Lieber Bundestag: Afghanistankrieg war kein "strategischer Fehler", sondern Aggressionsakt

U.S. Marines bei einer Operation am 3. Juli 2013 in der Provinz Helmand, Afghanistan. Bild: US-Regierung / Public Domain

Enquete-Kommission bilanziert Krieg. Dabei wird das Narrativ vom gut gemeinten Krieg gefestigt. Über einen Fall historischer Amnesie. Kommentar.

Heute stellt die Enquete-Kommission des Bundestags den Zwischenbericht zum Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan vor. Wie Medien vorab berichten, wird darin ein "vernichtendes Zeugnis" ausgestellt, so Tagesschau.de.

Die Operation, so zitiert Spiegel Online aus dem 350-seitigen Bericht, sei "strategisch gescheitert, Ergebnisse und gesteckte Ziele dauerhaft abzusichern". Schuld daran sei schlechte Koordination und Abstimmung zwischen den Ressorts.

Die Legende vom wohlmeinenden Krieg

Außerdem seien die Lageberichte nicht an der Realität orientiert gewesen. Aus dem militärischen Einsatz soll die Kommission nach der parlamentarischen Sommerpause Lehren ziehen.

Nun, die einzige Lehre, die man aus dem Krieg und der Beteiligung der Bundeswehr daran ziehen sollte, ist, dass der Krieg ein nicht gerechtfertigter Aggressionsakt gegen ein ärmliches Dritte-Welt-Land gewesen ist, der erwartbar großes Leid und weiteres Chaos über die Region gebracht hat.

Aber diese Lehre kann nicht gezogen werden, da in Deutschland, wie auch in den USA, die den Krieg erklärten und anführten, und anderen beteiligten Nato-Staaten, die Ansicht seit über zwei Jahrzehnten vorherrscht, dass man mit guten Absichten an den Hindukusch zog, in Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001.

Bei dem Krieg, so heißt es bis heute unisono, ging es um weltweite Sicherheit, einen Kampf gegen den globalen Terrorismus und die Schaffung eines stabilen, wenn möglich, demokratischen Staats. Dass das nicht gelungen sei und man im August 2021 auf erbärmliche Weise das Land mit den Truppen verlassen musste, sei das Problem, nicht die Absicht oder der Krieg an sich.

Die Frage nach der Legitimität als Tabu

Dass die Bundestag-Kommission das heute, über 22 Jahre nach der Invasion Afghanistans, so sieht, und die Medien dabei folgen, ist kaum überraschend. Denn das Narrativ, dass man mit hehren Idealen auszog, aber das Land sich den Idealen nicht recht fügen wollte – und dann im Westen auch strategische Fehler begangen wurden –, ist tief verwurzelt in der veröffentlichten Wahrnehmung der "humanitären Intervention".

Was ausgespart wird, ist die Frage: War der Krieg, der Überfall auf das Land und die militärische Besatzung über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren überhaupt legitim?

Spulen wir zurück. Einen Monat nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York City und das Pentagon begannen die USA einen Luftkrieg gegen Afghanistan. Die USA vermuteten dort die Hintermänner der Anschläge.

Es gab dafür durchaus Indizien. Beweise wurden jedoch nicht vorgelegt, und, wie sich später im Zuge der FBI-Untersuchungen zeigte, konnten keine beigebracht werden.

Dürfen andere Staaten auch bomben?

Die Taliban-Regierung signalisierte den USA ihre Bereitschaft, Osama bin Laden auszuliefern, wenn Beweise für seine Schuld vorgelegt würden – eine international übliche Bedingung. Die USA wiesen das Angebot mehrmals zurück und starteten eine Offensive gegen das Land bzw. setzten sie fort.

Einen intensiven Luftkrieg gegen ein Land zu führen, weil dort Verdächtige für ein schwerkriminelles Verbrechen vermutet werden, enthält natürlich keinerlei Legitimität. Wenn das der Standard wäre, hätten wir Krieg aller gegen alle. Vor allem die USA und ihre Verbündeten wären betroffen.

Nur ein Beispiel, um das zu verdeutlichen: So beherbergten die USA zur Zeit, als man wegen Osama bin Laden Afghanistan mit Flächenbombardements überzog, den notorischen Terroristen Emmanuel Constant ("Toto Constant"), der auf der Gehaltsliste der CIA stand, und ignorierten die wiederholten Auslieferungsanträge von Haiti. Constant wurde dort von Gerichten für den Tod von insgesamt 5.000 Menschen, Müttern, Vätern und Kindern, bei Massakern verantwortlich gemacht.

Hätte also Haiti Washington, Texas, Boston und New York in Schutt und Asche legen dürfen, weil die USA den Terroristen nicht auslieferten?