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Lebendige Drachenwelt

Der mächtige Drache ist beeindruckend

"Dragon Age: Inquisition" von Electronic Arts

Drei Jahre nach dem zweiten Hauptspiel von "Dragon Age" bringt Electronic Arts Teil drei unter dem Titel "Dragon Age: Inquisition" für Xbox 360/One, Playstation 3 & 4 sowie PC heraus. Mit einer offenen Welt und zahlreichen Entscheidungsmöglichkeiten kehrt es stärker zu den Wurzeln des ersten Teils zurück.

Das erste "Dragon Age" mit dem Titel Origins [1] zog seinerzeit sämtliche Register des Rollenspiel-Repertoires. Die Wahl des Charakters bestimmte den Verlauf des ausführlichen Prologs und brachte den Gamer so auf unterschiedlichste Art in die Hauptgeschichte, die ebenfalls mit oft folgenreichen Entscheidungen gespickt war. Die Kämpfe boten viele taktische Möglichkeiten. "Origins" wurde von den Kritikern gefeiert und den Spielern geliebt.

Das Entwicklerstudio Bioware [2] hat einige der bekanntesten westlichen Rollenspiele entwickelt. Dazu gehören "Baldur’s Gate", "Star Wars: Knights of the The Old Republic" sowie die "Mass Effect"- und eben die "Dragon Age"-Serie.

Die Fortsetzung Dragon Age II [3] änderte vor allem mit Blick auf Konsolenspieler einiges am Konzept. Die Kämpfe wurden actionbetonter und die Spielwelt kleiner. Die Entscheidungen des Spielers hatten zudem weniger Konsequenzen. Besonders Core Gamer störten sich an den Änderungen, sodass der zweite Teil vor allem in den Foren verrissen wurde. Dabei war er für sich betrachtet durchaus gelungen, aber eben gänzlich anders.

Dragon Age: Inquisition [4] kombiniert die beiden Ansätze zu einem Rollenspiel mit einer weitläufigen, offenen und lebendigen Welt und einem actionbetonten Kampfsystem mit einfachen Taktikoptionen. Der Spieler darf zahlreiche Entscheidungen treffen, die sich auf das Geschehen auswirken, auch wenn der Verlauf der Story weitgehend vorgegeben ist. Bei der Gestaltung des Charakters hat er mehr Wahlmöglichkeiten als im zweiten Teil. Die Wahl der Rasse und Klasse hat jedoch weniger Auswirkung auf die Handlung als in "Origins".

Erzählung und Vorgeschichte

Die Entscheidungen, die Spieler der ersten beiden Teilen dort getroffen haben, beeinflussen das Verhalten zahlreicher Figuren des dritten Teils. Auf einer speziellen Website [5] kann der Gamer - sofern er ein Origin-Online-Konto hat - die Daten aus den ersten beiden Teilen verwenden und / oder durch zusätzliche Handlungsoptionen die Voraussetzungen für "Inquisition" beeinflussen. Die Site ist zudem ein guter Einstieg in die Story. Nicht jeder kann sich an die Geschichte der Vorgänger erinnern, selbst wenn er sie gespielt hat.

Die Spielwelt ist der Kontinent Thedas, der bereits das Setting für die ersten beiden Teile war. Der Name ist ein Akronym für "The Dragon Age Setting", also ein Kunstwort wie es Spieleschmieden gerne verwenden. Ein bekanntes Beispiel ist die Stadt Qeynos in "Everquest", die rückwärts gelesen "Sony EQ" ergibt.

Die Story von "Inquisition" beginnt mit einem Knall: Die verfeindeten Templer und Magier befinden sich in Friedensverhandlungen. Durch eine große Explosion sterben fast alle Teilnehmer des Treffens. Dabei öffnet sich ein Riss in eine Parallelwelt, aus dem Dämonen hereinströmen. Der einzige Überlebende der Eröffnungssequenz ist der Protagonist, den der Spieler fortan durch die Geschichte steuert.

