Libyen: Warnsignal an die Türkei

Der Militärflughafen al-Watija, den die Türkei als permanente Basis in Libyen einrichten will, wurde angegriffen. Spannungen zwischen EU und der Türkei

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Der Angriff auf den libyschen Militärhafen al-Watija am vergangenen Sonntag, den 5. Juli, war ein deutliches Signal an die türkische Führung. Der Schaden ist gering, der Eindruck, den der Angriff hinterlässt, ist es nicht. Denn er ist eine Antwort auf den Vormarsch der Türkei in Libyen.

Wer genau für den Luftangriff verantwortlich ist, ist unbekannt. Spekulationen nennen die Vereinigten Arabischen Emirate, die sich schon seit längerem mit der Türkei einen Krieg im Himmel über Libyen liefern, aber auch Frankreich, da der Angriff auf al-Watija offenbar sehr präzise erfolgte und dazu Geheimdienstinformationen nötig sind, die man Frankreich unterstellt.

Was genau getroffen wurde, ist ebenfalls Gegenstand von Spekulationen, es gibt keine gesicherten Informationen. Türkische Medien berichten von einem Luftabwehrsystem und "Ausrüstung", die von unbekannten Flugzeugen zerstört wurden. Ob auch türkische Drohnen, die im kriegerischen Geschehen in Libyen eine große Rolle spielen dort untergebracht waren, ist unbekannt. Bildmaterial bestätigt die Annahme, dass das Flugabwehrsystem MIM-23 Hawk das Ziel des Angriffs war.

Unstrittig ist, dass al-Watija für die Türkei von zentraler strategischer Bedeutung ist. Ankara steht in Verhandlungen mit der libyschen Einheitsregierung (GNA), auf dem Flughafen eine permanente militärische Basis zu errichten. Von al-Watija aus kann die Türkei künftig große Teile der Küste kontrollieren und mit Transportflugzeugen Truppen versorgen.

"Es wird ein Beispiel gesetzt"

Der Angriff wird von Experten als grundlegender Schritt herausgestellt, weil die Angreifer damit dem türkischen Militär demonstrierten, dass sie bereit und dazu in der Lage sind, diese Basis zielgenau anzugreifen. "Es wird ein Beispiel gesetzt, die Militärkräfte, die dafür verantwortlich sind, werden diese Art der Operation künftig wiederholen." (Jalel Harchaoui)

Auch der Zeitpunkt des Angriffs verstärkte die Botschaft, denn am Wochenende war der türkische Verteidigungsminister in Tripolis. Man kann davon ausgehen, dass al-Watija ein wichtiges Thema der Gespräche zwischen Hulusi Akar und der Regierung al-Sarradsch war. Das andere große Thema zwischen den beiden ungleichen Verbündeten - die GNA-Regierung unter Sarradsch ist militärisch von der Türkei abhängig - wird nach Stand der Dinge die Offensive auf Sirte und al-Jufra, wo russische Flugzeuge (ohne Hoheitsabzeichen) stationiert wurden, gewesen sein.

Trotz der lauten Drohungen seitens Ägypten, selbst militärisch aufseiten der Gegner der Türkei, die von Khalifa Haftar angeführt werden, einzugreifen, sollte die Waffenruhe nicht eingehalten werden, gibt es aus der Regierung in Ankara offene Ankündigungen, dass der Militärflughafen in al-Jufra und die Hafenstadt Sirte die nächsten Ziele sind. Das bestätigte das Büro des Präsidenten Erdogan nach dem Angriff auf al-Watija noch einmal über Twitter.

Die Kairoer Erklärung einer Waffenruhe wird als Einmischung gesehen, die nichts an den Zielen der Türkei ändert. Diese Sichtweise erklärte ein Kommentar in der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Wochenende.

