"Lügenpresse" - ein böses Wort?
Kritisches über die diesjährige Warnung vor einem "Unwort"
Die "Sprachkritische Aktion", eine Gruppe vorwiegend von Wissenschaftlern, stellt seit längerem ein "Unwort des Jahres" heraus, dessen öffentliche Verwendung beklagend. Sie hat sich damit aufklärerische Verdienste erworben, zum Beispiel bei der Kritik der Worte "Dönermorde" und "Sozialtourismus". Für das Jahr 2014 erklärte sie nun "Lügenpresse" zum "Unwort".
Sie zielt damit auf den Gebrauch dieses medienkritischen Begriffes in der rechtspopulistischen Szene, bei Pegida und Co. Den Grundsätzen der sprachkritischen Akteure zufolge steckt darin eine "Pauschalverurteilung", die "Diskriminierung einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe", hier der Journalisten. Die Wahl dieses "Unwortes" begründend wird darauf verwiesen, dass die deutschnationale und dann nationalsozialistische Propaganda eine Vorliebe für "Lügenpresse" als Kampfbegriff hatte. Das trifft zu, allerdings wissen wir nicht, in wie weit der Hang Dresdner "Spaziergänger" zur Verwendung des "Unwortes" aus der besagten Traditionslinie stammt.
Die "Sprachkritische Aktion" erwähnt nicht, dass von "Lügenpresse" auch auf der linken Seite des historischen Politikspektrums die Rede war. Etwa in illegalen Flugblättern von Widerstandsgruppen gegen das NS-Regime; Goebbels wurde darin als "Meister der Lügenpresse" bezeichnet - völlig zu Recht. Pegida-Fans freilich werden an diese geschichtliche Linie nicht anknüpfen wollen, zudem ist die Bundesrepublik nicht gleichzusetzen mit dem "Dritten Reich".
Dennoch: So einfach ist es nicht mit der Verurteilung des Wortes "Lügenpresse" als eines (nationalsozialistisch besetzten) "Unwortes". Auch heute wird gegen eine "lügnerische" Presse auf der Linken angegangen; die Tageszeitung "junge Welt" hat als Slogan: "Sie lügen wie gedruckt - wir drucken, wie sie lügen".
Probleme macht bei einem solchen Diskurs der Begriff "Lüge" im Hinblick auf die Welt der Medien. Dort geht es ja zumeist bei der Berichterstattung nicht mehr faustdick zu, jedenfalls nicht in Gesellschaften wie der Bundesrepublik, sondern elaboriert. Politische Verhältnisse und Vorgänge werden in der Mitteilungsarbeit sortierend behandelt, ausgrenzend oder hervorhebend, durch titelnde Wortwahl die Meinung des Publikums lenkend. Desinformation kann man das nennen oder "Sprachregelung", die Zerrbilder der Realität erzeugt. Wird da nun "gelogen"?
Man kann das massenmediale Ärgernis dezenter benennen. Die sprachkritischen Wissenschaftler sagen in der Begründung für ihr Urteil über das Wort "Lügenpresse": "Nicht immer" sei allerdings in den Medien "die Wahrheit" zu finden. Das ist recht vorsichtig ausgedrückt. So viel akademische Zurückhaltung wird man von jenen Bürgern, ganz gleich, wo sie politisch stehen, nicht erwarten können, die sich von den etablierten Medien informationell übers Ohr gehauen fühlen. Vermutlich werden sie die Warnung vor dem Begriff "Lügenpresse" als hochmütiges Verhalten von Experten empfinden, die es sich mit den massenmedialen Machtinhabern nicht verderben möchten. Auch in solch einem Gefühl steckt Pauschalisierung, und in journalistischen Jobs sind nicht nur Konformisten tätig.
Aber die Aburteilung des Wortes "Lügenpresse" kann ablenken - von Realitäten. Wenn alltagssprachlich mit "Lügen" gezielte und durchaus systematische Täuschungsmethoden des Informationsbetriebs gemeint sind: Die existieren. In großem Ausmaß.
Nur ein kleines aktuelles Beispiel dafür: In einem Interview mit den "Tagesthemen" trug der ukrainische Regierungschef Jazenzuk eine recht heftige, Hitlerdeutschland entlastende Revision der Geschichte des Zweiten Weltkrieges vor (Nazipropaganda in den Tagesthemen?). Es bedurfte mahnender Anstöße von Nichtprofis, um in den Leitmedien (sie sind sonst nicht unaufmerksam, wenn derart Verdächtiges auftritt) wenigstens einige verspätete Aufmerksamkeit dafür zu erzeugen. Beschweigen war in diesem Fall angesagt, denn Kiew soll ja sauber dastehen, als Hort "westlicher Werte"...
Ich meine: Wer davon nicht sprechen möchte, sollte sich zurückhalten bei der Anklage gegen "das Unwort Lügenpresse".