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Kosmogramm für ferne Intelligenzen

Eine Welt ganz nach dem Geschmack von SETI, vor allem dann, wenn hierauf intelligente, technologisch interessierte Lebensformen existieren sollten, die selbst fleißig senden. Bild: NASA/ESA

Vor genau 40 Jahren sandten SETI-Forscher in etwas naiver Manier das bis auf den heutigen Tag stärkste Radiosignal ins All

Am 16. November 1974 sandte der SETI-Pionier Frank Drake (SETI=Search for Extraterrestrial Intelligence) mit der 305-Meter-Schüssel des Arecibo-Radioteleskops (Puerto Rico) knapp drei Minuten lang eine starke Radiobotschaft in Gestalt eines Piktogramms ins All, das selbst irdische Wissenschaftler nur unter großen Mühen entziffern können. Ob die für räumlich und zeitlich ferne Zivilisationen angedachte außerirdische Flaschenpost jemals ihr Zielgebiet erreicht, ist mehr denn fraglich. Dennoch kritisierte schon damals ein führender Astronom die Naivität der SETI-Forscher mit harschen Worten. Und noch heute befürchten Wissenschaftler, dass wir mit der stärksten jemals ins Weltall gepulsten Nachricht böse außerirdische Geister heraufbeschwört haben könnten.

Der drahtlose Rundfunk feierte sein Geburtsjahr Anno Domini 1896, zehn Jahre nach der Entdeckung der elektromagnetischen Wellen durch den deutschen Physiker Heinrich Hertz (1857-1894).

Erste Radiosendungen

In Gegenwart einiger Wissenschaftler gelang dem russischen Physiker Alexander Stepanowitsch Popow (1859-1906) [1] erstmals die schnurlose Übertragung von Signalen: auf eine Entfernung von 250 Meter. Es war eine Premiere ohne Generalprobe, die nur Insider richtig wahrnahmen - wie etwa der weitsichtige Guglielmo Marconi (1874-1937) [2]. Dieser sorgte im selben Jahr kurze Zeit später mit einer von ihm erfundenen geerdeten Dipol-Sendeantenne, eine modifizierte Version der Apparatur Popows, für Furore, weil sich seine Radiosendung gleich drei Kilometer durch den Äther bewegte.

Nachdem Marconi seine Apparatur im Juni 1896 patentieren ließ (noch vor Popow), 1899 die erste drahtlose Botschaft über den Ärmelkanal schickte und am 12. Dezember 1901 die erste transatlantische Funkübertragung von London nach Neufundland durchführte, begann der bahnbrechende Siegeszug des Radios, der die Informationslandschaft des beginnenden 20. Jahrhunderts drastisch verändern sollte. Maßgeblichen Einfluss hierauf nahm der kroatische Elektroingenieur Nikola Tesla (1856-1943), schuf er doch die technischen Grundlagen für den Rundfunk.

Irdischer Informationsmüll

Seit den ersten Radiosendungen der Menschheitsgeschichte wandert der Informationsmüll unserer Zivilisation in Form von Radiowellen unüberhörbar peu à peu ins All. Alles, auch der TV-Abfall der deutschen Privatsender RTL, Sat1, ProSieben u.v.a., die in der Vergangenheit mitunter den meisten geistig-elektromagnetischen deutschen Unrat fabriziert haben, verliert sich ins All.

Fakt ist: Unsere freizügig und freiwillig versandten Daten- sowie Informationspakete, insbesondere die Emissionen unserer Gesellschaft, die seit Jahrzehnten in Form von Fernseh-, Radio- und Radarwellen ungeplant in den Kosmos wandern, zeichnen kein rosiges Profil und Psychogramm unserer kriegerischen Art. Es bedarf keiner allzu großer Fantasie, um sich auszumalen, dass die elektromagnetische Visitenkarte, die der Homo sapiens seit Anfang des letzten Jahrhunderts ins All pulst, für friedliebende Hochkulturen im All, alles andere als einladend ist.

