Lackierte Kampfhunde: das Auto als Waffe und männliche Selbstwertprothese

Seite 3: Wenn Hypernormalität mit dem Gegenteil schwanger geht

Der Täter von Trier hat seine Amokfahrt überlebt und so besteht Aussicht, dass der Mann selbst Aufschluss über seine Beweggründe geben kann. Meist kennen diese aber auch die Täter selbst nicht. Der Täter wird sich voraussichtlich als freundlicher, unauffällig und zurückgezogen lebender Einzelgänger entpuppen, wie so viele Amoktäter seines Alters und Schlages vor ihm. Nachbarn und Freunde werden ihn als "sympathisch und still" schildern. Nichts Monströses wird zum Vorschein kommen.

Er entspräche damit ziemlich genau dem Profil des Amokläufers, das darin besteht, keines zu sein, weil es auf Millionen von unauffällig lebenden Menschen zutrifft. Er verkörpert eher eine Form von Hypernormalität, die offenbar manchmal mit ihrem Gegenteil schwanger geht. Die Normalität der bürgerlichen Ordnung gebiert Ungeheuer.

Nach der Festnahme werden die Täter so lange befragt und von ihren Anwälten beraten, bis sie schließlich eine halbwegs plausibel klingende Erklärung abgeben. Das anfängliche "Ich weiß nicht, warum ich das getan habe" war oft noch das Ehrlichste und kam der Wahrheit am nächsten. Wieder einmal liegen Idyll und Grauen dicht beieinander. Mitten im vorweihnachtlichen Einkaufsrummel bricht plötzlich die Gewalt hervor und demonstriert, dass die an der Oberfläche ach so friedliche Gesellschaft der Waren und des Geldes die permanente Kriegsdrohung zu ihrem verborgenen Kern hat.

Es scheint mir kein Zufall, dass die Tatwaffe ein SUV gewesen ist. Ursprünglich fürs Militär entwickelt, verwandeln sie heute die Straßen in ein Kriegsgebiet. Man klettert an Bord, sinkt in die Ledersitze und lässt die Tür ins Schloss fallen. Alle Geräusche verebben, nichts kann einem mehr etwas anhaben. SUV-Fahrer haben das Gefühl, in einer Burg zu sitzen. Je höher man sitzt, desto eher unterschätzt man die Geschwindigkeit und man neigt dazu, riskanter zu fahren.

Ein kleiner Druck aufs Gaspedal und schon bewegt man sich mit 160 oder 180 Stundenkilometern auf der Autobahn fort. Der starke Motor brummt und vermittelt ein Gefühl unbegrenzter Machtfülle. Klein- und Mittelklassewagen werden aus der Sicht des SUV-Fahrers zu Ungeziefer, das vor der schieren Masse dieser Wagen erschrocken ausweicht. Erst recht Fußgänger und Radfahrer.

Mit dem SUV hat der Sozialdarwinismus das ihm gemäße Gefährt hervorgebracht. Man ist Herr der Lage. Man reitet eine Kanonenkugel. Man ist der King. Auch Herr über Leben und Tod, wie man in Trier gesehen hat.

"Mein Auto fährt auch ohne Wald"

Bei einer Wanderung auf einem kurzen Straßenabschnitt entlang eines feuchten Talgrundes stieß ich auf drei von Autoreifen zerquetschte Feuersalamander. Dem Feuersalamander gehört seit je her meine besondere Sympathie. Als Kind war ich großer Fan der Lurchi-Comics mit ihren gereimten Texten, die man in Schuhgeschäften gratis bekommen konnte. Meine Stiefmutter versuchte mir weiszumachen, man bekomme die nur, wenn man etwas kaufe. Dem war aber keineswegs so. Man musste einfach nur zu Kasse gehen, dort lagen sie stapelweise zum Mitnehmen bereit.

Die Produktbindung hat bei mir nicht funktioniert, aber geblieben ist mir eine Verehrung der Feuersalamander. Als ich die plattgewalzten Salamander auf der Straße liegen sah, fiel mir eine Szene aus Malapartes Roman "Die Haut" ein. Beim Einmarsch der Amerikaner in Rom läuft ein Mann jubelnd auf eine Panzerkolonne zu. Er möchte die amerikanischen Soldaten als Befreier vom Faschismus begrüßen.

