Lieferdienste: Die Armut fährt mit

Rider-Protest gegen die Arbeitsbedingungen bei Lieferando am 1. Mai (Mitarbeiter in Probezeit unkenntlich). Foto: HimmelUnÄäd / CC-BY-SA-4.0

Moderne Klassengesellschaft: Kurierfahrer bringen in deutschen Großstädten Essen zur Haustür, können sich das Wohnen aber selbst kaum leisten

Kurierdienste sind nicht mehr von den Straßen deutscher Großstädte wegzudenken: Die Restaurants sind wieder für Gäste geöffnet, doch viele lassen sich ihr Essen weiterhin in die eigenen vier Wände liefern. Goldene Zeiten für Unternehmen wie den Konzern Just Eat Takeaway mit seiner Marke Lieferando, die das Bestellte von der Gaststätte zum Kunden bringen lassen - von Fahrern, die zu Niedriglöhnen arbeiten müssen.

Das Basisstundenlohn der Lieferando-Fahrer liegt laut Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) bei zehn Euro. Ergänzt werde er "durch ein völlig intransparentes, gefährliches und diskriminierendes Bonussystem", so die NGG. Das Unternehmen hält dagegen: Die Fahrer, die sogenannten Rider, kommen mit den Boni auf einen durchschnittlichen Stundenlohn von 13 Euro. Das sei "mehr als die Angestellten in vergleichbaren Servicebereichen" bekämen.

In München sollen die Kuriere von Lieferando sogar einen Euro mehr Gehalt bekommen, statt zehn Euro erhalten sie elf. Der Grund seien die hohen Mieten in der Stadt, schrieb die Münchner Abendzeitung kürzlich. Für Fahrer von Lieferando - genauso wie für die Fahrer anderer Lieferdienste - bleiben die Wohnungen in München unbezahlbar.

Die 30-Prozent-Regel

Das geht aus einer aktuellen Studie hervor, die der Immobilienmakler Homeday jüngst veröffentlicht hat. Für 80 deutsche Städte wurde anhand des lokalen Medianeinkommens die Mietbelastungsquote errechnet. Für Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München und Stuttgart ging man noch weiter: Hier schaute man darauf, in welchen Wohnvierteln sich Fahrer von Lieferdiensten, Krankenpfleger und Gymnasiallehrer sich das Wohnen noch leisten können.

Dabei wurden zwei Ansätze berücksichtigt, welche Wohnkosten noch als vertretbar angesehen werden können. Einmal die 30-Prozent-Regel: Verbraucherschützer und Kreditinstitute empfehlen, dass weniger als 30 Prozent des Haushaltseinkommens für Wohnkosten aufgewendet werden sollten. Dagegen geht das Statistische Bundesamt davon aus, wenn mehr als 40 Prozent des Haushaltseinkommens für Wohnkosten ausgegeben werden, dann liegt eine Überlastung durch Wohnkosten vor.

In München liegen die Verdienste von Kurierfahrern laut dem Portal "gehalt.de" bei rund 2.500 Euro brutto und knapp 1.700 Euro netto - die Lieferando-Fahrer dürften allerdings am unteren Ende der angezeigten Lohnskala stehen. Die Mieten in der Stadt sind jedenfalls derart hoch, dass "Rider" mehr als 40 Prozent ihres Einkommens zahlen müssen, bei Neuvermietungspreisen zum Teil deutlich mehr. In Stuttgart und Frankfurt am Main sieht es kaum besser aus. In den anderen Großstädten überschreitet die Mietbelastung fast in allen Stadtteilen die 30-Prozent-Marke.

Jeder achte großstädtische Mieterhaushalt in prekärer Lage

"Der Durchschnittsbürger kann sich das Wohnen in vielen unserer Großstädte nicht mehr leisten", kommentierte Homeday-Geschäftsführer Steffen Wicker das Studienergebnis. Die Wohnkosten stiegen schneller als das Einkommen vieler Menschen - und finde sich für dieses Problem keine Lösung, dann drohe ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft.

Mehr als jeder achte Miethaushalt in Großstädten befindet sich in einer prekären Lage: Nach Abzug der Mietkosten bleibt ihnen weniger als das gesetzlich festgeschriebene Existenzminimum zum Leben, war das Ergebnis einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die im August vorgestellt wurde. Das Statistische Bundesamt zeichnete ein noch trüberes Bild: Nach seinen Daten lebten im Jahr 2019 knapp 14 Prozent der Bevölkerung (rund 11,4 Millionen Personen) in Haushalten, die von hohen Wohnkosten finanziell überlastet waren.

Vor diesem Hintergrund dürfte es nicht verwundern, dass "Rider" und NGG einen höheren Stundenlohn für die Kurierfahrer fordern. Als Lieferando-Fahrer am Dienstag in Nürnberg auf die Straße gingen, forderten sie 15 Euro je Stunde. Angesichts der hohen Mieten kann das nur ein Anfang sein.

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