Lehre aus Corona-Krise: Bei Notstand BAföG für alle
Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger bringt Gesetz zur finanziellen Unterstützung Studierender in Krisenlagen auf den Weg. Kritik und Lob von Verbänden
Studierende wurden in Deutschland während der Pandemie buchstäblich alleine gelassen. Fernab ihrer Hochschule fristeten sie zwei Jahre lang über weite Strecken ein Dasein in sozialer Abgeschiedenheit, gefangen in ihrer Bude zwischen Bett, Laptop und Dosenravioli.
Ein Stück weit Normalität kehrte erst mit der Wiederaufnahme des Präsenzlehrbetriebs im laufenden Sommersemester zurück. Dennoch haben vier Semester im Homeoffice Spuren hinterlassen. Nach einer groß angelegten Umfrage des studentischen Dachverbands fzs machen einer Mehrheit der Befragten seelische und körperliche Probleme zu schaffen.
Immerhin haben sich akute materielle Nöte für die meisten erledigt. Die Verluste an während zweier Lockdowns in Massen weggebrochenen Studentenjobs in Gastronomie und produzierendem Gewerbe sind größtenteils wettgemacht. Man schlägt sich wie vor Corona mehr schlecht als recht durch.
Allerdings bedeutet der Ukraine-Krieg gleich wieder neues Unheil für die ohnehin strapazierte Geldbörse. Bei der anhaltenden Preisralley auf den Energie- und Lebensmittelmärkten könnten nicht wenige der bundesweit rund 2,9 Millionen Hochschülerinnen und Hochschüler bald erneut an ihre finanziellen Grenzen stoßen.
Ampel verspricht Notfallmechanismus
Eine aktuelle Gesetzesinitiative durch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) kommt da vielleicht gerade recht. Schon in ihrem Koalitionsvertrag hatten die Ampelparteien angekündigt, mit der Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) einen sogenannten Notfallmechanismus installieren zu wollen. Die Idee dahinter: Studierende sollen in außergewöhnlichen gesellschaftlichen Krisensituationen staatliche Unterstützung erhalten, um nicht wegen finanzieller Zwänge ihr Studium aufgeben zu müssen.
Was sich vielversprechend anhörte, geriet aber nach dem Regierungswechsel rasch in Vergessenheit. Weder tauchte der Punkt in Stark-Watzingers Einlassungen zur geplanten BAföG-Reform auf, noch in dem entsprechenden Referentenentwurf, den sie im Februar vorlegte und der vor einem Monat per Kabinettsbeschluss auf die parlamentarische Reise geschickt wurde.
Den Verdacht, die Koalition wolle ihr Versprechen klammheimlich beerdigen, räumte die FDP-Politikerin erst in einem Interview mit dem aktuellen DSW-Journal des Deutschen Studentenwerks (DSW) aus. Der Notfallmechanismus sei schon in Arbeit und könne absehbar bereits zum kommenden Wintersemester 2022/2023 greifen, äußerte sie sich.
BAföG wird geöffnet
Jetzt also hat sie geliefert, wenngleich auf leisen Sohlen. Ohne jeden Hinweis auf der Internetseite des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) findet sich die fragliche Neuerung seit Mittwoch in einem Ergänzungsgesetz ("28. BaföG-Novelle") zur übergreifenden 27. BAföG-Reform.
Gemäß Wortlaut wird die Bundesregierung ermächtigt, "durch Rechtsverordnung im Falle einer bundesweiten Notlage, die den Arbeitsmarkt für ausbildungsbegleitende Nebentätigkeiten in erheblichem Ausmaß beeinträchtigt, das BAföG vorübergehend für einen Personenkreis zu öffnen, der normalerweise vom BAföG-Bezug ausgeschlossen ist".
Damit setzt Stark-Watzinger tatsächlich die Forderung von Studierendenverbänden, Gewerkschaften und DSW um, auch jenen staatlichen Beistand zu gewähren, die sonst keinen Anspruch auf BAföG-Leistungen haben, aber krisenbedingt aufgrund wegfallender Verdienstmöglichkeiten vor existentielle Schwierigkeiten gestellt sind. Damit hat man im BMBF offenbar eine wichtige Lehre aus der Corona-Krise gezogen, der sich Amtsvorgängerin Anja Karliczek (CDU) noch hartnäckig verweigert hatte.
