BAföG-Reform noch kein großer Wurf

Novelle zur Bundesausbildungsförderung mit Licht und Schatten. Fünf Prozent höhere Bedarfssätze sorgen für Kritik, Bildungsministerin plant weitere Maßnahmen

Mit dem BAföG verhält es sich wie mit Hartz-IV: Es reicht einfach nicht zum Leben. Daran wird absehbar auch die Mitte der Woche durch das Bundeskabinett auf den Weg gebrachte 27. Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nichts ändern.

Die von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) eingebrachte Gesetzesvorlage enthält einige durchaus vielversprechende Neuerungen. Dazu zählen insbesondere die kräftige Erhöhung der Eltern-, Einkommens- und Vermögensfreibeträge sowie die Anhebung der Altersobergrenzen von 30 auf 45 Jahre.

Das Hauptmanko der über Jahrzehnte an Substanz und Reichweite verlorenen Sozialleistung lassen die Pläne allerdings unberührt. Solange den Anspruchsberechtigten nicht deutlich verbesserte Bezüge winken, werden auch weiterhin viele ihre Ansprüche gar nicht erst geltend machen.

Entsprechend einhellig richtet sich die Kritik von Studierenden- und Bildungsverbänden sowie Gewerkschaften gegen den dürftigen Zuschlag bei den Bedarfssätzen um fünf Prozent. Ein von 427 auf 449 Euro steigender Grundbedarf ist weit davon entfernt, die Nullrunden der Vergangenheit, von denen es allerhand gab, zu kompensieren.

Plus gerät zum Minus

Mehr noch erscheint die Maßnahme dem Hier und Jetzt entrückt. Die Verbraucherpreise, die für Energie wie für Lebensmittel, schwingen sich wegen des Kriegs in der Ukraine zu immer neuen Höhen und ein Ende ist nicht in Sicht. Allein für März vermeldete das Statistische Bundesamt eine Inflationsrate von 7,3 Prozent verglichen mit dem Vorjahresmonat. Ein sogenanntes Plus von fünf Prozent würde bei den Betroffenen faktisch mit einem dicken Minus ins Kontor schlagen. Zumal es die Zugabe erst zum Wintersemester im Herbst geben soll und dann für mindestens zwei Jahre kein Nachschlag zu erwarten wäre.

Stark-Watzinger solle den Studierenden "keinen Kaufkraftverlust zumuten", monierte diese Woche das Deutsche Studentenwerk (DSW), in dem die bundesweit 58 lokalen Studierendenwerke zusammengeschlossen sind. Die Bedarfssätze müssten "um mindestens zehn Prozent" heraufgesetzt werden, empfahl DSW-Generalsekretär Matthias Anbuhl.

"Wir erwarten, dass die Koalition hier im parlamentarischen Verfahren ordentlich nachlegt", erklärte die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Elke Hannack. Nötig sei eine pauschale Erhöhung "um 150 Euro und ein Mietkostenzuschuss, der sich am Wohngeldgesetz orientiert".

Realitätsferner Mietzuschlag

Laut Gesetzentwurf soll der Mietzuschlag für auf eigene Rechnung wohnende Studierende von 325 auf 360 Euro heraufgesetzt werden. Auch dies ist zu kurz gesprungen. In traditionellen Studierenden- und in Großstädten kostet eine Unterkunft häufig 500 Euro und mehr, in München werden für ein WG-Zimmer mitunter 700 Euro aufgerufen. Bei einem BAföG-Höchstsatz von planmäßig 931 Euro bliebe davon kaum etwas übrig.

Der DGB schlägt deshalb eine regionale Staffelung der Wohnpauschale gemäß den Bedingungen der örtlichen Wohnungsmärkte vor. Tatsächlich gibt es Standorte, an denen 360 Euro den Bedarf übersteigen. In Cottbus zum Beispiel zahlen Studierende im Schnitt nur 230 Euro für ein WG- Zimmer. Im Bundesmittel sind es jedoch schon 414 Euro pro Monat und mit jedem Jahr wird das Wohnen teurer.

Hier zeigt sich einmal mehr das Kardinalproblem beim BAföG: Seine finanzielle Ausstattung hält mit den realen Erfordernissen nicht mit und dies schon sehr lange nicht mehr. Dabei war das Instrument ursprünglich so konzipiert, dass die bewilligten Mittel im Falle eines Vollzuschusses zur Deckung des Lebensunterhalts genügen müssen. Je weiter sich die Politik von diesem Anspruch entfernte, desto mehr büßte es an Bedeutung ein.