Eine hochstehende außerirdische Kultur, die sich dem Universum verbunden fühlt und mit dem Abfall unseres Radio- und Fernsehkonsums bereits vorliebnehmen musste, diesen überdies entschlüsseln und einordnen konnte, könnte - selbst gemessen an den uns bekannten moralisch-ethischen Maßstäben - einen empfindlichen interplanetaren Kulturschock erleiden. Vor allem sophistische, hochintellektuelle, allein der Philosophie zugewandte außerirdische Gesellschaften - es mag sie hier und da im Universum geben - könnten unser Funkfeuer und unsere Rasse als höchst beunruhigend erachten. Es wäre nur allzu außerirdisch, wenn diese auch die Arecibo-Nachricht von 1974 beharrlich ignorieren.

Die Arecibo-Nachricht vom Frank Drake aus dem Jahr 1974 war das stärkste Radiosignal, das unseren Planeten jemals verlassen hat. Bild [3]: NRAO/Cornell/Drake [4]

Drake Initiative

Das Arecibo-Abenteuer nahm seinen Anfang, als das (damals wie heute) weltgrößte teilbewegliche, im Durchmesser 305 Meter große Arecibo-Radioteleskops [5] in Puerto Rico (USA) 1971 als Folge von Materialermüdung zu Bruch ging. Drei Jahre werkelten Ingenieure und Techniker an dem Gerät, bis es ihnen gelang, die Riesenschüssel optimal zu konfigurieren und die Messempfindlichkeit der Antenne deutlich zu erhöhen. Hatte das Teleskop vor den Umbauten noch eine Reichweite von 6000 Lichtjahren, um mit einem theoretisch gleichartigen extraterrestrischen Pendant in Kontakt zu treten, so steigerte sich der Empfangsbereich nach der Umrüstung um den Faktor zehn. Im Bereich des Radiospektrums erschloss sich mit einem Male (fast) die ganze Milchstraße als weitläufige Kommunikationslandschaft.

Das Arecibo-Observatorium ist die zweitgrößte Radioschüssel der Welt. Durchmesser: 304,8 Meter; Fläche des Reflektors: 73.000 Quadratmeter. Bild [6]: Courtesy of the NAIC - Arecibo Observatory, a facility of the NSF [7]

Für Frank Drake und einige Mitarbeiter des Arecibo-Teleskops war dies Inspiration genug, anlässlich der Wiedereinweihung des Observatoriums eine Feier zu organisieren. In seiner Funktion als Direktor des staatlichen Astronomie- und Ionensphären-Zentrums (NAIC) nahm Drake die Fäden der Organisation in die Hand. Als seine Sekretärin, Jane Allen, den Vorschlag unterbreitete, während der Feier eine Radiobotschaft an Außerirdische abzusenden, machte er sich unversehens an die Arbeit. Da der Zeitdruck enorm hoch war, scharte er ein dreiköpfiges Team um sich.

Informationen für Aliens

Binnen weniger Tage komponierte die vier Forscher ein Piktogramm, das sich aus insgesamt 1679 Zeichen zusammensetzte, die sich selbst wiederum auf 73 Reihen zu je 23 Zeichen verteilten. Sie verdichteten sich just zu dem legendären Bildzeichen, das innerhalb der SETI-Community derweil Kultcharakter hat.

Die wichtigsten Informationen platzierten Drake und seine Kollegen am oberen Anfang der Grafik: die Zahlen eins bis zehn im Dualsystem. Direkt darunter bildeten sie eine Zahlenfolge ab. Sie sollte die wichtigsten chemischen Elemente für die Ausbildung biologischen Lebens versinnbildlichen: Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Phosphor. Neben anderen Informationen wie etwa die Bevölkerungszahl der Erde im Jahr 1974, die sich damals auf (nur) vier Milliarden belief und die Auflistung der neun Planeten beinhaltete das Piktogramm auch Hinweise auf die Doppelhelix und DNA-Moleküle.

