Überleben durch Opportunismus

Wie schon sein Vorgänger verlangt auch "Dark Souls" seinen Spielern einiges ab - auch außerhalb des eigentlichen Spiels.

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Will man wissen, was "Dark Souls" und seinen inoffiziellen Vorgänger Demon’s Souls zu etwas Besonderem macht, muss man wohl 20 Jahre zurückschauen. Damals erschienen mit der wachsenden Verbreitung von CD-ROM-Laufwerken die Vertreter eines neuen Computerspiel-Genres in den Regalen: Sogenannte "Interaktive Spielfilme". Und obwohl das Genre kaum einen nennenswert erfolgreichen Titel hervorgebracht hat und sich in wenigen Jahren überholt hatte, so kann es doch als Initialzündung für eine Entwicklung des Mediums gesehen werden, der eben die beiden "Souls"-Titel beinahe einsam entgegenlaufen.

Obwohl das Genre aber durchaus verdient eingegangen ist, haben sich gewisse, eben nur vermeintlich "interaktive", Spielmechaniken bis heute gehalten - wenn auch in Kontext und Umsetzung deutlich verfeinert. So erinnern die plötzlich eingeblendeten Knopfdruck-Aufforderungen eines Uncharted, mit denen man während einer angeblichen Zwischensequenz den sofortigen Bildschirmtod und damit das Laden vom letzten Speicherpunkt vermeiden kann, an "Klassiker" wie das berühmt-berüchtigte Dragon’s Lair; die zwar spektakulären, spielerisch aber entsprechend unbefriedigenden Bosskämpfe der God of War-Reihe bedienen sich des gleichen Prinzips; und mit Heavy Rain ist nach jahrelanger Pause sogar tatsächlich wieder ein großbudgetiertes Spiel veröffentlicht worden, das seine gesamte Spielmechanik allein um solche Quicktime-Events herum entwickelt.

"Dark Souls" aber, wie schon sein Vorläufer, verzichtet auf diesen billigen Trick. Steht man hier einem Boss - einem riesigen Stahlgolem, einer achtköpfigen Hydra, einem gewaltigen und bewaffneten Wolf oder einem Drachen mit klaffender und zähnebewehrter Brustöffnung - gegenüber, so wartet man auf lebensrettende Button-Einblendungen vergeblich. Die Spielfigur wächst in solchen Situationen nicht über sich selbst - über ihre im Eingabeschema definierten Fähigkeiten - hinaus, sondern überlässt diese Herausforderung ganz dem Spieler. Während dieser nämlich mit den tumb fackelschwingenden Zombies nach kurzer Einspielzeit wenig Mühe haben dürfte, muss er besagter Hydra - die inmitten eines nicht zu durchschwimmenden Sees lauert - eigenhändig jeden einzelnen der acht Köpfe abschlagen, ehe sie den Weg frei macht.

Interaktivität als Gefahr und Chance

Diese unbedingte Interaktivität, die dem Spieler eben nie das Ruder aus der Hand nehmen will, schlägt sich dabei nicht nur in den Kämpfen gegen die herausragend fantasievoll designten Kreaturen nieder. Wie schon "Demon’s Souls" überlässt auch "Dark Souls" einzig und allein dem Spieler, wie er mit der dargebotenen, trostlosen Welt umgehen möchte - und lässt ihn gnadenlos die Konsequenzen jeder Entscheidung tragen. Ein einmal attackierter NPC wird sich nicht mehr zum friedlichen Handeln zur Verfügung stellen, auch wenn er einen für das Fortkommen unverzichtbaren Schlüssel im Sortiment hat. Und wenn man dem Gargoyle auf dem Dach der Kirche nicht zuerst den axtbewehrten Schwanz abschlägt, ehe man ihn besiegt, dann ist die Gelegenheit, diesen selbst als Waffe zu benutzen, unwiderruflich dahin.

