Long Covid: "Milde Verläufe" mit spürbaren Folgen
Wie die Infektion den Proteinspiegel im Blut aus dem Gleichgewicht bringen kann. Wo es noch Forschungsbedarf gibt – und warum eine "Task Force" für Betroffene hilfreich wäre. (Teil 2 und Schluss)
Immerhin gibt es ansonsten mehr als 80 Post-Covid-Ambulanzen in Deutschland (Stand: Mai 2022), wobei zwei Drittel der Ambulanzen nicht interdisziplinär ausgerichtet sind und weiterhin kaum Ambulanzen darunter sind, die ihren Fokus auf postvirale Fatigue richten.
Zurück zur Ursachenforschung und möglichen Therapien. Im Fall der fehlgeleiteten Antikörper gibt es ein Therapieangebot in Form einer Blutwäsche. Mit Hilfe eines Adsorbers werden einzelne Bestandteile aus dem Blut des Patienten entfernt (Immunadsorption). Die problematischen Antikörper sollen ausgewaschen und damit neutralisiert werden. Gereinigtes Plasma wird dem Körper zurückgegeben. Eine einmalige Behandlung kostet 2.500 Euro, die Krankenkassen zahlen nicht.
Betroffene berichten jedoch von durchaus nicht einheitlichen Erfahrungen; auch nach der wiederholten (und damit sehr kostspieligen) Anwendung kann das Resultat für den Patienten unbefriedigend bleiben. Was lässt sich zu Long Covid noch festhalten?
Eigentlich ein auch schon bekanntes Thema: Coronavirus-Reste im Körper. Sie sind zwar inaktiv, aber aktivieren weiter das Immunsystem. Solche Virenreste wurden im Darm und in den Immunzellen nachgewiesen. Die getarnten Agenten verweilen quasi in körpereigenen Rückzugsräumen. Mit der Folge: Der Entzündungsprozess im Körper hält an.
Wie Untersuchungen belegen, sind die Blutzellen mancher Long-Covid-Patienten steifer und fließen deshalb nicht so leicht durch die feineren Gefäße. Dadurch ist der Blutfluss gehemmt oder vermindert. Das beeinträchtigt Kopf, Gehirnregionen, Augendurchblutung (Netzhaut), Herz, aber auch Extremitäten, zum Beispiel wenn Füße blau anlaufen.
Eine geschädigte Gefäßdurchblutung korreliert nach Aussage von Immunologen mit der Symptomatik der Betroffenen.
007 gegen Long Covid
Gegen die unerwünschte Wirkung fehlgesteuerter Anti-Körper und den gehemmten Blutfluss soll ein Medikament helfen: BC007, ursprünglich ein durchblutungsförderndes Herzpräparat. Es wurde entwickelt von der jungen Berliner Pharmafirma Cures und soll helfen, Auto-Antikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren im Blut unschädlich zu machen.
Cures ist ein Start-Up-Unternehmen, eine Ausgründung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin und der Charité Berlin. BC steht für Berlin Cures und 007 für den Super-Agenten James Bond, für den bekanntlich keine Herausforderung zu groß ist.
Erfahrungen zufolge stellen sich mit der Anwendung von BC007 rasch Besserungen ein, der Geschmackssinn kehrt zurück, die Kapillaren sind besser durchblutet, Konzentration und Leistungsfähigkeit steigen, neurologische Ausfälle gehen zurück. Es ist jedoch weitere Forschung nötig, auch hilft das Medikament nicht allen gleichermaßen.
Eine Zusammenstellung von Erfahrungen und Einordnungen zu BC007, hier überwiegend von Laien und Betroffenen, findet sich auf dem Portal der Online-Selbsthilfegruppe ME-CFS.
"Milde Verläufe" – wirklich harmlos?
Weiter oben war bereits die Rede vom Problem der Auto-Antikörper. Hier setzt ein Schwerpunkt der Forschung an. Antikörper von Probanden, so zeigte sich, sind in der Lage, das Profil von Proteinen im Blutplasma zu stören. Sie richten sich also gegen körpereigene Proteine und Rezeptoren, das wurden bei Patienten mit Long Covid nachgewiesen. Solche Antikörper greifen beispielsweise Herzmuskelzellen an, hemmen die Durchblutung und sind auch bei neurologischen Problemen auffällig.
Besonders oft, erklärt die Plattform scinexx, sind Immunglobuline im Spiel, die an sogenannte G-Protein-gekoppelte Rezeptoren auf der Zelloberfläche binden.
Schon zu Beginn einer Corona-Infektion veränderten sich Studien zufolge bei 12 von 91 untersuchten Proteinen deutlich die Werte. Im Verlauf der Erkrankung kamen noch weitere hinzu. Je größer die Anomalien, umso schwerer waren auch die Symptome bei den Covid-19-Patienten.
Interessant: Auch sogenannte milde (oder "moderate") Verläufe verändern den Proteinspiegel im Blut. Der ist normalerweise recht stabil. Im Ergebnis keine Kleinigkeit: Eine ganze Reihe biologischer Prozesse ist in Mitleidenschaft gezogen. Die Ergebnisse einer Untersuchung des britischen UCL (University College London) belegen dies:
Unsere Studie zeigt, dass selbst mildes oder asymptomatisches Covid-19 das Profil von Proteinen im Blutplasma stört. Dies bedeutet, dass selbst mildes Covid-19 normale biologische Prozesse bis zu mindestens sechs Wochen nach der Infektion dramatisch beeinträchtigen kann.
University College London (UCL)
Ein Instrument zur Vorhersage von Long Covid?
Mithilfe eines Algorithmus der künstlichen Intelligenz (KI) identifizierten die Forscher eine "Signatur" in der Häufigkeit der verschiedenen Proteine, mittels derer vorhergesagt werden kann, ob eine Person ein Jahr nach der Infektion noch anhaltende Symptome aufweisen würde oder nicht.
Demnächst, so die Wissenschaftler, könnte ein Test angeboten werden, der neben einem PCR-Test (Polymerase-Kettenreaktion) die Wahrscheinlichkeit einer Long-Covid-Entwicklung vorhersagt.
Resümee
Es ist noch ein weiter Weg bis zum genauen Verständnis der Corona-Erkrankung (SARS-CoV-2), ebenso der Kalamitäten der postinfektiösen Nacherkrankungen (Long Covid, Post Covid), der Aufdröselung des Symptomwirrwarrs und vor allem auch derjenigen Wirkmechanismen, die die neu entwickelten Impfstoffe im Gepäck haben.
Entgleisungen im Immunsystem (Autoimmun-Reaktion, gesunde Zellen werden angegriffen), versteckte Monster (=Virenreste) in körpereigenen Rückzugsräumen, hartnäckige Entzündungsprozesse, die auch den Nervenapparat befallen, lähmende Zustände postviraler Fatigue, die Betroffene in die Arbeitsunfähigkeit katapultieren (und das komplette Leben auf den Kopf stellen), Veränderungen von Darmbakterien, ein gestörter Proteinspiegel – hier tut sich auch weiterhin ein breites Forschungsfeld auf, bei dem ein einzelner 007-Punktsieg nicht genügt.
Erkenntnisse müssen zusammengeführt werden, und dies umso dringlicher, als man es mit komplexen, wechselseitig agierenden Krankheitsmechanismen zu tun hat. Letztlich ist, wie wissenschaftliche Studien zeigen, aber auch Betroffene äußern, der Bedarf an transparenten, methodisch abgesicherten und interdisziplinär ausgerichteten Therapien riesengroß; bis dahin wäre eine Task Force hilfreich, so wie Patienten sie fordern.