Demokratiefördergesetz: Ein Mandat zur Einheitsmeinung?
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Der Schutz unserer Demokratie im Bann der Moralitis: Über politische Erziehung und einen Generalverdacht. Ein Buchauszug. Gastbeitrag.
Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Buch: "Im Moralgefängnis. Spaltung verstehen und überwinden" von Michael Andrick. Der Titel des Beitrags ist dem Buch entnommen, die Zwischentitel sind von der Redaktion.
"Unsere Demokratie" schützen?
Blicken wir zuerst auf die schon an sich selbst erheiternde Idee, als Regierung eines repräsentativ-demokratischen Staates ein Gesetz zur Förderung – genau – der Demokratie einzuführen: Die Exekutive eines Staats beschließt, die eigene Staatsform gesetzlich zu "fördern". Stellen Sie sich vor, der Deutsche Fußball-Bund legt gesondert und mit aufwendiger Presseverkündigung ein Programm zur Förderung des Fußballs auf.
Die Frage an einen dafür verantwortlichen DFB-Präsidenten wäre wohl: "Sollten Sie sich nicht die ganze Zeit um den Fußball kümmern und den Spielbetrieb organisieren? Warum braucht es da ein gesondertes Programm, um das zu fördern? Was haben Sie da versäumt? Worüber wollen Sie hier hinwegtäuschen? Wovon lenken Sie uns ab?" Genau so ist das "Demokratiefördergesetz" zu betrachten.
Aber wir lassen diese Fragen, die wir dem fiktiven DFB-Präsidenten wie auch, mutatis mutandis, dem Bundeskanzler stellen müssten, jetzt erstmal beiseite. Um Zugang zum Dogma der "Demokratieförderung" mit seinen Geheimnissen zu finden, müssen wir erstmal die Eingangserkenntnis vergessen, dass schon das Konzept in einem offiziell demokratischen Staat konfus und wunderlich ist.
Das Regime des Moralismus
Wir erbringen für den Moment die "Aufgabe des eigenen Verstandes" (sacrificium intellectus), die schon findige Mönche von christlich Gläubigen weise als Glaubensartikel forderten, denn:
Natur ist Sünde
Goethe, Faust II
Geist ist Teufel
Sie hegen zwischen sich den Zweifel
Ihr missgestaltet Zwitterkind
Und Zweifel steht der Durchsetzung von unbegründeten Machtansprüchen im Weg.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung für das "Demokratiefördergesetzes" geht von dem Grundsatz aus, den Bertold Brecht 1953 der DDR-Regierung nach ihrer Niederschlagung des Juni-Aufstands ironisch andichtete: dass1
das Volk
Die Lösung
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne
Diese Haltung ist an der Begründung des Gesetzentwurfs abzulesen. Der Text, wohl von eifrigen Beamten zwischen den Ressorts bis zur Kabinettstauglichkeit abgestimmt, liefert ein Paradebeispiel für die Wahnwelt der Fundamentalisten, in die das Regime des Moralismus führt.
Aus der Prosa des Gesetzentwurfes spricht genau die milde Paranoia bezüglich aller Sozialbeziehungen, die wir als Folgewirkung einer Moralitis-Epidemie verständlich gemacht haben.
Das Problem ist die Bevölkerung
Nicht die politischen Institutionen und Akteure, denen die große Mehrheit nicht mehr vertraut, sind das Problem der Republik; das Problem ist laut Gesetzesentwurf vielmehr die Bevölkerung.
Denn Sie, werter Leser, und ich haben "eine Vielzahl demokratie- und menschenfeindlicher Phänomene" zu verantworten, als da wären: "die gegen das Grundgesetz gerichtete Delegitimierung des Staates", "die Verbreitung von Verschwörungsideologien, Desinformation und Wissenschaftsleugnung […], Hass und Hetze im Internet", kurz: unseretwegen nehmen "multiple Diskriminierungen und Bedrohungen immer weiter zu."
Man wirft hier mit ideologisch aufgeladenen und zugleich schwammigen Vorwurfsbegriffen um sich. Die Regierung stellt die Bevölkerung unter einen Generalverdacht demokratiefeindlicher Verkommenheit – um daraus einen Erziehungsauftrag abzuleiten. Alle in den Zitaten kursiv gesetzten Begriffe sind ideologietragend.
Um diese Begriffe in stimmiger Weise anwenden zu können, muss jemand Kriterien definieren, was z.B. als Ausdruck "menschenfeindlicher" Gesinnung zu werten ist. "Verschwörung" – also die Absprache einiger Parteien zu Ungunsten, zur selektiven Informierung oder Irreführung einer oder mehrerer unbeteiligter Parteien – ist ebenfalls ein weicher und weiter Begriff.
