Lachs: Ist Deutschlands beliebtester Speisefisch in Gefahr?
Ausbrechende Zuchtlachse aus isländischen Farmen bedrohen wilde Bestände. Sie könnten sich kreuzen. Warum sterile Gen-Lachse auch keine Lösung sind.
Rund 3.000 Menschen hatten sich mit Transparenten vor dem Parlament in Reykjavik versammelt und warfen rund 70 tote Zuchtlachse vor das Regierungsgebäude. Die toten Fische waren aus isländischen Flüssen gezogen worden. Sie gehörten zu den rund 3.500 ausgewachsenen Lachsen, die Mitte August aus einer Zuchtanlage von Arctic Fish entkommen waren.
Die Protestaktion Anfang Oktober richtete sich gegen die intensive Lachszucht in den isländischen Fjorden.
Mittlerweile jagen norwegische Harpunenfischer in der Region von Isafjördur sowie in den ganzen Westfjorden Zuchtfische. So holten sie dreizehn entflohene Zuchtlachse, die aus einer Anlage aus einem mehr als 100 Kilometer entfernten Fjord entwichen waren, aus einem Fluss inmitten einer Vulkanlandschaft.
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Die zerquetschten Rückenflossen weisen darauf hin, dass die Tiere zusammen mit zehntausenden Artgenossen in den Netzen zusammengepfercht waren.
Auch früher sind bereits einzelne Exemplare in die Flüsse entkommen. Doch nun erreichen die Ausbrüche eine neue Dimension, findet Elvar Fridriksson von North Atlantic Salmon Fund, eine kleine isländische NGO, die den Wildlachs schützen will.
Das liegt auch an mangelnden Kontrollen: In Patreksfjördur, wo die erwähnten 3.500 Lachse ausbrachen, führte die Firma vor dem Entdecken der Löcher drei Monate lang keine Kontrollen durch. Die Netze müssten eigentlich wöchentlich inspiziert werden.
Seit dem Ausbruch bei Arctic Fish im Sommer wurden offiziell 500 Zuchtlachse aus verschiedensten Flüssen gezogen. Wenn sich die Lachse in den Flüssen mit Wildlachsen paaren, schwächen sie deren Population, befürchten die Umweltschützer.
Es entstehen Mischlinge, die schlechter an die Umwelt angepasst sind und sich weniger gut fortpflanzen können. Dies wiederum bedroht die wilden Bestände, die in der Folge sogar aussterben könnten.
Weil die Lachszucht in Norwegen an ihre Produktionsgrenzen stößt, weichen norwegische Unternehmen nach Island aus. Arctic Fish und Arnarlax sind die größten Produzenten in Island. Die meisten Zuchtfarmen befinden sich in den Westfjorden, wo ein Meeresarm am anderen ins dunkle Vulkangebirge hinein greift.
Wie in Norwegen schwimmen die 18 Meter tiefen Zuchtanlagen mit acht bis zwölf Netzen von 35 Meter Durchmesser im offenen Wasser. In jedem Netz drängen sich bis zu 120.000 Lachse – mehr als das Doppelte des isländischen Wildlachsbestandes. Knapp zwei Jahre dauert die Mast, bevor die Tiere geschlachtet werden.
Nun aber fehlt es in den Fjorden an Platz für weitere Netze, weshalb der Staat keine neuen Lizenzen vergibt. Aus diesem Grund expandieren die Unternehmen in andere Gewässer und kaufen isländische Zuchtbetriebe auf. Island steigerte seine Lachsproduktion – im Zeitraum von 2014 bis 2022 von weniger als 4000 auf 51.000 Tonnen jährlich.
Ziel der Regierung ist es, diese Mengen zu verdoppeln.In der norwegischen Produktion werden derzeit jährlich 1,5 Millionen Tonnen Lachs hergestellt.
Hybridisierung wird atlantische Lachsbestände stark schädigen
Seit rund fünfzig Jahren züchten norwegische Forscher schnell wachsende Fische. Doch während die Bestände der Zuchtlachses expandieren, ist die Population des wilden Atlantischen Lachses von zehn auf drei Millionen Fische eingebrochen.
