US-Africom warnt vor russischen Kampflugzeugen in Libyen
US-Luftwaffengeneral sieht für Europa "sehr echte Sicherheitsprobleme auf der südlichen Flanke" zukommen. Die problematische Rolle des Nato-Mitglieds Türkei wird ausgeblendet
Das Afrikanisches Kommando der Vereinigten Staaten (US Africa Command) meldete vor zwei Tagen, dass Russland Kampfflugzeuge nach Libyen gebracht hat. Damit sei die Verwicklung Russlands in den libyschen Konflikt nicht länger abzustreiten, so der US-Africom-General Stephen Townsend.
Seither stellt sich nicht nur unter Beobachtern aus Medien und Think-Tanks, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Nato-Kreisen die Frage, was Russland in Libyen vorhat. Da es niemand genau weiß, tauscht man sich über mal mehr, mal weniger erregte Spekulationen aus.
Zwei Entwicklungen aber erscheinen derzeit als gut möglich und absehbar: Dass sich die Türkei einen festen militärischen Stützpunkt in Libyen aufbaut und Russland sich seinerseits eine Position in Libyen festigt, die von Africa Command mit dem englischen Begriff Anti-Access Area Denial (A2AD) wiedergegeben wird. Auf deutsch: ein Areal, das besser nicht angegriffen wird, weil die Kosten dafür zu hoch sind - wer will sich schon mit dem russischen Militär anlegen?
"Neu angemalt, ohne Hoheitszeichen"
Die russischen Flugzeuge, angeblich MiG 29s und SU-24, sollen laut jüngsten Angaben von US-Africom nach einem Zwischenstopp in Syrien, auf dem Militärflughafen Khmeimin, wo sie neu angemalt und die nationalen Hoheitszeichen übermalt wurden, zum libyschen Militärflughafen in al Jufra geflogen sein.
Mindestens 14 "unmarkierte", aber jedenfalls russische Flugzeuge zählt das US-Afrika-Kommando, die dorthin "geliefert" wurden. Zur Meldung gibt es Luftaufnahmen, die so wenig von den Flugzeugen erkennen lassen, dass sie im Grunde nur von Experten genau auf Deckungsgleichheit mit den Aussagen zu überprüfen sind.
Oder die Fotos sind derart ausgeschnitten, dass sie genauere Ortskenntnis verlangen.
Sie generieren jedenfalls Aufmerksamkeit und Aufregung: So befürchten manche Beobachter, dass sich die Zivilbevölkerung in der libyschen Hauptstadt Tripolis auf russische Luftangriffe gefasst machen müsste, wie man sie aus Syrien kennt.
Was passt und was nicht passt
Der Flughafen in al-Jufra, zu Gaddafis Zeiten eine Basis der libyschen Luftwaffe, liegt im Zentrum des Landes. Nach Meldungen, auf Deutsch z.B. in der FAZ, sind geschätzt 1.500 Söldner der russischen Sicherheitsfirma Wagner, die sich aus der Hauptstadt Tripolis zurückgezogen hatten, am vergangenen Sonntag in die Stadt al-Jufra gebracht worden. Al-Jufra gilt als "Haftar-Bastion".
Dazu passt die Aussage des Africom Generals Stephen Townsend. Er ist sich sicher, dass Russland in Libyen versuche, einen "Ausschlag zu seinen Gunsten" zu geben, indem es seinen "militärischen Fußabdruck" vergrößere und dazu auch Söldnergruppen wie die von Wagner benutze.
Der für Europa und Afrika zuständige US-Air-Force-Kommandeur General Jeff Harrigian ist sich sicher, dass Russland in Libyen auf lange Frist die erwähnten A2AD-Fähigkeiten aufbauen will - und dass Europa damit "sehr echte Sicherheitsprobleme auf der südlichen Flanke" erwachsen.
Dazu passt nicht, dass die russische Regierung eine militärische Verwicklung in den libyschen Konflikt dementiert.
Das Dementi wird von der russischen Nachrichtenagentur Tass in einer bemerkenswerten Form präsentiert: Erst wird unter einem breitleinwandgroßen Bild des Pentagons die Meldung deren Sprechers zweimal im Konjunktiv wiedergegeben, wonach mindestens 14 russische Kampfflugzeuge auf dem libyschen Territorium "möglicherweise sein könnten" ("that could possibly be in Libya").
