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Luxus-Gas ohne Zukunft: Solar bis zu zehnmal billiger

Eine Gas-Pipeline, die durch den Wald verläuft. Bild: Public Domain

Der Gasanalyst Rystad Energy verkündet den "Anfang vom Ende der Gaskraftwerke in Europa". Sie seien gegenüber den Erneuerbaren Energien einfach nicht mehr konkurrenzfähig. It is the economy, stupid.

Eine neue Studie von Rystad Energy – einer unabhängigen Energie-Beratungsorganisation, führend im Öl- und Gassektor – hat herausgefunden [1], dass es bei den aktuellen Gaspreisen langfristig zehnmal teurer wäre, Gaskraftwerke zu betreiben, als neue Solaranlagen in Europa zu bauen.

Rystad Energy betitelt die Studie mit den Worten: "Energy Crisis: the beginning of the end for gas-fired power in Europe" ("Energiekrise: der Anfang vom Ende der Gaskraftwerke in Europa"). Da Rystad Energy mit Hauptsitz in Oslo "einer der meist zitierten Erdölanalysten in der Branche" ist, wie die Financial Times feststellt [2], internationale Unternehmen der Öl- und Gasindustrie sowie die OPEC, die Internationale Energieagentur (IEA) und die Weltbank berät [3], sollte die Analyse ein Weckruf sein, nicht nur für die Energiewirtschaft, sondern auch für Politik und Öffentlichkeit.

Sicherlich stellt 2022 ein außergewöhnliches Jahr bezüglich der Gaspreise dar. Im Zuge des Ukraine-Kriegs und der Boykottmaßnahmen gegen Russland explodierten sie förmlich. Denn Europa und insbesondere Deutschland, stark abhängig von russischem Gas, versuchen seitdem ihren Bedarf anders zu stillen. Die zusätzliche Nachfrage gekoppelt mit einem globalen Gas-Angebot, das nicht flexibel erweiterbar ist, führte zu den preislichen Höhenflügen.

Die Spot-Preise für Gas in den Niederlanden kletterten von durchschnittlich 46 Euro pro Megawattstunde (MWh) im Jahr 2021 auf 134 Euro pro MWh im bisherigen Jahresverlauf. Das ist ein Anstieg um 187 Prozent [4]. Der historische Höchststand wurde im August mit 330 Euro pro MWh erreicht, was die Stromerzeugungskosten aus Gas auf fast 700 Euro pro MWh ansteigen ließ.

Die Forscher von Rystad gehen zwar nicht davon aus, dass in den nächsten Jahren die Gaspreise derart hoch bleiben wie bisher. Aber selbst bei sinkenden Preisen ist Gas als Energieform in der Zukunft kaum mehr wettbewerbsfähig. So rechnet man damit [5], dass die Spotpreise sich bis 2030 bei 31 Euro pro MWh einpegeln. Das bedeutet Stromerzeugungskosten ("levelized cost of energy", kurz LCOE, oder Lebenszyklus-Kosten für die jeweilige Energieumwandlung einer Anlage) in Höhe von 150 Euro pro Megawattstunde für ein bereits existierendes Gaskraftwerk.

Zum Vergleich: Diese Erzeugungskosten bei einer neuen Solaranlage liegen bei rund 50 Euro, also dreimal niedriger. Die Gaskosten müssten nach Berechnungen von Rystad auf 17 Euro pro MWh fallen und der Kohlenstoffpreis auf 10 Euro pro Tonne, was derzeit nicht vorstellbar ist, um überhaupt noch mithalten zu können. Carlos Torres Diaz, Leiter der Energieabteilung bei Rystad Energy, sagt:

Die europäischen Entscheidungsträger müssen sich entscheiden, ob sie weiterhin teures, weniger sicheres Gas verwenden oder in billigere erneuerbare Energien und Speicheroptionen investieren wollen.

LNG-Terminals als Investitionsgräber

Die Energie-Analyse bietet den politisch Verantwortlichen ein alternatives Szenario zur weiteren Nutzung von Gas an. So könnte die Stromkapazität aus Erneuerbaren Energien bis 2025 um mehr als 100 Gigawatt (1 GW = 1000 MW) vergrößert werden, wenn Gelder, die für die Stützung der Gasstromerzeugung nötig sind, umgelenkt würden.

