Kommt jetzt die Diskussion mit den Kritikern der Corona-Maßnahmen noch in Gang?
Das Interview mit Anselm Lenz im Deutschlandfunk hätte Ende März gesendet werden sollen. Dann wäre vielleicht verhindert worden, dass sich Rechte als Freiheitsfreunde aufspielen
Die Massendemonstration der Coronamaßnahmen-Kritiker vom 1. August hat wohl auch den offiziellen Medien gezeigt, dass die Bewegung nicht so schnell wieder verschwinden wird. Dann sucht man Menschen, die bereit und in der Lage sind, für die Bewegung zu sprechen. Doch in der Regel haben die Bewegungen keine Sprecher, aber es gibt Aktive, die sprechen können.
So brachte der Deutschlandfunk am Samstag ein Interview mit Anselm Lenz, einen der Mitgründer der Koordinationsstelle Demokratischer Widerstand, des liberalen Flügel der heterogenen Protestbewegung. Lenz monierte in dem Interview, dass Wissenschaftler, die das Virus als nicht gefährlicher als eine Grippe sehen, in den öffentlichen Medien in Deutschland kaum zu Wort kommen. Dem entgegnete der Moderator, dass kritische Stimmen durchaus zu Wort kamen, was Lenz aber bestritt.
Erst auf nochmaliges Nachfragen räumte Lenz ein, dass hier und da eine kritische Stimme zu Wort kommt. "Der Tenor ist aber eine fanatische Überzeichnung der Gefährlichkeit des Virus", so Lenz. Auch auf Bill Gates, das Lieblingsfeindbild vieler Coronamaßnahmegegner, kam Lenz zu sprechen, konzedierte, dass er und seine Frau sich philanthropisch engagieren. Dann brachte Lenz beiläufig den Vater von Bill Gates mit Eugenik in Verbindung, ohne diesen schweren Vorwurf genauer zu begründen. Auch der Moderator ging auf diesen Punkt nicht ein.
Ist die Maske ein Symbol oder wirklich ein Schutz?
Ein längerer Disput entspann sich über die Frage, wie gefährlich das Virus ist und ob das Tragen einer Maske wirklich ein Schutz ist. Lenz beschwerte sich, dass man sein Interview auf 8 Uhr morgens abschiebt, in eine Zeit, wo wenige Radio hören. Doch das Argument geht aus mehreren Gründen in die Irre.
Zunächst gibt es genügend Menschen, die gerade morgens den Deutschlandfunk hören. Zudem kann das Interview weiter auf der Homepage des Deutschlandfunk abgerufen werden. Schließlich gab es, was selten vorkommt, in der Sendung am Mittag noch eine Einordnung des Interviews mit der Medizinjournalistin Christina Sartori. Sie erklärte, man müsse Angst vor dem Virus haben und verwies auf Bilder von Italien, Indien, New York und anderen Städten in den letzten Wochen.
Darüber hinaus verwies sie auf Daten, wonach eine Übersterblichkeit in verschiedenen Ländern festzustellen ist. Auch Lenz Aussage, dass das Maskentragen nichts bringe, widersprach Sartori. Neuere Forschungen hätten gezeigt, dass dann, wenn ein Mund-Nasenschutz getragen wird, sich das Virus wesentlich langsamer verbreitet, räumte aber ein, dass eine Maske kein hundertprozentiger Schutz vor der Ansteckung ist.
Montgomery und seine Wende in der Maskenfrage
Da hatte es Lenz einfach, auf Äußerungen von Wissenschaftlern und Ärzten von vor einigen Monaten zu verweisen, die, wie der mehrfache Ärztefunktionär Montgomery, noch vor einigen Wochen sagten, eine Maske, wie sie in Deutschland überwiegend getragen werde, sei völlig wirkungslos. Im Deutschlandfunk erklärte Montgomery am 27. April 2020:
Mir geht es um die gesetzliche Maskenpflicht, für eine nicht funktionierende Maske. Hätten wir alle funktionierende Masken, dann fände ich es sogar vernünftig uns zu verpflichten, sie immer zu tragen, wenn wir uns draußen bewegen. Aber eine gesetzliche Pflicht für nicht funktionierende Masken, halte ich für ein Armutszeugnis eines Staates.
Montgomery
Vor wenigen Tagen hat Montgomery diese Position widerrufen. Man wisse mittlerweile, dass Masken jeder Form "zwar nicht zu 100 Prozent, aber doch eine ganze Menge" helfen würden beim Schutz gegen Infektionen mit dem Virus. Daher unterstütze er auch Strafen für Maskenmuffel, erklärte Montgomery. Die Änderung seiner Position in dieser Frage, begründete er mit einem geänderten Wissenstand.
