Kommt es jetzt zu Impf-Mobbing an Schulen?
Nach Stiko-Empfehlung für Immunisierung von Kindern und Jugendlichen ist eine Debatte um Impfteams an Bildungseinrichtungen entbrannt
Die Ausweitung der Impfkampagne auf Kinder und Jugendliche ab einem Alter von zwölf Jahren auf Schulen provoziert bei Bildungsexperten und Ärzten gleichermaßen Kritik.
Dabei wird nicht unbedingt die Entscheidung der Ständigen Impfkommission (Stiko) infrage gestellt, die vor wenigen Tagen entsprechende Immunisierungen von Minderjährigen empfohlen hatte, nachdem das Gremium von Vertretern von Bund- und Ländern heftig unter Druck gesetzt worden war.
Während also einerseits die Debatte über ein politisches Einknicken der Stiko, einem Gremium des Robert-Koch-Instituts, nicht abreißt, beanstanden Experten nun auch die Umsetzung der umgehend erweiterten Impfkampagne.
Durch den Einsatz mobiler Impfteams an Schulen würde potenziell Druck auf einzelne Minderjährige ausgeübt und sie würden der Gefahr von Mobbing ausgesetzt, hieß es seitens des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.
Während der Deutsche Lehrerverband eine schnelle Verabreichung der in der EU zugelassenen Vakzine gegen den neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 mit Blick auf eine rasche Rückkehr zu einem geregelten Schulbetrieb befürwortet, wies der Verband Bildung und Erziehung Impfungen an Schulen zurück.
Ungeachtet dieser Stimmen hatten mehrere Bundesländer umgehend mit Impfungen an Schulen begonnen. Am Donnerstag dieser Woche etwa nahmen sogenannte mobile Impfteams in Schleswig-Holstein ihre Arbeit auf.
Das Bildungsministerium in der Landeshauptstadt Kiel teilte mit, dass zunächst 24 Schulen an der Aktion teilnehmen. Insgesamt können sich Schülerinnen und Schüler ab zwölf Jahren an bis zu 250 Standorten von Gemeinschaftsschulen und Gymnasien impfen lassen:
Kinder unter 14 Jahren benötigen die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten. Kinder ab 14 Jahren können die Dokumente selbst ausfüllen und unterschreiben. Die Entscheidung über eine Impfung wird individuell und freiwillig von den Eltern bzw. Schülerinnen und Schüler getroffen.:Bildungsministerium Schleswig-Holstein
Starker Gruppenzwang an Schulen
Dieses Herangehen hatte der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte kritisiert - und damit die ohnehin laufende Debatte um eine sogenannte kalte Impfpflicht befeuert. Dieser Bezeichnung beschreibt den indirekten Druck auf Menschen, sich impfen zu lassen, ohne dass sie von dieser Entscheidung überzeugt sind. Der Druck kann entweder durch konkrete Nachteile – etwa Zugangs- oder Bewegungseinschränkungen – oder durch das soziale Umfeld ausgeübt werden.
"Die Jugendlichen stehen in den Schulen sehr stark unter Gruppenzwang, sodass eine freie und unabhängige Entscheidung schwierig wird", argumentierte der Bundessprecher des der Kinder- und Jugendarztverbandes, Jakob Maske, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Der Mediziner riet stattdessen zur Impfung in Praxen. Dies habe den Vorteil, "dass der Arzt die Familie und das Umfeld gut kennt und die Eltern besser beraten kann, ob die Impfung für die Familie sinnvoll ist oder nicht".
Vonseiten des Pädagogenverbandes VBE hieß es, man teile diese Bedenken. "Noch mehr als bei den Erwachsenen sollte in dieser Altersgruppe auf Freiwilligkeit gesetzt werden", so der VBE, daher sei es unbedingt notwendig, dass die betroffenen Kinder gemeinsam mit ihren Eltern und nach einer eingehenden Beratung durch den jeweiligen Kinder- oder Hausarzt eine informierte Entscheidung treffen.
"Ob dies einzulösen ist, wenn die Impfung in Impfmobilen vor der Schule erfolgt, halten wir für fraglich", so Verbandvorsitzender Udo Beckmann. Er sah auch die Gefahr von Konflikten, wenn Eltern und Jugendliche, die sich bedrängt sehen. Sie könnten entstehende Aggressionen an Lehrkräften und Schulleitungen auslassen oder gar Impfwillige angehen:
Die eigentlich gute Idee, dorthin zu gehen, wo sich die Kinder und Jugendlichen gewohnheitsmäßig aufhalten, wird so konterkariert. Die Kultusministerien, die vorhaben, Impfmobile an Schulen zu installieren, sollten daher mindestens darüber nachdenken, wie nachgewiesen werden kann, dass eine ausreichende Aufklärung gemeinsam mit den Erziehungsberechtigten stattgefunden hat, und zum anderen, wie der Schutz des Personals in den Impfmobilen und an Schulen sichergestellt werden kann.
Udo Beckmann, VBE
Dennoch großer Andrang in Praxen
In der Debatte wird allerdings weder von den Kinder- und Jugendärzten, noch von dem Pädagogenverband die Stiko-Empfehlung an sich infrage gestellt, sondern nur die Umsetzung. So bestätigte Verbandsprecher Maske, die Anfrage für Impfungen in der besagten Altersgruppe in Praxen von Kinder- und Jugendärzten sei sprunghaft angestiegen.
Maske zeigte sich davon überzeugt, dass viele Eltern und Jugendliche auf die medizinische Empfehlung der Impfkommission gewartet hätten. Allerdings habe der politische Druck zuvor "eher Skepsis und Verunsicherung erzeugt", zitiert ihn die Nachrichtenagentur dpa.
Eltern seien zur Immunisierung ihrer Kinder nicht nur motiviert, um den Gesundheitsschutz zu verbessern. Oft spiele auch die Sorge vor einer Ausgrenzung ungeimpfter Kinder in der Schule oder drohende Schulschließungen eine Rolle, sagte er – und bestätigte damit einmal mehr den bestehenden sozialen Druck.
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