In Norwegen, wo bereits in 70 Prozent der Flüsse Zuchtlachse schwimmen, führt die Paarung von domestizierten mit wilden Lachsen zu einem Nachwuchs, der schneller geschlechtsreif wird, wie Studien zeigen. Das wiederum bringt den natürlichen Rhythmus des Wildlachses durcheinander und mindert seine Chancen, sich zu vermehren. Außerdem sind die Jungtiere unvorsichtiger und lassen sich eher von Räubern fressen.
In Island könnten diese Einkreuzungen noch problematischer sein als in Norwegen, weiß Leo Alexander Gudmundsson vom Institut für Meeres- und Süßwasserforschung in Hafnarfjördur. Denn die Atlantischen Lachse bilden eine eigene Abstammungslinie, die sich vor etwa 11.000 Jahren abgespaltet hat. Die Gene der aus Norwegen stammenden Zuchtlachse sind für die isländischen Wildfische noch fremder. Brechen mehr Zuchttiere aus, werden diese für immer mehr hybriden Nachwuchs sorgen, befürchtet der Biologe.
Schließlich sei es undenkbar, dass die Harpunenfischer alle Lachse von Arctic Fish erwischen. Die Wildlachse werden zwar nicht aussterben, doch können die Zuchtlachse die Population stark schädigen.
Drangvolle Enge in den Gehegen fördert Vermehrung von Parasiten
Am schlimmsten ist die Lachslaus – ein Krustentier, das sich von der Haut und dem Blut der Fische ernährt. Manche Zuchtlachse sind davon übersät und werden bei lebendigem Leib aufgefressen. Auch Viren und Bakterien töten die Fische. Die Betreiber kalkulieren mit einer Mortalitätsrate von satten 20 Prozent.
Im Januar 2022 etwa verlor Arctic Fish 2500 Tonnen Zuchtlachs von insgesamt 10.000 Tonnen Lachs – ein Viertel des Bestandes im Fjord. Wie sich herausstellte, war der Zustand der Kiemen schlecht, viele Fische litten an Herz und Muskelentzündungen.
Zudem war der Lachs im Sommer davor zwischen den Bassins transportiert und im Dezember gegen die Lachslaus behandelt worden. Beides hatte die Fische geschwächt. Hinzu kam, dass wegen begrenzter Schlachtkapazität bis zum Jahresende kein Lachs geschlachtet werden konnte, so dass die Tiere länger als üblich in den Bassins aushalten mussten.
Ständige Unwetter gaben den kränkelnden Fischen schließlich den Rest. In einem Fjord im Westen wurden kürzlich rund eine Million Zuchtlachse notgeschlachtet: Sie waren so stark von Lachsläusen befallen, dass selbst Pestizide nichts mehr gebracht hätten, wie es in einer Mitteilung hieß.
Auch im Meer lebende Wale, Orcas, Robben, Heringe und Garnelen sind durch die Zuchtfarmen bedroht, denn die Exkremente der Lachse geraten ebenso ungefiltert ins Meer wie die Pestizide gegen Parasiten.
Widerstand gegen Lachszucht wächst
Mittlerweile realisieren immer mehr Inselbewohner, dass die Farmen nicht nur den Zuchtfischen schaden, sondern auch der Umwelt. Zudem gefährden die Zuchtlachse das Auskommen im Hinterland.
Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung sind inzwischen gegen die Zuchtlachsindustrie. Um die Missstände zu bekämpfen, präsentierte die Regierung kurz nach der oben genannten Protestaktion einen neuen Gesetzesentwurf: Wer gegen Auflagen verstößt, muss zur Strafe die Produktion einschränken.
Künftig darf auch nur noch eine Firma pro Fjord Anlagen betreiben, was die Bekämpfung von Parasiten und das Einhalten von Umweltauflagen erleichtern soll. Dies sei zwar ein "Schritt in die richtige Richtung", doch längst noch nicht ausreichend, findet Umweltschützer Elvar Fridriksson.