Ganz vieles von dem, was wir heute als Wissenschaft erleben, ist der Irrtum von morgen.
Montgomery
Diese Position ist zu unterstützen. Sie impliziert ja auch, dass wissenschaftliche Erkenntnisse keine ewige Wahrheiten, sondern immer umkämpft und umstritten sind. Das gilt selbst für die Naturwissenschaften. Nur durch diese Diskussionen und das Hinterfragen entstehen neue Erkenntnisse und werden oft langjährige Paradigmen hinterfragt. In diesem Sinne haben diejenigen Recht, die auch über die Gefährlichkeit von Corona und den Sinn von Masken eine öffentliche Diskussion einfordern.
Auch die Gegner der Coronamaßnahmen müssten Wahrheitsanspruch aufgeben
Es wäre auf jeden Fall sinnvoller gewesen, nicht so schnell mit Begriffen wie Verschwörungstheoretiker oder Coronaleugner zu hantieren und damit Wissenschaftler, die begründete Zweifel an der offiziellen Version geäußert haben, praktisch aus der Debatte auszugrenzen. Hätte es Interviews mit Anselm Lenz oder anderen Kritikern der Corona-Maßnahmen schon Mitte März gegeben, hätte vielleicht verhindert werden können, dass sich Rechte aller Couleur plötzlich als Freunde der Freiheit ausgeben.
Es ist allerdings fraglich, ob das Lenz-Interview der Auftakt einer Diskussion ist. Zumindest, wenn die Coronaproteste anhalten, könnte es da Verschiebungen geben. Das würde voraussetzen, dass auch bei den Gegnern der Coronamaßnahmen die Differenzierung einsetzt. Sie müssten ihren Wahrheitsanspruch, den viele von ihnen vor sich hertragen, aufgeben und einräumen, dass sie sich geirrt haben könnten. Zudem müssten sich Leute, die ernsthaft gegen autoritäre Staatlichkeit auf die Straße gehen, klar von Rechten trennen, die Freunde von Staatsautorität sind.
Auch das Verhältnis zu den Impfgegnern müsste geklärt werden. Die Forschung nach einem wirksamem Impfstoff kann man nur unterstützen. Er wäre das beste Mittel gegen einen Corona-Notstand. Doch es ist fraglich, ob es unter den Corona-Kritikern zu solchen Differenzierungen kommt. Denn das mehrheitlich bunte und alternative Äußere sollte nicht täuschen. Wenn auch viele beteuern, sie seien keine Rechten, haben doch die meisten "Alternativen" kein Problem, neben Rechten zu laufen. In Berlin haben vor einigen Wochen bei einer Kundgebung mit einer spontanen Abstimmung auch äußerlich Alternative dafür votiert, dass ein als Volkslehrer bekannter extremer Rechter auf einer Kundgebung reden kann.
Es wäre also zu kurz gegriffen, wenn mit dem Verweis auf die bunte Demonstration am 1. August bestritten wird, dass sie rechtsoffen war. Tatsächlich war es kein Naziaufmarsch, um das sprachlich zu differenzieren, wurde der Begriff "rechtsoffen" gewählt. Aber auch manche sehr alternativ Aussehenden können rechtsoffen sein. Wenn dann in einem Bericht in der KDW-Zeitung berichtet wird, wie Kritiker, die eine Antifafahne trugen, mit Nazis-raus-Rufen empfangen wurden, zeigt sich hier ein rechtsoffenes Verhältnis. Es gibt begründete Kritik an manchen Reaktionen von antifaschistischer Seite auf die Hygienedemonstrationen. Doch der Ruf Nazis-Raus, weil eine Antifafahne zu sehen ist, wurde in letzter Zeit auch bei rechten Aufmärschen praktiziert.
Europaweite Demonstration angekündigt
Für den 29. August wird bereits unter dem Motto "Berlin invites europa" zu europaweiten Protesten nach Berlin mobilisiert. Es wird sich zeigen, wer in den einzelnen Ländern die Ansprechpartner sind. Die Coronamaßnahmenkritiker beginnen ihr Mobilisierungsvideo mit einer Rede des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Müller, in denen er den Demonstranten vom 1. August Verantwortungslosigkeit vorwirft. Das zeigt deutlich, dass solche Politikerreaktionen den Gegnern der Corona-Maßnahmen nutzten.