der Geschichte auseinanderzusetzen. Die Partei Die Linke forderte 2012 im Parlament die Bundesregierung von Kanzlerin Merkel auf, den Genozid endlich einzugestehen.
Auszug aus der Antwort zur Kleinen Anfrage "Historische, politische und juristische Hintergründe des Massakers gegen die Herero und Nama und Sachstand der Sonderinitiative", die Vorbemerkung der Fragesteller:
Zwischen 1904 und 1908 betrieben die Kolonialtruppen ("Schutztruppe") des deutschen Kaiserreichs in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, einen "Vernichtungsfeldzug" gegen die Herero und Nama.
Die Damara und San waren von der deutschen Kriegsführung ähnlich hart betroffen, auch wenn sie sich zu keinem Zeitpunkt in einem erklärten Krieg gegen das Kaiserreich befanden. Nach der nahezu einhelligen Meinung von Fachhistorikern handelte es sich dabei um den ersten in deutschem Namen verübten Genozid des 20. Jahrhunderts.
Er fußte auf den zwei ausgesprochenen und niedergeschriebenen "Vernichtungsbefehlen" des Generals Lothar von Trotha vom 2. Oktober 1904 gegen die Herero und vom 25. April 1905 gegen die Nama.
Deutsche Regierungen haben in den letzten Jahren zwar erste Schritte unternommen, um die Verbrechen anzuerkennen und sich mit den Nachfahren der Hereros auseinanderzusetzen. Doch dies ließ lange auf sich warten.
Besonders lange dauert offenbar die Anerkennung von Opfern, deren Hautfarbe oder behauptete Rassenzugehörigkeit nicht in die "Religion des Weißseins" (Mishra) passt. Bonner und Berliner Regierungen taten sich dementsprechend schwer mit der Aufarbeitung an afrikanischen Menschen begangener Verbrechen.
Entschädigungszahlen abgelehnt
Immer wieder haben verschiedene deutsche Regierungen Entschädigungszahlen abgelehnt. Jahrelang versuchten die Vertreter der Herero vergeblich, Deutschland außergerichtlich zu einer Anerkennung seiner Schuld zu bewegen.
Noch 1995 zeigte sich Bundeskanzler Helmut Kohl beim ersten Besuch eines deutschen Staatschefs in Namibia ignorant gegenüber der deutschen Kolonialvergangenheit.
Auch bundesrepublikanische Politiker hätten mehr als einmal die Möglichkeit gehabt, für Wiedergutmachung zu sorgen. Doch sie ließen alle Chancen verstreichen. Zu dem Unmut bei den Nachfahren der Opfer trug dabei vor allem die unnachgiebige Haltung der Bundesregierungen bei.
Als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) 1995 Namibia besuchte, lehnte er ein Treffen mit Herero-Repräsentanten in Swakopmund und Windhoek ab. Drei Jahre später ließ sich Exbundespräsident Roman Herzog gerade einmal zu der Feststellung hinreißen, dass der Mord zehntausender Herero wohl "nicht in Ordnung" gewesen sei.
Harald Neuber, Das verdrängte Massaker, 2008
Ein gerichtliches Nachspiel in den USA
Ab 2003 hatte der Genozid ein gerichtliches Nachspiel in den USA, das nicht nur den deutschen Staat, sondern auch Unternehmen in die Verantwortung nahm. Die Herero People's Reparation Corporation verklagte die Bundesrepublik Deutschland und zwei deutsche Firmen vor US-Gerichten auf jeweils zwei Milliarden Dollar.
Repräsentanten der Herero warfen Deutschland, der Deutschen Bank und der Schifffahrtsgesellschaft Woermann-Linie vor, Gräueltaten und Massenmord an 65.000 Herero begangen zu haben.
Die Deutsche Bank
Die Deutsche Bank, so die Klage, war die wichtigste Finanzinstitution in Südwestafrika von 1890 bis 1915. Denn die Disconto-Gesellschaft, die 1929 von der Deutschen Bank übernommen wurde, kontrollierte seinerzeit zusammen mit ihrer Muttergesellschaft die meisten Finanz- und Bankaktionen in Südwestafrika.
Die Bank war direkt und indirekt über die Disconto-Gesellschaft ein entscheidender Akteur bei den deutschen Kolonialgeschäften, woran sie damit rechtzeitig zum Jahrestag erinnert werden sollte. Laut Kauma Riruako, dem obersten Häuptling der Herero, war die Initiative durch erfolgreiche Klagen von ehemaligen NS-Zwangsarbeitern in den USA gegen deutsche Firmen inspiriert worden.
