Die Überwindung der Hoffnungslosigkeit
Unbarmherzig und wunderbar trostlos: "Demon's Souls" zwingt den Spieler zum Überleben in einer sterbenden Welt.
"You will die. A lot." Diese oder ähnlich martialische Versprechungen zieren fast jede englischsprachige Rezension des bislang nur in Asien und Nordamerika erschienen Playstation-Exklusivtitels "Demon's Souls". Dabei liegt das Sterben in diesem angeblich schwersten Spiel der aktuellen Konsolengeneration stets in den Händen des Spielers. Umsicht und Sorgfalt sind in diesem Action-RPG tausendfach mehr wert als unermüdliches Trial-and-Error. "Demon's Souls" richtet sich damit an eine Spielernatur, die vielleicht schon fast ausgestorben ist.
Nehmen wir einmal das aktuelle "Prince of Persia": Von Spielern und Spielemagazinen wurde es als "zu leicht" eingestuft, weil man ja nicht sterben könne. Dabei sind die Plattformhüpfereien keineswegs anspruchslos, sie erfordern Planung und Timing, und verursachen im Normalfall auch zahlreiche Fehlversuche. Springt der Prinz nun aber ins Leere, so folgt eine kurze Cutscene, Elika reicht ihm die rettende Hand und setzt diese auf der letzten stabilen Plattform ab - innerhalb weniger Sekunden ist die Welt wieder in Ordnung, und der Spieler ist bereit für den nächsten Versuch. Das entschädigte dann wohl dafür, dass das Spiel dem Spieler nicht immer eine faire Chance gab, jede noch unbekannte Aufgabe auf den ersten Versuch zu meistern.
Auch "Mirror's Edge" gelang es offenbar nicht, die richtige Balance zu finden. Einen beträchtlichen Reiz machte es aus, sich als Spieler dem Flow der Bewegung hinzugeben - mit dem Ergebnis, dass man schon auch mal nicht auskundschaftete, ob ein Sprung von Dach zu Dach überhaupt zu schaffen war, und recht bereitwillig und auf seine Intuition vertrauend ins Leere sprang. Peitschten der Spielfigur Faith (ironischerweise nennt die "Assassin's Creed"-Reihe diese vertrauensvollen Sprünge in die Tiefe "leap of faith") dann auch noch die Kugeln der Polizisten um die Ohren, so ließ "Mirror's Edge" seinem Spieler gar nicht mehr die Möglichkeit zur Vorsicht. Die Strafe - ein schmerzhaftes Knacksen der beim Aufprall brechenden Knochen und das Zurückversetzen der Spielfigur an einen selten mehr als zwei Spielminuten zurückliegenden Checkpoint - empfanden weite Teile der Spielergemeinde als "frustrierend".
Wenn Spiele ihren Konsumenten mit einer Herausforderung überraschen, dann sind die Grenzen der Fairness schnell überschritten. "Prince of Persia" umgeht dieses Problem mit einer sehr milden - vielleicht zu milden - Strafe für das Scheitern des Spielers, "Mirror's Edge" scheint es dagegen bereits zu übertreiben. Auch in beiden Uncharted-Titeln ist es für den Spieler vor vielen Feuergefechten nicht möglich, die Herausforderung komplett zu überblicken - z.B. dank plötzlich im Rücken der Spielfigur auftauchender Gegner - und daher taktisch und überlegt vorzugehen. Diese Spiele bauen alle auf den lernfähigen Spieler und dessen Bereitschaft zum zweiten Versuch.
"Demon's Souls" ist anders. Es bezieht seinen - beachtlichen - Schwierigkeitsgrad nicht aus unvorhersehbaren tödlichen Fallen. In "Demon's Souls" kann der Spieler alles kommen sehen - wenn er sich die Zeit dafür nimmt. Wagt sich der Ritter des Spielers also in einen dunklen Tunnel hinab, während das spärliche Licht des am Gürtel befestigten leuchtenden Kristalls nie weiter als wenige Meter in die Finsternis reicht, so ist es purer Leichtsinn, unvorsichtig voran zu stürmen und nicht ständig den Schild zur Abwehr erhoben zu haben.