Die Interpretation schwammiger Begriffe
Ist der Pressesprecher, der nach den Koalitionsverhandlungen nur die Hälfte der besprochenen Themen der Presse mitteilt, ein Verschwörer, gegen den man sich "demokratiefördernd" wenden sollte? Welcher Professor verbreitet "Desinformation" und "Wissenschaftsleugnung" – der Mikrobiologe, der der Regierung zu fast 100 Prozent widerspricht, oder der Mikrobiologe, der die Regierungsbotschaft neben dem Regierungschef sitzend verkündet?
Was ist überhaupt "Wissenschaftsleugnung"? Gibt es "die" einheitliche, monolithische "Wissenschaft", die man leugnen könnte, so wie vielleicht einige höchst eigenwillige Historiker die Mondlandung der US-Amerikaner leugnen möchten, oder wie Lavoisier im späten 18. Jahrhundert die Existenz des Stoffes "Phlogiston" zu leugnen begann, der bis dahin Verbrennvorgänge wissenschaftlich erklären sollte? Ist Wissenschaft nicht ein Erkenntnisprozess mit offenem Ausgang?
Die Interpretation schwammiger Begriffe ist immer das Einfallstor für Beurteilungswillkür. Diese Willkür müssen dem Gesetzentwurf zufolge künftig Beamte jedes Ministeriums "bedarfsgerecht" in "Förderrichtlinien" für bürgerschaftliche Projekte üben, die sie mit Parteipolitikern (u.a. mit den Ministern der Ressorts) festlegen.
Der Vertrauensverlust
Mit der Praxis der deutschen Demokratie waren im Sommer 2022 noch 59 Prozent im Westen und 39 Prozent im Osten zufrieden (laut Deutschland-Monitor), im Oktober 2022 laut ARD noch 54 Prozent und 34 Prozent (51 Prozent insgesamt). Dem Bundeskanzler vertrauen 33 Prozent, seiner Bundesregierung 34 Prozent, dem Bundestag 37 Prozent und den Parteien 17 Prozent (Forsa, Dez. 2022). Dieser letztere Wert sank bis zum Sommer 2023 laut RTL/N-TV noch weiter bis auf stolze neun Prozent.2
In dieser Lage "wählt sich die Regierung ein neues Volk", ganz wie Brecht es vor 70 Jahren, allerdings spottend, vorschlug. Ideologisch selektiv wird der Bund künftig Bürgeraktivitäten direkt und "nachhaltig" finanzieren, sich also Zustimmung kaufen.
Das "Demokratiefördergesetz" verpflichtet den Bund, staatlich geprüfte Status-Quo-Jasager für eine Republik einzukaufen, deren Akteuren die Mehrheit nicht mehr vertraut.
Wer sich die Mühe macht, die immens lange Liste der geförderten Projekte und Projektträger der Jahre 2015 bis 2019 durchzulesen, der kann sich nur wundern über die Millionenbeträge, die hier zur Erziehung einer offenkundig von "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" nur so durchwobenen Gesellschaft fließen.
"Demokratie leben!"
Auch entsteht unwillkürlich das Bild eines ganzen Heeres von steuerfinanzierten Hauptamtlichen der Volkserziehung zur Demokratie. "Wenn die Menschen plötzlich tugendhaft würden, so müssten viele Tausende verhungern", hielt Georg Christoph Lichtenberg fest. Wehe nur, so möchte man ausrufen, die Deutschen werden wirklich einmal "Demokraten" im regierungsgewünschten Sinne.
Dann müssten sehr viele "Gender-" und "Diversity-Mainstreaming"-Projektleiter arbeitslos werden. Erst dann wird sich der lebenspraktische Wert von Junggesellen- oder Meisterabschlüssen ("B.A." oder "M.A.") wie den "Sozialwissenschaftlichen Diversitätsstudien" der Universität Göttingen oder des "Studienschwerpunkts Gender & Queer Studies" ("Geschlechts- und Schrägstudien") der Universität Hamburg erweisen.
Sicher werden die von ihnen auf internen Schulungen in den Hauptstrom der Vielfalt und des Geschlechterns (denn das bedeutet "Diversity-" und "Gender-Mainstreaming") getrimmten Vermittler der Agentur für Arbeit sie gerne etwa als Klatschpublikum in Nachmittagstalkshows vermitteln.
