Kreide statt Knarre

Das PC-Game "EDU" verbindet Shooter-Elemente mit Wissen und soll einen neuen Ton in die Killerspiele-Debatte einbringen

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Das an der Uni Jena entwickelte Computerspiel „EDU“ zeigt allen Politikern, die sich den Mund fransig babbeln, wenn es um die so genannten Killerspiele geht, dass die Diskussion um ein Verbot derartiger Games weit am Ziel vorbeischießt. Steckt da, sofern es nicht menschenunwürdig zugeht, nicht vielleicht sogar Potenzial für Neues drin?

Jörg Müller-Lietzkow, Dozent an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, liebt das Spiel mit dem Feuer: Im Rahmen eines dreimonatigen Projekts hat er gemeinsam mit 32 Studenten einen Ego-Shooter mit Bildungsinhalt entwickelt. „Wie passt das denn zusammen?“, wird jetzt bestimmt der eine oder andere fragen. Besser als man denkt, die Antwort von dieser Seite. Denn programmiert ist es wie ein typischer Ego-Shooter, jedoch nicht auf der Basis einer bekannten Engine, sondern unter Zugriff auf einen Open-Source-Code.

Seminarleiter Jörg Müller-Lietzkow (r.) und zwei Studenten (Frank Richter und Thorsten Flügel, l.) aus seinem Team. (Foto: Uni Jena)

Eingangs entscheidet man sich, ob man als Student oder Professor ins Rennen gehen will. Dann gilt es, sich einen Charakter auszusuchen und sich ins Multiplayer-Getümmel zu stürzen. Dabei läuft man durch einen fiktiven Gebäudekomplex, der der Uni Jena nachempfunden wurde. Um dies zu bewerkstelligen wurden etliche Räume und Gänge der Hochschule fotografiert. Etliche der Bilder dienten später für die Texturen.

Ausgangspunkt für dieses Projekt ist die Diskussion um die so genannten Killerspiele. Die sei, so Müller-Lietzkow, „geprägt durch Meinungsmacher“, die ihr Handwerk verstehen. Im Grunde würden einige Politiker lediglich den Medien den passenden Stoff für ihre Berichterstattung bieten, seien sich Akteure wie Beckstein und Co. doch genau darüber klar, welchen Einfluss sie haben. Diese Macht würde „gut und intelligent exerziert“, zumal „der Mechanismus, etwas Schlechtes zu verkaufen, optimal funktioniert“ – Futter für die Hunde sozusagen.

Frauen stellten die Hälfte der Kursteilnehmer dar. (Foto: Uni Jena)

Doch genau dieses „Sündenbocksyndrom“, wie Müller-Lietzkow das Problem beim Namen nennt, will der Wissenschaftler aus der Welt schaffen. Dabei besteht für ihn selbstverständlich kein Zweifel daran, dass es nur allzu richtig ist, wenn menschenunwürdige Games, wie aktuell „Manhunt 2“, verboten werden. Mit gutem Geschmack habe dies nämlich wiederum nichts zu tun. Das Dilemma sei vielmehr, dass Games „das jüngste Medium darstellen und so am meisten angreifbar sind“. Die Frage, die sich für den Dozenten aus dem Ganzen ergibt: „Sollen wir ein Herstellungsverbot, eine Gesetzesverschärfung oder gar eher eine Liberalisierung vornehmen?“. Auf jeden Fall müsse das „mit gesundem Menschenverstand angegangen werden“. Doch tatsächlich würden „diejenigen, die moderate Meinungen vertreten, überhört“ werden. „Im Vordergrund steht Populismus, denn letztlich geht es bloß um Wählerstimmen."

Dieser negativen Entwicklung wollte der Wissenschaftler nicht tatenlos zuschauen, auch wenn er in jüngster Vergangenheit schon mit vielen Politikern über das Thema gesprochen hat. Bis dato scheint das wohl eher für die Katz gewesen sein. Im Februar hat er sich deswegen überlegt, wie er das Thema anders anpacken könnte. Also hat er sich hingesetzt und Ideen für ein Computerspiel auf neun Karteikärtchen gekritzelt. Mit seinem Konzept wandte er sich an seinen Chef. Dem schlug er vor, im Sommersemester ein optionales Seminar anzubieten. Es stand zur Disposition, sich dem Themenkomplex Projektmanagement theoretisch oder praktisch zu nähern. Gesagt, getan: 32 von 33 Studenten haben sich für den praktischen Ansatz entschieden. Mitte April ging’s los.

Huch?! Sieht ja eher wie „Quake“ und Konsorten aus... (Foto: Magdans)

„EDU“ ist das Ergebnis, ein Ego-Shooter, den man ausschließlich mit Wissen gewinnen kann. Innerhalb von 12 Minuten müssen zwei Teams so viele Quest-Points wie möglich erreichen, Orte, an denen es dann gilt, Fragen zu beantworten. Davon kann einen dann nur das gegnerische Team abhalten. Sterben jedoch wird niemand in dem Game.

Wir wollten akademisches Niveau haben und denjenigen Jugendlichen, die sich für ein kommunikationswissenschaftliches Studium interessieren, vermitteln, was denn überhaupt auf sie zukommt – also ein Marketingtool für Universitäten.

Müller-Lietzkow

Wen das neugierig gemacht hat, der kann sich die Demo herunterladen. Die macht schon allerhand Spaß, denn anstatt einer Knarre rennt man mit Kreide in der Hand durch die Korridore. Es gibt aber auch einen Edding und einen Schwamm sowie ein zusammengerolltes Blatt Papier, mit dem sich Papierkügelchen abfeuern lassen. Die „Waffe“ bewegt sich sogar genau so, wie man es von einem Schießeisen in einem gewöhnlichen Ego-Shooter gewohnt ist – echt witzig! Sogar die Tastaturbelegung ist klassisch. Aber wie sonst würde man es auch erwarten, wenn der Initiator selbst ein leidenschaftlicher Gamer ist?

Mal schauen, wer sich in der Mensa verkrochen hat. (Foto: Magdans)

Bislang ist „EDU“ bloß ein Prototyp. Aller Voraussicht nach wird dieser allerdings weiter ausgebaut. Müller-Lietzkow hat nämlich einen guten Draht zur Branche und steht längst in Kontakt mit Publishern, die reges Interesse an dem ausgefallenen Konzept zeigen. Auf die Frage, wie das wohl ausgebaut werden könnte, sagt der Dozent:

Ich habe längst eine Idee, wie das Ganze aussehen soll, und wenn ich sage ‚soll’, dann meine ich auch wirklich ‚soll’.

Wie aus „EDU“ ein marktreifes Produkt wird, hänge schließlich von den Investoren und den Fördertöpfen ab. Wollen wir also nicht lang um den heißen Brei herumreden, könnte doch vielleicht schon auf der Games Convention Ende August eine neue Pressemeldung veröffentlicht werden.