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MH17: Niederländische Regierung will Geheimdokumente zum Fall nicht freigeben

Das von JIT veröffentlichte Foto mit dem Buk-System

Die Beziehungen zu anderen Ländern könnten gefährdet werden, JIT-Leiter Westerbeke lässt in einem Interview klar werden, dass die Ermittlungen stocken, man sich aber des Ergebnisses sicher ist

Der MH17-Prozess findet in den Niederlanden nach niederländischem Recht statt. Das haben die Regierungen der Länder beschlossen, die am Gemeinsamen Ermittlungsteam (JIT) zur strafrechtlichen Verfolgung der Täter beteiligt sind, weil Bürger beim Absturz der Maschine gestorben sind. Zum Team gehört auch die Ukraine, weil das Flugzeug über dem Territorium abgeschossen wurde, allerdings steht die Ukraine unter Kritik, den Luftraum nicht gesperrt zu haben, vollständig ist der Verdacht auch nicht ausgeräumt, dass möglicherweise ein Buk-System der Ukraine für den Abschuss verantwortlich war. Und ausgerechnet waren an dem Tag angeblich alle zivilen und militärischen Radarstationen nicht aktiv.

Wann der Prozess stattfinden wird, steht weiter in den Sternen. Das JIT hat sich faktisch bereits festgelegt, dass die MH17 von Separatisten mit einem von Russland herangeschafften Buk-System von einem Gebiet, das von den Separatisten kontrolliert wurde, abgeschossen wurde. Offenbar fehlt es noch an Zeugenaussagen, die das belegen können. Aus Georgien hat sich die niederländische Staatsanwaltschaft nun ein Buk-System kommen [1] lassen, um die Klage zu erhärten. Unklar bleibt freilich, was damit bewiesen werden kann, zumal Russland behauptet, das in Frage kommende Buk-System schon lange ausrangiert zu haben.

Vor kurzem ist ein neues Foto aufgetaucht [2], auf dem ein Buk-System auf einem Transporter zu sehen ist. Nach dem JIT wurde das Bild "wahrscheinlich" am 17. Juli 2014 in der Stadt Makiivka aufgenommen, also an dem Tag, an dem MH17 abgeschossen wurde. Das JIT geht davon aus, dass es sich um das Fahrzeug handelt, das für den Abschuss verantwortlich ist. Bellingcat ist auch gleich dabei und geht davon aus, dass es sich um das auf anderen Fotos aufgenommene Buk-System 332 auf dem Volvo-Transporter mit dem begleitenden VW-Bus handelt, das der russischen 53. Luftabwehrbrigade gehöre. Wo die Aufnahme gemacht wurde, könne man noch nicht sagen, hieß [3] zunächst, dann will mit der Hilfe anderer den Aufnahmeort auf dem Prospekt Ilycha in Donezk identifiziert haben. Zwar liefere das Foto keine neue Beweise, für Bellingcat wird aber bestätigt, dass das russische Buk-System 332 "die mörderische Waffe" gewesen sei. Der ukrainische Sender Ukrinform behauptet [4], dass "das Foto die Beteiligung Russlands beweist".

Die niederländische Staatsanwaltschaft hat einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz der Medien NOS, Volkskrant und RTL Nieuws abgelehnt. Sie hatten bereits nach langen Bemühungen erwirkt, dass das Justizministerium letztes Jahr Einblick in Dokumente gewähren muss, die zeigen, wie man nach dem Abschuss verfahren ist. Interessant könnte dies vor allem sein, um die Rolle der Ukraine zu klären. Allerdings waren die Dokumente weitgehend geschwärzt [5]. Das Ministerium erklärte, die Freigabe der Informationen könnte die Beziehungen zu anderen Staaten und internationalen Organisationen beeinträchtigen. Mit der Freigabe der Dokumente würde auch der "freie Austausch von Argumenten" behindert.

Im Februar hatte ein Gericht dem Verlangen nach Transparenz stattgegeben, aber offenbar findet sich in den Dokumenten derart Brisantes, dass das Justizministerium Einspruch erhob. Die Dokumente müssten verschlossen bleiben, da, so wird erneut behauptet, ihre Offenlegung die Beziehungen zu anderen Staaten gefährden könnten. Der niederländische Staatsrat stellte sich am Mittwoch hinter das Justizministerium und entschied [6], dass die Dokumente nicht freigegeben werden dürfen: "Das Interesse nach Veröffentlichung überwiegt nicht das durch die Weigerung geschützte Interesse wie die Beziehungen der Niederlande mit anderen Ländern und internationalen Organisationen, die Achtung der beteiligten Parteien und der Schutz persönlicher politischer Ansichten." Das lässt Spekulationen ins Kraut schießen, zumal man offenbar nicht bereit ist, auch nur einige weitere Teile zu veröffentlichen.

"Wir brauchen die Radarbilder nicht mehr, wir haben mehr als genug Beweise"

Die russische Zeitung Novaya Gazeta hat mit dem verantwortlichen niederländischen Staatsanwalt Fred Westerbeke kürzlich über die Untersuchung gesprochen [7]. Die Zeitung hat ein eigenes Interesse, denn sie glaubt, den für den Transport des Buk-Systems verantwortlichen "Khmuriy" identifiziert zu haben. Es soll sich um den russischen Generalmajor Sergey Dubinskiy handeln, es sei aber nicht sicher, ob er 2014 noch dem Militär angehörte. Identifiziert wurde er für die Zeitung durch Sergey Tiunov, einem anderen russischen Ex-Offizier.

