Trump und Harris nach US-Wahl: Eine Show, zwei Hauptdarsteller
Trump feiert seinen Wahlsieg mit wirren Selbstlobpreisungen. Harris zeigt sich als faire Verliererin mit warmherziger Rede. Dennoch haben beide eines gemeinsam.
Die Ansprache Donald J. Trumps nach seiner Wahl zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und Kamala Harris‘ Rede zur Anerkenntnis ihrer Niederlage sollte man sich nacheinander ansehen. Zusammengenommen lassen sie die entscheidenden Züge des politischen Systems der USA klar hervortreten; sie sind ein Lehrstück in zwei durchaus unterhaltsamen Kapiteln.
Trump – Schauspieler und Oligarch
Trump hielt eigentlich überhaupt keine Rede – er mäanderte erkennbar planlos durch eine Kette von Selbstbeweihräucherungen und Superlativ-Behauptungen über die historische Größe seines Erfolgs.
Dabei wandte er seine Lieblingsadjektive "fantastic", "beautiful" und "great(est)" ohne Betonungsunterschied auf die zu erwartenden Früchte seiner Regierungszeit wie auf die Menschen an, die mit ihm auf der Bühne standen.
Was ihn dabei auszeichnete war eine in schelmischen Blicken und zurückhaltend affektierten Entgleisungen des Mienenspiels ausgedrückte Ironie, die jedoch nie versöhnliche Selbstironie wurde. Auch als er seinen designierten Vizepräsidenten ansprach geschah dies eigentlich nur, um darauf hinzuweisen, dass er, Trump, "eine gute Wahl" getroffen habe mit diesem Mann, dessen "Gehirn sich mit den besten messen" könne.
Vance konnte sich als besonders feines Exemplar eines "Apprentice", eines Lehrlings, aus Trumps früherer Fernsehshow fühlen, trug es aber mit Souveränität und traf innerhalb seines kurzen Intermezzos die einzigen, wenn auch vagen, politisch-programmatischen Aussagen, die bei Trumps Triumphauftritt fielen.
Doch Nein, eine politische Aussage tätigte Trump doch, als er nach einer witzig überzeichneten Lobrede auf das Twitter-Video einer Raketenlandung des Unternehmens SpaceX von Elon Musk von seinem Telefonat mit dem Unternehmer berichtete – um nach vollbrachtem Exkurs beiläufig anzumerken, es handle sich bei Musk um ein "Super-Genius", den man "schützen" müsse.
Auch "Bobby Kennedy" wolle ja in der Gesundheitspolitik "ein paar Dinge machen, und wir werden ihn auch lassen" – solange er der Ölindustrie nicht ärgerlich würde: "Bobby, überlasse mir das flüssige Gold."
Mit solchen Ausführungen über Superreiche und die Interessen bestimmter Industrien hat Trump eine zentrale Wahrheit über das US-amerikanische System ausgesprochen, die in der deutschen Berichterstattung über die Wahlen in den USA wie immer eigenartig abwesend war: Es handelt sich bei den Vereinigten Staaten von Amerika eben nicht einfach um eine strahlende "Demokratie".
Schon die Gründerväter beschäftigten sich in ihrem berühmten Briefwechsel der "Federalist Papers" damit, wie man verfassungsseitig verhindern könne, dass der "unbegüterte" Teil der Bevölkerung durch seine Überzahl gegenüber den Reichen "eine gerechtere Verteilung der Ländereien" durchzusetzen.
Diese Denktradition reicht bis ins 20. Jahrhundert, als Denker wie Walter Lippmann und Edward Bernays verkündeten, man müsse eine "leadership democracy" installieren, in der einige wenige "hinter den Kulissen die Fäden ziehen" (Bernays), um die öffentliche Meinung zu lenken und "Zustimmung zu fabrizieren" (Lippmann) zu den wesentlichen Projekten der oligarchischen Elite.
Die Wahloligarchie
Der greise Ex-Präsident Jimmy Carter hat 2015 im Interview mit Thom Hartmann zur heutigen "Demokratie" Amerikas das Entscheidende kurz und knapp gesagt: Es handele sich um eine "Oligarchie mit unbegrenzter politischer Bestechung".
Die Geldgeber der Wahlkampagnen bestimmten die Politik. Der Talkshow-Königin Oprah Winfrey gegenüber verneinte er ihre Frage, ob er heute noch Präsident werden könnte und sprach über "hunderte Millionen Dollar" die er aufbringen müsste, um überhaupt eine Kampagne zu starten.
Welcher Deutsche weiß eigentlich, dass diese korrupten Verhältnisse in guten wissenschaftlichen Studien belegt sind? 2014 z.B. zeigte man an der Princeton University, dass es keinen statistisch messbaren Einfluss der Menschen in den unteren 90 Prozent der Einkommensverteilung des Landes auf die Gesetzgebungsinhalte gibt, während der Zusammenhang für das obere 1 Prozent linear ist: Je mehr ein Reicher etwas will, je wahrscheinlicher wird es Gesetz.
Es ist wie Trump sagt: Seine Geldgeber "wollen ein paar Dinge machen", und er wird sie auch lassen und das schauspielerisch begleiten. Ganz so, wie z.B. Obama es tat, als er entgegen seiner Wahlkampfaussagen auf jegliche Verfolgung der Finanzverbrechen des großen Crashs 2008 verzichtete und die großzügige "Rettungspolitik" für große Finanzinstitute exekutierte.