So ist es diese Bekenntnis zur möglichst konsequenten und uneingeschränkten Spielmechanik, die in der Rezeption gerne mit dem vermeintlichen "Schwierigkeitsgrad" von "Dark Souls" verwechselt wird. Dabei ist es die unbedingte Interaktivität, welche die hohen Anforderungen an den Spieler sogar nötig macht. Denn was bei unüberlegter Anwendung schnell zu beinahe unüberwindbaren Herausforderungen führen kann, eröffnet dem Spieler gleichzeitig auch gewaltige Möglichkeiten, deren schamloses Ausnutzen die Entwickler auch zu keinem Zeitpunkt unterbinden. Mit sorgfältiger Erkundung nicht nur des direktesten Weges stößt der Spieler allerorts schnell auf mächtige Ausrüstung, die so manche scheinbar unüberwindbare Hürde locker relativiert. Außerdem ist der Spielfortschritt in "Dark Souls" noch weniger linear als in "Demon’s Souls", wodurch der Spieler die Chance erhält, durch geschickte Wahl der Reihenfolge der einzelnen Gegenden so manchen Weg spürbar zu erleichtern. In anderen Rollenspiel-Genrevertretern kann ein solches Verhalten des Spielers schnell dazu führen, dass seine Spielfigur nach zu vielen Sidequests die Anforderungskurve der Haupthandlung plötzlich überholt hat und sowohl Herausforderung als auch Anreiz auf der Strecke bleiben.

Nicht aber "Dark Souls", im Gegenteil. Es setzt einen maximal opportunistischen Spieler voraus, der wirklich alle Ressourcen nutzt, die sich ihm bieten - und passt seinen Schwierigkeitsgrad diesem Spielertyp an. Und diese Ressourcen sind keineswegs nur innerhalb des Spiels zu finden. So entpuppt sich "Dark Souls" schnell als kaum schaffbar, wenn der Spieler nicht bereit ist, mit der nötigen Konzentration und Geduld an die Aufgabe heranzugehen. Gerade oft gespielte Passagen auf dem Weg zu einem schweren Bosskampf laden dazu ein, schlampig zu werden - bis man sich plötzlich am spitzen Ende des Speeres eines eigentlich harmlosen Gegners wiederfindet, der bislang eigentlich noch nie Probleme bereitet hat. Der größte Feind in "Dark Souls" ist der Spieler selbst: Auch grenzwertig schikanöse Passagen wie die stockfinstere Kanalisation, in der unter der Decke, außerhalb des spärlichen Lichtkegels, Gegner nur darauf warten, auf die Spielfigur herabzufallen, sind mit der gebotenen Sorgfalt auf Anhieb ohne Fehlversuch zu bewältigen. Bewegt man sich nämlich wirklich Schritt für Schritt vorwärts, stets auf eine Ausweichbewegung vorbereitet, so sind weder Fallgruben, Riesen-Ratten, Untote, Schleimwesen oder jene froschähnlichen Gestalten, die die Spielfigur mit einem mächtigen Fluch belegen, unschaffbar - auch bevor man weiß, was einen erwartet.

Lernfähigkeit und Recherche

Selbst hinsichtlich seiner Regeln und Mechaniken setzt "Dark Souls" auf die Initiative des Spielers. Hilfe, was die zahlreichen Symbole, Begriffe, Zahlen und Beschreibungen bedeuten, gibt einem das Spiel nicht. So gilt es also selbst zu erforschen, was denn genau mit einer Waffe (und den von ihr getroffenen Gegnern) geschieht, wenn man sie mit einer gefundenen Reagenz behandelt. Oder - realistischer - man schaut eben im Netz nach, was aber nur auf den ersten Blick verwerflich ist: Das Meta-Spiel, also die Offgame-Recherche, ist durchaus einkalkuliert. Ebenso wie das MMORPG The Secret World ankündigt, sein Setting auch als Alternate Reality Game voranzutreiben, indem Lösungshinweise einiger Rätsel im Spiel auf eigens dafür aufgebauten Webseiten platziert werden, verlassen sich auch die Entwickler von "From Software" darauf, dass "Dark Souls" nicht mit dem Ausschalten der Spielkonsole aus dem Kopf seines Spielers verschwindet. Auch bei wettkampftauglichen Spielen wie "Starcraft" ist es schließlich üblich, zu Trainingszwecken die Matches anderer Spieler anzusehen und zu analysieren.