Dann wird der Kreml damit zitiert, die US-Vorwürfe einer russischen Einmischung in den libyschen Konflikt seien "fake". Und Außenminister Lawrow würde Behauptungen bestreiten, wonach "Söldner, die mit Russland verbunden sind" in Libyen kämpfen.
Dass sich Wagner-Söldner in Libyen aufhalten und an der Seite des Generals Khalifa Haftar kämpfen, lässt sich allerdings anhand des kursierenden Bildmaterials und der Berichte aus Libyen nicht glaubhaft bestreiten. Dazu müsste man ein geradezu verblendeter Parteigänger sein.
Die Präsenz von Wagner-Söldnern leugnet Lawrow im wiedergegebenen Zitat auch nicht. Ebenso wenig wird der Präsenz russischer Flugzeuge auf libyschem Boden in den zitierten Aussagen aus der Führung konkret widersprochen. Die Rhetorik mit dem Konjunktiv ist auch US-Mitteilungen nicht fremd.
Der Widerspruch: Auf politischer Ebene
Widersprochen wird auf politischer Ebene. Die russische Führung will sich nicht die Theaterfigur zuschreiben lassen, die das US-Skript für sie hat: Dass sie - und das ist der durchaus hörbare Unterton - aggressive, militärische Politik in Libyen betreibt. Wie genau die Absprachen zwischen dem Kreml und der Wagner-Gruppe aussehen, wäre ein eigenes Thema. Konkrete Informationen dazu sind Insidern vorbehalten.
Deutlich zu sehen ist aber auch für Außenstehende, dass sich das "Modell Syrien" nicht so einfach auf Libyen übertragen lässt. Unterstützt wird General Haftar von den Vereinigten Emiraten, Ägypten, Frankreich und Saudi-Arabien.
Das ist ersichtlich kein "Bündnis", das man "eins zu eins" aus dem syrischen Konflikt übertragen kann. Auch wenn es der französische Außenminister Le Drian genau so sehen will: "Wir stehen einer Syrianisierung Libyens gegenüber." In Syrien hat Le Drian noch selten genau hingeschaut.
Unterschiede zu Syrien
Die russische Unterstützung Haftars kommt nun erst wieder richtig in die Medienaufmerksamkeit. Längere Zeit war man da zurückhaltend - mit gutem Grund: Weil, wie auch Leitmedien anmerkten, die gefestigte Vorstellungen zu Russland haben, die Führung im Kreml vorsichtig darauf achtete, nicht einseitig mit Haftar verbunden zu werden. In Syrien ist das völlig anders, Moskau lässt keinen Zweifel daran, dass Russland die Regierung Assad unterstützt.
In Libyen legten Vertreter der russischen Regierung stets Wert darauf, dass sie auch mit den Vertretern der international anerkannten Einheitsregierung (GNA) in Verbindung stehen - und dass Moskau für eine politische Lösung eintritt. Es gibt von der russischen Seite immer wieder Initiativen für eine beiderseitig, von Saradsch, dem GNA-Chef und seinem Widersacher General Haftar, bekräftigte Waffenruhe.
Haftar ist kein Regierungschef und wird auch bislang nicht von der russischen Armee unterstützt. Spekulationen, die nicht reflexhaft auf die Bilder von russischen Bombenangriffen wie in Syrien zusteuern, sondern sich über das politische Relief Gedanken machen, halten allerdings eine verstärkte Verbindung zwischen Russland und dem international anerkannten Parlament im Osten Libyens, in Tobruk, für wahrscheinlich.
Das Parlament im Osten: Ziel der russischen Politik
Die Schlüsselperson dafür ist Aguila Saleh Issa, Präsident des Parlaments im Osten, das Abgeordnetenversammlung, englisch HoR (House of Representatives), das von der UNO als offizielle Kammer Libyens anerkannt wird.
Sie ist die parlamentarische Rückendeckung Generals Haftars, der von der Kammer zum Oberbefehlshaber der Reste der libyschen Armee (LNA, neuerdings öfter auch LAAF genannt) bestimmt wurde. Ob er den Posten auch offiziell noch innehat, verwischt sich ein bisschen im libyschen Durcheinander an Proklamationen. Gewiss ist, dass Haftar im Großen die Unterstützung des HoR hat, allerdings setzt man ihm Grenzen.