Aus einem aktuellen Bericht von al-Monitor geht hervor, dass eine Meinungsumfrage in der Türkei große Unterstützung für den Militäreinsatz in Libyen anzeigt. 60 Prozent der Befragten sollen im Juni den Einsatz auf fremden Boden unterstützen. Im April waren es demnach nur 35 Prozent. Allerdings soll sich dies nicht in bessere Popularitätswerte für Erdogan übersetzen. Mit lediglich 25 Prozent Unterstützung sei er in der Gunst weiter gefallen, wird von der Umfrage berichtet.

Frankreich: Starke Vorwürfe gegen Türkei

Eindeutiger Widerspruch zu den Aktionen der Türkei in Libyen und vor dessen Küsten kommt von Frankreich. Macron hat den Streit mit der türkischen Regierung vor die Nato gebracht und vor die EU. Diese steht, wie auch in der Nato, prinzipiell aufseiten der GNA. Das hat viel damit zu tun, dass die Regierung als "international anerkannt gilt", wenn sie auch unter starker Einmischung der UN zustande kam und über wenig Rückhalt in der Bevölkerung verfügt.

Während Italien die GNA deutlich unterstützt, diese gemeinsame Linie auch gegenüber der Türkei ins Spiel bringt - und dennoch auch mit Haftar engeren Kontakt sucht, zählt Frankreich zu den militärischen Unterstützern der Seite Haftars. Dass lukrative Beziehungen - zum Beispiel in Form von Waffengeschäften - mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, eine wichtige Rolle spielen, ist unübersehbar. Dazu passt im Übrigen auch, dass sich neue Waffengeschäfte mit Ägypten anbahnen, das ebenfalls Haftars LNA-Milizenverbund unterstützt.

Da Frankreich über die Waffenlieferungen der VAE nach Libyen, die ebenfalls gegen das Waffenembargo verstoßen, kein Wort verliert, ist das Vorgehen Frankreichs gegen die Lieferungen aus der Türkei etwas einseitig. Am 10. Juni kam es zu einer Beinahe-Eskalation im Mittelmeer, als eine französische Fregatte ein Frachtschiff unter der Flagge Tansanias wegen Verdacht auf eine Fracht, die gegen das Waffenembargo verstößt, kontrollieren wollte. Türkische Marineschiffe, die das Frachtschiff begleiteten, sollen laut Angaben der französischen Regierung mit Radarlicht Feuerbereitschaft signalisiert haben, woraufhin die französische Fregatte kehrt machte.

Der Zwischenfall wird von der türkischen Regierung anders geschildert. Das Frachtschiff habe eine harmlose Ladung gehabt und die Lichtsignale seien ganz anders geartet gewesen, ebenfalls harmlos. Warum aber Kriegsschiffe das Frachtschiff begleiteten, bleibt unbeantwortet. Die Nato will den Vorfall überprüfen, Frankreich ist aus der Mission "Sea Guradian" bis zur Klärung der Vorfälle ausgestiegen. Jetzt baut sich der Streit in der EU auf.

Frankreich drängt auf EU-Sanktionen gegen die Türkei im Zusammenhang mit deren Vorgehen bei den Erdgas- und - ölvorkommen im östlichen Mittelmeer bei Zypern. Der Vorwurf lautet, dass die Türkei auch dabei aggressiv vorgehe. Der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, weilt nun in Ankara, um Streitpunkte zu schlichten, was ihm anscheinend nicht besonders gelingt.

Es spielt viel mit hinein: Spannungen, die aus EU-Verhandlungen über den EU-Beitritt rühren, aus dem Flüchtlingsdeal zur östlichen Mittemeerroute und aktuell die Reisewarnungen, die Frage, ob europäische Touristen wieder in größerer Zahl in die Türkei reisen. Gut möglich, dass man sich auch in der EU schon Gedanken darüber macht, ob man mit Erdogan bald auch einen Partner für einen Flüchtlingsdeal zur zentralen Mittelmeerroute haben und entsprechend neuen Drohungen ausgesetzt sein wird. Der italienische Verteidigungsminister war dieser Tage in Ankara.