Was ist und was soll eine "Brandmauer"?
Schutz oder demagogische Trennlinie? Wie politische und mediale Abgrenzungen die Demokratie gefährden. Ein Gastbeitrag – nicht nur zur Wahl in Thüringen und Sachsen.
Feuerschutzübungen sind aktuell beliebt in Politik und Medien. Als "Brandmauer" bezeichnen Politiker von Union, SPD, Grünen und FPD sowie manche Linke ihren Entschluss, kategorisch nicht mit bestimmten Parteien zu kooperieren. Manche Redaktionen betreiben denselben Sport, in dem sich Medienmarken gegenseitig mit dem Bann belegen. Was bedeutet dieses politische und mediale Ausgrenzungsgehabe für Republik und Demokratie?
Ein mehr als sprechendes Bild
Das Bild der Brandmauer ist nicht nur sprechend, nein, es hält dem, der hinhört, gleich eine ganze Rede: Jemand mit überlegener Übersicht über das gesellschaftliche Ganze, seine tragenden Wände und einsturzgefährdeten Areale, ein Architekt eben, zieht eine spezielle Mauer ein, um … – ja, wozu eigentlich? Richtig, um Sie und mich vor dem Feuer zu schützen.
Eine Brandmauer hat nur dann einen Sinn, wenn es in der von ihr abgeschotteten Gegend entweder bereits brennt oder die Entflammung akut droht. Es geht hier um nichts weniger als die Andeutung des körperlichen Flammentods in einem "Gebäude", aus dem niemand entkommt, wenn es Feuer fängt. Und da Politiker wie Medien öffentlich agieren und auf die ganze Gesellschaft wirken, ist klar: Die eigene Gesellschaft ist gemeint, in ihr müssten wir schlimmstenfalls umkommen, mangelte es uns an den rettenden "Brandmauern".
Bestimmte Mitbürger werden markiert
In der "Brandmauer"-Rhetorik liegt aber eine noch ärgere Behauptung verborgen, die, formuliert man sie einmal aus, schockiert: Die als potenzielle "Brandstifter" markierten Mitbürger – seien sie nun Anhänger der missliebigen Parteien oder Autoren der missliebigen Medien – werden im Bild der "Brandmauer" als Totschläger oder Mörder in spe vorgestellt.
Totschläger sind sie, wenn man ihnen schuldmindernde Unwissenheit oder Dummheit unterstellt; Mörder sind sie aber, wenn man ihnen kalkulierte Absicht bei der "Brandstiftung" attestiert.
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Wer "Brandmauer" sagt, der behauptet damit genau zu wissen, worin unsere ultimative Existenzgefährdung besteht – und zudem erklärt er uns, seine Zuhörer, zu seinen Schutzbefohlenen, denen er als ihr politmoralischer Erzieher nun nichts weniger als das Leben retten wird. All das wird ausgedrückt, wo einer von "Brandmauern" spricht.
"Brandmauern" in der Parteipolitik
Diese Vergegenwärtigung des bedeutungsmäßigen Gehalts der "Brandmauer"-Metaphorik macht es sehr einfach zu erkennen, was ihre Anwendung in der Parteipolitik darstellt. Es handelt sich um harte, den politischen Gegner brutal diffamierende Demagogie, deren simple Botschaft offen zutage liegt: "Die, die nicht regieren, aber es vielleicht bald könnten, sind böse, wir aber, die heute regieren und weiter regieren wollen, sind gut! Wir schützen euch einfach vor Verbrechern!"
Die beliebtesten Ausgrenzungskandidaten der Feuerschutz-Demagogen sind aktuell die Alternative für Deutschland (AfD) und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Dabei ist das alles nicht neu.
In der Nachwendezeit diffamierte man vorrangig von Unionsseite bereits Anhänger der PDS als "rote Socken", mit denen man nicht kooperieren dürfe, und bis in die 2010er Jahre war im Leitdiskurs von einer "Brandmauer" etwa der SPD zur Linken die Rede. Traditionell "bröckeln" diese imaginären Mauern einmal, und darauf darf man auch dieses Mal gespannt warten.
Spiegelung in den Medien
Der brutal-demagogische Charakter der "Brandmauer"-Rhetorik sticht auf der Ebene der Medien und ihres gegenseitigen Ausgrenzungsgehabes nicht so deutlich hervor; es geht subtiler zu. Medien und Autoren kooperieren in einem allseitig aufreibenden Spiel der verdächtigenden Ausgrenzung.
Man will in "brandmauernden" Redaktionen von Autoren, die in Zeitung X jenseits der imaginierten "Brandmauer" ein Interview gegeben oder einen Text veröffentlicht haben, selbst nichts mehr wissen. Schließlich, so das – sagen wir mal – "Argument", sei Zeitung X ja "AfD-", "BSW-", "SPD-", "Nato-" oder "regierungsnah".
Achtung vor Medien jenseits der "Brandmauern"
Viele Autoren achten ihrerseits penibel darauf, nicht bei Medienmarken präsent zu sein, von denen sie vermuten, dass sie jenseits der "Brandmauern" liegen könnten, die redaktionelle Partner in spe anderswo gerne befestigt sehen wollen. Und das ist auch verständlich, wenn man vom Schreiben und Reden lebt.