Aber vorerst ist alles noch in Ordnung, wie die ministeriumseigene Umfrage unter "Programmumsetzenden" (zu Deutsch: Projektleitern und Projektmitarbeitern) ergibt: "Beinahe alle im Programm geförderten Akteurinnen und Akteure kommen zu der Einschätzung, dass 'Demokratie leben!' wirksam ist."3
Das ist nicht zu bestreiten, in jedem Falle ist es für die "Projektakteurinnen und Projektakteure" finanzwirksam. Im Bereich der "Demokratieförderung" ist es in diesem Punkt (und vielleicht nur in diesem einen Punkt) wie im richtigen Leben arbeitender Menschen: Man streichelt die Hand, die einen füttert. Und so halten die aus Programm-Mitteln bezahlten "Projektakteure" ihre eigene Arbeit dann auch zuverlässig für sinnvoll und wirksam.
Das letzte Wort zum Thema aber soll ein anonym bleibender Staatsaktivist selbst erhalten, der im Abschlussbericht von "Demokratie leben!" ausführlich zitiert wird. Er hat viel Wesentliches verstanden und drückt sich ähnlich ansprechend aus wie die Ministerialbeamten des Regierungstreuekaufprogramms "Demokratie leben!" im Rest ihres 100-seitigen Berichts4:
Also ich glaube, an sich ist es ja schon eine schöne Sache, weil "Demokratie leben!" ja auch was aussagt. Also, es ist allein schon vom Namen her und von dem, was dort gelenkt wird, ist es eigentlich an sich schön, ein Teil auch dessen zu sein, von dem Großen, und ich finde auch die Kampagnen immer ganz toll und es ist an sich ein durchdachtes System.
Moralitis und Doppelmoral
Durchdacht ist es ohne Zweifel, und zwar mit klaren Prioritäten. Die dauerhaften Verwaltungskosten der Alimentierung regierungskonformer Bürger ohne kritische Anmerkungen zum Verhalten ihrer Repräsentanten betragen 2,2 Millionen Euro pro Jahr im hier zitierten Gesetzentwurf, von denen aber nur ca. 0,3 Millionen für Durchführungs- und Erfolgsprüfung anfällt. Die Mittelausschüttung an handverlesene Status Quo-Ja-Sager ist offenbar viel wichtiger als die Prüfung, was diese mit dem Geld tun.
Denn "den Seinen gibt der Herr es…", nun ja, nicht direkt nächtig "im Schlaf", aber doch als Dauerauftrag aufs Konto mit dem größten Vertrauen, dass beim geförderten "zivilgesellschaftlichen Engagement" keine Kritik am Parteienkartellstaat herauskommen wird. Das nennen westliche Politiker – wenn es in anderen Ländern passiert – Staatspropaganda, Regime-Stabilisierung oder legalisierte Korruption.
Misstraut die große Mehrheit den Institutionen, so kann die Regierung mit neuer Politik um neues Vertrauen werben oder die Bürger zu mehr Zustimmung erziehen. Dies letztere ist die Strategie einer von Moralitis geplagten politischen Klasse, die meint, ihre Sicht der Dinge sei die allgemeingültige sittliche Wahrheit und die Bevölkerung habe das eben einfach noch zu begreifen. "Mit diesem Gesetz will sich der Staat eine Gesellschaft ganz nach seinem Bilde formen."5
In diesem Geiste gütiger Fürsorge rät man dem gemeinen Volk ganz konsequenterweise:
Vertrauen Sie nur den offiziellen Quellen.
Angela Merkel
Vertrauen Sie den Gesundheitsbehörden. Vertrauen Sie der WHO. […] Vertrauen Sie […] journalistischer Sorgfalt in den Qualitätsmedien.
Ursula von der Leyen
Denn dort hört das Volk, was es hören soll, weil es die reine Wahrheit ist:
Wir werden weiterhin ihre einzige Wahrheitsquelle sein. Wenn Sie es nicht von uns hören, ist es nicht die Wahrheit.
Jacinda Ardern, ehemalige Premierministerin von Neuseeland
Der von Merkel, von der Leyen und Ardern ausgedrückte Vormundschaftsgeist ist zu oft kommentarlos hingenommen worden, obwohl dem Bürger hier ganz offen die Mündigkeit zur eigenen Urteilsbildung aus frei gewählten Quellen abgesprochen wird.
Es wird offen angekündigt, dass man ihm die Informationsquellen "zertifizieren" und damit die für ihn zulässigen Informationen vorschreiben möchte. Die Bevormundung erfolgt vollkommen offen und schamlos.
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