Als das bekannteste und am leichtesten zu zuordnende Motiv springt die menschenartige, geschlechtslose Figur ins Auge. Die letzte, am unteren Rand des Bildtelegramms platzierte Struktur symbolisiert ein Radioteleskop, genauer gesagt die Arecibo-Schüssel, den Absender des Funksignals.

Arecibo aus dem Orbit. Aufnahme aus 1300 Kilometer Höhe. Bild: NASA [8]

Mathematik als universelle Sprache

Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ein potenzieller außerirdischer Empfänger den Wort- und Bildpunkt-Strichlaut des Diagramms richtig versteht, vertraute Drake bei der Ausformulierung seiner interstellaren Depesche auf die universelle Sprache der Mathematik. Er nutzte einige Elemente der 14 Jahre zuvor entwickelten exolinguistischen Kunstsprache LINCOS.

LINgua COSmica (LINCOS) [9] wurde von dem niederländischen Mathematiker Hans Freudenthal (1905-1990) entwickelt. 1960 stellte er die von ihm entwickelte logisch aufgebaute Kunstsprache LINCOS (lateinisch: LINgua COSmica) vor, die im Idealfall jede intelligente Lebensform - ob irdisch oder außerirdisch - verstehen sollte. LINCOS’ Struktur beruht auf mathematischen Aussagen und logischen Symbolen, sich selbst erklärende einfache Beispiele, auf die komplexere Codes folgen. "Zu Beginn [jeder Botschaft] sollten wir Fakten kommunizieren, von denen wir annehmen können, dass sie der Empfänger versteht", erklärte Freudenthal.

Quasi als Einleitung jeder übermittelten Botschaft erhält der Empfänger eine Art Wörterbuch in Form simpler Muster, die für Zahlen und einfache Rechenvorgänge stehen. Neben komplexeren mathematischen Formeln folgen Zeitangaben und Beispiele für richtige und falsche Aussagen. Obwohl Freudenthal offenließ, wie der Inhalt einer interstellaren Botschaft gestaltet sein sollte, war er sich doch wenigstens über die Art und Weise der Sendeart im Klaren. "Den Sound von LINCOS bilden Radiosignale von unterschiedlicher Länge und Wellenlänge."

Flaschenpost der anderen Art: Eine von den beiden legendären "Golden Records", auf denen ausgewählte Ton- und Bildinformationen der Menschheit gesammelt sind. Beide Raumsonden (Vogayer 1 u. 2) wurden jeweils mit einer bestückt. Auf dem Bild präsentiert sich nur die Außenhülle. Bild [10]: NASA [11]

Sekt und Champagner

Nachdem der erste Entwurf der Nachricht ausgearbeitet war, sandte Drake diesen an seinen Freund und Kollegen Carl Sagan, der zu diesem Zeitpunkt in Cornell als Direktor des Universitätslaboratoriums für planetarische Studien weilte. Sagan hatte mit dem Dechiffrieren der Botschaft weniger Probleme als der deutsche Radioastronom Sebastian von Hoerner (1919-2003) [12]. "Ich hab es auch mal probiert, doch bald wieder aufgeben müssen", so von Hoerner.

Als das Piktogramm ausgefeilt, die Nachricht sendebereit war und die letzten Arbeiten an der renovierten und modernisierten Reflektorschüssel beendet waren, startete am 16. November 1974 die Party. Während sich die Mittagssonne ihrem höchsten Stand am Taghimmel näherte und die tropische Hitze von Puerto Rico allseits zu spüren war, hieß man die 250 geladenen Gäste mit Sekt und Champagner willkommen, um sogleich zum Showdown überzugehen. Denn unmittelbar nach dem Begrüßungszeremoniell folgte der Höhepunkt der Gala. Doch nicht jeder (verspätete) Besucher kam in den Genuss, die Sendung des Kosmogramms live zu erleben, weil Drake sein Vorhaben im Vorfeld top secret gehandhabt und den Zeitpunkt der Sendung auf die für Partys untypische Zeit von 13.00 Uhr mittags (Ortszeit) terminiert hatte.