Auch wenn die Klagen nicht erfolgreich waren, blieben die Herero hartnäckig, sie klagten weiter. 2006 forderte die namibische Nationalversammlung die Regierung in Windhuk auf, sich gegenüber Berlin für die Anerkennung des Völkermords an Herero und Nama einzusetzen. Es dauerte jedoch noch weitere neun Jahre, bis Regierungsgespräche begannen.
1,1 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe
Die Kläger berufen sich dabei auch auf eine UN-Konvention für die Rechte indigener Völker von 2007, derzufolge diese an Verhandlungen, die sie direkt betreffen, beteiligt werden sollen. Deutschland und Namibia haben diese Konvention unterschrieben.
2021 wurde nach sechs Jahre dauernden Gesprächen um eine Wiedergutmachung für den deutschen Völkermord an den Herero und Nama eine erste Einigung erzielt: Deutschland erkennt den Völkermord an, entschuldigt sich und will 1,1 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe leisten.
Unverbindliches erstes Eingeständnis nach 100 Jahren
Zum 100. Jahrestag der Schlacht am Waterberg im August 2004 hatte auch die damalige deutsche Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit Heidemarie Wieczorek-Zeul vor Ort der Toten gedacht und sich dabei erstmals zur politischen und moralischen Schuld der deutschen Kolonialverwaltung bekannt.
Seitdem debattierte man etwas offener über eine offizielle Anerkennung der Verantwortung für den Genozid, bis Die Linke 2012 ihre entsprechende Forderung im Bundestag stellte.
Vertreter der Herero forderten 2011 die Rückführung von Herero-Schädeln, die im Zuge der kolonialen Besetzung für "wissenschaftliche" Rassenforschung nach Berlin gebracht worden waren. In der Berliner Charité, bei der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte und in Freiburger Universitätsgebäuden lagern noch immer viele dieser menschlichen Überreste.
Im November 2011 konnte eine Delegation von Herero die ersten Schädel in der Charité in Empfang nehmen und nach Namibia überführen. 2014 erfolgte eine zweite Übergabe und 2018 eine dritte Übergabe von Gebeinen.
Anerkennung des Völkermords
Seit 2015 erkannte die Bundesregierung die damaligen Ereignisse überhaupt als Völkermord an. 2021 hatte Außenminister Heiko Maas (SPD) schließlich die deutsche Verantwortung für den Genozid in Afrika eingestanden -erst nach dem Bekenntnis zum deutschen Beitrag zum Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich.
Dennoch bleibt die Debatte über die angemessene Form der Entschädigung und die offizielle Anerkennung des Genozids weiterhin ein sensibles und umstrittenes Thema.
Die Taktik des Aufarbeitungsweltmeisters Deutschland, nur so viel von der eigenen Verbrechensgeschichte offen zu machen, wie nicht mehr verschwiegen werden kann, und Reparationen und Entschädigungen möglichst lange hinauszuzögern, wird nicht nur im Fall der Herero und Nama angewandt.
So ging die deutsche Politik auch vor, als es um die Entschädigung der Zwangsarbeiter im NS ging. So ging sie bei den überlebenden Ghettorentnern vor, die über Jahre dafür kämpfen mussten, dass sie im Alter die Rente bekommen, für die sie im NS zwangsweise eingezahlt hatten.
Man zog die Entscheidung solange heraus, bis ein großer Teil der Betroffenen gestorben war.
Peter Nowak, 2016
Der Sozialrichter Jan Robert-von Renesse, so Nowak, der ehemaligen Ghettoarbeitern unbürokratisch zu ihren Renten verholfen hatte, wurde von seinen Kollegen gemobbt und mit Klagen überzogen. Dies erinnere an den berühmten Oberstaatsanwalt Fritz Bauer, der als NS-Gegner die Anklagen gegen Nazitäter vorantrieb.
Der jüdische Jurist, der mit den Auschwitz-Prozessen als erster westdeutscher Staatsanwalt gegen Nazi-Massenmörder vorging, habe erklärt, dass er sich in Feindesland bewege, sobald er sein Büro verlasse. Fritz Bauer, der eigentlich noch viele weitere Nazi-Verbrecher hätte anklagen können, starb laut Polizeibericht durch einen Suizid.
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Der Staat gegen Fritz Bauer
Die noch viel später einsetzende Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen hat nicht mehr mit so drastischer Gegenwehr mächtiger Täter-Netzwerke zu kämpfen. Dafür ist der Genozid an den Hereros ein erschütterndes Beispiel für die Grausamkeiten, die im Namen des Kolonialismus begangen wurden.
Es ist wichtig, diese Geschichte zu erinnern und zu reflektieren, um sicherzustellen, dass sich solche Verbrechen nicht wiederholen und um das Bewusstsein für die Auswirkungen von Rassismus und Kolonialismus in der heutigen Welt zu schärfen.
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