Vor allem setzt "Dark Souls" aber auf die Lernfähigkeit des Spielers. Jede Begegnung ist - wenn auch komplex und variantenreich - Skript-basiert, auf eine Art adaptive K.I. der Gegner wird man nicht treffen. Das soll keineswegs heißen, dass sich diese sonderlich dumm verhalten, im Gegenteil. Die Skripte sind vielfältig und perfide, täuschen Attacken an um anschließend die Lücke in der Deckung des Spielers zu nutzen, oder versuchen, diesen durch scheinbare Flucht in eine Falle zu locken. Den einzigen systemischen Vorteil, den der Spieler gegenüber der unbarmherzigen Spielwelt hat, können - und dürfen - sie aber nicht aufwiegen: Seine Fähigkeit zur Reaktion. Schaffbar auf den ersten Versuch ist zwar so gut wie alles - aber um wie viel einfacher die meisten Passagen klappen, wenn man erst einmal die Positionen und bevorzugten Strategien aller Gegner verinnerlicht hat, überrascht immer wieder aufs Neue. Der Wert dieser Erfahrung des Spielers übersteigt dabei jeden Ingame-Fortschritt in Form besserer Ausrüstung oder Eigenschaften. "Dark Souls" ist vor allem eines: Ständige Vorbereitung für immer größere Herausforderungen.

Fortschritt im Detail, Rückschritt im Gesamten

Trotz seines einzigartigen Profils, mit dem sich das Spiel von allen Titeln der aktuellen Konsolengeneration abhebt, ist es aber nicht ohne Fehler. So drängt sich die Kritik auf, dass die Weiterentwicklung des inoffiziellen Vorgängers "Demon’s Souls" kaum spürbar sei. Lediglich in feinen Details wirkt "Dark Souls" ausgereifter: Das Lagerfeuer-System sorgt im ohnehin bereits brillianten Leveldesign für eine Struktur, die dem Spieler noch mehr Freiheiten im Spielfortschritt einräumt. Und auch die leichte Willkür in der Multiplayer-Komponente erscheint abgemildert. So schreckt das "Book of the Guilty" vor allzu wahllosem Gebrauch der PvP-Funktion ab, und die "Covenants" genannten Gilden, denen sich die Spieler anschließen können, versehen die direkte Interaktion als Verbündete oder Duellierende mit Regeln, Anreizen und Sanktionen.

Während From Software an diesen Schräubchen erfolgreich gedreht hat, kommt ein anderer, für die Qualität von "Demon’s Souls" ebenfalls nicht zu unterschätzender, Aspekt etwas zu kurz: So war es im Vorgänger gerade die trostlose Atmosphäre, die sich im auffällig disharmonischen Soundtrack und dem exzentrischen Voice Acting manifestierte, welche die unbarmherzige Spielmechanik spürbar unterstrich. Geblieben ist von dieser Freudlosigkeit nur das großartige Kreaturendesign, alles andere wirkt inzwischen deutlich glatter und damit auch austauschbarer. Die Welt, die es in "Dark Souls" zu retten gilt, ist zwar nur noch von den beinahe leeren und seelenlosen Hüllen ehemaliger Menschen bewohnt, aber das Gefühl ständiger Verzweiflung, dass den Vorgänger auszeichnete, will sich nicht einstellen. Die Hoffnungslosigkeit von "Demon’s Souls" scheint hier überwunden, der erste Schritt zur Besserung ist bereits irgendwann vor der Geschichte dieses Spiels getan. Spielmechanisch ist "Dark Souls" noch näher an der Perfektion als sein Vorgänger, das einzigartige Gesamterlebnis von "Demon’s Souls" bleibt aber genau das: Unnachahmlich.