Zahl der Geförderten im freien Fall

1972, ein Jahr nach Einführung der Sozialleistung durch die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt (SPD) bezogen 44 Prozent aller Hochschüler in Deutschland entsprechende Hilfen. 2020, etliche sogenannte Reformen später, waren es nur mehr rund elf Prozent und aktuell – Zahlen dazu liegen noch nicht vor – dürften es noch weniger sein. Dabei setzten sich die Verheerungen in 16 Jahren Regentschaft durch Helmut Kohl (CDU) in den 2000er-Jahren nahtlos fort.

Von 2002 bis 2008 sowie zwischen 2010 und 2016 erstreckten sich zwei Sechs-Jahres-Phasen, in denen die Fördersummen komplett eingefroren waren. Zahllose junge Menschen purzelten aus der Förderung, weil die Elternfreibeträge nicht mit der Preis- und Lohnentwicklung Schritt hielten. Und immer mehr verzichteten aus freien Stücken auf ihre Ansprüche, weil die Erträge den Aufwand nicht lohnen und die Aussicht auf eine spätere Verschuldung abschreckt.

Stark-Watzinger ist angetreten, wie ihre Amtsvorgängerinnen Johanna Wanka und Anja Karliczek (beide CDU), eine "Trendumkehr beim BAföG" einzuleiten. Für die geplante Erhöhung des Elternfreibetrags um 20 Prozent von 2.000 auf 2.400 Euro sowie des Vermögensfreibetrags für Geförderte auf 45.000 Euro hat sie zurecht Lob geerntet. Dasselbe gilt für die Heraufsetzung der Altersgrenze auf 45 Jahre. Bisher erlischt der Anspruch mit 30 Jahren. Wer in "höherem" Alter nach abgeschlossener Lehre oder verfehlter Berufswahl ein Studium nachholen wollte, ging leer aus.

Bundesregierung will nachlegen

Auf dem Papier wird sich der Kreis der Antragsberechtigten mit den Maßnahmen deutlich vergrößern. Ob dies einen Zulauf in nennenswerter Größenordnung bringt, bleibt abzuwarten. Das gilt zugleich für das, was noch kommen soll. Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien sind eine Reihe weiterer Vorhaben benannt, etwa die Einführung einer Studienstarthilfe für sozial benachteiligte junge Menschen oder Schritte dahin, das BAföG elternunabhängiger zu machen. Erklärtes Ziel ist es dabei, die geplante "Kindergrundsicherung" direkt an Studierende auszuzahlen.

Ferner strebe man eine "Absenkung des Darlehensanteils" an. Derzeit muss man die Hälfte der Zuschüsse nach Abschluss des Studiums bis zu einer Maximalschuld von 10.000 Euro zurückzahlen. Überdies soll es weitere Flexibilisierungen bei Förderungshöchstdauer und Fachrichtungswechseln geben, teilte Stark-Watzinger am vergangenen Mittwoch mit. Die aktuellen Planungen für das kommende Wintersemester seien demnach "erst der Einstieg in eine umfassendere Neuausrichtung der individuellen Bildungsförderung", die in den kommenden drei Jahren auf der Agenda stehe.

Prüfung durch Karlsruhe

Das alles hört sich gut an. Gleichwohl stellt sich die Frage: Warum noch länger mit etwas warten, was schon jetzt von höchster Dringlichkeit ist? Und wer wollte darauf wetten, dass die Ampelparteien in einer Legislaturperiode gleich zwei BAföG-Novellen zustande bringen? In den vergangenen zwei Jahrzehnten passierte das nicht ein einziges Mal.

Dazu kommt eine weitere Unbekannte: 2021 wurde das BAföG ausgerechnet zu seinem 50. Jubiläum nach Karlsruhe geschickt. Auf Antrag des Bundesverwaltungsgerichts (BVG) muss das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob die Festsetzung der Leistungen grundgesetzkonform und entsprechend den Anforderungen "eines chancengleichen Zugangs zu den Hochschulen unabhängig von den Besitzverhältnissen der Eltern" erfolgt. Das BVG hat dies verneint. Eine Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts steht noch aus und verspricht einiges an Spannung – und vielleicht endlich auch mehr Geld.

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