Die endgültige Zähmung der Grünen
Die Grünen zeigten sich in Wiesbaden zahm wie nie zuvor. Auf dem Parteitag folgt die große Mehrheit brav der Führung. Wird sich der Kurs bei den Neuwahlen auszahlen?
In einem sind sich die Grünen über die Jahre treu geblieben. Es menschelt auf ihren Parteitagen. Das war auch am Wochenende in Wiesbaden nicht anders. Wenn Robert Habeck ankündigt, er wolle ein Kandidat für die Menschen in Deutschland sein, sorgt das nicht mal für Lacher. Dass Habeck dann von 96 Prozent der Delegierten zum Kanzlerkandidaten der Grünen gewählt wurde, zeigt auch, dass sich das Menscheln noch immer auszahlt.
Das war eine der wenigen Konstanten, die sich über die Jahrzehnte bei den Grünen bis heute nicht geändert hat. Friedenstauben, wie sie bis Ende der 1990er Jahre auf Parteitagen der Grünen auftraten, waren auf dem Wiesbadener Parteitag nicht zu finden.
Für Nato und Verfassungsschutz
Heute stehen die Grünen für Wehrhaftigkeit gegen Russland, die bedingungslose Unterstützung der Ukraine und der Nato, die die Grünen noch bis in die 1990er Jahre abschaffen wollten – genauso wie den Verfassungsschutz. Heute wird die Behörde von den Grünen als Waffe gegen Rechts verstanden: Die Partei hat sich mit großer Mehrheit für ein AfD-Verbot ausgesprochen, was ohne den Verfassungsschutz gar nicht machbar wäre.
Auch ansonsten präsentieren sich die Grünen als gemäßigte Partei der Mitte. Man gibt sich sozial, will sich aber Koalitionsoptionen mit der Union nicht verbauen. Das zeigte sich vor allem bei der Debatte um die Schuldenbremse.
Der neue Vorsitzende der Grünen Jugend Jakob Blasel trat mit guten Argumenten für die Abschaffung der Schuldenbremse ein. Damit hatte er Unterstützung auch von Wirtschaftswissenschaftlern und Gewerkschaftern. Blasel erhielt für seine Forderung auch viel Applaus.
Schuldenbremse bloß nicht abschaffen
Es schien also so, als würde an dieser Frage der Eigensinn der Delegierten zum Ausdruck kommen, die auf früheren Parteitagen immer mal Beschlüsse gegen den Willen des Parteivorstands verabschiedet wurden. Doch von solchem Eigensinn der Delegierten war auf dem Parteitag in Wiesbaden nichts zu sehen.
In der Frage der Schuldenbremse brachte der als Parteilinker geltende, frisch gewählte Vorsitzende Felix Banaszak, der mit der Parteirechten Franziska Brandner das neue Führungsduo bildet, die Delegierten auf die Linie des Vorstands. Statt von einer Abschaffung redete er von einer Reform der Schuldenbremse. Das fordert mittlerweile auch ein Friedrich Merz.
So hat der Parteitag Habeck und Co. erst gar nicht in die Verlegenheit gebracht, bei Koalitionsgesprächen einen Parteibeschluss ignorieren zu müssen – ein in der Vergangenheit oft geübtes Manöver. Man hat gar nicht erst versucht, eigene Akzente zu setzen. "Lasst es uns jetzt nicht an der falschen Stelle verspielen", lautete das nicht sachlich, sondern koalitionspolitisch begründete Argument von Banaszak gegen diejenigen, die die Abschaffung der Schuldenbremse wollten.
Keine eigenen Akzente
Auch die Vermögenssteuer spielte in Wiesbaden keine besondere Rolle mehr. Hier hat man sich ebenfalls für eine Unionsregierung koalitionstauglich gemacht. So konnte die wirtschaftsnahe FAZ mit Genugtuung feststellen, dass der Parteitag ein Heimspiel für Habeck und Co. war.
Die Zeitung erinnerte daran, dass noch auf dem Parteitag der Grünen vor zwei Jahren die Stimmen für einen Antrag, der Habecks Wirtschaftspolitik unterstützen sollte, mehrmals ausgezählt werden mussten, weil es so knapp war. In Wiesbaden folgte die große Mehrheit der Delegierten dem Kurs der Parteiführung.
Keine Parteilinke mehr?
Da stellt sich kaum mehr die Frage, ob es überhaupt noch Linke bei den Grünen gibt. Vor einigen Wochen machte zwar der Austritt einiger Mitglieder und Funktionäre der Grünen Jugend aus verschiedenen Landesverbänden kurzzeitig Schlagzeilen. In Wiesbaden spielte das aber keine wahrnehmbare Rolle mehr. Das lag sicherlich auch daran, dass es danach keine Austrittswelle gab.
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Im Gegenteil: Wie die anderen Parteien auch verzeichneten die Grünen Anfang des Jahres Mitgliederzuwächse und erneut nach dem Ende der Ampel.
Nur die am linken Flügel der Partei stehende Bundestagsabgeordnete Canan Bayram aus Berlin-Kreuzberg/Friedrichshain hat in einer persönlichen Erklärung angekündigt, nicht mehr zu kandieren und auch keinen Wahlkampf mehr für die Grünen zu machen. Weitere Reaktionen sind nicht bekannt.
Habeck hat die Partei fest im Griff
Ob die Ausgetretenen, wie angekündigt, an einem neuen, links orientierten Projekt arbeiten, ist nicht bekannt. Einzelne haben allerdings angekündigt, die Linkspartei im Wahlkampf unterstützen zu wollen. Für die Grünen als Partei ist das jedoch kein Thema. Hier sieht man links keine ernsthaften Konkurrenten. Wie sich das Verhältnis entwickelt, falls der Linkspartei der Wiedereinzug in den Bundestag gelingen sollte, ist offen.
Unter dem Strich präsentieren sich die Grünen vor den Neuwahlen als Partei, die im Gegensatz zur SPD schon den Kanzlerkandidaten bestimmt hat und für ein Bündnis mit der Union zur Verfügung steht. Es gibt nur wenige Stimmen, die daran zweifeln, dass das ein Erfolgsrezept für die Partei im anstehenden Wahlkampf ist. Habeck hat die Partei fest im Griff. "Roberts Wahlkampf – sei dabei", heißt es auf der grünen Wahlkampf-Homepage.