Macht und Medien
Die Inserate-Affäre in Österreich wirft ein Schlaglicht auf einen bedrohlichen Trend: korrupte Geschäfte zwischen politischen Akteuren und Medienkonzernen.
Die Anfang Oktober in Österreich bekanntgewordene Inseratenkorruptionsaffäre der konservativen ÖVP ist natürlich eine Geschichte von Machtstreben, von Gier, Einfluss, Eitelkeit und Geld. Interessanterweise ist sie auch eine fast rein männliche Geschichte von Aufstieg und Fall. Die involvierten Frauen – die Unternehmerin Sabine Beinschab und die Politikerin Sophie Karmasin – fungierten nur als Statistinnen bei den Machtspielen der Männer.
Die Affäre ist aber auch der bisherige Höhepunkt eines Phänomens, das es in dieser radikalisierten Form vielleicht nur in Österreich gibt: Austriazistisch heißt es "Verhaberung", also etwa gegenseitige Begünstigung.
Politologen wie Fritz Plasser sprachen schon vor Jahren von einem neuen "Supersystem" zwischen Medien und Politik, andere von einer "Mediokratie", ich nannte das Phänomen in meinem Buch über die Kronen Zeitung im Jahr 1995 die "strukturelle Kopplung" zwischen Journalisten hier und Politikern und Polizei dort.
Antrittsbesuche neuer Minister beim Chefredakteur
Es ist keine Übertreibung, zu sagen: Hans Dichand, der 2010 verstorbene ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der Kronen Zeitung, war über Jahrzehnte der geheime Bundeskanzler und -präsident in Personalunion in Österreich.
Der Dokumentarfilm Kronen Zeitung: Tag für Tag ein Boulevardstück von Nathalie Borgers aus dem Jahr 2011 ist ein historisch ungemein wertvoller Beweis dafür: Unvergessen ist die Schlussszene, in der Hans Dichand und der damalige Bundespräsident Thomas Klestil in der Hofburg Guglhupf essen, sich gegenseitig loben und sich dann zu einem eindeutig ironischen "Für Österreich!" hinreißen lassen. Es geht nämlich nicht um Österreich.
Ein Wiener Journalist berichtet mir glaubwürdig, dass Dichand über die "Ministrabilität" von Regierungskandidaten mitentschieden hat. Mehr noch: "Antrittsbesuche" von neuen Ministern bei Dichand scheinen in Österreich über viele Jahre Usus gewesen zu sein.
Wer dem Chef sympathisch war, um den hat man sich "gekümmert", so der redaktionelle Jargon für wohlwollende Berichterstattung. Wer durchgefallen ist, war meist schon vor den nächsten Wahlen weg.
Wer nicht mit dem Chefredakteur diniert, wird zum Feind
Die Kronen Zeitung als mächtigstes Boulevardblatt Österreichs arbeitet nach einem klaren Freund-Feind-Schema, das in der wissenschaftlichen Literatur (von Ruth Wodak bis zu Peter A. Bruck) vielfach beschrieben wurde. Dabei geht es nicht um Parteien. Es geht um Personen.
Buckeln Politiker vor dem Boulevard, konkret: gehen sie mit dem Chefredakteur essen und hören sie auf ihn, dann wird positiv über sie berichtet. Wird das Ritual der gemeinsamen Agenda-Besprechung hingegen verweigert, wird man zum neuen Feindbild des Blattes.
Ich habe das als 21-jähriger Freelancer in der Salzburg-Redaktion der Kronen Zeitung erlebt: Der damalige SP-Vizebürgermeister verweigerte das Dinieren mit dem Krone-Boss im Sheraton. Außerdem war seine Politik nicht mehrheitsfähig: Es wurden gesellschaftskritische Künstler, ja sogar die autonome Punkerszene unterstützt.
Auch eine SP-Stadträtin buckelte nicht und war ein rotes Tuch der "Krone". Der damalige SP-Bürgermeister Salzburgs sowie der SP-Landeshauptmann-Stellvertreter hingegen waren Freunde des Hauses: Sie gingen mit dem Chefredakteur essen und kamen daher in den Kommentaren immer als die Guten und Anständigen weg.
Von der "Verhaberung" zur möglichen Veruntreuung
Dass die "gegenseitige Begünstigung" nicht bei "wohlwollender Berichterstattung für die Bereitschaft zur Agenda-Abstimmung mit dem Chefredakteur" aufhört, sondern handfest in den Bereich möglicher Datenfälschung und möglicher finanzieller Veruntreuung hineingehen könnte – es gilt für alle Verfahrensbeschuldigten die Unschuldsvermutung –, das ist die mögliche neue Dimension, die sich nach der Lektüre der SMS-, iMessage- und WhatsApp-Nachrichten nach der Enthüllung der Affäre Anfang Oktober auftut.
Bei den vielen Essensterminen von Schmid und Co. wurde also nicht nur vor dem Medienmann gebuckelt und es wurde nicht nur die Agenda für die nächste Zeit besprochen. Das war die Ebene, die ich aus Salzburg kannte.
Nein, es ging offenbar auch darum, dass Zahlen frisiert wurden, dass für die Genese dieser Zahlen Gelder veruntreut wurden, dass eine konzertierte Konstruktion stattfand, um einen politischen Willen einer kleinen Männertruppe durchzusetzen.
Ja, man könnte dies auch einen "Putsch" nennen. Sobald Geld ins Spiel kommt, relativiert sich auch die Macht des Medienmannes. Denn für beide Seiten gilt nun: Wer zahlt, schafft an.