Lukaschenkos Ryanair-Coup erinnert an Snowden-Vorfall von 2013
Die belorussische Regierung hat eine RyanAir-Maschine in Minsk zur Landung gezwungen - womöglich nur, um einen oppositionellen Blogger zu verhaften. Russland verweist auf Parallelen
Angeblich wegen einer Bombendrohung hat die weißrussische Regierung einen RyanAir-Flug in Minsk zur Landung gezwungen - nach starken Indizien ging es dabei nur um die Verhaftung eines oppositionellen Bloggers. Russland befürchtet, dadurch als Verbündeter mit in die Schusslinie zu geraten und erinnert an ähnliche Vorfälle im Westen.
Die offizielle Version weißrussischer Staatskanäle, wonach der RyanAir-Flug wegen akuter Terrorgefahr zur Notlandung in Minsk gezwungen war, glaubt auch im benachbarten Russland niemand, obwohl sie vom staatlichen russischen Fernsehen mit verbreitet wird. Zu unwahrscheinlich ist schon einmal, dass durch eine zufällige Notlandung ein wichtiger Oppositionsaktivist in das Netz der Minsker Behörden ginge - und zahlreiche Indizien, etwa die Entfernung zu den Flughäfen zur Zeit der behaupteten Bombendrohung, sprechen dagegen.
So nennt die Moskauer Zeitung Kommersant beim Namen, dass der Flug "abgefangen" worden sei - möglicherweise, um den Oppositionellen Roman Protasewitsch festnehmen zu können. Er gilt als jahrelanger wichtiger Unterstützer der Opposition gegen Präsident Alexander Lukaschenko, ja sogar als Koordinator von Social-Media-Aktionen, die Lukaschenkos Sturz befördern sollten. Gesucht wurde er von belorussischen Offiziellen mit dem Vorwurf, Aufstände anzuzetteln. Nun droht ihm deswegen eine langjährige Haft.
Kommersant berichtet, dass Protasewitsch noch im Flugzeug vermutete, dass er bereits in Athen von Beamten des weißrussischen KGB verfolgt worden sei. Dafür spreche zudem, dass neben dem Oppositionellen mehrere weitere weißrussische und russische Passagiere den RyanAir-Flug in Minsk verlassen hätten. Auch die russische Nachrichtenagentur Tass zitiert den Chef der betroffenen Fluggesellschaft RyanAir O'Leary, der ebenfalls an die Anwesenheit von KGB-Agenten auf seinem Flug glaubt.
Häufiger Vergleich mit Snowden-Vorfall
Der gesamte Vorfall wird in Moskau mit einem ähnlichen im Jahr 2013 verglichen. Damals hatten Frankreich und Portugal auf Druck der USA ihren Luftraum für die Maschine des bolivianischen Präsidenten Evo Morales gesperrt - und diese war in Wien zur Landung gezwungen worden, weil der US-Whistleblower Edward Snowden darin vermutet worden war. Die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa erinnerte auf Facebook im Zusammenhang mit dem aktuellen Vorfall an die damalige Aktion und sprach westlichen Regierungen daher das Recht ab, wegen Lukaschenkos Aktion nun "schockiert" zu sein. Das gleiche Verhalten anderer Staaten berechtige nicht zu heftigen eigenen Reaktionen.
Doch beide Vorfälle seien von ihren voraussichtlichen Nachwirkungen nicht gleichwertig, meint dazu vorsichtiger der Politologe Andrej Kortunow vom Russischen Rat für Auswärtige Angelegenheiten gegenüber dem Medienportal RBK. Denn nun kam es tatsächlich in Folge der erzwungenen Notlandung zu einer Verhaftung, die nun voraussichtlich eine langjährige Inhaftierung zur Folge hat. Snowden war schlicht und ergreifend im betreffenden Flugzeug 2013 nicht an Bord, weshalb der Skandal schnell abebbte. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass die scharfzüngige Sacharowa bisher nicht versucht, das Verhalten der belorussischen Behörden zu rechtfertigen, sondern es relativiert und auf westliche Doppelstandards verweist.
Kortunow sieht die Aktion als Zeichen von Unsicherheit bei den weißrussischen Offiziellen. Diese betonten zwar immer, dass die Oppositionsbewegung am Ende sei. Aber "warum sollen sie so extreme Maßnahmen ergreifen, wenn ihre Gegner wirklich marginalisiert sind?", fragt Kortunow bei RBK. Die Aktion werde auch alle, die die Vorgänge in Belarus kritisieren, darin bestärken, sich dagegen zu engagieren. Die heftigen Reaktionen westlicher Regierungen, die gerade erst begonnen haben, geben ihm dabei Recht.
Russland als großer Bruder mit in der Schusslinie
Dass durch die Aktion auch Russland in die Schusslinie gerät, glaubt der russische Regierungspolitiker Konstantin Satulin, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses der Russischen Staatsduma für die GUS-Staaten. "Das schafft nicht nur für Belarus Probleme, sondern auch für Russland, da es in der aktuellen Situation als Verteidiger der weißrussischen Interessen wahrgenommen wird" meint der Politiker in Moskau zur Onlinezeitung gazeta.ru. Dass Satulin damit nicht falsch liegt, beweisen erste Kommentare in westlichen Medien, die sofort einen Zusammenhang des Lukaschenko-Coups mit Vorwürfen in Richtung Moskau herstellen.
Die Art und Weise, wie die Aktion durchgeführt wurde, verschärft laut Satulin internationale Probleme und sei eine Steilvorlage für alle, die russischen und weißrussischen Interessen entgegen stehen. Da neben Protasewitsch seine Freundin Sophia Sapega, eine russische Staatsbürgerin, verhaftet wurde, könne die russische Seite die Preisgabe von Hintergründen der Verhaftung der Russin verlangen.
Von weiteren Verhalten Russlands hinter den Kulissen wird es entscheidend abhängen, was Lukaschenko in den nächsten Wochen noch alles unternimmt, um die Oppositionsbewegung im eigenen Land mundtot zu machen. Zwangsmaßnahmen aus dem Westen waren von ihm ebenso eingepreist, als er das Flugzeug nach Minsk umleitete, wie als er erst kurz zuvor das oppositionelle Medienportal tut.by schließen ließ. Hier kann ihn keine Sanktion schocken. Doch ohne Moskauer Unterstützung, auf die er sich jetzt verlässt, kann seine ansonsten in Europa geächtete Regierung nicht überleben. Und als verlässlicher Verbündeter des Kreml hat er sich in früheren Jahren eher nicht erwiesen.