Carl Sagan mit einer 1:1-Kopie des Mars-Landers Viking 1, dessen Original nach marsianen Leben suchte. Bild: NASA [13]

10 Bits pro Sekunde

Der frühe Zeitpunkt der Veranstaltung war gezielt gewählt, befand sich doch um 13.00 Uhr der 25.000 Lichtjahre entfernte und aus 300.000 Sternen bestehende Kugelsternhaufen M13 (Sternbild Herkules), den Drake als Zielregion gewählt hatte, genau über Arecibo. Als eine laute Sirene den Anfang der Transmission ankündigte, bewegte sich - für alle Gäste gut sicht- und hörbar - der gewaltige Hängearm der Arecibo-Schüssel und wurde in seine Observationsposition arretiert. Der neue Aluminium-Reflektor ging nach seiner Überholung das erste Mal in Betrieb. Die Übertragung startete. Die 305-Meter-Antenne verrichtete ihr Werk. Die 169 Sekunden lange Nachricht wurde mit einer Sendegeschwindigkeit von 10 Bits pro Sekunde ins All gepulst.

Mit einer Sendeleistung von einer halben Million Watt, die sich in einem Strahl mit einer effektiven Leistung von zirka 20 Trillionen Watt konzentrierte, verabschiedete sich das Bildtelegramm vom Arecibo-Reflektor. Auf einer Grundfrequenz von 2,388 Gigahertz (GHz) respektive einer Wellenlänge von 12,6 Zentimetern entfernte sich das kompakte Radiosignal mit Lichtgeschwindigkeit.

Stark gebündelter Puls

Um die Zuschauer und Zuhörer näher an das Geschehen zu führen, wurde das bei der Sendung aufkommende Übertragungsgeräusch simultan über die Lautsprecher übertragen. "Dann erfüllten die zweistimmigen Töne der Botschaft die Luft wie das Klimpern einer seltsamen Musicalmelodie auf einem gigantischen Synthesizer", beschreibt Drake die Szenerie etwas theatralisch. "Dieses Lied, das so einzigartig und voller Sehnsucht war, bewegte uns tief."

Immerhin gelang es ihm und seinen Team, den energiereichen Strahl dergestalt kompakt zu bündeln, dass sein Durchmesser auf nur zwei Bogenminuten schrumpfte. Hätte jemand den Puls beispielsweise zum Mond gelenkt, hätte dieser nur die Fläche einer der größeren Krater beleuchtet. Und würde die Flaschenpost dereinst den kugelförmigen Sternhaufen M13 und eine dort lebende Zivilisation erreichen, wäre die Radiostrahlung des Signals 10 Millionen Mal stärker als jene, die sie von unserer Sonne empfangen würden.

Es ist kaum zu glauben, aber jeder auf diesem Bild zu sehende einzelne Punkt ist eine weit entfernte Galaxie. Natürlich sind wir nicht allein … alles andere wäre "irdische Hybris". Bild: ESA/Herschel/SPIRE/HerMES [14]

Signal mit Schwächen

Wie dem auch sei - das stärkste künstlich generierte Signal, das unseren Planeten jemals verlassen hat, hat auch seine Schwächen. Einerseits ist die Sendedauer des Kosmogramms höchst bescheiden, andererseits ist es auf einen klassischen Kugelsternhaufen gerichtet, in dem vergleichsweise alte Sterne mit Planeten existieren, die größtenteils aus Gas bestehen und wo schwerere Elemente eine absolute Rarität sind - und ergo Gesteinswelten eher seltener anzutreffen sein sollten.