Verlorene Lebensenergie regeneriert sich nicht von allein, sondern nur mit Hilfe von einigermaßen raren Heilkräutern, und schon wenige feindliche Treffer können genügen, um die Spielfigur zu töten. Die Folge für eine kurze Unachtsamkeit ist oft der Tod der Spielfigur, und dieser wird hart bestraft: Alle Seelen - die einzige Währung des Spiels, mit der Eigenschaftsverbesserungen ebenso wie Instandhaltung und Verbesserung der Ausrüstung bezahlt werden müssen -, sind verloren, gespeichert in einem virtuellen Blutfleck, den der Spieler nun wieder erreichen muss, ohne ein weiteres Mal zu sterben. Die Gegner stehen selbstverständlich wieder an ihrem Platz, und der Spieler beginnt das aktuelle Level von Anfang an. Jeder Tod des Spielers stärkt den titelgebenden Dämon und seine Schergen, die infolge dessen stärker werden, während die Spielfigur nach einem Tod ihre Körperlichkeit verliert und fortan - bis zu einem Sieg über einen Level-Boss - in "Soul Form" durch Boletaria streift: mit ihrer maximalen Lebensenergie auf die Hälfte reduziert.
Zu Beginn jeder der fünf großen Welten können diese "Strafwege" 20 Minuten dauern, bevor das großartige Leveldesign greift: So sind alle Areale der mittelalterlichen Alptraumwelt mit Abkürzungen versehen: Tore und Zugbrücken, die der Spieler später im Level öffnet und damit bei weiteren Versuchen ganze Abschnitte überspringen kann, dienen als diegetische Implementierung eines eleganten Checkpoint-Systems. "Demon's Souls" führt seinen Spieler buchstäblich ständig im Kreis, und das spiegelt sich auch in den ausgefeilten Bemühungen des Spiels, sich selbst dem Konsumenten beizubringen. Die ersten Gegner, die einen in der tristen Welt von Boletaria erwarten, sind eine Handvoll tumber Zombies, und obwohl sie zu bezwingen nicht schwer ist, erlaubt es "Demon's Souls" schon hier niemals, nur halb anwesend gespielt zu werden.
Wenn der Spieler zum ersten Mal schmerzhaft - aber nicht tödlich - erfährt, dass das Bewegungsarsenal dieser simplen Gegner doch reichhaltiger und komplexer ist, als auf den ersten Blick vermutet, begegnet er auch den wahren Herausforderungen mit dem nötigen Respekt. Ein schwarzer Ritter mit blau leuchtendem Visier ist dann auch der erste Gegner, der klar macht, warum "Demon's Souls" so schwer ist: Wenn er sich nach zwei schnellen Schwertstreichen einige Meter zurückzieht und mit der charakteristischen Bewegung (und der auch beim Spieler damit verbundenen zeitweiligen Verwundbarkeit) offenbar die gleichen Heilkräuter isst, auf die auch der Spieler angewiesen ist, dann wird klar, dass sich "Demon's Souls" nicht nur auf die Masse sondern auch auf die Klasse seiner Gegner verlässt. Die Horden an Kanonenfutter, die beispielsweise das in einigen Punkten ähnliche "Diablo" aufweist, sind hier durch sorgfältig platzierte Herausforderungen ersetzt, die auf den Spieler reagieren und jeweils eine eigene Taktik erfordern. Die nötige Routine, um die Gegner auch in größerer Zahl und Frequenz zu meistern, trainiert "Demon's Souls" seinem Spieler allmählich an.
David gegen Goliath, immer
Eine Klasse für sich sind auch die zahlreichen Bosskämpfe: Haushohe Ritter, gewaltige feuerspeiende Spinnen, riesige Drachen. Und "Demon's Souls" gelingt dabei - in Zeiten von "God of War" und anderen mit Quicktime-Events angereicherten Actionspielen - das Kunststück, für diese Event-Gegner nie die angestammte Spielmechanik zu verlassen, mit der man Sekunden vorher noch anstürmende Skelette in ihre Bestandteile zerlegt hat. Es ist immer der kleine Ritter, Barbar, Dieb oder Magier gegen einen gewaltigen und übermächtigen Gegner, und er erhält für diese Aufgabe kein zusätzliches Werkzeug wie praktisch unter der Raumdecke aufgehängte Gewichte, die er auf den Boss herabfallen lassen kann, oder die plötzliche Fähigkeit, auf das Ungetüm zu klettern und auf ein "Push button X now!" hin die Waffen in den Wunden Punkt zu rammen. Die Ausweglosigkeit der Situation spiegelt sich auch in der trostlosen und geradezu nihilistischen Atmosphäre des Settings, sowie des befremdlichen Voice Actings.
Es ist "Demon's Souls" hoch anzurechnen, dass es die bedrückende und gleichsam faszinierende Stimmung auch in seinen Online-Modus hinein retten kann, bzw. diesen sogar für eine Intensivierung der Atmosphäre nutzt: Hier - ist man im Playstation Network angemeldet, so spielt sich das Spiel automatisch online ab - interagiert man meist nicht direkt mit anderen Spielern, sondern sieht nur bisweilen ihre geisterhaften Schemen, wie sie in ihrer eigenen Welt gegen die Dämonen von Boletaria kämpfen. Stirbt einer von ihnen, so hinterlässt er - für alle sichtbar - einen Blutfleck, der, von anderen Spielern berührt, die letzten zehn Sekunden im Leben des Unglücklichen wiedergibt und somit zur unschätzbar wertvollen Warnung werden kann.
