Grüne ohne linken Flügel: Wer wird die neue Zielgruppe?
Vorstände der Grünen Jugend sind ausgetreten. Eine beliebte Politikerin, die direkt gewählt wurde, wirft nun auch hin. Die Begründung spricht Bände. Ein Kommentar.
In den letzten Wochen ging es Schlag auf Schlag: Erst traten Ende September die Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour als Konsequenz aus schlechten Wahlergebnissen auf Länderebene zurück, sprachen von "der tiefsten Krise unserer Partei seit einer Dekade" – und davon, dass es "neue Gesichter" brauche, um die Partei aus dieser Krise zu führen.
Kurz darauf machte dann der bisherige Vorstand der Grünen Jugend deutlich, dass er dafür nicht mehr zur Verfügung steht: Alle zehn Vorstandsmitglieder kündigten an, die Partei zu verlassen, um einen "neuen, dezidiert linken Jugendverband" zu gründen.
Kritikpunkte: Rüstungs-Milliarden, Asyl- und Klimapolitik
Zur Begründung schrieben sie an Parteivorstand und Bundestagsfraktion unter anderem "Ihr alle habt gemerkt, dass sich die Konflikte zwischen grüner Partei und Grüne Jugend in den letzten Jahren immer weiter zugespitzt haben. Sei es bei der Debatte um das 100-Milliarden-Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, bei der Auseinandersetzung rund um Lützerath, bei den Asylrechtsverschärfungen oder den Haushalten."
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Es folgten die Austritte mehrerer Landesvorstände der Parteinachwuchsorganisation. "Grund dafür ist der Entfremdungsprozess von der Grünen Partei über die letzten Monate und Jahre", hieß es etwa im Schreiben des bisherigen Vorstands der bayerischen Grünen Jugend. "Viele Entscheidungen, die Grüne in der Regierungsbeteiligung getroffen haben, sowie den aktuellen programmatischen, inhaltlichen und strategischen Kurs, können und wollen wir nicht länger mittragen."
Häme statt Bedauern von prominenten Alt-Grünen
Prominente Alt-Grüne reagierten zum Teil hämisch: Renate Künast, ehemals Bundeslandwirtschaftsministerin, sagte Im RBB-Inforadio, die Spitze des Parteinachwuchses sei ohnehin "nicht realitätstauglich" gewesen und habe "einen Klassensystem-Sozialismus aufbauen" wollen. "Da wundere ich mich nicht drüber und da weine ich jetzt auch nicht".
Mit Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt konnte eine weitere langjährige Grünen-Politikerin ihre Erleichterung kaum verbergen und unternahm wenige Tage später bereits Annäherungsversuche an die Unionsparteien.
Spitzen-Grüne koalitionsfein für die Union
"Wir regieren in vielen Ländern mit demokratischen Parteien in verschiedenen Konstellationen. Dass wir erschöpft davon sind, im Bund mit SPD und FDP zu regieren, spürt man sicherlich", sagte die Grünen-Politikerin Anfang Oktober der Neuen Osnabrücker Zeitung. "Und dann ist es doch völlig in Ordnung, darauf zu verweisen, dass Schwarz-Grün in den Ländern gut regieren kann."
Die Frage ist nur, ob das alle so sehen, die den Grünen dort ihre Stimme gaben, wer sie in Zukunft noch wählen soll und wozu es sie als eigenständiges politisches Angebot braucht – denn im Bundestagswahlkampf 2021 haben die Grünen noch mit eher linken Parolen gepunktet. Und es ist nicht nur eine Frage des biologischen Alters, wer sich daran noch erinnert und daran festgehalten hätte.
Wenn Grüne nicht mehr wissen, wofür ihre Partei steht
Canan Bayram, die damals im Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg 5 zum zweiten Mal direkt gewählt wurde, will 2025 nicht mehr antreten – und auch nicht im Wahlkampf helfen. Dies gab die 58-jährige Rechtsanwältin am Dienstag in einer persönlichen Erklärung bekannt, die sie an mehrere Medien verschickte.
"Ich habe mich dagegen entschieden, unter anderem weil mir immer weniger klar ist, wofür die Partei Bündnis 90/Die Grünen eigentlich steht", erklärte sie zur Begründung. Daher könne sie auch den Menschen nicht mehr erklären, wofür die Grünen stehen und ob sie vertrauenswürdig seien.
Langjährige Grünen-Politikerin will kein Feigenblatt sein
Sie selbst laufe "immer mehr Gefahr, lediglich ein Feigenblatt für meine Fraktion zu werden, die weniger Menschenrechte als populistische Diskurse in den Fokus ihrer Arbeit nimmt", so Bayram, die in ihrem Wahlkreis als Nachfolgerin von Hans Christian Ströbele ebenfalls für den linken Flügel der Grünen stand. Ihr Vorgänger starb 2022 im Alter von 83 Jahren.
Nun drohen die Grünen endgültig zur Gendersternchen-Fraktion der CDU zu werden.