Krankenversicherung: Warum das Ende des Solidarsystems droht – und was Sie tun können
GKV-Beiträge steigen 2024 stark. Experten empfehlen 2,5 Prozent Zusatzbeitrag. Versicherte können reagieren, doch das System steht vor einer Zerreißprobe. Ein Leitfaden.
Im kommenden Jahr müssen sich die über 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland auf deutlich steigende Beiträge einstellen. Experten des sogenannten Schätzerkreises, dem Fachleute des Gesundheitsministeriums, des Bundesamts für Soziale Sicherung und des GKV-Spitzenverbands angehören, haben errechnet, dass der durchschnittliche Zusatzbeitrag von aktuell 1,7 Prozent um 0,8 Punkte auf 2,5 Prozent angehoben werden muss. Das teilte das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) am Mittwoch in Bonn mit.
Zwar handelt es sich beim durchschnittlichen Zusatzbeitrag um einen rechnerischen Wert, der nicht direkt auf den individuellen Beitrag jedes Versicherten durchschlägt. Dennoch wird die Anhebung für die meisten spürbar sein. Aber was bedeutet das konkret? Und wie können Versicherte darauf reagieren?
Erhebung auf Rekordniveau
Zusätzlich zum allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent, der seit 2015 festgeschrieben ist, können die Krankenkassen einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag erheben. Dessen Höhe legen die Kassen jeweils selbst fest, um ihre Kosten zu decken.
Addiert man den allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent und den vom "Schätzerkreis" empfohlenen durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 2,5 Prozent, ergibt sich ein Gesamtbeitrag von 17,1 Prozent – ein Rekordniveau.
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Rechnerisch bedeutet die Erhöhung des Zusatzbeitrags um 0,8 Punkte bei einem Bruttoeinkommen von 4.000 Euro eine Mehrbelastung von 32 Euro monatlich, die sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen. Allerdings ist dies nur eine grobe Faustformel. Wie viel Versicherte tatsächlich mehr zahlen müssen, hängt von ihrer individuellen Krankenkasse ab. Denn die Kassen entscheiden im November und Dezember, welchen Zusatzbeitrag sie im neuen Jahr verlangen.
Gründe für den Kostenanstieg
Dass die Beiträge so schnell und stark steigen, hat mehrere Gründe: Die Ausgaben der Krankenkassen wachsen in allen relevanten Bereichen, insbesondere bei Krankenhäusern und Arzneimitteln, schneller als die allgemeine Inflation. Gleichzeitig entwickeln sich die Einnahmen aufgrund der schwächelnden Konjunktur und stagnierender Löhne nicht mehr so dynamisch wie noch vor einigen Jahren.
Zudem kritisieren die Kassen, dass ihnen die Politik Aufgaben aufbürdet, die eigentlich aus Steuermitteln finanziert werden müssten - etwa die Gesundheitsversorgung von Bürgergeld-Empfängern. Um gegenzusteuern, fordern die Kassen höhere Steuerzuschüsse und Strukturreformen für mehr Effizienz im Gesundheitswesen.
Sparpotenzial durch Kassenwechsel
Doch was können die Versicherten tun, um ihre Beiträge im Rahmen zu halten? Eine Möglichkeit ist der Wechsel in eine günstigere Krankenkasse. Da die kassenindividuellen Zusatzbeiträge teils erheblich variieren, lässt sich durch einen Wechsel bares Geld sparen. Wichtig ist aber, nicht nur auf den Preis zu schauen. Auch Zusatzleistungen, Service und Erreichbarkeit sollten in die Entscheidung einfließen.
Bei einem Kassenwechsel ist zudem zu beachten, dass bestimmte Anträge wie etwa Hilfsmittel neu gestellt werden müssen. Die wichtigsten Leistungen sind in der GKV aber ohnehin einheitlich geregelt. Einen guten Vergleich der Konditionen bieten unabhängige Online-Portale.
Alternativen zum Beitragssparen
Wem der Aufwand eines Krankenkassenwechsels zu hoch ist, der kann auch auf andere Weise seine Gesundheitsausgaben reduzieren. Bonusprogramme belohnen beispielsweise gesundheitsbewusstes Verhalten mit Sachprämien oder Beitragsrückerstattungen. Durch die Teilnahme an Präventionskursen lassen sich unter Umständen künftige Behandlungskosten vermeiden.
Eine weitere Option ist die Wahl eines Selbstbehalttarifs oder eines Tarifs mit Beitragsrückerstattung. Hier winken bei geringer Inanspruchnahme von Leistungen Prämien. Allerdings ist genau zu prüfen, ob sich das individuell rechnet.
Politische Lösungen gefragt
Letztlich sind es aber die Rahmenbedingungen, die die Politik setzt, die über die künftige Beitragsentwicklung entscheiden. Der GKV-Spitzenverband mahnt grundlegende Strukturreformen an, um Effizienzpotenziale zu heben und die Finanzierung nachhaltig zu sichern. Ohne Reformen, so die Befürchtung, drohen in den kommenden Jahren weitere schmerzhafte Beitragssteigerungen.
Mögliche Maßnahmen für Versicherte im Überblick:
- Wechsel in eine günstigere Krankenkasse prüfen
- Zusatzleistungen, Service und Erreichbarkeit beachten
- Bonusprogramme für gesundheitsbewusstes Verhalten nutzen
- In Präventionskurse investieren
- Selbstbehalttarife oder Tarife mit Beitragsrückerstattung kalkuliere
- Politische Entscheidungen und Reformprozesse beobachten
Auch wenn es keine Patentrezepte gibt: Versicherte haben durchaus Möglichkeiten, auf steigende Krankenkassenbeiträge zu reagieren. Letztlich ist es eine individuelle Entscheidung, welcher Weg der passende ist. Klar ist aber auch: Ohne grundlegende Reformen im Gesundheitswesen werden die Beiträge auch in Zukunft eher steigen als sinken.