Seit dem Ereignis trägt er ein Mal an seiner Hand, mit dem er die überall auftretenden Risse in die Welt der Dämonen schließen kann. Die Bevölkerung steht ihm gespalten gegenüber: Einige sehen in ihm eine Gefahr, andere den Erlöser.

Die Geschichte, die im Verlauf von "Inquisition" erzählt wird, ist packend. Noch wichtiger: Die Welt ist lebendig. Die Orte, die der Spieler im Verlauf besucht sind abwechslungsreich und bieten, wie es sich für ein gutes Rollenspiel gehört, eigene Erzählungen und Aufgaben.

Die Heldengruppe beim Erkunden der Sturmküste

Anfangs sucht der Protagonist Mitstreiter, die zum Großteil schon Auftritte in den vorigen "Dragon-Age"-Games hatten. Bei einer frühen Begegnung trifft er auf den unvergesslichen Schurken Varric, der im zweiten Teil die Erzählerrolle übernommen hatte.

Gruppendynamik

Typischerweise streift der Spieler mit einer Gruppe aus vier Abenteurern durch das Land, darf also neben der Hauptfigur drei weitere Charaktere mitnehmen. Eine gesunde Mischung aus den drei Grundklassen Krieger, Schurke und Magier verspricht den größten Erfolg in den Kämpfen. Den Protagonisten erstellt der Spieler zu Beginn nach seinen Vorlieben. Die Klassen der anderen Charaktere sind zwar vorgegeben, aber der Spieler bestimmt ihre weitere Entwicklung. So kann er beispielsweise die Magier mehr auf konzentrierte Angriffe, Flächenschaden oder defensive Zauber ausrichten.

Durch Kämpfe und erfolgreich absolvierte Quests erhalten alle, also auch die daheim gebliebenen, Charaktere Erfahrungspunkte. Somit kann der Spieler jederzeit die Gruppe nach seinem Gutdünken zusammenstellen, ohne dass einzelne Figuren hinterher hinken.

Neue Gebiete muss der Spieler zunächst mit speziellen, in die Story eingebundenen Missionen freischalten. Dazu dient der Kartenraum, eine Neuerung gegenüber den Vorgängern. Von hier aus entsendet er Helfer in Missionen, die Geld, Ressourcen, Ausrüstung oder den Zugang zu neuen Gebiete einbringen.

In den frisch entdeckten Bereichen startet die Gruppe jeweils von einem Basislager aus. Dort warten die ersten Quests, die zum Erkunden der Karte einladen. Über die Abschnitte verstreut gilt es zudem an vorgegebenen Punkten zusätzliche Lager einzurichten. Dort kann die Gruppe jederzeit ihre Gesundheit regenerieren. Zudem darf der Spieler direkt zu errichteten Camps reisen und seinen Helden so unnötige Märsche ersparen.

Aus den grünen Rissen kommen Dämonen

In allen Regionen gibt es einige Risse, aus denen Dämonen ins Diesseits strömen. Diese zu schließen gehört zu den Standardaufgaben. Mit dem Absolvieren von Quests und dem Schließen der Risse gewinnt der Spieler Machtpunkte, die er für die Erkundung neuer Gebiete im Kartenraum benötigt.

Auf in den Kampf!

Selbstredend wimmelt es in der Welt von feindlichen Kreaturen. Neben den Dämonen gibt es unter anderem Banditen und Raubtiere. Die Kämpfe laufen in Echtzeit ab und sind actionorientiert. Der Spieler setzt mit der aktiven Figur Fähigkeiten ein und lässt so beispielsweise als offensiver Magier Kugelblitze zwischen den Feinden tanzen.

Die anderen Gruppenmitglieder kämpfen selbstständig und orientieren sich dabei an zuvor aufgestellten Regeln. Diese bestimmen unter anderem, wie tief die Gesundheit sinkt, bevor die Angeschlagenen zum Heiltrank greifen.

Der Spieler kann das Geschehen jederzeit pausieren und in die taktische Ansicht wechseln. Dabei betrachtet er die Szene von oben und kann so in Ruhe einen gut gerüsteten Krieger zur Verteidigung des angeschlagenen Magiers delegieren oder die eigenen Fernkämpfer auf die feindlichen Bogenschützen ansetzen.