Er rutscht aus, wird von einem Panzer überrollt und regelrecht plattgewalzt. Dann wird das, was von ihm übrig ist, von anderen "wie ein Teppich aus Menschenhaut aus dem Straßenstaub gelöst" und "wie eine Fahne geschwenkt". "Das ist die Fahne Europas dort, das ist unsere Fahne", ruft jemand. Aus irgendeinem Grund ist mir diese Szene im Gedächtnis geblieben, und die toten Salamander haben sie aus den Tiefen meines inneren Literatur-Ozeans an die Oberfläche geholt.

Auch aus ihnen hätte man kleine Fähnchen machen können, um mit ihnen gegen den mörderischen Straßenverkehr und die Vernichtung der Natur zu demonstrieren. Auf dem Heimweg sahen wir am Straßenrand einen toten Fuchs liegen. Die Zahl der von Automobilen getöteten Tiere ist Legion. Wer begriffen hat, dass ein Hase, ein Igel, ein Rotkehlchen und ein Fuchs dasselbe Existenzrecht besitzen wie ein Mensch, und dass wir mit ihnen dieselbe Erde bewohnen, den packt angesichts dieses Massakers das Grausen.

Drei Tote Salamander auf einem Straßenabschnitt von 150 Metern Länge müssten eigentlich Anlass genug sein, diese Straße für den Autoverkehr zu sperren. Aber man komme mal im Gemeinderat mit einem solchen Vorschlag! "Das wäre ja noch schöner, wo kommen wir da hin!", würden die Vertreter der autophilen Parteien fragen, sich kopfschüttelnd abwenden und nach der Sitzung ihren SUV besteigen.

Die Naturzerstörung geht ungebremst weiter. Die Leute wohnen der Abholzung der Wälder - aktuell in unserer Region des Dannenröder Forstes - ungerührt bei. Sie verfahren nach einem Motto, dass mein Freund Fritz vor vielen Jahren angesichts des Waldsterbens so formuliert hat: "Mein Auto fährt auch ohne Wald!"

Zur Dialektik des Automobils

Das Auto hatte bei uns Linken nicht immer eine derart schlechte Presse. In seinen Anfängen als Alltagsvehikel war es für viele Mitglieder meiner Generation auch ein Instrument der Befreiung. Das Wirtschaftswunder, in das wir hineinwuchsen, wurde von den fordistischen Industrien mit dem Automobil als zentralem Produktions- und Konsumgut getragen, das auch für die kleinen Leute erschwinglich wurde.

Ob vom ersten selbst verdienten Geld für ein paar hundert Mark gekauft oder vom Vater oder älteren Geschwistern geliehen, erweiterte das Auto den Radius, in dem wir uns bewegten. Den Führerschein machte man mit dem achtzehnten Geburtstag. Er galt als Kennzeichen der endlich erreichten formellen Erwachsenheit, die für uns gleichbedeutend war mit dem Schwund elterlicher Kontrolle und Bevormundung.

Die Revolte der späten 1960er Jahre bediente sich des Automobils, und zwar in verschiedener Weise. Die Notstandsgesetze drohten, der Krieg in Vietnam eskalierte, an den Universitäten gärte und brodelte es. Die Kader reisten in alten, schrottreifen Kisten von Teach-in zu Teach-in, nahmen auf der Rückbank eine Mütze Schlaf oder machten sich Notizen für den nächsten Auftritt. Hans-Jürgen Krahl, der klügste Kopf des antiautoritären Flügels des SDS, ist auf einer solchen Tour im Februar 1970 in Nordhessen ums Leben gekommen.

Auf den Rücksitzen der Autos wurden aber nicht nur Reden vorbereitet, sondern es wurde auch geknutscht und dabei Musik gehört. Jerry Rubin, eine Ikone der amerikanischen Gegenkultur, schrieb in seinem Buch "Do it!" über dieses Thema: "Während es vorn im Wagen aus dem Radio ‚Turn Me Loose‘ rockte, machten sich die Kids auf den Rücksitzen von den Fesseln los. Manche Nacht wurde auf dunklen, einsamen Straßen damit verbracht, dass man zu hartem Rock vögelte. Der Rücksitz des Automobils war die Wiege der sexuellen Revolution und das Autoradio das Medium der Subversion."

