Landrat in Sachsen: Wie einige Leitmedien sich einen Rücktritt zurechtbiegen
Bedrohungen von Rechtsextremen hätten parteilosem Landrat von Mittelsachsen zugesetzt. Doch so einfach ist der Rückzug nicht begründet. Eine Einordnung.
Die politische Berichterstattung hat ein Problem, das am Fall des vorzeitigen Rücktritts von Dirk Neubauer sichtbar wird. Der parteilose Landrat von Mittelsachsen hatte vor einer Woche bekannt gegeben, dass er sich dazu entschieden habe, seinen Posten vor Ablauf seiner Amtszeit niederzulegen.
Klare Worte
Der Rücktritt sorgte für bundesweites Aufsehen, da Neubauer, bekannt für klare Worte, zur persönlichen Begründung anführte, dass er "seit Monaten mit einer diffusen Bedrohungslage aus der rechten Ecke konfrontiert" sei, "hauptsächlich Freie Sachsen und Ähnliche, die Autocorsi organisieren, mich in Sträflingskleidung zeigen, die aufrufen, mich zu finden, da ich meinen Wohnsitz aus diesen Gründen aufgegeben habe, ich bekomme anonyme Schreiben, anonyme E-Mails …" (3:10). Politiker würden wie Freiwild behandelt.
Das war der Skandal, der ein großes Medienecho auslöste. "Worte, die aufrütteln", schrieb die Tagesschau und zitierte den Deutsche Städte- und Gemeindebund, der von einem "fatalen Signal" sprach und warnte, die Demokratie sei in Gefahr.
Wenn Menschen sich nicht mehr trauen, für ein Amt zu kandidieren, weil sie Angst um ihre Gesundheit haben müssen, zerbricht unser demokratisches Gemeinwesen.
Verbandspräsident Markus Lewe
Was stimmt
Daran stimmt vieles. Die Einschüchterung durch die Freien Sachsen, wie sie Die Zeit aktuell beschreibt, ist mit "gefährlicher Strategie" nur unzureichend wiedergegeben. Das Allerweltswort "gefährlich" kommt der Wirkung dieser systematischen Einschüchterung mit primitiven, brachialen Methoden nicht nahe genug. Die Heimtücke und ihre Penetranz gehen unter die dickste Haut.
Es stimmt auch, dass diese Umstände, wie es Dirk Neubauer eindringlich berichtet, die Arbeit eines Mandatsträgers auf böse Art erschweren und dass es Mut braucht, einen solchen Posten auszuüben.
Was fehlt
Aber das ist nicht der einzige Grund – und vielleicht nicht einmal der ausschlaggebende –, der Dirk Neubauer zum Rücktritt, den er sich nach eigener Aussage lange überlegte, veranlasste. Auch wenn das der hauptsächliche Eindruck war, den Nachrichten zu seinem Schritt hinterlassen: "Landrat tritt wegen Bedrohungen zurück" (zdf-heute).
Die dpa arbeitete da schon etwas genauer, um der umfassenderen politischen Wirklichkeit näherzukommen:
"Neubauer hatte am Dienstag unter anderem(!) wegen Bedrohungen ‚aus rechter Ecke‘ seinen Rücktritt angekündigt. Er sprach von persönlichen Anfeindungen und fehlenden Durchsetzungsmöglichkeiten."
Wer sich die Mühe macht und die Zeit aufbringt, das verlinkte Video zur Gänze anzuschauen, der bekommt im YouTube-Video zu hören, dass Neubauer nicht vor den Rechten "in die Knie geht", dass er Sätze sagt wie "Ich gebe auf, weil mir da draußen zu viele den Mund halten" (9:27 und dazu führt er als erstes Stichwort "die Blockade im politischen Bereich" an.
"Der Irrsinn, den wir im politischen System abbilden"
Wer sich die Zeit aufbringt, sich den ARD-Beitrag Fakt zum Bürokratieabbau anzuschauen, die oder der bekommt bei Minute 31:56 zu hören:
Ich würde jetzt gerne sagen, weil es die Begründung so schön einfach machen würde, ich gehe, weil ich persönlich bedroht bin. Aber so einfach ist es eben nicht. Weil, das kann ich aushalten. Was ich nicht aushalten kann, ist der Irrsinn, den wir im politischen System abbilden. Täglich gegen Sachverstand, gegen Logik zu arbeiten.
Dirk Neubauer, MDR-Magazin Fakt
Den "Irrsinn des Systems" beschreibt der Landrat für Interessierte sehr ausführlich in beiden Videos, am konkretesten in der Fakt-Sendung. Grob zusammengefasst kann man das auf den Nenner "Stillstand und Blockade" bringen.
Es gehe nichts voran, so die Klage Neubauers, der sein Engagement für erneuerbare Energien, Lösungen für Mobilität und eine Migrationspolitik herausstellt, die sich nicht mit dem Schema Hauptsache Abweisen begnügt, sondern auf Eingliederung setzt. Als Hindernisse nennt er die Schwerfälligkeit von Behörden, ein lähmendes Finanzierungsloch bei den Kommunen – und letztlich eine Blockadepolitik der regierenden CDU.
So könnte man den Entschluss zum Rücktritt des parteilosen Landrats anhand seiner Begründung, für die er sich weit mehr als zwei Minuten Zeit genommen hat, als eine Entscheidung darstellen, die regierungskritisch ist, aber vor allem auch systemkritisch.
Nah an der Lebenswirklichkeit
Angesichts dessen, dass man den traditionellen Parteien vorwirft, dass sie nicht nah genug an der Lebenswirklichkeit agieren, wäre dies ein Feld, in dem neue Einsichten zu gewinnen sind. Die Abgrenzung und die Abwehr von der rechten Gefahr allein trägt politisch noch nichts zu neuen Entwicklungen für Verbesserungen bei.
"Solidarität erhielt Neubauer nur wenig", schreibt die Zeit. Zitiert wird exemplarisch die Vorsitzende der sächsischen FDP, Anita Maaß, die Neubauer am Tag seines Rücktritt darüber belehrte, dass ein Landrat "weder selbst politisch polarisieren noch bei Gegenwind die Flinte ins Korn werfen" dürfe. "Die Bedrohungen habe Neubauer sich selbst zuzuschreiben", versteht die Zeitung die Aussage.
Wahlkampf
In Sachsen ist Wahlkampf und ein Schelm ist, wer denkt, dass die Regierungspartei CDU zwar großes Interesse daran hat, dass die Konkurrenz von Rechtsaußen als Gefahr dargestellt wird, aber viel weniger Interesse daran zeigt, das politische System, das sich dort unter ihrer Regierung etabliert hat, einer grundlegenden Kritik auszusetzen.
Neubauer versucht künftig wieder außerparlamentarisch etwas zu verändern.