So folgte Ende April auf Haftars eitler und eigenmächtiger Ausrufung seiner selbst als Herrscher Libyens, ausgestattet mit einem Mandat der Bevölkerung, ein öffentlich ausgetragener Konflikt zwischen dem Selbstherrlichen und Parlamentspräsident Aguila Saleh Issa, der seine Kammer nicht so einfach degradiert sehen wollte (und wohl auch nicht seine eigene politische Rolle). Es heißt, dass sich auch der Beifall in Moskau für diese Plakataktion Haftars sehr in Grenzen hielt.
Sollten sich Russland und die offiziell anerkannte parlamentarische Kammer im ostlibyschen Tobruk tatsächlich annähern, wie Beobachter spekulieren, so würde das ein neues "politisches Machtzentrum" ergeben. Daran zu sehen wäre, dass das Vorgehen Russlands in Libyen mit bloßer aggressiver militärischer Machterweiterung gleichzusetzen einem verengten Blick auf die Situation im Land entspricht.
Eskalation? Das russisch-türkische Verhältnis
Ausgeschlossen ist eine militärische Eskalation aber nicht; die Präsenz der Flugzeuge signalisiert schon etwas: Sie sind in keiner offiziellen Mission der russischen Luftwaffe unterwegs - die aber über eine mögliche Zustimmung des Parlaments in Tobruk legitimiert werden könnte -, aber sie sind schon als Zeichen dafür zu sehen, dass Russland, anders als 2011, in Libyen präsent ist und ergreifen könnte.
Dass die Nato 2011 über ein UN-Mandat Kriegspartei beim Aufstand gegen Gaddafi war, hat in Russlands Führung große Nachwirkungen. Das soll sich nicht wiederholen. Der russische Militäreinsatz in Syrien hat auch damit zu tun.
Ob es zu einer Eskalation kommt, hängt wesentlich auch davon ab, wie sich das militärisch stark von der Türkei getragene Lager auf der Seite der GNA-Regierung verhält. Wie berichtet, hat die militärische Unterstützung der Türkei der Regierung Sarradsch und ihren Verbündeten zu einer Wende im Kriegsverlauf verholfen.
Haftars Truppen mussten ihre Offensive auf Tripolis aufgeben. Sie haben sich zurückgezogen, einschließlich der Wagner-Söldner. Die Türkei ist, wie es Beobachter voraussehen, dabei, sich auf eroberten Militärflughafen al-Watia eine militärische Basis aufzubauen, die sie aller Erfahrung in Syrien nach und aufgrund ihrer langfristigen Interessen nicht so schnell verlassen wird.
Gegen eine Eskalation spricht, dass sich Russland und die Türkei durchaus arrangieren können, dazu liefert Syrien schon eine Vorlage. Allerdings sind die libyschen Verhältnisse anders geartet. Ähnlichkeiten gibt es auf der Ebene des Konflikts, der mit islamistischen Milizen zu tun hat und der in Syrien zu immer neuen Problemen zwischen Russland und der Türkei geführt hat und ein Problemherd bleibt.
... und die Eiferer auf beiden Seiten
Jüngst kamen, wie auch an dieser Stelle berichtet, nach einer Art Informationspause wieder mehr Meldungen an die Öffentlichkeit, die Verbindungen zwischen der GNA-Regierung und islamistischen Extremisten bis hin zu al-Qaida-Mitgliedern deutlich offenlegten. Angeblich haben sich auch russische Medien diesem Thema zuletzt angenommen.
Dass die Erdogan-Türkei sich aufseiten der Muslimbrüder, die für einen politischen Islam stehen, der die Regierung prägt, in Libyen positioniert, ist unübersehbar, wie auch das Verfrachten islamistischer Milizensöldner aus Syrien nach Libyen.
Das religiöse Gemisch der Kontrahenten - mit Haftar sind Salafisten verbunden, die Saudi-Arabien nahestehen - birgt ebenso Konfliktpotential durch Eiferer wie eine Nato-Politik, die eine Obsession mit Russland hat.
US-Africom warnt vor einer Luftoffensive Haftars, die von Russland bestückt und bemannt wird.