Konjunkturpaket USA: Biden, der Sozialdemokrat?
Hilfen in Höhe von 1,9 Billionen US-Dollar: Helikoptergeld, Kindergeld, Arbeitslosenhilfe. Träume von einem Wachstum, von dem auch Deutschland profitieren könnte
Sind es die "Antifa-Unterstützer" (Trump) Joe Biden und Kamala Harris, die "Amerika wieder groß machen"? Die USA holen auf, sie sind schnell bei der Corona-Impfung, schneller als viele andere Staaten, schneller als Deutschland und beim Wirtschaftswachstum schnellen nun die Erwartungen in die Höhe.
Für das laufende Jahr rechne die OECD mit einem Wachstum in den Vereinigten Staaten von 6,5 Prozent, berichtet Klaus-Dieter Frankenberger in der FAZ von den gegenwärtig blühenden "schönsten Wachstumsträumen".
Einige Banken würden gar sieben Prozent Wachstum für möglich halten. Ob 6,5 Prozent oder 7 Prozent - ein solches Wirtschaftswachstum habe es seit 1984 nicht mehr gegeben: "Es könnte sogar das vielbewunderte chinesische übertreffen."
Als Grund für die rosigen Aussichten wird das Konjunkturpaket von Biden genannt. Erwartet werde, dass es "nicht weniger als ein Prozent zum globalen Wachstum beitragen wird". Auch Europa könnte von einem Stimulus-Effekt profitieren: mit einem Plus von 0,5 Prozent. Soweit die Wetteraussichten.
Rückgang der Arbeitslosenzahl
Heute wurden in den USA die aktuellen Arbeitslosenzahlen veröffentlicht. Das Arbeitsministerium verzeichnet bei den neuen Meldungen einen Rückgang um 42.000 gegenüber der Woche zuvor, die Zahl der neuen Arbeitslosenmeldungen ging von 754.000 auf 712.000 zurück. Das bestärke den Optimismus, wonach der wirtschaftliche Aufschwung von Dauer sein werde, kommentiert die New York Times. Als weiterer heller Flecken wird notiert, dass laut Arbeitsministerium im Februar 379.000 Jobs hinzugekommen sind, was als Zeichen einer "robusten Entwicklung" gewertet wird.
Begründet wird dies mit Lockerungen der Corona-Restriktionen und der die Aussicht auf weitere Öffnungen nicht zuletzt dank der Impfungen. Täglich werden zwischen zwei und drei Millionen Amerikaner geimpft.
Die Zeichen stehen auf eine Trendwende. Die Arbeitslosenzahl ist ein wichtiger Indikator. Man erinnert sich, wie stolz der Maga-Ex-Präsident war, als es vor Ausbruch der Corona-Pandemie die Erfolgsmeldungen gab, die er seinen Gegnern genüsslich vorhielt, die "Quadratur des Kreises": So wenig Arbeitslose wie sehr lange nicht mehr und dazu die höchsten Löhne "ever". Danach, etwa vor einem Jahr, kam die Corona-Krise und ein beispielloser Absturz der Ansagen aus der Trumpschen vierten Dimension: USA: 6,6 Millionen Arbeitslose in einer Woche.
In den Monaten darauf folgten Bilder und Nachrichten, die die Welt in Staunen versetzten: Zeichen einer Armut, die man aus den Problemländer kannte, sehr wohl auch vereinzelt aus den USA, dort wurden sie aber stets durch Erfolge verdeckt. Im Sommer 2020 war das dann nicht mehr zu übersehen: Hunger in Amerika.
In Trumps politischer Welt gab es keine praktischen, kompetenten Methoden gegen die Ausbreitung des Virus und die Auswüchse der Wirtschaftskrise, die nicht ihn und seinesgleichen betrafen, sondern die Mittelständler, nicht ganz Armen und mit voller Wucht die Armen. Er ging dann in seiner Dimension in die Offensive: Er warnte vor der sozialistischen, linksradikalen, Antifa-Regierung, die mit Biden und Harris zu erwarten war.
Der Auftakt zu einer neuen Sozialdemokratie in den USA?
Jetzt haben die beiden ihr erstes großes innenpolitisches Projekt vorgelegt und mit der Mehrheit der Demokraten durch den Senat und dann durchs Repräsentantenhaus (220 Abgeordnete gegen 211) gebracht: das Konjunkturpaket, der American Rescue Plan Act of 2021. Ein Rettungspaket mit einem Volumen von 1,9 Billionen US-Dollar, das die Trump-Regierung, so lange es ging, zu verhindern versuchte.
Der spektakuläre Dollar-Stimulus-Dimension dieses Hilfspakets wird überall herausgestellt. Die interessante politische Frage dazu lautet, wie sozial ist es, ist es gar der Auftakt zu einer neuen Sozialdemokratie in den USA, während genau diese Kraft in Europa am Verblassen ist?
Das Gesetzespaket ist sehr umfangreich, es braucht Zeit und Expertise, um dies kompetent zu beurteilen. In den ersten freundlich gesinnten Medienreaktionen wird hervorgehoben, dass sich Biden dabei um die Ärmsten kümmere und um den Mittelstand.
Insgesamt würden 13,1 Millionen Kinder und Erwachsene aus der Armut geholt, darunter 5,7 Millionen unter 18 Jahren, fasst etwa die vom Kongress finanzierte Voice of America (VOA) zusammen, wo man dazu setzt, dass auch die Einkommensungleichheit in den USA mit dem Hilfspaket adressiert würde.