2028 würde damit eine Kapazität von 333 GW Ökostrom erzielt, wodurch 663 Terrawattstunden an Stromleistung generiert werden könnten. Was bedeutet, dass Wind- und Solarkraft die vorhergesagte Gasverstromung bereits zu diesem Zeitpunkt komplett ersetzen könnten – allein dadurch, dass die Gelder fürs Gas Richtung Erneuerbare gelenkt werden. Die Energiewende weg vom Gas angefeuerten Luxus-Strom finanziert sich also von selbst. Der Rystad-Bericht stellt fest:

Angesichts der hohen Kosten, die Gas verursacht, und der sehr unsicheren Versorgungslage ist es sinnvoll, dass die Energieversorgungsunternehmen ihre Strategien überdenken und die Entwicklung von erneuerbaren Energien und Speicherkapazitäten beschleunigen. … Bei den erneuerbaren Energien ist es an der Zeit, nach Wegen zu suchen, um Engpässe in der Lieferkette zu vermeiden und die Unterstützung von Finanzinstituten zu sichern.

Das würde sich lohnen, wenn man denn Interesse daran hat, Geld zu sparen und klug zu wirtschaften. So haben Schätzungen zufolge [6] bereits die bestehenden Wind- und Solaranlagen, die gegenüber 2021 um 13 Prozent zugenommen haben, Europa in diesem Frühjahr und Sommer 11,46 Milliarden Dollar gegenüber fossilem Gas eingespart.

Es wird auch zunehmend schwerer werden, von Banken Kredite für neue Kohle-Kraftwerke und Gasfelder zu bekommen. Denn Finanzinstitute wollen Sicherheiten – was in der Vergangenheit die Anlagen selbst waren. Aber die werden in mittlerer und längerer Perspektive zu "stranded assets" (entwertete Vermögensanlagen) mutieren, während Solarparks noch in 30 Jahren sicher Strom produzieren.

Unternehmen, die in Gaskraftwerke viel Geld gesteckt haben oder stecken wollen, werden aber weiter versuchen, diese zu betreiben, solange Staat und Verbraucher bereit sind, für die teure Energie zu zahlen. Was den Staat angeht, ist der Wille zur Wende bisher wenig ausgeprägt.

EU und auch Deutschland setzen wie zuvor, trotz russischer Energiekrise, auf Gas [7], insbesondere nun auf verflüssigtes Erdgas (LNG), Frackinggas-Importe aus den USA oder Lieferungen aus Algerien, Golfstaaten oder afrikanischen Ländern wie dem Senegal. Es finden sogar staatliche Investitionen in neue Gas-Infrastrukturen statt, die eine lange Nutzungsdauer voraussetzen, um sich überhaupt zu rechnen.

Umso dramatischer, dass die Kosten für die neuen schwimmenden LNG-Terminals, die die Bundesregierung im Hauruck-Verfahren bauen lässt, sich in wenigen Monaten verdoppelt haben [8]. Statt knapp drei Milliarden Euro werden jetzt rund 6,6 Milliarden dafür angesetzt.

Die Frage ist: Wie lange noch? Wie lange sind die Bürger:innen, die Gesellschaft insgesamt bereit, für eine Branche draufzuzahlen, die am Subventionstropf hängt und verantwortlich ist, die Erdtemperatur immer weiter zu erhöhen, mit allen auch ökonomischen Folgen, die das nach sich zieht?

Ob der Unmut der Steuerzahler:innen mit Gaspreisdeckeln auf Dauer kalmiert werden kann, die die Bürger:innen letztlich selbst bezahlen bzw. ihre Kinder als ererbte Schulden, ist nicht ausgemacht. Auch nicht, wann die Erzählung von der "Brückentechnologie" Gas sowie von der teuren und nicht machbaren Energiewende still und heimlich in die Annalen eingehen wird. Vielleicht sollten die Bedenkenträger:innen mal den Gas-"Profis" von Rystad Energy zuhören. It is the economy, stupid!


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7360851

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.rystadenergy.com/news/energy-crisis-the-beginning-of-the-end-for-gas-fired-power-in-europe
[2] https://www.ft.com/content/a9e6dd92-5f05-11e9-a27a-fdd51850994c
[3] https://www.finansavisen.no/nyheter/energi/2020/07/10/7546237/rystad-energy-omsetningsvekst-10-ar-pa-rad?zephr_sso_ott=iCsqex
[4] https://www.rystadenergy.com/news/energy-crisis-the-beginning-of-the-end-for-gas-fired-power-in-europe
[5] https://www.rystadenergy.com/news/energy-crisis-the-beginning-of-the-end-for-gas-fired-power-in-europe
[6] https://fortune.com/2022/10/19/europe-record-wind-solar-offset-11-billion-euros-energy-costs-crisis-russia-ukraine-war/
[7] https://www.heise.de/tp/features/Kommt-nun-ein-Gas-Deal-mit-Kanada-7239328.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/Viel-Geld-fuer-LNG-wenig-Ambition-bei-Wind-und-Solarenergie-7350098.html