Razzia in Minsk: Oppositionsnahes Medienportal gesperrt

Im Jahr 2020 gab es in Belarus Massenproteste. Tut.by soll Informationen von "nicht ordnungsgemäß registrierten" Beteiligten verbreitet haben. Foto: Homoatrox / CC-BY-SA-3.0

Die Onlinezeitung tut.by erreichte regelmäßig mehr als drei Millionen Menschen in Belarus. Die Abschaltung ihrer Domain wird offiziell anders begründet als die Durchsuchung ihrer Büros

Die wichtigste Onlinezeitung Weißrusslands und gleichzeitig das größte oppositionsnahe Medium im Land: Tut.by wurde am Dienstag mehr oder weniger im Schnellverfahren geschlossen. Sicherheitskräfte durchsuchten alle Büros, verhafteten mutmaßlich Journalisten, die Zeitung ging vom Netz. Was ist der Hintergrund?

Durchsuchung und Domainabschaltung

Die Durchsuchung der Büroräume und Privatwohnungen mehrerer Mitarbeiter, Konfiszierung von technischem Gerät und Kappung der Telefonverbindung der Redaktion wurde von den Behörden mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung gerechtfertigt. Zeitgleich mit der Redaktion wurden mehrere Büros vom Firmen durchsucht, die mit tut.by in wirtschaftlicher Verbindung stehen. Der Kontakt zu mehreren Mitarbeitern der Zeitung riss im Zuge der Behördenaktion ab, Journalisten zweier weiterer Medien, die über die Razzia berichten wollten, wurden laut Presseberichten verhaftet. Das belorussische Innenministerium bestritt jedoch Inhaftierungen, auch wenn es die übrige Aktion bestätigte.

Am selben Tag wurde die weißrussische Domain der Zeitung offline geschaltet, das jedoch aus einem völlig anderen offiziellen Grund. Tut.by habe Informationen einer nicht ordnungsgemäß registrierten Vereinigung von Oppositionellen verbreitet, gibt hierzu das belorussische Informationsministerium an. Das betreffende Bündnis ist bekannt für die Unterstützung der gegen Staatschef Alexander Lukaschenko gerichteten Demonstrationen im letzten Jahr.

Strafrechtliche Vorwürfe oder Vorwände?

Vertreter der Zeitung bestritten gegenüber der russischen Zeitung Kommersant alle Vorwürfe der Behörden. Sie halten die Aktion für einen Schritt der Minsker Offiziellen, die Meinungsfreiheit im Land einzuschränken und jeden Widerspruch zu unterdrücken. Rückendeckung erhielten sie dabei von der mittlerweile im westlichen Exil lebenden Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja, die die Europäische Union in der Angelegenheit einschalten will. Auch die belorussische Journalistenvereinigung BAJ verurteilte die Razzia und die Schließung als Angriff auf die Meinungsfreiheit und bezeichnete die strafrechtlichen Vorwürfe gegen das Blatt als Vorwand für Repressalien.

Bereits vor der aktuellen Aktion hatte tut.by Probleme mit den weißrussischen Offiziellen. Lukaschenko selbst drohte einem Journalisten der Zeitung gemäß einem Bericht des russischen Onlinemediums gazeta.ru im August 2020, dass sie, wenn sie provoziert, mit einer gleichartigen Antwort rechnen müsse. Er warf ihr bei gleicher Gelegenheit tendenziöse Berichterstattung vor. Verwarnt wurde die Zeitung mehrfach wegen Berichten über Oppositionsaktionen - offiziell wegen Ungenauigkeiten. Eine der Verwarnungen wurde vor Gericht zurückgenommen.

Im November letzten Jahres wurde dann eine tut.by-Journalistin nach einem Bericht über einen nach einer Demonstration verstorbenen Oppositionsaktivisten verhaftet. Man verurteilte sie im März wegen der Preisgabe medizinischer Geheimnisse des Betroffenen - sie hatte in ihrem Artikel Gesundheitsdaten des zu Tode gekommenen genannt. Im Dezember 2020 verlor tut.by den Status eines offiziellen Massenmediums - arbeitete jedoch dennoch weiter.

Die Bedeutung von tut.by in Belarus und Russland

Tut.by ist das größte Online-Medienportal in Weißrussland und besteht bereits seit dem Jahr 2000. Fast zwei Drittel der Internetnutzer des Landes besuchen die Webseite immer wieder, das sind 3,3 Millionen Menschen. Bekannt ist es für seine relative Nähe zur belorussischen Opposition, ist aber keine Gründung eines westlichen Akteurs, sondern finanziert sich durch Werbung und eine umfangreiche wirtschaftliche Tätigkeit verbundener Unternehmen. Bei der oppositionellen Berichterstattung habe man sich in einem gewissen Rahmen gehalten, meint der weißrussische Politologe Pjotr Petrowski gegenüber Kommersant, sei aber nicht ausgewogen gewesen.

Die Zeitung vermied es jedoch, zu einem reinen Sprachrohr der Opposition zu werden und stellte auch Regierungspositionen dar. Die Presselandschaft des Staates ist dabei gerade seit den umstrittenen Präsidentenwahlen im letzten Jahr polarisiert, ein deutliches Übergewicht besteht bei den regierungsnahen Medien.

Wichtig ist tut.by auch bei der kritischen Darstellung der weißrussischen Innenpolitik in Russland. Denn die Zeitung erscheint auf Russisch, das in Belarus die vorherrschende Sprache bei Presseveröffentlichungen ist und wird im großen Nachbarland viel online gelesen. Sie genießt dabei in Expertenkreisen der russischen Hauptstadt ein gewisses Ansehen. Der langjährige tut.by-Politikredakteur Artjom Schrajbman ist aktuell Gastexperte beim Moskauer Carnegie-Zentrum und als Fachmann auch auf Diskussionsveranstaltungen des Russischen Rates für auswärtige Politik zu Gast.

Für Lukaschenko ist die russische Unterstützung elementar, der aktuelle Schulterschluss des Kreml mit ihm hat seine zuvor wankende Position gestützt. Doch die russische Unterstützung für ihn kommt nicht vom Herzen und resultiert eher aus der Angst vor einem zweiten "Euromaidan" in Minsk, vor allem seit sich Oppositionsführerin Tichanowskaja im Exil offen dem Westen angeschlossen hat. Für den Moskauer Politologen Andrej Susdalzew von der dortigen Higher School of Economics gilt Lukaschenko in einem Interview mit Julia Dudnik vom Politikmagazin Russland.direct dennoch als nicht verlässlich. Es sei für ihn die Frage, inwieweit er ein echter Verbündeter sei oder nur Russlands Hilfe brauche.

So ist es durchaus möglich, dass Lukaschenkos Apparat mit der Aktion gegen tut.by ein Medium zum Schweigen bringen will, das am eigenen Ruf im eigenen Land und beim wichtigsten Unterstützer kratzt. Das Schweigen konnte dabei bisher nicht komplett durchgesetzt werden. Kurz nach der Sperre der Hauptdomain errichteten Journalisten der Zeitung unter www.tutby.news bereits einen Mirror ihrer Hauptseite und nutzten Kanäle in Sozialen Netzwerken für die Fortsetzung ihrer Arbeit, vor allem im - ebenfalls in Russland beliebten - Social Media Telegram.

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