Die taktische Ansicht

Die taktische Ansicht ermöglicht ein Feintuning und vereinfacht vor allem gezielte Kombos, bei denen die Fähigkeiten unterschiedlicher Charaktere zusammen spielen. Auf der normalen Schwierigkeitsstufe ist das zum Bezwingen regulärer Gegner kaum nötig. In Bosskämpfen kann es gelegentlich hilfreich sein, wenn ein Krieger die Aufmerksamkeit des stärksten Gegners auf sich lenkt, während die anderen Kämpfer die schwächeren ausschalten.

Ungewohnt für Rollenspiele ist das Fehlen eines normalen Heilzaubers. Verwundete Helden müssen auf Tränke zurückgreifen. Die einfachen Heiltränke gibt es in den sicheren Basislagern, aber die Gruppe kann zunächst nur acht Fläschchen mitnehmen. Sobald der Vorrat aufgebraucht ist, müssen die Kämpfer zu einer sicheren Station zurückkehren. In längeren Dungeons gibt es verstreute Vorratskisten, die frische Tränke beinhalten.

Sammeln, bauen, entwickeln

Neben den Basistränken entdeckt der Spieler im Verlauf weitere Rezepte, die beispielsweise den Magieschaden erhöhen oder die Rüstung verstärken. Zur Herstellung dieser nützlichen Gebräue muss er unterwegs stets reichlich Pflanzen pflücken.

Das Sammeln ist wie in vielen Rollenspielen ein wichtiges Element. Neben Pflanzen gibt es auch Erze, aus denen der Schmied in der Heimatstadt Waffen und Rüstungen fertigt. Auch besiegte Gegner hinterlassen Materialien. Zudem findet die Gruppe verstreute, oft versteckte, Gegenstände für Sammel-Quests.

Das Waffen- und Rüstungssystem ist grundsätzlich unterhaltsam: Es gibt unterschiedliche Qualitätsklassen, die durch verschiedene Farben gekennzeichnet sind. Der Spieler darf zudem aus gefundenen Materialien eigene Gegenstände herstellen und kombinieren. Das System zur Aufwertung des Equipments ist jedoch etwas zu umständlich geraten.

Die Heimatbasis baut der Spieler mit der Zeit aus

Auf normaler Schwierigkeitsstufe muss sich der durchschnittliche Spieler nicht mit allen Details des Schmiedens befassen, um erfolgreich zu kämpfen. Dennoch wird die Optimierung der Ausstattung aller Charaktere oft mehr zur leidigen Organisation als zum strahlenden Erlebnis.

Die Charakterentwicklung bezüglich der Fähigkeiten, die das Kampfgeschehen beeinflussen, ist vielseitig, aber anfangs etwas unübersichtlich. Die Neuverteilung der Fähigkeitspunkte ist jederzeit ohne großen Aufwand und Kosten möglich, sodass der Spieler durchaus experimentieren darf. Beim Stufenaufstieg neu erworbene Fähigkeiten fühlen sich selten als großer Zugewinn an - anders als beispielsweise in vielen "Final-Fantasy"-Games [6].

Verhältnisse zwischen den Figuren

Ein wichtiger Aspekt in den Dragon-Age-Spielen sind die Verhältnisse der Figuren untereinander. Der Protagonist darf sich auch wieder auf Romanzen einlassen. Neu ist übrigens, dass es zum ersten Mal in einem großen Rollenspiel gleich zwei homosexuelle Charaktere gibt. Bereits in anderen Bioware-Spielen konnte der Spieler mit genügend Bemühungen durchaus gleichgeschlechtliche Beziehungen eingehen. In "Inquisition" wird ein männlicher Hauptcharakter sich an der Schurkin Sera aber ebenso die Zähne ausbeißen wie ein weiblicher am Magier Dorian.

