Lichtschwerter zu iPods!
Das Star Wars Kid wird entschädigt
Als dicklicher Fünfzehnjähriger ohne besondere Fähigkeiten hat man es schwer, weltberühmt zu werden. Ein Zehntklässler aus Quebec namens Ghyslain hat es geschafft, denn die Geekforce war mit ihm.
Das war noch nicht absehbar, als sich Ghyslain im November 2002 von einem Schulfreund eine leere Videokassette borgte. Die brauchte er, um im Videostudio seiner Schule einer harmlosen Leidenschaft zu frönen. Ghyslain ist ein Star Wars-Fan. Mit einem langen Stab bewaffnet wollte er Darth Maul, einen der bösen Schwertkämpfer aus der neuen Star Wars-Trilogie, vor laufender Kamera imitieren. Das Ergebnis war wenig ansprechend, und Ghyslain gab die Kassette an seinen Schulfreund zurück. Die Aufzeichnung löschte er vorher nicht, was sich noch als schwerer Fehler herausstellen sollte.
Denn als der Schulfreund nach längerer Nichtbeachtung der Kassette entdeckte, was sie enthielt, hatte er nichts besseres zu tun, als Ghyslains Gehampel zu digitalisieren und ins Internet hinauszublasen. Das hätte kein großes Problem sein müssen, denn auf einer digitalen Müllhalde wie dem Internet geht vieles einfach unter. Aber wie es der Zufall wollte, war die Netzgemeinde begeistert, und in einem jener seltsamen Internet-Hypes wurde das Star Wars-Video zu einem ausgesprochenen Download-Hit. Es tauchte buchstäblich überall auf, und war offenbar weltweit für einen Lacher gut. Verschärft wurde das noch dadurch, dass ein gewisser Bryan Dube das Video mit den Originalklängen und Lichteffekten aus den Star Wars-Filmen verzierte.
Auch das macht den Film nicht zu einem Meisterwerk der Satire, aber die milde komische Show traf offenbar einen Nerv bei Millionen Internet-Nutzern.
Hier hätte die Geschichte auch schon beendet, und das Star Wars-Kid als ein weiteres Beispiel für die Unmöglichkeit der "informationellen Selbstbestimmung" im Internetzeitalter zu den Akten gelegt werden können.
Aber Andy Baio, von dessen Site waxy.org das Video in kurzer Zeit 1,1 Millionen Mal heruntergeladen wurde, machte sich ein paar Gedanken zu dem Vorfall. Vor allem wollte er von dem Star Wars-Kid, das bis dahin noch keinen Namen hatte, selber wissen, was es zu dem ganzen Rummel dachte.
Der Kontakt gelang, und ein französischsprachiger Freund führte ein improvisiertes Interview.
Es ist zwar recht inhaltsarm, führt aber doch einen erstaunlich gelassenen Teenager vor, der souverän mit seinem Video-Malheur umgeht. Baio war beeindruckt und kam auf eine Idee: Wieso den Jungen nicht dafür entschädigen, dass er sich vor einem Weltpublikum unfreiwillig zum Deppen gemacht hat? Weil Ghyslain in dem Interview davon gesprochen hatte, dass ihm ein iPod gefallen könnte, rief Baio eine Spendensammlung ins Leben, um Ghyslain einen zu kaufen. Die Aktion spielte über 4.000 Dollar ein. Ghyslain wird wohl seine ganze, wie man aus dem Interview weiß, beträchtliche Computerausstattung renovieren können. Man darf auf den Neid des anonymen Video-Digitalisierers hoffen - wenn seine Aktion als besonders perfide Art des Mobbings gedacht war, könnte sie auf diese Weise nach hinten losgehen.
Der Fundraiser ist natürlich eine zweischneidige Sache. Sofort waren die Verschwörungstheoretiker auf dem Plan, die in der Aktion ein Beispiel für virales Marketing durch Apple sahen. Baio wird beweisen müssen, dass das gesammelte Geld den Jungen auch erreicht hat. Manche Kommentare zu der ganzen Angelegenheit musste er aus seinem Weblog entfernen, weil sie sich auf bösartige Weise mit dem Phänomen auseinandersetzten:
Ich habe die Kommentarfunktion zu diesem Thread deaktiviert, wegen des niederträchtigen Tonfalls, der hier Einzug nimmt; die gemeinsten Kommentare habe ich gelöscht. Ja, er ist fett und tollpatschig. Wir haben's begriffen. 90 % der Downloads kommen von Spiele-, Technologie-, und Star Wars-Fanseiten, und ich nehme an, dass die meisten von euch auf der Highschool nicht sehr viel cooler waren als dieser arme Junge. Ihr könntet wirklich zweimal nachdenken, bevor ihr auf jemand einschlagt, der euch so sehr gleicht. [Übersetzung M.H.]
Quelle
Die ganze Umgehensweise von Andy Baio mit dem Thema spricht für seine Sensibilität. So kennt er den vollen Namen von Ghyslain und ist im Besitz von Photos, veröffentlicht sie aber nicht, um die Privatsphäre des Jungen nicht noch mehr zu durchlöchern. Auch den Fundraiser nicht bis zur Ansammlung von Unsummen fortzuführen, war richtig. Es ging von Anfang an um eine empathische Versöhnungsgeste, nichts sonst.
Man könnte jetzt natürlich einwenden, dass Ghyslain mit ein paar Spielzeugen abgespeist werden soll für ein Spaß auf seine Kosten, der ihn wahrscheinlich noch lange verfolgen wird. Aber bei Licht besehen spricht mehr für die Aktion als gegen sie.
Schließlich werden im Netz grausame Späße mit Menschen getrieben, ohne dass irgend jemand auch nur daran denkt, sie dafür zu entschädigen.
Im Vergleich mit den kleinen Leuten, die sich in TV-Krawallshows um Kopf und Kragen reden, kommt der Fünfzehnjährige aus Quebec sehr gut weg: Er hat sich der Aufmerksamkeit der Zuschauer nie aufgedrängt, im Gegenteil - sie wurde ihm aufgezwungen. Ein wenig Geld aufzubringen, um die negativen Konsequenzen dieser Aufmerksamkeit wenigstens symbolisch abzufedern, mag hilflos sein, aber es ist besser als nichts.