Es ist auch nicht sicher, ob das Arecibo-Piktogramm jemals sein Zielgebiet erreicht, weil beim Entsenden der Botschaft Drake & Co. schlichtweg die Eigenrotation unserer Milchstraße nicht berücksichtigt haben. Dort, wo das Signal in knapp 25.000 Jahren auf den Kugelsternhaufen M13 treffen soll, wird mit größter Wahrscheinlichkeit nur leerer Raum sein. Die kleinere Materieoase M13 könnte dann schon viele Lichtjahre vom "Ankunftsort" des Signals entfernt sein.

Auch die im Dechiffrieren versiertesten Extraterrestren müssten zudem einige gedankliche Hürden meistern, um den aus Nullen und Einsen bestehenden Binärcode der Arecibo-Nachricht zu entschlüsseln. Sie müssten das Bildrätsel im Sinne ihrer Urheber interpretierten. Sie müssten zunächst einmal die Abfolge von 1 und 0 in einem Gitternetz als Schwarzweißbild anordnen. Sie müssten fernerhin die Zahl 1679, also die totale Anzahl der Signal-Bits, in die einzigen beiden Primfaktoren 23 und 73 zerlegen, um die Größe der Matrix zu definieren. Denn beide Werte geben die Länge und Breite des Rechteckes vor, in dem die Informationen abgebildet sind.

Ryles Ärger

Trotz der geringen Wahrscheinlichkeit, dass die Flaschenpost jemals von einer außerirdischen Technologie aus dem kosmischen Wellenmeer gefischt wird, verurteilten einige Wissenschaftler die Leichtsinnigkeit und Arglosigkeit der SETI-Forscher. Diese hätten das Signal zu schnell und zu freimütig ins All gefunkt. Am deutlichsten brachte der Radioastronom und britisch-königliche Hofastronom Sir Martin Ryle [15] (1918-1984) seinen Ärger zum Ausdruck. Nachdem die Nachricht über das Piktogramm von Arecibo über die Ticker gegangen und von vielen Zeitungen sensationslüstern kolportiert worden war, schimpfte der Brite über die in seinen Augen verantwortungslose, spontane und höchst gefährliche Aktion.

Martin Ryle erhielt 1974 zusammen mit Antony Hewish den Nobelpreis für Physik. Bild: The Nobel Foundation 1974 [16]

In einer Petition an den Präsidenten der Internationalen Astronomischen Union (IAU) [17] kritisierte er die Naivität von Frank Drake und die seiner Kollegen mit barschen Worten. Diese hätten die Position der Erde mit der Arecibo-Nachricht leichtfertig verraten, so Ryle. Böswillige und aggressive außerirdische Zivilisationen könnten theoretisch, von dem Signal ermutigt, einen kosmischen Eroberungsfeldzug mit dem Hauptziel Erde starten. Man könne nie wissen, ob es dort draußen feindselige oder hungrige Geschöpfe gebe, die, sollten sie von uns erfahren, uns angreifen oder sogar auffressen, argumentierte Ryle.

Auch wenn seine Äußerungen seltsam anmuteten und von anderen Wissenschaftlern eher mit einem Lächeln quittiert wurden - gefährlich war die Botschaft aus dem Regenwald in der Tat. Nimmt man die San Marino Skala [18] als Maßstab, dann war die Transmission der Arecibo-Flaschenpost zweifelsfrei fahrlässig und waghalsig.

San Marino Scale Bild: SETILeague [19]

Tiefgreifend und weitreichend

Entwickelt wurde die Skala von dem ungarischen Astronomen Iván Almár [20] während des sechsten "World Symposium on the Exploration of Space and Life in the Universe" im März 2005 in San Marino. In Anlehnung an die Richter-Skala soll das San-Marino-System das theoretische Risiko einer aktiven Funkbotschaft abschätzen.

Der Sinn und Zweck dieses Risikogradmessers besteht nicht darin, eingehende Funksignale, sondern ausschließlich abgesandte Botschaften auf ihr Gefahrenpotenzial hin zu messen, unabhängig davon, ob es sich hierbei um einen einseitigen irdischen Kontaktversuch oder sogar um ein Antwortschreiben, also eine Replik auf ein außerirdisches Signal handelt.