Auch im Inland funktioniert Lachszucht – nicht in Gehegen, sondern in großen Tanks. Die Bedingungen sind ideal: Es gibt günstigen Strom durch Geothermie und Wasserkraft und genug freie Flächen in der Nähe von Wasser.
Es gibt keine Lachsläuse, die Fische können nicht fliehen, das verschmutzte Wasser wird gefiltert. Die Zuchtfische aus den offenen Netzanlagen werden nach Nordamerika und in europäische Länder exportiert. In den meisten Restaurants in Reykjavik wird der Lachs aus den Tanks auf der Insel serviert.
Sterile Gen-Lachse fielen durch Risikobewertung
Im April wurde in Norwegen ein Antrag auf eine experimentelle Freisetzung von Lachsen aus Neuer Gentechnik (NGT) gestellt, wie Testbiotech berichtet. Bei den Fischen wurden mittels CRISPR/Cas-Verfahren Gene ausgeschaltet, die für die Entwicklung der Fortpflanzungsorgane wichtig sind.
Ziel ist es, die sterilen Lachse, die auch zum Patent angemeldet sind, in der Fischmast mit Netzen im Meer einzusetzen. Die Sterilität soll ihre Ausbreitung in der Umwelt verhindern. Auch könnten die Tiere bei Bedarf länger gemästet werden als ihre konventionell produzierten Artgenossen.
Das Norwegian Scientific Committee for Food and Environment (VKM) lehnte den Antrag nach einer Prüfung jedoch ab. Begründung: Es fehle der Nachweis, dass tatsächlich alle gentechnisch veränderten Tiere steril sind.
Das wiederum liege an der mangelnden Präzision der Neuen Gentechnik. So gibt es bei den CRISPR-Lachsen zwischen den einzelnen Tieren erhebliche genetische Unterschiede in den veränderten Genen.
Weil nur ein Teil der Fische, die von den Gen-Lachsen abstammen, die erwünschten Merkmale aufweisen, könne es bei der Auswahl der Tiere für die Mast zu Verwechslungen kommen. Zudem sei unklar, wie sich die Gen-Lachse in der Umwelt verhalten.
So könnten sie zu Konkurrenten der jüngeren Fischen der natürlichen Populationen werden, die in den Flüssen rund um die Fischfarmen leben. Falls sie nicht völlig steril sind, könnten sie die künstlichen Gendefekte weitergeben und so die natürlichen Populationen schwächen. Die Gen-Lachse könnten zudem krankheitsanfälliger sein und zur Ausbreitung gefährlicher Erreger in den betroffenen Regionen beitragen.
Kann man Lachs noch mit gutem Gewissen verzehren?
Eine wirklich artgerechte Haltung von Lachs in Zuchtbetrieben sei nicht möglich, resümiert das Verbrauchermagazin Ökotest in einem Bericht von 2021. Allerdings gebe es innerhalb der Aquakulturen erhebliche Unterschiede.
Meist seien die Besatzdichten zu hoch, und viele Lachse verenden, bevor sie ihr Schlachtgewicht erreicht haben. Das Futter für Zuchtlachse wird teilweise zu deutlich mehr als fünf Prozent aus anderen Fischen gewonnen.
Um zu vermeiden, dass Aquakultur andernorts zur Überfischung beiträgt, sei eine noch stärker pflanzenbasierte und nachhaltigere Fütterung wünschenswert. Auch sinken Futter und Ausscheidungen oft auf den Meeresboden ab und stören dort das Öko-System.
Anders sehe aus bei den Wildlachsbeständen in den getesteten Fanggebieten vor Alaska. Diese seien gesund, der Fischfang dort daher vertretbar. Weil der wandernde Lachs sich gut gezielt abfangen lässt, gebe es kaum Beifang.
Zerstörerische Fangmethoden wie Schleppnetze würden nicht eingesetzt. Leider sei der Weg zur Schlachtung für die Tiere unnötig leidvoll, denn meist werden die Fische erst lebend transportiert. Nur in einem der getesteten Produkte wurde der Wildlachs vor der Schlachtung richtig betäubt.