Diese emanzipatorischen Aspekte, die das Auto auch einmal besaß, sollten wir nicht unterschlagen und vergessen. Lang ist ‚s her! In fast jedem Familienalbum finden sich Fotos, auf denen sich der Besitzer des ersten Automobils stolz vor seinem Gefährt ablichten ließ, gern mit den Kindern an seiner Seite. Diese Bilder zeugen vom Stolz auf eine neu erworbene Freiheit. Wo ist sie abgeblieben? Wann kippte das?

Allein die Entwicklung der Zahlen ist ein Beleg dafür, dass mit einem Auto kein Distinktionsgewinn mehr zu erzielen ist: 1960 waren in der alten Bundesrepublik knapp fünf Millionen Autos zugelassen, letztes Jahr waren es beinahe 48 Millionen. Aus einem Fortbewegungsmittel ist ein Verstopfungsmittel geworden. 23 Stunden am Tag stehen die Autos unbenutzt herum und belegen einen großen Teil des öffentlichen Raums, wenn man sie benutzt, steht man ab der nächsten Ecke im Stau. Rasender Stillstand, lautete deswegen die Diagnose des im Jahr 2018 gestorbenen französischen Philosophen Paul Virilio.

Fahrradkapitalismus

Ich habe Freunde und Bekannte, die haben sich ganz dem Kampf für eine autofreie Stadt und für die Einrichtung von Fahrradstraßen verschrieben. Ich unterstütze diesen Kampf, weil er nach Maßgabe einer ökologischen Vernunft richtig ist, bin aber skeptisch, ob uns das einer befreiten Gesellschaft näher bringt. Auch eine Gesellschaft von lauter Radfahrern und Radfahrerinnen würde am kapitalistischen Charakter der Gesellschaft nichts ändern.

Ein grüner, digitaler Kapitalismus könnte sich durchaus von den fossilen Brennstoffen und vom Verbrennungsmotor verabschieden und voll und ganz auf neue Formen der Mobilität setzen. Aber noch der schönste, gendergerechteste und fahrradbasierte Kapitalismus bleibt Kapitalismus. Anders gesagt: Nicht die Art Weise, wie die Menschen sich fortbewegen und welche Identität sie sich geben, entscheidet über den Charakter einer Gesellschaft, sondern die Art Weise, wie produziert und der produzierte Reichtum verteilt wird.

Solange die Produktion eine kapitalistische ist, werden die wesentlichen Entscheidungen unter dem Aspekt der Profitrate getroffen. Woraus dieser Profit geschlagen wird, ist dem Kapital im Prinzip egal. Dem Geld ist es schnuppe, ob einer oder eine schwul, lesbisch oder nichts von beidem ist oder welche Hautfarbe er oder sie hat. Hauptsache, es lässt sich Gewinn aus seiner Arbeitskraft schlagen. In Anzeigen und Werbespots sind die sogenannten people of color auf dem Vormarsch.

Manche Firmen sind sogar regelrecht versessen auf Transgender-Menschen und Diverse, weil sie als besonders kreativ und empathisch gelten. Empathie und Kreativität sind die neuen Produktivkräfte im Zeitalter des digitalen Kapitalismus. Die menschliche Speerspitze der digitalen Revolution bewegt sich auf Rennrädern durch die Städte, ernährt sich vegan und besitzt eine fluide Identität. Das privilegierte Fortbewegungsmittel des flexiblen und digitalen Menschen ist das Rad, der E-Skooter und das Skateboard.

Der Text ist auch in Heft Nr. 81 des Wiener Magazins Streifzüge erschienen, das sich schwerpunktmäßig dem Thema Auto gewidmet hat. Man kann das Heft bei der Redaktion bestellen. Eisenbergs Durchhalteprosa erscheint weiterhin bei der GEW Ansbach.

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