Das Paket sieht Finanzhilfen für Familien, Arbeitslose, Bedürftige, für Schulen und Universitäten vor und soll vor allem auch die Wirtschaft ankurbeln, wie der oben erwähnte FAZ-Bericht herausstellt.
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Als Signatur des neuen Hilfspakets gilt der einmalig auszuzahlende Stimulus-Scheck von 1.400 Dollar, der an Millionen US-Amerikaner gehen soll. Ausgeschlossen davon sind alleinstehende Personen mit Einkünften von mehr als 80.000 Dollar im Jahr sowie Paare mit einem gemeinsamen Jahresgehalt von mehr als 160.000 Dollar. Die Gesamtkosten dafür werden auf 400 Milliarden Dollar geschätzt.
Eine weiter signalträchtige politische Hilfsmaßnahme sind die Arbeitlosenhilfen. Darüber gab es nach dem Auslaufen der großzügigen 600 Dollar an wöchentlichen Zahlungen, die Trumps Hilfspaket zu Anfang der Corona-Krise an Arbeitslose vergab, einen Streit zwischen Republikanern und Demokraten, der sich lange hinzog.
Bidens Hilfspaket sieht nun eine wöchentliche Auszahlung von 300 Dollar an Arbeitslose bis September vor - "zusätzlich zu den Schecks und der Unterstützung der lokalen Behörden. Wie hoch die sind, hängt vom Wohnort ab. Massachusetts, der großzügigste Bundesstaat, zahlt 555 Dollar pro Woche. Addiert man die 300 Dollar aus Bidens Hilfspaket hinzu, ergeben sich 3420 Dollar im Monat - ein extremer Wert für Amerika. In Mississippi, wo es bisher so gut wie keine Absicherung gab, sind es nun immerhin 2.140 Dollar" (Die Welt).
Die Mittelklasse
Dazu kommt eine Unterstützung, von der die Mittelklasse profitieren soll: "Eine typische vierköpfige Mittelklasse-Familie - Mann und Frau, die arbeiten, insgesamt 100.000 Dollar im Jahr verdienen und zwei Kinder haben - wird 5.600 Dollar bekommen, und es wird bald auf dem Weg sein", sagte Mr. Biden am Samstag zu Reportern.
Berufstätige Familien, die bis zu 150.000 Dollar verdienen, erhalten Direktzahlungen, Hilfe bei der Kinderbetreuung und erweiterte Steuergutschriften für Kinder, was ihr Jahreseinkommen während der Pandemie aufstockt.
New York Times
In der Welt wird dies noch präzisiert und als spektakuläre Einführung eines Kindergelds herausgestellt:
In den USA erhielten Familien bisher eine kleine jährliche Steuergutschrift, nun bekommen sie monatliche Schecks: 300 Dollar für jedes Kind unter fünf Jahren, 250 Dollar für Kinder zwischen sechs und 17 Jahren. Anspruch auf die volle Summe haben Eltern, die zusammen weniger als 150.000 Dollar jährlich verdienen.
Die Welt
Neun von zehn Familien könnten laut Schätzungen davon profitieren, während es bei den Steuergutschriften bisher weniger als drei von zehn gewesen seien. Die Maßnahme, deren Kosten auf 100 Milliarden Dollar beziffert wird, ist zunächst auf ein Jahr befristet.
Das neue Gesetz könnte die Gesamtarmutsquote in den USA von 12,3 % auf 8,2 % senken. Bei den Kindern unter 18 Jahren würde die Armutsquote von 13,5 % auf 5,7 % sinken, berichtet die VOA. Dort sind noch weitere gute Aussichten zu lesen:
Eine Analyse des Urban-Brookings Tax Policy Center ergab, dass der Gesetzentwurf das Nach-Steuer-Einkommen des ärmsten Quintils der Amerikaner um 20,1 % und das des zweitniedrigsten Quintils um 9,3 % erhöhen würde.
VOA
Kritik: "Kein soziales Programm"
Nicht alle sehen das Programm so freundlich. Bei den Republikanern soll die Ansicht vorherrschend, dass man den Bedürftigen damit keinen gefallen tue, weil man sie mit Staatshilfen in eine Abhängigkeit bringe, die die "Eigenmotivation" untergräbt - das klassische Gegenargument, meist geäußert aus einer Position, die Meritokratie in religöser Weise hochhält und die eigenen Startvorteile und Privilegien übersieht.
Kritik kommt aber auch von links. Der Analyst der World Socialist Website (WSWS) kann hinter spektakulären Einzelmaßnahmen wie der einmaligen Stimulus-Zahlung von 1.400 Dollar kein soziales Programm entdecken, die Arbeitslosenunterstützung sei nicht sonderlich hoch und gehe nur bis 29. August. Forderungen nach einem Mindestlohn wurden nicht aufgenommen.
Der Gesetzesentwurf ist ein verzweifelter Versuch der Regierung Biden und der Demokraten im Kongress, einen kompletten Einbruch der Konsumausgaben bis September abzuwenden, in der Hoffnung, dass sich die US-Wirtschaft bis dahin wieder erholen kann. Die Größe und der Umfang des Gesetzes haben an der Wall Street allgemeine Zustimmung gefunden, aus dem gleichen Grund - der Angst, dass ein starker Einbruch der Verbraucherausgaben die gesamte Wirtschaft in eine Abwärtsspirale schicken würde.
Patrick Martin, WSWS