Im Vordergrund der Skala stehen charakteristische Parameter wie die Stärke der Transmission (im Verhältnis zur natürlichen Hintergrundstrahlung der Erde), die Senderichtung und Sendedauer, der Inhalt der Nachricht, insbesondere die damit einhergehende Intention des Absenders. Das Bewertungsspektrum reicht von eins (keine Gefahr) bis zehn (außerordentlich hoch).

Unter Anwendung des auf des San Marino Scale Calculator [21] lässt sich das Risiko jeder Sendung berechnen. Und für das so hoffnungsvoll entsandte Arecibo-Piktogramm, für die stärkste künstlich komponierte Emission in der Geschichte des Homo sapiens, die unsere Heimatwelt jemals verlassen hat, ist der Wert ein schlechter.

Schließlich bewertete selbst Frank Drake die vor 40 Jahren versandte Arecibo-Botschaft als einschneidend. Er und andere Wissenschaftler stuften sie als "tiefgreifend und weitreichend" und versahen sie mit dem San-Marino-Skalenwert 8. Und dies, obwohl die Flaschenpost das anvisierte Ziel, den Kugelsternhaufen M13, erst in 25.000 Jahren erreichen und eine Antwort frühestens in 50.000 Jahren vorliegt wird.

David Brin Bild: Privat [22]

Brins Kritik

Wenngleich die Wahrscheinlichkeit noch so gering ist - bereits eine einzige falsche Botschaft in die falschen Tentakel oder krabbenartigen Scheren könnte für den Absender im ungünstigsten Fall das Ende bedeuten. Vielleicht ist deswegen der renommierte Science-Fiction-Autor David Brin [23] nicht nur ein entschiedener Kritiker des Arecibo-Signals [24], sondern generell ein überzeugter Gegner der Active-SETI-Methode. Seit vielen Jahren warnt er explizit vor den Folgen einer zu freizügigen Entsendung irdischer Informationen ins kosmische Blaue hinein. Dadurch bestehe eine theoretische, wenngleich ausgesprochen geringe Gefahr, dass im Zuge einer maßlosen und einseitigen datenreichen Sendung außerirdische Geister heraufbeschworen werden könnten.

Denn wer kann uns glaubhaft garantieren, dass unter den vielleicht Millionen intelligenten Kulturen, die in der Milchstraße ihren Platz an ihrer Sonne gefunden haben, ausnahmslos friedliche Arten einladende Antwortschreiben aufsetzen? Wenn da draußen tatsächlich viele intelligente Spezies existieren, die sich darauf verständigt haben, allesamt zu schweigen, wäre es dann nicht naheliegend, so Brin, ihrem Beispiel zu folgen, wenigstens eine Zeit lang? Könnte es nicht sein, dass diese gute Gründe haben, um zu schweigen?

Diamonds Kritik

Mit Verve wetterte auch der Pulitzer-Preisträger und Evolutionsbiologe Jared Diamond [25] gegen die Arecibo-Flaschenpost. Die damalige Vorgehensweise von Frank Drake und seiner Entourage war für ihn "naiv" und "gefährlich":

Denken Sie unter diesem Geschichtspunkt noch einmal an die Astronomen, die Funksignale von Arecibo ins All sandten und darin beschrieben, wo die Erde liegt und wer sie bewohnt.

Denn einstmals hätte auch der Herrscher der Inkas den goldgierigen spanischen Eroberern von dem Reichtum seiner Stadt erzählt und diese damit nur noch neugieriger gemacht. Die Geschichte des Homo sapiens lehre eben, dass ein erster Kontakt und Austausch zwischen primitiven Völkern und hochstehenden Zivilisationen, die in unterschiedlichen Ökosystemen und Kulturen leben, sehr oft mit der Vernichtung des Schwächeren Endes:

Wenn dort draußen wirklich Zivilisationen existieren, die Radioastronomie betreiben und innerhalb unserer Reichweite sind, dann sollten wir um Himmelswillen unsere Transmitter ausschalten, um einen Kontakt zu vermeiden, andernfalls sind wir dem Untergang geweiht.