Karliczek macht Staatsbank froh
Nachdem im Frühjahr 2020 im ersten Corona-Lockdown massenhaft Studierende ihre Nebenjobs verloren hatten und über Nacht praktisch mittellos dastanden, ließ die Ministerin trotzdem noch Monate ins Land gehen, bis sie – eher widerwillig – ihre sogenannten Überbrückungshilfen für pandemiebedingte Härtefälle (Ü-Hilfen) auflegte.
Die ersten Zuschüsse kamen Anfang Juni nicht nur reichlich verspätet, sie fielen mit maximal 500 Euro pro Monat auch recht kümmerlich aus. Und wegen erheblicher bürokratischer Fallstricke konnten zahllose eigentlich Bedürftige keine Ansprüche geltend machen.
Dadurch waren viele genötigt, auf das vorübergehend zinsfrei gestellte Studiendarlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zurückzugreifen. Der Staatsbank bescherte das studentische Kundschaft im Überfluss (40.000 Neuabschlüsse mehr als 2019) und den Betroffenen die Aussicht auf eine Zukunft in der Schuldenfalle.
Während Karliczek den Boom bei den Studienkrediten stolz auf der Habenseite ihres Krisenmanagements verbuchte, verlängerte sie die Ü-Hilfen wiederholt eher leidenschaftslos und ließ sie zum 30. September 2021 sang- und klanglos auslaufen.
Wird demnächst alles besser? Das bleibt abzuwarten, denn vieles lässt der Gesetzentwurf noch unbeantwortet. Im Wesentlichen besagt er bloß, dass der Kreis der nach dem BAföG Förderberechtigten bei einem nationalen Notstand per Verordnung vorübergehend ausgeweitet werden kann. Wann ein Krisenfall vorliegt, unterliegt der Auslegungsfreiheit des Bundestags, und die Maßgabe "erhebliche Nachfrageeinbrüche auf dem Arbeitsmarkt für ausbildungsbegleitende Erwerbstätigkeiten" ist mit keiner Größenordnung beziffert.
Nichts konkretes weiß man nicht
Käme es jedoch so weit, müsste die Notlage alle drei Monate von Neuem festgestellt werden. Sollte die Krise gar ein halbes Jahr andauern, behält sich der Verordnungsgeber vor, die Unterstützung nurmehr "in Form eines zinslosen staatlichen Volldarlehens" zu bewilligen.
Für alles andere gilt: "Nichts Konkretes weiß man nicht", was sich in der Vorlage so liest: "Da Art und Ausmaß einer künftigen Notlage naturgemäß nicht bekannt sind, erhält der Verordnungsgeber einen Gestaltungsspielraum, um auf die Notlage passgenau reagieren zu können." Offen bleibt damit, wie viel Geld den Anspruchsberechtigten zusteht, ob und wie stark die Zuschüsse von den üblichen BAföG-Sätzen abweichen und welcher Nachweise es bedarf, um überhaupt förderfähig zu sein. Bei Karliczeks Ü-Hilfen musste penibel belegt werden, allein infolge der akuten gesellschaftlichen Notsituation selbst in Existenznot geraten zu sein.
Bei einer Verbändeanhörung am Mittwoch im Bundestag, über die der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda auf seinem Blog berichtete, war dann auch manches an Kritik vernehmbar. So plädierten die Juso-Hochschulgruppen dafür, die individuelle Nachweispflicht einer Notlage generell zu streichen und beispielsweise durch eine Selbsterklärung zu ersetzen. Außerdem müssten die Spielräume bei Ausgestaltung der konkreten Hilfen durch Mindeststandards begrenzt werden.
Zu lange Befehlskette
Dem pflichtete der Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) bei, indem er verlangte, dass nicht "vom Grundsatz der Bedarfsdeckung der Förderung" abgewichen werden dürfe. DSW-Generalsekretär Matthias Anbuhl erscheint die Umsetzung des Notfallmechanismus zu kompliziert und die "Befehlskette" zu lang, an deren Ende eine Software für die BAföG-Ämter programmiert werden müsse. Auch müssten die rund 400.000 internationalen Studierenden im Bedarfsfall auf das Instrument zugreifen können. Die Ü-Hilfen seien zu rund 30 Prozent Menschen ohne deutschen Pass beansprucht worden.
Ein Lob hatte DSW-Funktionär trotzdem parat. Mit einer Öffnung des BAföG hätte die abgewählte große Koalition die Nothilfe von Beginn an leichter haben können. "Die Prozesse, die Infrastruktur, das Fachpersonal – alles hätte bereitgestanden". Es sei gut, wenn "die neue Regierung nun diesen Weg beschreitet."
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