Auch kann jeder den anderen Spielern Nachrichten hinterlassen, deren Texte sich aus vorgefertigten Bausteinen bedienen: Die direkte Lösung eines Rätsels ist damit unmöglich, nur ein vager Hinweis - in der archaischen Sprache der Spielwelt, ohne die Immersion zerstörenden Online-Slang - liegt damit bereit. Unter bestimmten Bedingungen ist es allerdings möglich, die Spielwelt eines anderen zu betreten: Entweder lässt man sich an heiklen Stellen als "Blue Phantom" zur Hilfe rufen und genießt dabei die Aussicht auf zusätzliche Seelen und die Rückkehr in die Körperlichkeit, oder man verschafft sich als "Black Phantom" gewaltsam Eintritt, um Jagd auf den anderen Spieler und seine erbeuteten Seelen zu machen. Geschieht das, so ist der Ausgang aus einem Level versperrt und es bleibt nur, sich entweder vor seinem möglicherweise übermächtigen Gegner zu verstecken und zu hoffen, dass dieser irgendwann aufgibt, oder sich zum Kampf zu stellen. Die Konsequenzen sind so unnachgiebig und gnadenlos wie das ganze Spiel, eine Niederlage bedeutet Verlust von Seelen und Körperlichkeit sowie ein Ansteigen des Schwierigkeitsgrades. Sogar eine Pausefunktion verweigert "Demon's Souls" seinem Spieler.
Die Welt, in der man sich bewegt, ist fragil und empfindlich: Ein unachtsamer Schwerthieb kann den wichtigen Händler töten und damit ihn und sein Sortiment für immer aus dem Spiel nehmen. Die unachtsame Verwendung einer der zahlreichen Rohmaterialien kann die Aussicht auf eine bestimmte Waffe endgültig zerstören, und sogar ein Tod zu viel an falscher Stelle kann den Zugang zu einzelnen Teilen der Spielwelt für immer verschließen. Viele dieser einzigartigen Effekte sind überhaupt erst nach mehrmaligem Durchspielen - mit jedem Durchgang mit der selben Spielfigur erhöht sich natürlich der Schwierigkeitsgrad - für den Spieler zu erfassen, auch das komplizierte Werte-System der unterschiedlichen Waffen mit ihren zahlreichen unterschiedlichen Upgrade-Pfaden ist unmöglich intuitiv zu durchschauen. Diese Komplexität im unbarmherzigen Detail ist es auch, die man "Demon's Souls" am ehesten zum Vorwurf machen kann. Will man effektiv und sorgfältig spielen, wie es das Spiel ja auch fördert, so kommt man um die Nutzung einer externen Quelle kaum herum.
Videospiele sind Spiele aus Bildern, und meistens sind es auch Bilder, die den Spieler - als Belohnung in Aussicht gestellt - zum Weiterspielen motivieren. Das mag die nächste "Uncharted"-Cutscene sein, oder der "Finish Him!"-Move bei "Mortal Kombat". "Demon's Souls" übt sich dagegen - bei aller graphischen Finesse - im Understatement, lässt ganze Episoden antiklimatisch enden und überrascht dabei immer wieder mit seiner Unberechenbarkeit, wenn auf eine gewaltige Herausforderung statt der nächstgrößeren eine beinahe beschauliche Passage folgt. Die Belohnung, die "Demon's Souls" seinem Spiel für dessen Ausdauer und Umsicht bietet, ist primär eine emotionale. Das Erfolgserlebnis, einen Erzdämonen nach sorgfältiger Analyse seiner und der eigenen Fähigkeiten und mehreren Versuchen unter höchster Konzentration bezwungen zu haben, ist auf der aktuellen Konsolengeneration unvergleichlich. Zu verdanken ist dies jedoch keineswegs nur dem Schwierigkeitsgrad des Spiels, sondern auch seiner raffinierten Inszenierung und sorgfältigen Balance aus Zuckerbrot und Peitsche. Ein Sieg ist immer ein Sieg aus eigener Kraft in einer Welt, die dem Spieler absolut gar nichts schenkt. Das Spiel verlangt seinem Spieler viel ab und belohnt dieses Engagement mit einer perfekten Spielwelt und komplexer aber wunderbar funktionabler Spielmechanik. "Demon's Souls" ist der erste Must-Have-Titel für Sonys Das PS3-Konsole.