Stephans Quintett, so der Name dieser außergewöhnlichen Galaxiengruppe, befindet sich 300 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Wie viele intelligente Lebensformen mögen die fünf Welteninseln bislang beherbergt haben? Bild: NASA, ESA, and the Hubble SM4 ERO Team [26]

Drakes Eingeständnis

Doch höchstwahrscheinlich kommen derartige Cassandra-Rufe zu spät. Denn wenn hochstehende Kulturen und weit fortgeschrittene Technologien fernab der Erde ernsthaft daran interessiert sind, mit anderen hochintelligenten Lebensformen zu kommunizieren, werden sie längst alle Register der astrophysikalischen Kunst gezogen haben. Sie werden dank ihrer ausgefeilten Technik interstellare Kosmogramme mit spielerischer Leichtigkeit empfangen und dabei selbst das schwächste Radiosignal noch nachweisen. Für das Arecibo-Datenpaket gilt dies im Besonderen.

So gesehen ist es in der Tat bereits zu spät, wie Frank Drake in einem Interview mit Telepolis vor fünf Jahren freimütig einräumte [27]:

Wir haben uns längst verraten und sind leicht auszumachen. Es ist bereits zu spät. Wir senden schon seit vielen Jahren Radiosignale ins All, die auf unsere Existenz hindeuten. Alle warnenden Stimmen kommen leider zu spät.

Näheres zur Arecibo-Botschaft [28]


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Links in diesem Artikel:
[1] http://wissenschaft-und-technik.de/elektrotechnik/die-erfindung-des-radios.html
[2] http://www.biography.com/people/guglielmo-marconi-9398611
[3] http://www.news.cornell.edu/photos/decoded.GIF
[4] http://www.news.cornell.edu/releases/Nov99/Arecibo.message.ws.html
[5] http://www.astro.cornell.edu/facilities/arecibo.php
[6] http://www.naic.edu/public/about/photos/hires/ao014.jpg
[7] http://www.naic.edu/public/about/photos/hires/aoviews.html
[8] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Arecibo_66.75261W_18.34607N.jpg
[9] http://www.alexanderollongren.nl/ASTROLINGUISTICS,%20A%20GUIDE%20FOR%20CALLING%20E%20T.htm
[10] http://nssdc.gsfc.nasa.gov/image/spacecraft/voyager_disc.jpg
[11] http://nssdc.gsfc.nasa.gov/photo_gallery/photogallery-spacecraft.html#voyager
[12] http://www.daviddarling.info/encyclopedia/H/Hoerner.html
[13] http://www.jpl.nasa.gov/images/viking/sagan1-browse.jpg
[14] http://photojournal.jpl.nasa.gov/catalog/PIA13864
[15] http://nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/1974/ryle-autobio.html
[16] http://nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/1974/ryle-autobio.html
[17] http://www.iau.org/
[18] http://avsport.org/IAA/smiscale.htm
[19] http://www.setileague.org/iaaseti/smiscale.htm
[20] http://www.iau.org/administration/membership/individual/2548/
[21] http://avsport.org/IAA/smicalc.htm
[22] http://davidbrin.files.wordpress.com/2010/10/twotelescopedomes.jpg?w=300&h=200
[23] http://www.davidbrin.com/
[24] http://www.kurzweilai.net/meti-should-we-be-shouting-at-the-cosmos
[25] http://www.jareddiamond.org/Jared_Diamond/Welcome.html
[26] http://hubblesite.org/gallery/album/pr2009025c/
[27] https://www.heise.de/tp/features/Es-ist-bereits-zu-spaet-3382410.html
[28] http://www.physics.utah.edu/~cassiday/p1080/lec06.html