Westerbeke hält die Zügel in der Hand, insoweit sind seine Ausführungen interessanter. Er versicherte, die Ermittlungen würden weitergehen und schließlich die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Wann das sein wird, verriet er nicht, was darauf hindeutet, dass man nicht sehr weit über die Erkenntnisse des vorläufigen Berichts hinausgekommen ist. Man wisse, dass das Buk-System aus Russland in die Ostukraine zur vermuteten Abschussstelle in Snezhnoye gebracht und von dort aus wieder nach Russland "geschmuggelt" worden sei. Namen derer, von denen man sich sicher sei, an dem Abschuss mitgewirkt zu haben, wollte er nicht nennen. Strafrechtlich gehe es darum, wer den Knopf gedrückt hat, wer den Befehl gegeben und wer den Transport genehmigt hat. Dazu benötige man aber noch Zeit. Die Ermittlungen würden auch dadurch behindert, dass man nicht Zeugen vor Ort befragen könne. Auf die Frage, ob man deswegen mit den Behörden der "Volksrepubliken" gesprochen habe, antwortete Westerbeke: "Wir erkennen diese Strukturen nicht an."

Westerbeke wies die Version des russischen Rüstungskonzerns Almaz-Antey zurück. Er hatte eine Test durchgeführt und behauptet, die Rakete sei von Zaroshchenskoye abgeschossen worden, das damals von ukrainischen Soldaten kontrolliert worden war. Man habe die Daten berücksichtigt und auch einen ähnlichen Test gemacht, aber wirklich wichtig seien die Zeugenaussagen, die die Buk gesehen haben. Aber es gebe viele Daten und auch viele Märchen. Zu den russischen Radardaten nahm er nicht wirklich Stellung. Die ziemlich spät gelieferten Daten sollen nach russischen Angaben zeigen, dass keine Rakete von Snezhnoye abgefeuert wurde, weil man dies auf dem Radar sehen müsste. Westerbeke verweist allerdings nur auf den vorläufigen Bericht, der vor der Übergabe der Radardaten veröffentlicht wurde, für den man viele Beweise, Augenzeugen, Fotos, Videos und Satellitenaufnahmen ausgewertet habe, die zeigen, dass die Rakete von Snezhnoye abgeschossen wurde. Zu den russischen Daten wollte er nichts weiter sagen, nur dass sie einbezogen werden.

We no longer need anything about the radars! We have more than enough evidence and proof of what had happened. Imagine: you have eyewitnesses of a crime where one individual shot another. And you have video records and photos of the perpetrator buying the gun. And he discussed all this on the phone. And you have every bit of proof. So, what’s the point in looking for and investigating other guns in the city, and keep asking oneself, "Where are the radar data?"

Westerbeke

Dass alle ukrainischen Radarstationen just an diesem Tag nicht arbeiteten, habe man vielfach überprüft. Sie seien tatsächlich repariert worden. Aber wieder meinte er, es werde den Radardaten zu viel Bedeutung beigemessen, viel wichtiger seien die Zeugenaussagen. Man müsse auch nicht nach anderen Buk-Systemen in der Region suchen. Man habe auch Einsicht in die amerikanischen geheimen Satellitenaufnahmen erhalten bzw. einer seiner Mitarbeiten habe sie einsehen können. Westerbeke versuchte auch hier die Bedeutung herunterzuspielen, offenbar zeigten sie nichts oder das Falsche: "Selbst die US-Satelliten können nicht alles sehen. Und an dem Tag war es bedeckt." Er könne aber nicht darüber sprechen, was auf den Bildern zu sehen war, die er selbst gar nicht vorliegen hatte. Der Bericht seines Mitarbeiters sei aber in die Ermittlung einbezogen worden. Dieses "winzige Teil" würde die Beweise stärken, dass die Rakete von Snezhnoye abgeschossen wurde.

Zur Ukraine sagte er, das Land müsse an der Untersuchung beteiligt sein, weil das Verbrechen auf dessen Territorium stattfand. Die Ukrainer hätten sie auch nie enttäuscht: "Sie geben uns alles, wonach wir fragen, sie vergessen, verbergen und manipulieren nichts."


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Links in diesem Artikel:
[1] https://nltimes.nl/2017/10/18/buk-missile-brought-netherlands-mh17-investigation
[2] https://www.flightglobal.com/news/articles/mh17-investigators-seek-details-over-missile-launch-442366/
[3] https://www.bellingcat.com/news/uk-and-europe/2017/10/19/jit-publishes-new-photograph-buk-332-day-mh17-downing/
[4] https://www.ukrinform.net/rubric-emergencies/2328202-bellingcat-new-photo-of-buk-proves-russian-involvement-in-downing-of-mh17-flight.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Der-Fall-MH17-koechelt-weiter-3378203.html
[6] https://nltimes.nl/2017/10/25/council-state-rejects-request-disclose-mh17-documents
[7] https://www.novayagazeta.ru/articles/2017/10/16/74192-the-purpose-is-to-bring-this-matter-to-court