Derartige Beispiele gibt es unzählige, unter denen besonders die krassen Übervorteilungen der Finanz- und Rüstungsindustrie durch jede US-Regierung ins Auge stechen. Die US-Finanzminister kommen traditionell direkt aus den Großbanken und kehren nach getaner Arbeit für ihre Klientel auch dorthin zurück.
Selbiges gilt für die fünf großen Rüstungskonzerne, deren Chefs ebenfalls gern Abstecher in die Regierung machen (wie etwa der ehemalige Vize-Präsident Dick Cheney, der von Halliburton kam). Was dieser Tage gern als "älteste Demokratie der Welt" gelobhudelt wird, ist in Wahrheit eine Wahloligarchie mit einer der geringsten sozialen Aufwärtsmobilitäten weltweit.
Harris – Symbolfigur des "amerikanischen Traums"
Wenden wir uns der Rede Harris' zu. Sie ist nicht, wie Trump gern behauptet, ein "low IQ individual", ein Mensch von geringem Verstand. In fließender, authentischer und durchweg warmherziger Weise erkennt Harris ihre Niederlage an.
Sichtlich bewegt kündigt sie an, dass ein friedlicher Machtübergang gewährleistet werden müsse, und sie verzichtet darauf, zu erwähnen, dass dies bei der letzten Wahl auch aufgrund des störrischen Verhaltens von Trump im Angesicht seiner Niederlage gegen Biden nicht gelang.
Das ist staatsmännische Rücksichtnahme auf den nun einmal gewählten Kontrahenten und ist ihr als reife Leistung anzurechnen, die eine Eskalation der Gewalt, wie sie bei der letzten Wahl geschah, verhüten hilft.
Harris legt nebenbei fast eine ganze Ethik des gedeihlichen Zusammenlebens dar, wobei sie fast immer glaubhaft darauf verzichtet, sich selbst in den Vordergrund zu rücken: Man solle sich warmherzig und freundlich ("kind") über alle Unterschiede hinweg begegnen und dürfe nicht aufgrund dieses verlorenen Wettbewerbs glauben, "der Kampf" sei verloren:
Das heißt nicht, das wir verloren haben. Manchmal dauert es eben einfach etwas länger.
Worum dreht sich dieser "Kampf"? Um "das Versprechen Amerikas" (das sie nicht näher bestimmt), um die Freiheit und die "Würde, die jeder verdient hat". Das sagt sie an einem Symbolort des Kampfes um Gleichberechtigung aller Minderheiten, der Howard University.
Und noch was: "Nur wenn es dunkel genug ist, kann man die Sterne sehen", und in dieser dunklen Stunde sollten alle zu "Billionen Sternen" werden und Optimismus verbreiten, damit "der Kampf" weitergehen könne: "Wir werden gewinnen, so lange wir nur kämpfen."
Worum kämpfen sie aber? Einerseits um die vage Aufrechterhaltung oder endliche Erfüllung des "Versprechens", des "amerikanischen Traums" – von dem der Komiker George Carlin einmal scharf bemerkte, er heiße "Traum", weil man schlafen müsse, um ihn zu glauben.
Andererseits geht der Kampf um eine Reihe von Symbolthemen, die seit Jahrzehnten die Gemüter ritualhaft erhitzen und mir moralisierender Unerbittlichkeit ausgetragen werden. Harris äußert sich konkret und stark emotional polarisierend zum Thema Abtreibung ("Entscheidung der Frau über ihren eigenen Körper" oder "Vorschriften" darüber von Abtreibungsgegnern?) und Waffen ("Der Kampf, unsere Städte und Gemeinden vor Schusswaffen-Kriminalität zu schützen, endet nie").
Das US-System braucht Trump und Harris
Donald J. Trump repräsentiert mit seiner Biographie, seinem immensen Vermögen und seinem narzisstischen Habitus die US-amerikanische Wahloligarchie – in offener Verbrüderung mit führenden Repräsentanten der tatsächlich in ihr herrschende Gruppe.
Kamala Harris repräsentiert die moralisch bewegte, emotional engagierte, sympathische Kämpferin für das Gute und Rechte, die mit ihrer Biographie beweist, dass in Amerika eben doch jeder seine Chance bekommt.
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Der Lärm der moralisierten, unversöhnlichen Debatten um Abtreibung, Waffenrechte und ein paar andere Themen, denen Harris in ihrer Rede breiten Raum gibt und die Trump nicht einmal in den Sinn zu kommen scheinen, hat auch seinen systemischen Sinn in den USA: Die lauten Streitereien über ökonomisch und geopolitisch belanglose Moralfragen füllen viel Raum in den Medien und helfen dabei, die Tatsache zu verdunkeln, dass in den Vereinigten Staaten von Amerika, wie Carter wusste, mitnichten einfach "das Volk" regiert.
Die Wahloligarchie braucht die Mythologie des "amerikanischen Traums" und der "ältesten Demokratie der Welt".
Michael Andrick ist Philosoph und Autor. Er hat u.a. in den USA als Manager gearbeitet. Sein aktueller Spiegel-Bestseller "Im Moralgefängnis" behandelt die Effekte moralisierter politischer Debatten.
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