Varric, der Erzähler des zweiten Teils

Bioware hat die Charaktere ausgefeilt und sehr unterschiedlich gestaltet: Der Selbstdarsteller Varric, der Schöngeist Dorian, die strenge Cassandra, das unscheinbare Geisterwesen Cole, um nur einige zu nennen. Jeder hat zum Geschehen seine Meinung. Entscheidungen des Gamers kommentiert das Spiel immer wieder mit Bemerkungen folgender Art: "Varric stimmt tendenziell zu. Cassandra ist dagegen". Das zeigt an, wie die Vorgehensweise des Protagonisten das Vertrauensverhältnis zu den anderen Figuren verändert.

Während der Erkundung unterhalten sich die Gruppenmitglieder untereinander. Schon alleine für das Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Meinungen lohnt sich der regelmäßige Austausch der Mitstreiter.

Technische Aspekte

Grafisch kann die getestete PS4-Version durchaus beeindrucken. Das gilt - wie in vielen aktuellen Spielen - deutlich mehr für die Fernansicht mit strahlenden Landschaften als für Nahaufnahmen der Figuren, die oft immer noch etwas grobschlächtig wirken.

Die Landschaften sind schick, die Gesichter wirken oft grob

In den ersten Tagen nach dem Release gab es zahlreiche Bugs - in Foren berichteten einzelne Spieler gar von unbrauchbar gewordenen Speicherständen. Derart große Probleme tauchten zwar während des Tests nicht auf, aber zahlreiche Schönheitsfehler. Immerhin muss man den Entwicklern zugutehalten, dass sie mit zahlreichen Patches viele Macken behoben haben, sodass das Game inzwischen stabil zu laufen scheint. Leider ist es auch auf Konsolen inzwischen Standard, dass Spiele zum Release nicht fehlerfrei sind und so die frühen Käufer zu späten Betatestern werden.

Die Spielzeit ist variabel und liegt für die meisten vermutlich im oberen zweistelligen Stundenbereich. Wer sich nur auf die Story konzentriert, wird schneller beim Showdown ankommen, wer sich dagegen viel Zeit zum Erkunden und für Nebenquests nimmt, verbringt mehr als hundert Stunden in Thedas.

Gelungene Kämpfe, tolle Atmosphäre

Die Erkundung der Welt macht durchweg Spaß. Die Quests sind mit Erzählungen verbunden. Der Spieler muss nie etwas Sammeln oder die Auseinandersetzung mit Gegnern suchen, nur um die Charaktere zu verbessern. Hinsichtlich der Kämpfe ist Biowares jüngstes Spiel Geschmacksache: Der Spieler muss nicht so interaktiv angreifen, blocken und ausweichen wie im beinharten Dark Souls [7]. Andererseits ist es weniger taktisch angelegt als das erste "Dragon Age" oder viele japanischen Rollenspiele. Der Mittelweg zwischen Action und Taktik ist aber ein gelungener Kompromiss, der für ein flüssiges Einbinden der Kämpfe ins Erkunden sorgt.

Magier in Aktion

Die Erzählung und die Atmosphäre sind die große Stärke von "Dragon Age Inquisition". Nachdem viele Spieler zunächst vom Vorgänger und dann vor allem von Biowares "Mass Effect 3" enttäuscht waren, glänzt der dritte Teil der "Dragon-Age"-Reihe in diesem Punkt. Die gesamte Story ist packend und bezieht den Spieler ins Geschehen ein. Auch die kleinen Erzählungen der Nebenquests sind gelungen. Sie füllen die Gebiete mit Leben, und die Welt Thedas lädt überall zum Erkunden ein. Als Gesamtbild ist "Dragon Age Inquisition" das beste westliche Rollenspiel seit langer Zeit.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Goetter-Drachen-und-andere-Darwinisten-3383642.html
[2] http://www.bioware.com/en/
[3] https://www.heise.de/tp/features/Drachen-Parallelwelt-3389356.html
[4] http://www.dragonage.com/de_DE/home
[5] https://dragonagekeep.com/
[6] https://www.heise.de/tp/features/Fantasie-in-Zeit-und-Raum-3393073.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Ueberleben-durch-Opportunismus-3391816.html