Die grüne Kriegserklärung
Die Grünen setzen wie kaum eine andere Partei auf Moral als Prinzip der Politik. Das ist gefährlich, wie ein Wahlplakat zeigt. Ein Kommentar.
Die außenpolitische Agenda der Grünen lautet: "Wir wollen Krieg." Das wissen wir an sich schon aus den Äußerungen ihrer führenden Politiker. Ein bestimmtes Wahlplakat der Grünen zu Europawahl bringt den perfiden Mechanismus ihrer Kriegstreiberei im Namen des Guten jedoch so mustergültig auf den Punkt, dass es eine nähere Betrachtung lohnt. Es ist ein Lehrstück der Kriegspropaganda.
"Werte verteidigen, Frieden schützen" lautet der Slogan auf dem Plakat, das verschiedenfarbige Menschen zeigt, die in eine EU-Fahne gehüllt einen weiten Horizont anstaunen. Formuliert man den Slogan aus, so würde er lauten: "Wenn wir unsere Werte verteidigen, dann schützen wir den Frieden."
Werte begründen politische Interessen
Grundsätzlich begründen Werte politische Interessen. Bewerte ich Frieden und Harmonie am höchsten, so werde ich familiär geduldig sein und politisch für Abrüstung und Interessenausgleich der Staaten eintreten.
Bewerte ich maximale Profite aus meinen Investments am höchsten, so werde ich privat meinen materiellen Vorteil auch auf Kosten von Angehörigen suchen und politisch eine Ordnung wünschen, die Reiche tendenziell reicher werden lässt, z.B. durch niedrige Besteuerung von Kapitalerträgen.
Zwischen den Interessen "Abrüstung" und "niedrige Steuern auf Kapitalerträge" kann man prinzipiell einen Ausgleich finden: Etwa durch einen Kuhhandel, in dem koalitionspolitisch die Kürzung des Wehretats mit der gleichzeitigen Minderung der Abgeltungssteuer für Kapitalerträge verrechnet wird.
Auch wenn der eine gern Krieg hat, damit seine Wehr-Aktien gute Rendite bringen, und der andere lieber Frieden, muss zwischen diesen unterschiedlichen Bürgern kein Krieg ausbrechen: Auf Ebene der Interessen gelingt friedlicher Ausgleich.
Werte können nur dargelegt werden
Anders sieht es aus, wenn jemand unsere Grundüberzeugungen (Werte) angreift. Mehr als eine gegenseitige Darlegung unserer Werte kann hier nicht passieren. Den anderen von unseren Werten zu überzeugen, gelingt fast nie. In Europa haben wir das bitter an den Konfessionskonflikten nach der Reformation gelernt:
Was man für die Wahrheit hält, darf in der Politik allenfalls eine Nebenrolle spielen; entscheidend ist friedlicher Interessenausgleich in einem weltanschaulich neutralen Regelwerk, wie der Rechtsstaat es national und das Völkerrecht es international darstellen sollen.
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Auf der Werte-Ebene bleibt uns nur der Zusammenschluss mit Gleichgesinnten und, im Angriffsfalle, die Verteidigung, kurz: der Krieg um die Dominanz der eigenen Werte. Genau diese Logik aktivieren die Grünen mit ihrem Slogan "Werte verteidigen, Frieden schützen."
Wer sich auf der Ebene der Werte angegriffen sieht und nun seine "Werte verteidigen" will, der erklärt damit, dass es ihm in der Politik nicht um Interessen geht, die sich ausgleichen lassen. Vielmehr geht es ihm ums Prinzip des Guten und Rechten – die politische Diskussion wird moralisiert und eine unversöhnliche Haltung wird all jenen entgegengebracht, denen man andere als die eigenen Werte unterstellt. In dieser moralischen Logik ist ein friedlicher Interessenausgleich nicht mehr möglich, sondern nur Sieg oder Niederlage der richtigen, d.h. immer: der eigenen Werte.
So darf man nur dann Politik machen, wenn man es mit einem totalitären Gegner zu tun hat: Mit jemandem wie Hitler, der Interessenausgleich prinzipiell ausschließt, weil er die Weltbevölkerung wahnhaft in lebensberechtigte und "lebensunwerte" Menschen unterteilt und droht, letztere bei Erringung der Weltherrschaft ganz auszurotten. In einem solchen Krieg ist Wertepropaganda legitimer Teil der Kriegsführung.
Der Krieg in der Ukraine ist aber keineswegs ein solcher Fall. Die Russen suchen seit mehr als dreißig Jahren einen friedlichen Interessenausgleich mit der NATO und an ihre klaren Interessenbekundungen (keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, Anerkennung der Krim-Annexion, etc.) lässt sich jederzeit anknüpfen, um das massenweise Sterben zu beenden.
Aber die Grünen wollen das so nicht betrachten. Sie wollen den Krieg verlängern, nicht die Interessen ausgleichen. Die propagandistische Vollendung ihres genau betrachtet zum Krieg treibenden Plakats besteht darin, dass es als Folge der Werte-Verteidigung – also der unversöhnlichen Moralisierung des Politischen – den Schutz des Friedens behauptet. Dies ist eine perverse, entweder mit Absicht oder aus Dummheit umgedrehte Logik. Wer das versteht, der muss den Wahlkampfslogan "Werte verteidigen, Frieden schützen" als Kriegserklärung der Grünen verstehen.
Michael Andrick ist Philosoph und Autor. Sein aktueller Spiegel-Bestseller "Im Moralgefängnis – Spaltung verstehen und überwinden" behandelt die Effekte einer leichtfertigen Moralisierung politischer Debatten.