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Wird man z. B. beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch eingeladen, wenn man auch bei Henryk Broders Achse des Guten schreibt – und umgekehrt? Könnten meine Satiren über Gesinnungs-Meldestellen z. B. im Cicero die Türen beim Freitag oder beim RBB für mich schließen? Lässt man sich einmal darauf ein, so wird es beim Versuch, der Ausgrenzung durch selektives Kuschen vor vermuteten Fremderwartungen zu entgehen, schnell kompliziert, ja milde paranoisch.
Unterstellte Negativeigenschaften
Auf Seite "brandmauernder" Redaktionen scheinen wir zwei Annahmen im Hintergrund zu stehen: Erstens geht man davon aus, die reale oder postulierte "Nähe" einer Zeitung zu AfD, BSW, SPD, Nato oder der Regierung infiziere einen Autoren sozusagen mit den Negativeigenschaften, die man selbst diesen Institutionen beilegt. Wir haben es hier also mit magischem Kontaktschuld-Denken zu tun.
Zweitens wird Autoren scheinbar folgendes Prinzip unterstellt: "Veröffentlicht jemand in Zeitung X, dann stimmt er damit der Meinungstendenz dieses Mediums und seiner Leser zu." Das ist eine für mich befremdliche Annahme.
Dass vielleicht ein Autor aus demokratischer Gesinnung kontroverse Debatten über etablierte Fraktionen hinweg aktiv herbeiführen und befeuern will, das scheint "Brandmauer"-Rhetorikern nicht einzufallen. Das natürliche Interesse Intellektueller, gerade diejenigen zu erreichen, die ganz anders denken als man selbst, wird verkannt oder missdeutet.
Woran bauen "Brandmauer"-Architekten?
Vom Begriff der Republik her erschließt sich, worum bei der "Brandmauerei" eigentlich geht – woran hier im übertragenen Sinne gebaut, oder besser: was hier abgerissen wird.
Die Politik einer Republik besteht in der gleichberechtigten Regelung öffentlicher Angelegenheiten, also all der Fragen, die alle auf einem Territorium lebenden Menschen als Kollektiv betreffen. Wo die Politik nicht gleichberechtigt von allen Bürgern gestaltet werden kann, etwa in Diktaturen oder religiös-dogmatischen gelenkten Staaten, besteht deshalb keine Republik.
Erinnerung an Artikel 20 des Grundgesetzes
"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" (GG Artikel 20, Abs. 2) bedeutet, dass Deutschland eine demokratische Republik zu sein hat, in der es keine bevorrechtigten Klassen von Bürgern gibt: Alle können an der Politik mitwirken. In jeder anderen Staatsform als einer demokratischen Republik gibt es Privilegierte, die das Gemeinwohl ihren Privatinteressen unterwerfen können.
Und genau das wollen die "Brandmauer"-Architekten tun. Sie wollen die von ihnen als "Igitt!" markierten Parteien von der politischen Macht kategorisch ausschließen, um selbst an der Macht bleiben zu können. Damit erklären sie deutlich, Gegner der Republik zu sein und eine geschlossene Gesinnungsgemeinschaft ihrer Parteigänger und politischen Koalitionäre an ihre Stelle setzen zu wollen.
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Genau diese verfassungsfeindliche Tendenz ist es, die sich deutlich ausdrückt, wo die Bundesrepublik Deutschland – die als Republik niemandem als allen ihren Bürgern gemeinsam "gehört" – v.a. von Vertretern der aktuellen Regierungsparteien als "unsere Demokratie" (Steinmeier, Faeser, Scholz, Haldenwang, und andere) bezeichnet wird.
Das Projekt der Errichtung einer Gesinnungsgemeinschaft anstelle der Bundesrepublik verstößt auch eklatant gegen das Demokratieprinzip, weil nicht verbotene Parteien ausgegrenzt werden: Die Wahlstimmen eines bedeutenden Teiles der Bevölkerung werden eigenmächtig für nicht "regierungswürdig", also für letzten Endes minderwertig erklärt. Es gibt, auch wenn man das nicht aussprechen mag, nach dieser Logik Wähler erster und zweiter Klasse, also Bürger erster und zweiter Klasse.
Wer das Wort von der "Brandmauer" gegen erlaubte Parteien im Munde führt, der möchte tatsächlich die demokratische Republik abschaffen und sich selbst dauerhaft die Herrschaft sichern. Und Redaktionen, die publizistisch selbst eine "Brandmauer"-Politik verfolgen, machen sich zu Komplizen dieser Abschaffung der demokratischen Republik in Deutschland.
Michael Andrick ist promovierter Philosoph und Kolumnist der Berliner Zeitung. Er lebt in Berlin und publiziert u.a. in Deutschlandfunk Kultur, Freitag und Cicero. Sein aktuelles Buch "Im Moralgefängnis" wurde ein Spiegel-Bestseller.